Quentin Quencher / 05.10.2019 / 14:30 / 9 / Seite ausdrucken

Meine Offlinegedanken: Ein Experiment

Ich habe keine Ahnung von dem, über das ich nun schreiben werde. Vorhin habe ich mir im Bahnhofszeitungsladen ein kleines Notizbuch und einen Kugelschreiber gekauft, weil ich ein paar Gedanken festhalten möchte, die mir gekommen sind. Ich besitze kein Smartphone, aus Prinzip, nur ein altes Tastenhandy für den Notfall. Anrufen geht damit, SMS auch, sonst nichts. Meinen Laptop ließ ich zu Hause, also habe ich keine Chance auf Internet. Für die zwei Tage, die ich unterwegs bin, wollte ich mich damit nicht belasten. Kurz und gut: ich bin offline.

Um mich herum das übliche Bild, rund 80 Prozent der Mitreisenden im Zug sind in ihre Smartphones vertieft, und was sie da tun, das sehe ich nicht, selten nur sind ein Lächeln im Gesicht oder eine sonstige Reaktion zu erkennen. Nur eine junge Frau sehe ich ein Taschenbuch lesen, einen Mankell-Krimi, wie ich erspähen konnte.

Vor ein paar Stunden, beim Frühstück im Hotel, sprach ich mit zwei Bekannten – die im gleichen Hotel übernachteten und gestern ebenfalls auf dem gleichen Treffen in Berlin waren – über die Verrücktheiten der Zeit. Greta kam zur Sprache, Merkel, Macron, viel Politik halt, der Klimahype und die Energiewende natürlich auch.

Kein Denken ohne Emotion

Gerade als es um die letzten beiden Themen ging, also um Sachverhalte und nicht um Personen, stellten wir resignierend fest, dass die Argumente, die gegen diese beiden Dinge nun schon seit vielen Jahren auf dem Tisch liegen, und die doch stichhaltig erscheinen, von einer Mehrheit nicht zur Kenntnis genommen werden. Ich bin mir sicher, die Menschen hören diese Argumente, doch sie prallen an ihnen ab, sie erreichen nicht ihr Denken. Warum das so ist, konnten wir uns nicht erklären, wenn man mal außen vor lässt, was üblicherweise als Begründung angegeben wird: Verblendung, Ideologisierung, Mitläufertum und so weiter, weil man eben irgendeine Erklärung für ein erkanntes Phänomen braucht.

Hier preschte ich nun mit einem Erklärungsansatz heran, der natürlich nicht neu ist, aber auch nur meist als Ausrede gebraucht wird, wenn das Verhalten von Menschen, manchmal gar das eigene, irgendwie unlogisch erscheint: „Die Gefühle bestimmen das Denken, nicht die Argumente, die dienen am Ende nur der Rechtfertigung.“

„Nehmen wir die digitale Welt, dort sind alle Informationen in Einsen und Nullen gespeichert, aber diese sind nur abrufbar oder veränderbar, wenn wir als Hilfsmittel Elektrizität haben, der Strom transportiert die Information“, führte ich noch weiter aus, um dann den Bogen zu schlagen zum menschlichen Denken oder meiner Idee davon, wie es gehen könnte: „Die Emotion transportiert das Argument, und ohne Emotionen lassen sich Argumente – oder Wissen insgesamt – weder speichern noch abrufen, die Emotion ist für das menschliche Denken und Wissen in etwa das, was die Elektrik in der digitalen Welt ist.“

Was hätte ich denn Google gefragt?

Weiter bin ich mit meinen Überlegungen nicht gekommen, wir wurden durch etwas abgelenkt und das Gespräch nahm eine andere Richtung. Später, auf dem Bahnhof, kam es mir wieder in den Sinn und ich wollte erstens diesen Gedanken nicht vergessen und zweitens mehr zum Thema wissen. In der Regel bedeutet dies: Google fragen! Doch das geht nicht, ich bin offline. Also schreibe ich nun diese Zeilen in mein neu erworbenes Notizbuch, etwas krakelig, der Zug schaukelt und ruckelt eben ein bisschen, doch ich werde es später sicher lesen können.

