Manchmal – nur manchmal – kann es auch lohnend sein, eine große Klappe zu haben. Da faselt eines der politisch korrekten Leitmedien auf Twitter etwas in Richtung „Ferien waren noch nie so kompliziert – zur Flugscham kommt die Coronascham“, und ich klebe ein „bin bereit, beides zu überwinden. Wer lädt mich ein?“ drunter und bekomme tatsächlich eine Einladung. Zu einem Flug mit einer FockeWulff44, der legendären „Stieglitz“. Der Kunstflugmaschine von Ernst Udet und Ausbildungsflugzeug der Luftwaffe. Kurzer Gegencheck, jawohl, der Einladende meint es ernst und der Flugplatz ist auch nur etwa eine Stunde entfernt. Weiterer Gegencheck – mein einladender Einlader ist offensichtlich kein vorbestrafter Massenmörder, den eine gute Laune der Natur und die Gefängnispsychologin auf feien Fuß gesetzt haben, ferner scheint er kein Mitglied der MLPD, Kommando „Andreas Baader“, zu sein. Das sieht doch ganz gut aus, wenn er mich also töten will, dann wird er dies mit Hilfe eines Flugzeugs aus den 30er Jahren tun. Es gibt schlechtere Todesarten.
Ein Termin ist schnell gefunden, und es sieht tatsächlich so aus, als könnte ich aus meiner To-do-Liste „Fliegen mit einem Doppeldecker“ streichen. Nach einer kurzen Anfahrt finde ich mich also nebst dem Schatz auf einem kleinen Flughafen im Hessischen wieder, mein Flugzeugkapitän holt seinen künftigen Co-Piloten an der Sparkasse in Klein-Dingenskirchen ab, da der Co-Pilot trotz Navi nicht in der Lage ist, den verdammten Flugplatz zu finden. Es handelt sich bei meinem Einlader um geschätzt einen Mittdreißiger, gut gelaunt und voller Tatendrang, und ehe ich mich versehe, finde ich mich in einem Flugzeughangar wieder, in dem gleich zwei Doppeldecker stehen. Und einer davon, ein kleiner graziler Kerl mit silberner Farbe und der Aufschrift „Jugend muss wagen“, das ist er, der „Stieglitz“.
Ich bin Laie. Ich erkenne ein Flugzeug, wenn ich es sehe. Was ich sehe, ist ein liebe- und kunstvoll restaurierter und gepflegter Veteran, der so alt wie mein Pilot und ich zusammen ist. Es riecht nach Benzin, Öl, Eisen, Farbe und tatsächlich echter Zuneigung zwischen dem Eigentümer der Maschine und der Maschine selbst. Allein nur die Ledersitze sind ordentlich vernäht und gepflegt und sehen neuwertig aus. Überhaupt macht das ganze Flugzeug einen penibel sauberen Eindruck und wirkt fast, als sei es soeben frisch aus der Montagehalle gekommen. Die Bespannung sieht sehr gut aus, nirgendwo ist für mein laienhaftes Auge Rost zu sehen. Beruhigend. Wer sich um die korrekte Vernähung der Ledersitze bemüht, der pflegt garantiert auch den Motor. Das nehme ich wenigstens an, aber es sind auch keine Ölnasen oder Löcher oder Ähnliches zu sehen. Allein der Propeller ist ein echtes Meisterstück der Handwerkskunst. Im Stieglitz steckt das geballte aeronautische Wissen aus damals 25 Jahren Flugerfahrung. Alles ist pieksauber und ordentlich. Wie sich das für einen Oldtimer gehört.
Wo ein Hermann Göring reingekommen ist, schaffe ich das auch
Kurze Einweisung meines Piloten in die Instrumente, nebst Erläuterung, welche tatsächlich noch funktionieren. Die meisten kenne ich schon aus dem „Rote Baron“-Computerspiel, geflogen wird da noch nach Gehör und nicht nach Drehzahlmesser. Dann folgen noch ein paar technische und geschichtliche Erläuterungen, und ich stelle beim Blick auf das Platzangebot meines Sitzes fest, dass es besser wäre, ich wäre etwa 30 Kilo leichter. Oder fahre Bus. Aber wo ein Hermann Göring reingekommen ist, schaffe ich das auch.
