Georg Etscheit / 15.03.2021 / 06:00 / Foto: Imago / 156 / Seite ausdrucken

Mein Traum von Annalena Baerbock

Sonderparteitag 2023 der Partei Bündnis90/Die Grünen in Freiburg im Breisgau. Bundeskanzlerin Annalena Baerbock wird mit Pfiffen und Buhrufen empfangen. Eine Abordnung der Grünen Senioren hat das Podium besetzt und hält Transparente mit der Aufschrift „Weg mit den Verrätern“ und „Annalena, nein danke!“ in die Höhe.

Parteichef Robert Habeck redet auf die betagten Parteigenossen ein, doch, bitteschön, das Podium zu verlassen, um mit dem Parteitag beginnen zu können, dem wohl wichtigsten Ereignis in der Geschichte der Ökopartei (nach den heftigen Auseinandersetzungen um den NATO-Einsatz im Kosovo-Krieg, bei dem der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer auf dem Grünen-Parteitag in Bielefeld 1999 mit einem roten Farbbeutel beworfen wurde und einen Trommelfellriss erlitt).

Jetzt, im September 2023, ist Bundeskanzlerin Baerbock schon knapp zwei Jahre deutsche Regierungschefin, getragen von einer grün-schwarzen Koalition. Robert Habeck hatte im Ringen um die Kanzlerschaft den Kürzeren gezogen und sich offenbar ohne Groll mit dem Amt des nunmehr alleinigen Parteivorsitzenden und Bundesfinanzministers begnügt. Das Bündnis funktioniert nahezu reibungslos mit bekannten Köpfen in den Schlüsselressorts: Armin Laschet, der gescheiterte Kanzlerkandidat der Union, wurde Bundesaußenminister und Vizekanzler, Markus Söder Bundesinnenminister, Anton Hofreiter oberster Befehlshaber der Bundeswehr in Friedenszeiten. Katharina Schulze, das eloquente, junge Polittalent aus Bayern, leitet seit zwei Jahren ein „Superministerium“ für Geflüchtete, Familie, Jugend, Senioren, Lesben, Schwule, Transmenschen, Menschen mit Behinderungen und alle anderen (BMGFJSLSTBand). Sie hätte sich zwar lieber in einem Schlüsselressort gesehen, doch konnte sie sich zunächst nicht gegen die Altvorderen der Partei durchsetzen. Bundestagspräsident ist Winfried Kretschmann, und Claudia Roth, die immer gut gelaunte Mutter der Nation, amtiert seit Februar 2022 als Bundespräsidentin. Deutschland ist eine andere Republik geworden. 

An diesem Wochenende des Jahres 2023 steht Baerbock vor der wohl größten Herausforderung ihrer noch jungen Kanzlerschaft. „Agenda 2030: Für eine zukunftsfeste und klimagerechte Energieversorgung“, lautet die Überschrift des Leitantrages, der schon vor Einberufung des Sonderparteitages zu massiven Konflikten innerhalb der Regierungspartei geführt hatte. „Nur über meine Leiche“, ließ sich der frühere Umweltminister und prominente Exponent des linken Flügels, Jürgen Trittin, in der FAZ vernehmen und Joschka Fischer meinte schmunzelnd, die Kanzlerin habe wohl ein wenig zu viel geraucht – der einstige grüne Vizekanzler ist seit 2019 Gründungsmitglied des internationalen Beirats des US-Cannabisproduzenten Tilray und will dem Unternehmen bei der Umsetzung einer „weltweiten, offensiven Wachstumsstrategie“ helfen. Ausgerechnet eine grüne Bundeskanzlerin soll nun also das gänzlich Unmögliche, Undenkbare, Unaussprechliche durchsetzen, undenkbarer noch für die eigenen Reihen als Fischers Unterstützung der Kosovo-Intervention der NATO oder Gerhard Schröders Agenda 2010 und die Hartz-Reformen. 

In diesen dunklen und bitterkalten Tagen

Die Realität hatte die Grünen eingeholt, als wenige Monate zuvor ein Blackout große Teile des Landes für mehrere Tage lahmgelegt hatte. Nachdem 2022 auch die letzten drei Atomkraftwerke gemäß Atomgesetz abgeschaltet worden waren und zudem eine erste Tranche von Kohlekraftwerken vom Netz ging, darunter mit Moorburg in Hamburg das effizienteste des Landes, hatte eine sogenannte Dunkelflaute mit fast völliger Windstille und infolge Hochnebels nur sehr geringer Sonnenstromproduktion im Februar 2023 das Netz zusammenbrechen lassen. Leider konnten diesmal französische Atom- und osteuropäische Kohlekraftwerke nicht für Abhilfe sorgen, weil in diesen dunklen und bitterkalten Tagen mit Temperaturen unter minus zehn Grad einfach zu viel Energie nachgefragt wurde. Der Blackout begann im Breisgau, wo schon 2019 das französische Atomkraftwerk Fessenheim auf Druck auch deutscher Umweltschützer abgeschaltet worden war, und setzte sich kaskadenartig fort. So nahm die Katastrophe ihren Lauf.

