Tamara Wernli / 27.04.2017 / 20:00 / 3 / Seite ausdrucken

Mein sexy Fake-Profil oder: Selbst ist der User

Vergangene Woche war ich Ziel von Missbrauch auf Facebook. Jemand gab sich für meine Person aus: Das Profil präsentierte allerlei Tamara-Fotos, im Text bot ich mich als Sexarbeiterin an. Offenbar lassen sich mit meinen Bildern ahnungslose Männer ködern – ich sollte das vielleicht als Kompliment verstehen.

Auf Facebook werden täglich 4,75 Milliarden Inhalte in Form von Kommentaren, Profilen, Fotos und Videos geteilt. Eine Zahl, zu gross, als dass eine absolute Kontrolle möglich wäre oder FB-Mitarbeiter jede einzelne Seite nach schädlichen oder illegalen Inhalten durchforsten könnten. Deshalb übernehmen Algorithmen den Job. Sie sind so programmiert, dass sie anhand von bestimmten und geheimen Kriterien "schlechte Inhalte" identifizieren und sofort eliminieren.

Der Vorteil: Dank der computerisierten Aufsicht war das Fake-Profil innert einer Stunde nach meiner Meldung gelöscht. Der Nachteil: Weil Maschinen nicht zwischen Ironie und Ernst zu unterscheiden oder den Schweregrad eines Verstosses abzuwägen vermögen, kann die Verbannung leicht Unschuldige treffen.

Man kann argumentieren, dass die vorübergehende Verbannung eines Profils das kleinere Übel darstellt als ein Inhalt, der gegen ein Individuum oder eine Gruppe hetzt. Das ist richtig. Nur beschneidet die automatisierte Express-Zensur die Grundrechte einer ganzen Gesellschaft, die Meinungs- und Kunstfreiheit. Wir müssen an der Stelle natürlich differenzieren. Ich spreche hier nicht von ins Netz gestellten Kapitalverbrechen wie Mord und Vergewaltigung. Es geht mir vor allem um politische Meinungsäusserung.

Jüngstes Beispiel davon ist Imad Karim. Facebook entfernte ohne Erklärung das Nutzerprofil des deutsch-libanesischen Schriftstellers und Islamkritikers. Viele bezeichneten die Aktion als vorauseilenden Gehorsam angesichts des neuen Gesetzentwurfs der Bundesregierung, der soziale Netzwerke verpflichten will, "offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde" zu löschen – ansonsten drohe eine Strafe von bis zu 50 Millionen Euro. In Anbetracht dieses Sümmchens ist es nicht verwunderlich, wenn die sozialen Medien zu globalen Zensurmaschinen mutieren. Ob ein einzelner Inhalt als rechtswidrig qualifiziert, ob er unter Meinungsfreiheit fällt oder nicht, lässt sich aber nicht mit Algorithmen, sondern nur mit einem Heer von Anwälten, viel Geld und Zeit klären. Heiko Maas' Forderung nach neuen Zensurpraktiken ist also – gelinde gesagt – naiv, da technologisch und juristisch kaum umsetzbar. Karims Profil wurde übrigens 24 Stunden später wieder aufgeschaltet, kommentarlos.

Facebook als Zauberlehrling

Nach welchen Kriterien Facebook bislang zensiert, macht das Unternehmen nicht transparent. Der Eindruck, dass es seine Standards für politische Zwecke nützt, drängt sich laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aber zusehends auf: 2015 zensierte Facebook den nach Deutschland ins Exil verbannten Schriftsteller "Liao Yi-wu". Er hatte Bilder eines Aktivisten gepostet, der nackt durch Stockholm gerannt war – die kommunistische Führung spendete der Zensur Beifall. In Russland verbannte Facebook ein Foto eines sich küssenden homosexuellen Paars, in der Türkei blockierte es nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" eine Seite, die Bilder des Propheten Mohammed zeigte.

Eines steht fest: Der ideale User ist für Facebook jener, der Freunde findet, Fotos liked, hie und da auf Werbung klickt. Dass der Erfolg das Unternehmen überholt hat, dürfte nur bedingt im Sinne von Mark Zuckerberg sein, nämlich dann, wenn die Werbekassen klingeln. Heute, wo Facebook auch für Menschen zum Sprachrohr geworden ist, die sonst keine Plattform haben, ihre politische Meinung zu verbreiten – Oppositionelle in Diktaturen, Regierungs- und Systemkritiker, aber auch Hassprediger – wird er sich über die damit einhergehende Verantwortung zunehmend den Kopf zerbrechen müssen.