Was hätte ich denn Google gefragt, wenn es die Möglichkeit dafür gegeben hätte? Nun, irgendwas über biochemische Prozesse im Hirn wahrscheinlich, die durch Nervenimpulse ausgelöst werden oder solche, die durchs Denken entstehen, welche Hirnareale für was zuständig sind und dergleichen mehr. Denn ich habe wirklich keine Ahnung, wie Denken, naturwissenschaftlich betrachtet, überhaupt funktioniert. Welche biochemischen Prozesse da ablaufen – gut, von Hirnströmen habe ich natürlich gehört –, ob und welche Theorien es darüber gibt, oder wer schon mal was Schlaues dazu gesagt hat.

Es könnte ja sein, dass meine Gedanken völliger Humbug sind und andere, längst bewiesene naturwissenschaftlich beschriebene Vorgänge das Denken steuern. Von den Philosophen kennen wir ja ihre Aussagen, wonach das Streben nach Glück eine Grundkonstante des Menschen sei. Aber wenn sich das auch aufs Denken auswirkt, könnte es ja auch eben naturwissenschaftlich beschreibbare Vorgänge geben, die erklären, warum wir manche Argumente bereitwilliger annehmen als andere.

Ist die permanente Selbstüberprüfung förderlich?

Aber ich bin offline, also spinne ich meinen Gedanken weiter. Was heißt „spinnen“, ich suche nur eine Erklärung dafür, warum es sehr bekannte Argumente gibt – stichhaltige Argumente wie die gegen die Energiewende beispielsweise – die dennoch irgendwie nicht zur Kenntnis genommen werden. Es könnte ja sein, dass prinzipiell Argumente in der Bedeutung überschätzt werden, weil das Denken über Empfindungen gesteuert wird, möglicherweise.

Nun bin ich wieder zu Hause und online und habe doch keine der im Text aufgeworfenen Fragen gegoogelt, ihn nur abgetippt. Auch auf die Gefahr hin, mich lächerlich zu machen, so stehe ich zu diesen meinen Überlegungen, die ich erst nicht gegenchecken konnte und es nun nicht mehr will. Was mich zur nächsten Frage bringt: Wie verändert es unsere Gedanken, wenn wir sie ständig überprüfen können? Ich bin mir sicher, wäre ich online gewesen, ich hätte diese meine Gedanken so nicht niedergeschrieben, wahrscheinlich gar nicht erst aufgeschrieben, sondern wäre bei der Recherche zu den angesprochenen Themen sicher abgelenkt worden, oder Zweifel hätten ein mutiges Weiterdenken unmöglich gemacht. Kann sich Individualismus überhaupt entwickeln in einer Onlinegesellschaft mit ihrer permanenten Möglichkeit der Selbstüberprüfung der eigenen Gedanken?
 

Zuerst erschienen auf Quentin Quenchers Blog „Glitzerwasser“.

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Leserpost

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Dr. Gerhard Giesemann / 05.10.2019

Gefühle spielen sicher eine Rolle beim (Nach)Denken - noch viel mehr aber vielleicht Interessen. Materielle, emotionale, psychische. Will ich mit einer Frau ins Bett, dann rede ich mit der doch nicht ehrlich - das versaut mir alle Chancen. Will ich was verkaufen, dann bin ich doch ehrlich bis zum Letzten, gelle? Was ist das Gegenteil von “clever”? Natürlich “aufrichtig”, “ehrlich”. Und wer nicht clever ist, sondern vielmehr aufrichtig und ehrlich, der macht keinen Stich. Schade, dass es keinen so richtig treffenden Begriff für “clever” gibt im Deutschen. Gerissen? Schlau? Ausgekocht? Undurchsichtig? Alles negativ konotiert, nicht wahr? Vielleicht ist clever auch nur intelligent, einsichtig in die Realität? Und DAS ist interessengeleitet. Politisch ist clever, wer die Machtverhältnisse beachtet - wer offen und ehrlich ist, landet schnell im GULAG. Oder im Abseits. Usw.