Aus dem mittels fossil betriebenem Notstromaggregat notdürftig mit Energie versorgten Bundeskanzleramt heraus wandte sich Baerbock mit dramatischen Appellen an die Bevölkerung, diese „vielleicht größte Krise der deutschen Nachkriegsgeschichte“ durchzustehen und nicht in Panik zu geraten. „Wir haben zwei Kriege überlebt, wir haben Hitler und Corona überstanden, wir werden auch diese Herausforderung meistern. Wir schaffen das“, sagte Baerbock in einer Rundfunkansprache, die jedoch nur solche Hörer erreichte, die noch über ein batteriebetriebenes Transistorradio verfügen.

Als nach Tagen endlich der Wind wieder wehte und es mit Hilfe russischer Atomexperten gelungen war, mehrere abgeschaltete Atomkraftwerke vorübergehend flott zu machen, und die Franzosen auch Fessenheim noch einmal angeworfen hatten, waren infolge Erfrierungen, einer völlig zusammengebrochenen Gesundheitsversorgung und gewaltätiger Auseinandersetzungen auf den Straßen einige tausend Tote zu beklagen, mehr als bei der Corona-Pandemie, die erst im Sommer 2022 von Bundesgesundheitsminister Christian Drosten für besiegt erklärt worden war.

Dramatischer hatte noch nie eine Partei an Zustimmung verloren

Mit der Abstimmung über den Leitantrag nähert sich die Stimmung beim Grünen-Sonderparteitag dem Siedepunkt. Meinungsumfragen hatten dramatische Veränderungen der politischen Stimmung offenbart. Brachten es die Grünen bei der Bundestagwahl 2021 noch auf sagenhafte 36 Prozent, liegt die Ökopartei nun bei nur noch 12 Prozent, weniger als die AfD. Dramatischer hatte noch nie eine Partei im Bundestag an Zustimmung verloren. Bundeskanzlerin Baerbock tritt ans Rednerpult und hält eine nichts weniger als historische Ansprache an ihre aufgewühlte Partei. „Liebe Parteifreundinnen und -freunde, ich muss ganz klar sagen: Energie wird nicht von Kobolden und Trollen gemacht, dafür benötigt man Kraftwerke. Und zwar Kraftwerke, die immer dann auseichend Strom erzeugen, wenn er gebraucht wird. Wind und Sonne allein können dies nicht leisten. Deshalb brauchen wir – ihre nächsten Sätze gehen in lautstarkem Gebrüll und Pfeifen unter – sichere, bedarfsgerecht arbeitende und vor allem CO2-freie Kraftwerke. Nach allem, was wir heute wissen, können dies nur, ja meine lieben Freunde, Kernkraftwerke sein.“

Baerbock verweist auf Länder wie Großbritannien, Frankeich und die USA unter der amtierenden US-Vizepräsidentin Kamela Harris – Joe Biden war wegen eines Schlaganfalls ausgefallen –, die eine groß angelegte Erneuerung und Erweiterung ihres nuklearen Kraftwerksparks angekündigt haben. Andere europäische Nachbarn wie Polen und die Niederlande setzten, so die Kanzlerin, ebenfalls auf inhärent sichere und klimafreundliche Atomkraftwerke, von Ländern wie China, Indien und Russland ganz zu schweigen. Wie aus Kreisen des Bundeskanzleramtes verlautete, soll auch Elon Musk Druck auf die Bundesregierung ausgeübt haben. Musk hatte erst vor kurzem den zuvor mit BMW fusionierten, insolventen Autokonzern Daimler übernommen und will das einstige deutsche Vorzeigeunternehmen zum größten Elektroautoproduzenten der Welt machen.

Dann kommt es zu einem dramatischen Zwischenfall. Mitten in ihrer Rede schreit Baerbock auf. Im Tumult fast unbemerkt, war ein graubärtiger, etwa 80-jähriger Mann mit selbst gestricktem „Atomkraft? Nein Danke“-Pullover ans Rednerpult getreten und hatte der Kanzlerin aus nächster Nähe eine Schwarzwälder Kirschtorte ins Gesicht geworfen. Baerbock versucht, Haltung zu bewahren, streicht sich Biskuit, Sahne und Kirschen aus dem verschmierten Gesicht und lobt die Torte als „total lecker, aber hoffentlich auch vegan“. Der Mann wird von Ordnern abgeführt, der Parteitag unterbrochen. 