Die sozialen Medien sind eine Herausforderung für die Gesellschaft. Ein Stück weit Verantwortung darf man von einem globalen Machtgefüge wie Facebook erwarten – und zu dem Zweck stellt das Unternehmen ja auch Kontrollinstrumente zur Verfügung. Verantwortung darf man aber auch von den Nutzern erwarten: Wir sollten selber wissen, wessen Meinung wir lesen möchten, wen wir blockieren, melden, was für uns schlecht ist. Etwas mehr Vertrauen in ihre Bürger stände auch den Regierungen gut an. Hass und Hetze wird es immer geben. Sie liegen leider in der Natur des Menschen. Einiges von dem, was als verletzend und unerträglich heraufbeschwört wird, ist aber einem Individuum durchaus zuzumuten. Es liegt auch in unserer eigenen Verantwortung, gewisse Dinge zu ertragen – oder das Problem selbstbestimmt zu lösen. Weder Regierungen noch soziale Medien können uns vor allem Bösen dieser Welt schützen.

Der Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung. Tamara Wernlis Kolumne gibt es jetzt hier auch als Videobotschaft, man kann ihn auf ihrem youtube Kanal auch abonnieren.

Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen.

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Leserpost

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Tobias Prinz / 28.04.2017

“Der ideale User ist für Facebook jener, der Freunde findet, Fotos liked, hie und da auf Werbung klickt.” - eben. Lohnt sich, Facebook dafür zu benutzen. Ist gegenwärtig der beste Dienst dafür. “Heute, wo Facebook auch für Menschen zum Sprachrohr geworden ist [...], ihre politische Meinung zu verbreiten[...] wird er sich über die damit einhergehende Verantwortung zunehmend den Kopf zerbrechen müssen.” - eben nicht. Vor Ewigkeiten haben wir gesagt “wenn Du für das Produkt nicht zahlst, dann bist nicht der Kunde sondern das Produkt”. Eintreten für Kundenrechte verstehe ich. Eintreten für Produktrechte ist mir neu. Das Internet ist auf Freiheit ausgelegt, das WWW auch (und selbst das ist nur halb geglückt, siehe die zahlreichen Bestrebungen, DNS endlich zu dezentralisieren). Facebook ist das nicht. Wer nicht selbst publiziert, mag sich einreden, er oder sie habe Anrecht darauf, gehört zu werden; und auch ganz fürchterlich auf irgendeiner anderen Plattform dann so lange protestieren, bis der Protest auch da abgeschaltet wird. Aber die Regeln machen immer noch die, die die Plattform betreiben. Eventuell kann man eine Plattform gegen die andere ausspielen und auf Twitter gegen Facebook protestieren, aber wer will sich auf die Tretmühle begeben? Self-publishing ist in den letzten 25 Jahren nicht so viel einfacher geworden, wie ich persönlich gehofft hätte. Aber es ist ausreichend.

Werner Arning / 27.04.2017

Die Feststellung von Frau Wernli, dass es Hass und Hetze immer geben wird, ist richtig. Derzeit scheint dieser Hass und diese Hetze am allermeisten von denjenigen verspürt und ausgelebt zu werden, die vorgeben genau diesen bekämpfen zu wollen. Gehasst werden Rechte aller Art, Migrationskritiker, Trump-Freunde, AfD-Anhänger, Brexiter, Le Pen-Anhänger, Erdogan-Anhänger, Putin-Versteher, Orban-Anhänge, Kaczynski-Anhänger. Die Auflistung ist nicht komplett. Wer von den deutschen links-grünen Gesinnungshassern nicht gehasst wird, kann sich glücklich schätzen.

Peter Zentner / 27.04.2017

Liebe Frau Wernli, warum verschwenden Sie Ihre Zeit bei Facebook? Österreicher nennen es das “Gfrießerbiachl”, was man auch in der Schweiz verstehen kann. Eine amerikanische Freundin schrieb mir kürzlich, als sie sich (unter großen Mühen) aus Zuckerbergs Königreich verabschiedete: “Facebook is like a jail. You sit around, waste time, write on walls and get poked by guys you don’t really know.” Eine kluge Frau wie Sie sollte das doch längst geschnallt haben. Herzliche Grüße!

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