Clara Hagen, Gastautorin / 01.09.2024 / 10:00 / Foto: Pixabay / 43 / Seite ausdrucken

Meine sächsische Wahlsonntags-Depression

Wahlsonntag. Endlich. Es ist kaum noch zu ertragen, wenn das Kommentariat erklärt, warum Sachsen und Thüringer so unberechenbar wählen, dass man nicht mehr weiß, wie man weiter regieren soll.

Als Ossi (wie ist eigentlich die korrekte Genderform für eine Ossifrau?) und politisch interessiert stehe ich schon wieder kurz vorm Durchdrehen. Angesichts der aktuell politischen Lage ist es eh schwer, ruhig zu bleiben. In den Medien erklären Medienvertreter wieder einmal die Ossis, die irgendwie die Abgehängten sein müssen, denn sie wählen einfach AfD, wenn sie mit der Regierungspolitik unzufrieden sind und protestieren schon seit Jahren gegen die ungesteuerte Zuwanderung in die Sozialsysteme. Erklären die das eigentlich sich selbst, ihren West-Lesern oder glauben sie, derzeit vor allem den Medienkonsumenten in Sachsen und Thüringen die Welt erklären zu müssen?

Was für eine Anmaßung westdeutscher Medien, die bei schlechten Nachrichten über die immer stärker spürbaren Folgen hiesiger ideologischer Wirtschafts- und Energiepolitik, der geduldeten und subventionierten massenhaften illegalen Einwanderung auffällig zurückhaltend sind. Aber das ist ja gar nicht richtig. Es sind ja nicht nur die westdeutschen Medien. Verzerrte Wirklichkeit findet sich beispielsweise auch in meiner ehemals wirklich geliebten Leipziger Volkszeitung (LVZ). Ich schaute neulich mal wieder hinein und da stand tatsächlich: „Knapp 30 Menschen vom Flughafen Leipzig/Halle abgeschoben“. Diese 28 Menschen, die jetzt ganz schnell zusammengeholt wurden, und denen noch 1.000 Euro Steuergeld in die Hand gegeben wurde, werden jetzt als Erfolg verbucht, damit wir wieder getrost CDUSPDFDPGrüne wählen.

Wir sollen es sicher großartig finden, wie schnell das ging. Hat unsere Regierung da nicht gezeigt, dass sie es kann? Glaubt das wirklich noch irgendjemand? Ist auf einem anderen Flughafen zur gleichen Zeit vielleicht ein Flugzeug gelandet, mit dem 300 Afghanen, denen Aufnahme versprochen wurde, hereingeholt wurden? Und wie schnell sind die 1.000 Euro in Afghanistan wieder ausgegeben und die Jungs machen sich wieder auf den Weg hierher?Das soll wirklich noch jemanden von einer Protestwahl abhalten?

Keine Ahnung vom Systemwechsel

Diese ganzen Erklärbären und -bärinnen, die mir Eingeborenen erklären wollen, wie die Ossis ticken, gehen mir so dermaßen auf den Zeiger, dass ich es im Moment nur in nicht hilfreichen Worten ausdrücken könnte. Ich muss mir ein Ventil suchen. Vielleicht sollte ich anfangen zu boxen. Das könnte helfen. Vielleicht kann ich die Hausgemeinschaft davon begeistern, einen Boxsack anzuschaffen, im Keller aufzuhängen und dann kann‘s losgehen.

Woher wollen die ganzen plötzlich scharenweise auftauchenden Ost-Experten wissen, wie wir ticken? Die meisten haben doch gar keine Ahnung, wie wir aufgewachsen sind in einem vormundschaftlichen Staat. Aber eigentlich ist es die sogenannte Wende, die Überwindung der Diktatur und das Leben im Systemwechsel, wovon sie keine Ahnung haben.

Bei wie vielen Menschen gab es da einen Bruch in Familie, Beruf, sozialem Umfeld. Alles änderte sich im Alltag: Krankenkassen, Steuern, neue Arbeit suchen, wenn man nicht abwarten wollte, um übernommen zu werden.

Meine Tochter fragte mich neulich nach ihrer Pubertät, wie schlimm sie gewesen wäre. Da musste ich ihr erklären, dass ihre Pubertät der Wende zum Opfer fiel. Wir waren allein, und ich musste sehen, wie ich zukünftig für uns beide sorgen kann. Das war mit einigen beruflichen Wechseln verbunden, bis ich 1993 endlich das Richtige für mich gefunden hatte.

Das war einerseits eine spannende und aufregende Zeit, andererseits die vielen, vielen Wessis, die in der Zeit hierher kamen und nicht wie wir, sehen mussten wie wir klar kommen, sondern einen fetten Karrieresprung gemacht haben. Verbunden meist mit Gehaltserhöhungen, Trennungsentschädigungen und so weiter und so fort. Es sei hier nur daran erinnert, dass sich damals für all die Zusatzeinkünfte im Ost-Einsatz umgangssprachlich die Bezeichnung „Buschzulage“ durchsetzte.