Nach einer halben Stunde kommt es dann zur Abstimmung: Die Befürworter eines Wiedereinstiegs in die Kernkraft obsiegen mit denkbar knapper Mehrheit. Oberrealo Winfried Kretschmann applaudiert begeistert, während Jürgen Trittin, der einst für seine Partei den „Atomkonsens“ zum Ausstieg Deutschlands aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie verhandelt hatte, demonstrativ seinen grünen Parteiausweis mit einer Schere in kleine Plastikschnipsel zerschneidet. Rund ein Drittel der Delegierten verlässt unter Protest den Saal.

Kommentatoren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks loben die Regierungspartei, die ihre Feuertaufe bestanden und „endlich erwachsen geworden“ sei. „Zum Neubau von zunächst zwölf neuen Atomkraftwerken sowie einer eigenen deutschen Wiederaufbereitungsanlage plus Endlager in Gorleben gibt es keine Alternative“, sagt Georg Restle vom Westdeutschen Rundfunk (WDR). „Mit dieser Entscheidung stellt sich die erste grüne Bundeskanzlerin in eine Reihe mit historischen Persönlichkeiten wie Willy Brandt, Helmut Schmidt und Dr. Angela Merkel.“  

Baerbock verbindet die Abstimmung über das neue Atomgesetz im Bundestag mit der Vertrauensfrage, die sie mit Hilfe der AfD gewinnt. Daraufhin erklärt Anton Hofreiter seinen Rücktritt als Bundesverteidigungsminister. Katharina Schulze hatte sich zwar Hoffnung gemacht, aus dem BMGFJSLSTBand in den Bendlerblock wechseln zu können. Das Rennen machte dann aber Tessa Ganserer, die erste transsexuelle Landtagsabgeordnete aus Bayern, die 2021 erfolgreich für den Bundestag kandidiert hatte. In ihrer ersten Amtshandlung als Oberkommandierende/er verfügt sie, die alte Bundeswehr-Tradition des „Großen Zapfenstreichs“ wegen eindeutig sexistischer Konnotationen ersatzlos abzuschaffen.  

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Karl Hans Bauer / 15.03.2021

Man sollte sich diesen Artikel ausdrucken und an die Pinwand heften. Allerdings fehlt mir noch das Schicksal der Schabracke aus der Uckermark, ist sie Ehrenvorsitzende der Grünen oder Schatzkämmernde der SED geworden? Die Stelle des Papstenden wäre ja auch noch frei?

Michael Hofmann / 15.03.2021

Herr Etscheit, der Teufel hat es gesehen und ihr Traum wird wahr.Ich befürchte nur, dass wir dann von GRR regiert werden und alle Träume von dem Wiedererstehen einer funktionierenden Energieversorgung platzen.Wir wachen in einem Agrarstaat , ohne Perspektive, auf.Armes Deutschland, einst Exportweltmeister für Technologie hat dann nur noch Kartoffeln und Bohnen zu bieten.

Thomas Stoppel / 15.03.2021

Ups, die im dunkel schreibenden Kommentare können zu Schreibfehlern verleiten. Es muß natürlich in meinem vorherigen Kommentar richtigerweise G. Orwell heißen, für diesen Paustpax- Asche aufs Haupt. Aber das kommt davon, wenn man den Grünen vorangehen möchte und das Licht beim Schreiben auslässt. Ich habe immer angenommen, dass nach UvdL es nicht schlimmer kommen könnte, Doch die Dystopie des Artikels ist der Super-GAU für jedem Realo. Was kommt als Nächstes die Angliederung D`land an Syrien, damit die E-Milliarden unbürokratischer übergeben werden können?

Tobias Meier / 15.03.2021

Gruselige, aber vor dem Hintergrund der gestrigen Wahlergebnisse nur allzu realistische Dystopie. Allein fürchte ich, dass im Jahr 2 nach der grünen Machtübernahme die Zustimmung des Wahlviehs, pardon der Bewohnenden, nicht so dramatisch schrumpfen würde; Propagandamedien und der grenzenlos dumme, dumme, dumme Michel werden dies zu verhindern wissen. Wie kann man nur zur gerechten Abstrafung der aktuell politisch handelnden Personen ausgerechnet die Politclowns wählen, die alles noch (dreimal unterstrichen!!!) schlimmer machen…

Stefan Hofmeister / 15.03.2021

Ich kann mich momentan gar nicht entscheiden, was ich lustiger fände: Eine Weiterkanzlerei von “Ich liebe doch alle”-Merkel oder die Kanzlerschaft einer direkten Konkurrentin von Joe Biden, nur eben dement von Geburt an. Schnallt euch an, wir fahren gar spaßigen Zeiten entgegen!

Thomas Stoppel / 15.03.2021

Au, weia. Dagegen ist ja G. Wells “1984” ein Liebesroman.  Öffne die Büchse der Pandora und überflute ein grünes Miteinander-Land mit den Geistern der Vergangenheit. Der Artikel ist ein futuristischer Albtraum für jeden Ideologiegrünen.

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