Gabriele Klein / 05.10.2019

Also auf die online Gesellschaft verzichte ich schon mal nicht. Um zu wissen was los ist in diesem Land. brauche ich mein “Spieglein” online. Das ist mein “Erstes”  jeden Montag mit dem man bekanntlich besser sieht.  Ansonsten, möchte ich Sie vorsichtig darauf hinweisen, dass dieser Ast den sie da offline zum “Sägen” online ins Visier nehmen jener ist auf dem Sie sitzen…...

alma Ruth / 05.10.2019

Vor 20-30 Jahren erschien ein kleines Büchlein vom amerikanischen Hirnforscher Antonio Damasio. Titel: Descartes’ Irrtum. - Er und sein Team beschäftigten sich genau mit der Frage, was zuerst da ist, Gefühle oder Gedanken. Sie haben festgestellt, die Gefühle sind zuerst da, ohne sie kann man nicht denken, sich nicht entscheiden. - Das ist so, weil Gefühle evolutionsgeschichtlich schließlich wesentlich früher erscheinen als Gedanken. - Bravo, Herr Quentscher daß Sie von selber die Sache erkannten. Nicht ein jeder schafft dies. lg alma Ruth

Hans-Peter Dollhopf / 05.10.2019

Herr Quencher, schon der jüdische Philosoph Moses schreibt im ersten seiner Bücher ziemlich weit vorne übersetzt: “Das S(p)innen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an”, wodurch zuerst dem Herzen eine ursächliche Bedeutung beim Denken zugeschrieben und darüber hinaus das Böse als menschlicher Selbstzweck (“The Meaning of Life”, 1983) eingeführt wird. In dieser Vorstellung ist der Denkprozess nur das Werkzeug des Bösen, aber das Herz: Gefühl, Gemüt, Affekt, Emotion, steht für unseren auf Böses determinierten Willen. Homo homini lupus. Wir haben uns an die Praxis gewöhnt, dass die Befolgung der Zehn Gebote freiwillig sei, da keine Polizei mit Blaulicht anrückt, sooft wir auch Vater und Mutter oder den Feiertag nicht “ehren” oder “heiligen”. Aber tatsächlich war bereits ab dem Tag seiner Einführung vor 3000 Jahren jeder Verstoß gegen den Dekalog strafrechtlich relevant und wurde konsequent, etwa Steinigen, geahndet (eine Praxis, die mit dem ersten Linksgrünen unter den jüdischen Philosophen eintausend Jahre später im “Jesus und die Ehebrecherin” betitelten Präzedenz-Fall infrage gestellt wird). Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Ich Mensch habe zwar in über einem halben Jahrhundert selbst nie einen von Euch persönlich aufgefressen, kenne aber durchaus welche unter Euch, von denen ich weiß, dass für sie “Du sollst nicht stehlen” durchaus nicht selbstbindend ist. Auch überlegt ja eine Linke, von Berlin ausgehend, die Streichung des “Du sollst nicht begehren deines Nächsten ... Haus ... Oder ALLES was sein ist”-Paragrafen. Die Hebräer zündeten den Kapitalismus mit diesem Gesetz! Sie zurrten in der Altsteinzeit bereits ein von Gott gegebenes Menschenrecht auf Eigentum (auch Israel! From the river to the sea.) fest. Nach über 3000 Jahren fordert Artikel 14 des GG wie damals: “Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.” Spät dran, aber immerhin.