Weitgehend unbehelligt von den Eingeborenen

Ich will hier nicht alle über einen Kamm scheren, um Gottes Willen. Ich habe auch viele großartige Menschen und Charaktere erlebt und kennen gelernt. Aber komischerweise landeten von denen eher wenige auf schönen Führungspositionen. Auffälliger und prägender waren leider die im Volksmund DiMiDos genannten Führungskräfte, weil sie meist erst dienstags auf den Plan traten und donnerstags wieder in ihre schmucken Viertel im heilen Westen fuhren, um unter ihresgleichen zu sein. Zumindest so lange, bis es auch hier ein paar entsprechende teure, schicke Viertel gab, in denen sie ebenfalls von den Eingeborenen weitgehend unbehelligt bleiben konnten.

Wenn die mir dann erklären wollen, wie der Osten tickt, ticke ich gerne mal aus. Unser Leipziger Oberbürgermeister ist ja auch so ein Gewächs. Wenn der dann über Umsturz und Wende doziert, die er aus der Ferne im Siegerland beobachtet hat, dann graust es mich. Keine Ahnung hat er von dem Gefühl der Befreiung aus der politischen wie alltäglichen Bevormundung. Stattdessen läuft er als Amtsinhaber vorneweg auf Demos gegen rechts, bei denen es letztlich nur darum geht, dass die Wähler eine bestimmte Partei nicht wählen sollen.

Müsste er im Amte nicht eine gewisse politische Neutralität wahren? Natürlich muss er für seine Politik werben können, aber solche Demonstrationen machen ja keine Angebote oder werben um Wähler. Ihnen soll ein bestimmtes Stimmverhalten moralisch untersagt werden. Dieses Stimmverhalten gäbe es in diesem Umfang nicht, bei entsprechendem Angebot.

Doch wenn ich die unambitionierten Wahlplakate der sächsischen Regierungsparteien hier bei uns sehe, frage ich mich nur, warum sie sich nicht in der letzten Wahlperiode um ihre ureigensten Aufgaben gekümmert haben? Wieso hat denn Ministerpräsident Kretschmer die Handwerker, die Bildung oder die Kriminalität – allesamt Wahlplakat-Themen seiner CDU – erst jetzt entdeckt? Die CDU hat den Ministerpräsidenten seit der Wende gestellt, da müsste sie doch auf den Plakaten mit eigenen großen Erfolgen werben können, statt wie jetzt mit den gleichen Versprechen wie beim letzen Mal, die nur leider nicht gehalten wurden.

Funktionieren ist angesagt

Die mitregierende SPD bietet derweil Frau Köpping als die Richtige gegen rechts an. Wirklich? Sie hat doch die AfD mit erstarken lassen, vor allem mit ihrem unsäglichem Auftreten in der sogenannten Pandemie. Von den Grünen will ich lieber gar nicht erst reden. Wir haben jetzt auf dem Leipziger Ring nicht mehr zwei Autospuren, wie jahrzehntelang, sondern nur noch eine und einen schönen breiten grünen Fahrradweg. Zu fast jeder Tageszeit ist jetzt Stau angesagt. Und jedes Mal, wenn ich da stehe und die Fahrradfahrer zählen will, ist keiner zu sehen. Auf vielen Straßen konnte der Verkehr jahrzehntelang zweispurig rollen, was auch wirklich einigermaßen funktionierte, und jetzt müssen sich Straßenbahn und Auto eine Spur teilen.

Bahn-, Bus- und Autofahrer stehen gemeinsam in einem Stau, während die Fahrradfahrer rechts an einem vorbei sausen, auf privilegierter eigener Spur. Ist ja auch klar, wenn Torben das Biogemüse mit dem Lastenrad ausliefern will, braucht der Platz. Oder wenn die zugewanderte Kollegin aus Hessen ihre Blagen in den Kindergarten mit dem Lastenrad fährt, logisch braucht die ihre eigene Spur.

Ich habe ohne diese vielen neuen Radwege immer gute Wege mit dem Rad gefunden, aber man soll ja vielleicht den eigenen Weg nicht mehr selbst entdecken. Das eigene Denken soll einem eh abgenommen werden, und funktionieren ist angesagt.

Ich bin sehr gespannt auf die heutigen Ergebnisse. Und ich habe große Angst davor, dass wir – egal was die Bürger wählen – wieder das Gleiche bekommen wie zuvor. Ähnlich wie bei der Europawahl...

 

Clara Hagen, lebt und arbeitet in Leipzig. Das Pseudonym bräuchte sie nicht mehr, aber sie hat sich daran gewöhnt.  