Mein Pilot schiebt mit einem Kaczmarek aus dem gleichen Flugverein die Maschine vor den Hangar und dann, endlich, endlich, darf ich einsteigen. Der Pilot sitzt in der Stieglitz hinter mir, ich habe also freies Sichtfeld, sieht man von Armaturen, der Tankanzeige und dem Motorblock ab. Und zu meiner nicht gelinden Überraschung bin ich gelenkiger, als ich erwartet habe. Ich schaffe es ohne fremde Hilfe oder Kran auf meinen Sitz, und tatsächlich ist dieser geräumiger als gedacht. Vor mir befinden sich Fußpedale und ein Steuerknüppel, neben mir laufen irgendwelche Stahlrohre, die dem mit Leinen bespannten Senioren die Festigkeit geben, nicht im Flug auseinanderzufallen. Ich schnalle mich an und sitze überraschend bequem, lediglich Kopf und Schultern ragen noch aus dem Flugzeug.
Dann, nach einem kleinen Problem beim Anlassen, das sich mit etwas Druckluft lösen lässt, gibt mein Einlader Gas und nimmt Anlauf auf der überraschend kurzen Start- und Landepiste, die nicht mehr als ein gemähter Nutzrasen ist. Bei etwa 130 km/h hebt der Veteran überraschend sanft ab und wir sind „airborne“. Wir fliegen Richtung Taunus mit gemütlichen 150 km/h, also überraschend langsam für unsere an hohe Geschwindigkeiten gewöhnte Zeit. Auf der Autobahn bedeuten 150 km/h Lichthupe und Blinker links, in diesem Zeittunnel sind 150 km/h eine angenehme Reisegeschwindigkeit.
Ich fühle mich, als wäre ich in den 30er Jahren. Wir überfliegen einen Aussichtsturm, dessen Besucher uns freundlich winken, der Motor brummt gleichmäßig, die Maschine schaukelt leicht und fast habe ich das Gefühl, wieder im Mutterleib zu stecken. Es ist sehr friedlich und sicher, da oben. Zumindest, solange die Gewissheit besteht, dass hinter dem Flugzeug kein schlechtgelaunter Engländer in einer „Sopwith-Camel“ auftaucht und unserem Ausflug ein jähes Ende bereitet. Oder der Motor Geräusche macht, die er nicht machen soll oder, noch schlimmer, keine Geräusche mehr macht, was er ja definitiv nicht soll.
Ich hätte es da oben, im Jahr 1935, noch eine Weile ausgehalten
Es ist alles. Der Geruch, die Optik, die Haptik, die Akustik des 160 PS starken Siemens-Sh14-Motors, das wirklich schöne Wetter und die kleinen Örtchen von Taunus und Wetterau. Es ist, als stünde nicht nur die Stieglitz, sondern die Zeit selbst in der Luft still. Ich bin sehr glücklich und würde am liebsten heulen. Wie sich das gehört, wenn Herzenswünsche in Erfüllung gehen. Meinem Piloten, der dieses Gefühl ja schon ein paar hundert Mal durchlebt hat, wird es etwas langweilig und er schlägt vor, den alten Herren (und das Flugzeug) doch mal auf Flugtauglichkeit zu testen und zwingt die FW44 in ein paar enge Kurven. Auch hier – so weit ich das beurteilen kann, geht die Focke Wulff willig mit und tut, was sie tun soll: Sie bleibt in der Luft und ich spüre mein Herz vor Freude im Hals schlagen.
Ich bin glücklich und traurig gleichzeitig, als wir nach einer guten dreiviertel Stunde wieder überraschend langsam und sanft landen. Ich hätte es da oben, im Jahr 1935, noch eine Weile ausgehalten, aber der Veteran hat seine Aufgabe für heute erfüllt. Der Schatz und ich gehen mit dem Piloten noch kurz essen und lernen seine Fliegerkameraden kennen. Flieger sind ein sehr offenes und charmantes Völkchen mit eigener Weltsicht. Was nicht verblüffen mag, wenn man für Ersatzteile Stein und Bein und die Welt bewegen muss, um von oben nach unten zu schauen. Um da zu sein, wo die Welt und die Bewegung dreidimensional ist und wo man trotzdem immer nur zu Gast ist und nie bleiben kann. Ich glaube, das Credo aller Flieger dieser Welt lässt sich in sechs Worten zusammenfassen: Fliegen ist Leben, Leben ist Fliegen.
Ich gehöre jetzt zu dem erlauchten Kreis der noch Lebenden, die jemals in einer FW44 Stieglitz geflogen sind. Vielen Dank an meinen Sponsoren, dass er mich an dieser einmaligen Erfahrung teilhaben ließ. Und besten Dank an den genialen Kurt Tank, der diese wunderschöne Zeitmaschine entworfen und gebaut hat. Und an diejenigen, die mit viel Liebe, Eigeninitiative, Herzblut, Fachkenntnis und nicht zuletzt viel Geld, diesen aeronautischen Traum bis heute am Leben erhalten haben.
(Weitere schöne Erlebnisse des Autoren unter www.politicker.de)