B. Ollo / 05.10.2019

Nicht nur die Gefühle bestimmen das denken, sondern auch die vorherigen Entscheidungen (wenn man von rationalen Erwägungen mal absieht). Manchmal ist es auch so, dass man eben etwas hat, bekommt, kauft oder selbst wird und man will dann “etwas damit machen”, auch wenn es gar keinen konkreten Sinn hat. Beispiel 1: Man hat einen nagelneuen Computer oder andere Spielerei für einen eigentlichen, sehr bestimmten Zweck, aber z.B. überhaupt keine Software, nicht einmal im Moment oder absehbar konkret etwas zu tun, der alte läuft sowieso rund und ist voll eingerichtet, und trotzdem fängt man an an dem rumzufummeln, weil man ihn benutzen will. Abstraktere Dinge dieser Art bezogen auf die Gretas: Man hat sich entschieden jemand zu sein, der demonstrieren geht (denn dafür gibt es Schulterklopfer, weil man sich politisch engagiert, sozialer ist, nur das Beste will, und was nicht sonst noch alles für Plattitüden). Weil man jetzt so ist oder so sein will, geht man dann eben auch auf Demos von Leuten, die schon so sind, wie man sein will, obwohl man zum Thema der Demonstration keine wirkliche Meinung hat. Man demonstriert, weil man jemand ist oder sein will, der demonstrieren geht.

Ilona G. Grimm / 05.10.2019

Wie ist es möglich, dass Menschen ein und denselben Sachverhalt so völlig verschieden wahrnehmen? Wie kann jemand völlig resistent gegen unwiderlegbare Fakten sein? Über Fragen wie diese grübele ich schon seit Ewigkeiten nach. Da sind zum einen Gerichtsverfahren über mehrere Instanzen, wo die erste Instanz so, die zweite entgegengesetzt und die dritte (falls vorhanden) wieder so geurteilt hat, obwohl die vorgelegten Sachverhalte, Akten und Belege in allen Instanzen identisch waren. Zum anderen gibt es Menschen, denen man dingliche Beweise dafür vorlegen kann, dass sie sich irren – und trotzdem beharren sie auf ihrem Standpunkt und haben nicht das geringste Problem damit, die Fakten strikt zu leugnen, weil sie die Fakten gar nicht als solche wahrnehmen. Mit meinem laienhaften Verständnis erkläre ich mir das wie folgt: Aufgrund seiner Sozialisation hat jeder Mensch eine Rasterbrille (Wahrnehmungsschablone) auf der Nase, in der ein ganz bestimmtes Muster ausgestanzt ist. Alles, was sich außerhalb des Rasters/der Schablone abspielt, ist nicht sichtbar. Der Mensch müsste bereit sein, neue Muster in seine Brille zu stanzen, um das Wahrnehmungsfeld zu verändern/zu erweitern. Das ganze Bild (oder wenigstens andere Ausschnitte daraus) könnte aber beunruhigend sein, deshalb bleibt man beim Bewährten bzw. Vertrauten. Das gilt für oberste Richter ebenso wie für Lieschen Müller. Vielleicht kann man das Paradigma nennen; Paradigmenwechsel sind ja bekanntlich schwer zu bewerkstelligen. // P.S.: Auch ich komme - ganz bewusst - ohne Smartphone und Tablet aus. Neulich auf meiner Zugreise durch die Lande habe ich festgestellt, wie öde es ist, dass man sich mit niemandem mehr unterhalten kann.

Wilhelm Lohmar / 05.10.2019

Ich verweigere mich auch dem Smartphone. Nach den Gründen gefragt antworte ich dann immer: “Kommunikationshygiene”.

Thomas Taterka / 05.10.2019

Ohne allzu weit ausholen zu wollen , rate ich zu einem Umweg : schauen Sie sich bitte den Klassiker “Poseidon “ von Ronald Neame an. Er ist in ALLEM ein Modell oder Gleichnis für die Verfahrenheit der Konfliktbewältigung heute ,wenn man akzeptiert, daß ein Film mehr ist als Entertainment und abstrahieren will. Alles, was heute , meiner Meinung nach, wichtig wäre, wird dort durchgespielt, auf grossartige Weise, lange bevor es die Online -Welt als Instrumentarium überhaupt gab. Sie würden mir eine große Freude machen, wenn meine paar Zeilen Ihnen einen Filmabend bescherten , der dazu beiträgt, begreifen zu können, was tatsächlich geschieht.

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