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Ulrich Schily / 01.09.2024

Na vielen Dank für die klaren Worte, aber im Grunde geht es uns im Westen am Rhein nicht besser. Man muss sich seine Freiheiten täglich neu erwerben. Nachdem ich heute Indubio gehört hatte, ist mir eine Idee gekommen: Zur Aufarbeitung sollten wir einen Film drehen, in dem fiktiv die Aufarbeitung der Coronazeit vor Gericht gespielt wird, mit Gerichtsurteil und Exil in Sibirien. Sie können gerne mitmachen, ein Film ist doch Kunst, da muss Freiheit in Wort und Bild gestattet sein.

Andrej Stoltz / 01.09.2024

Chapeau ! Die Ossis sind, wie vorhersehbar, auf Wagenknecht hereingefallen, weil die laut MSM ja angeblich so “intelligent” sein soll. Da kannst du die Uhr danach stellen, Hauptsache immer alles schön links. Weiter so. Halt noch mal 5 verlorene Jahre. Aber dann auch bitte nicht jammern, wenn dann das Links-Islam Kalifat herrscht.

Klara Altmann / 01.09.2024

Mir hingegen machen die Hochrechnungen der Wahlergebnisse jetzt richtig gute Laune, in Sachsen könnte es noch etwas besser sein und die Grünen noch überall raus. Aber sie machen das wirklich gut sonst, ein herzliches Dankeschön nach Sachsen und Thüringen! Endlich sehe ich etwas Licht am Ende des Tunnels, es war höchste Zeit. Bis heute war ich auch deprimiert, jetzt fühle ich mich wenigstens schon etwas besser. Aber ich sehe gerade nirgendwo eine Liveschaltung zu den Grünen in Thüringen, wie schade. Jeder darf sich mal schlecht fühlen.

Horst Jungsbluth / 01.09.2024

@ Reinhard Lange: Bundeskanzler Schröder hat damals nicht nur den “Superminister” Lafontaine geschasst, der von seinem Amt absolut keine Ahnung hatte und sich auch gar nicht einarbeiten wollte, wie sein “Parteifreund” Hans Apel einst süffisant anmerkte, sondern auch die beiden Staatsekretäre Flassbeck und Noe, weil die alle damals schon aus ihren Ämtern dabei waren, der Bundesrepublik das Wasser abzugraben. Es wurden katastrophale Fehler begangen und der größte dabei war, Billionen an DM und Euro dahin zu transferieren, ohne überhaupt zu prüfen, ob es sinnvoll ist und wie die verwendet werden.

Horst Jungsbluth / 01.09.2024

Trösten Sie sich, liebe Frau Hagen, in Westberlin kurz vor der “falschen Wende” haben diese von Ihnen beschriebenen Wessis von AL(Grüne), SPD und CDU alles getan, um die Ossis in Form von Stasi und NVA dazu ermuntern, die Halbstadt militärisch einzunehmen. Denn die DDR war restlos pleite und die SED wollte an das üppige Vermögen in Westberlin ran, um dann mit den Bürgern als Geiseln in Bonn auf fette Erpresserjagd zu gehen. Der böse Gorbaschow hat das alles mit seinem blödsinnigen Glasnost und Perestroika leider vereitelt.

D.Graue / 01.09.2024

Halb 8 schaue ich die Hochrechnungen an und bin jetzt auch deprimiert. In Thüringen sind die Grünen offenbar raus, der CDU Fritze meint 10% weniger als der Gewinner ermächtigen ihn zur Regierungsbildung. Sachsen sieht aber finster aus. Grün und SPD machen für meine Landsleute offenbar alles richtig. Was aber richtig tief trifft, ist das Ergebnis für Wagenknecht hier wie dort, entsetzlich und total Banane. — Aber, das war in Teilen vorhersehbar. Wie auch im Bund nächstes Jahr, muss die Grüne Abrissbirne noch 4, 5 Jahre schwingen, das hatte ich vor einiger Zeit schon kommentiert. Nun gut, das Ergebnis muss man akzeptieren, es wurde Weiter So gewählt und wird auch geliefert werden. Darauf ein Schnaps, Prost!

Franz Zotter / 01.09.2024

Kann ich auf meine Art nachvollziehen. Jedoch sind es bei mir die neuen Medien, die ähnliche Gefühle auslösen. Besser, etliche Leute, die da regelmäßig zu Wort kommen. Aktuell zur Wahl wurde bei Tichy Patzelt zugeschaltet. Er meint, die CDU nimmt den Wählerwillen nicht ernst. Es wird darüber gesprochen, dass die Wähler vermehrt rechts wählen, aber weiter Links regiert werden. Die AfD mit Höcke ist deutlicher Wahlsieger in Thüringen. Nirgendwo ist die AfD so erfolgreich wie mit Höcke. Und Patzelt? Aber die AfD sollte sich von ihren rechtsextremen Personen und Inhalten trennen….Wenn das die intellektuelle Elite der Mitte repräsentiert, braucht sich wirklich niemand wundern, warum es mit Deutschland immer weiter bergab geht.

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