„Mein Name ist Liefers. Ich bin Schauspieler. Ich möchte drei Überlegungen mitteilen”

Am 4. November 1989, ein paar Tage vor dem Fall der Mauer, hielt Jan Josef Liefers eine Rede in Ost-Berlin. Kritiker wie er wurden damals von dem DDR-Regime als Klassenfeinde diffamiert, deren Aussagen angeblich von Faschisten und Nazis gefeiert würden. In den Augen des Regimes gab es nur die guten Sozialisten auf der einen Seite, die durch die Regierung friedlich vertreten sein sollten und die abtrünnigen, verantwortungslosen und unmoralischen Nörgler und Hetzer auf der anderen Seite. Ihnen wurde, besonders von Seiten der Staatsmedien, vorgeworfen, mit ihren Meinungen Hass zu schüren und dem Faschismus und der rechtsradikalen Gesinnung das Wort zu reden.

Ich habe an diesem Wochenende die Rede von Jan Josef Liefers abgetippt, denn über dreißig Jahre später steht er aufgrund einer Satire wieder in der Kritik, rechten Staatsfeinden das Wort zu reden. Menschen, die ihm aufgrund seiner Kunst Applaus spenden, werden ebenfalls in eine rechtsradikale Ecke gestellt, unter anderem von öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.

Jan Josef Liefers ist über all diese Diffamierungen erhaben. Die Satire ist nur eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus. 

2021 ist nicht 1989. Die BRD ist nicht die DDR. Heute gibt es das Internet. Wir alle können uns frei selbst informieren. Wir sind von keinem Framing mehr abhängig. Wir können alle Rahmen sprengen und die Bilder aus mehreren Perspektiven betrachten.

Daher hier nun die Rede von Jan Josef Liefers aus dem Jahr 1989. Es ist beängstigend, wie sehr die damalige Rede eine Antwort auf die heutige Situation im Jahr 2021 sein kann:

„Neue Strukturen müssen wir entwickeln“

„Mein Name ist Liefers. Ich bin Schauspieler. Ich möchte drei Überlegungen mitteilen.

In den letzten Wochen haben hunderttausende Menschen auf den Straßen unseres Landes das Gespräch eingefordert. Wir alle führen es seit kurzer Zeit. Natürlich hat jeder das Recht, Partner in diesem Gespräch zu sein. Aber ich meine, wir sollten darauf achten und uns verwahren, gegen mögliche Versuche von Partei und Staatsfunktionären, jetzt oder zukünftig, Demonstrationen und Proteste von Menschen unseres Landes für ihre Selbstdarstellung zu benutzen, Initiatoren und Führer des begonnen gesellschaftlichen und politischen Reformprozesses zu sein.

Der zweite Gedanke: Zur ganzen Frage der führenden Rolle überhaupt, meine ich schon, dass sie zur Disposition gestellt werden muss. Zur Demokratie gehört für mich, dass keine gesellschaftliche Kraft allein diese Rolle okkupieren, noch sich um sie bewerben, sondern sie bestenfalls erringen kann und zwar in täglicher Arbeit, demokratisch und eindeutig durchschaubar organisierter Arbeit und entsprechenden Resultaten.

Solange die Spitze der SED nur auf unser aller Druck reagiert, kann meiner Meinung nach von führender Rolle nicht die Rede sein. 

Außerdem haben, denke ich, allein die in diesem Land verbliebenen und verbleibenden Menschen darüber zu entscheiden, wen sie mit der Führung beauftragen. 

Und der dritte Gedanke. Es ist richtig, jeden Menschen zu ermutigen, die durch die Politik von Partei und Regierung entstandene Krise in unserem Land durchzustehen. Ich glaube allerdings nicht, dass in vierzig Jahren DDR-Geschichte nur einzelne Personen immer wieder in Krisen führten, sondern auch die von ihnen geschaffenen und zementierten Strukturen. 

Die vorhandenen Strukturen, die immer wieder übernommenen prinzipiellen Strukturen lassen Erneuerungen nicht zu. Deshalb müssen sie zerstört werden. Neue Strukturen müssen wir entwickeln für einen demokratischen Sozialismus. Und das heißt für mich unter anderem, Aufteilung der Macht zwischen der Mehrheit und den Minderheiten.

Danke schön.“

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Tapfer im Nirgendwo.

Foto: Bundesarchiv

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Leserpost

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Gabriele Schäfer / 25.04.2021

Ich hatte Liefers bisher für einen Wendehals gehalten, der es sich durch die vielen Angebote,, d.h. Film u. Fernsehrollen, bisher in unserer Republik „ sehr gut gehen ließ“. Ich will seine künstlerische Begabung hiermit keineswegs schmälern. Eigentlich habe ich immer auf eine positive Reaktion von ihm gewartet. Er hat in der Verfilmung von Uwe Tellkamps ( mittlerweile ein „ Geächteter!)...“ Der Turm“, den Richard Hoffmann dargestellt. Immer wieder grübelte ich, wie er sich jetzt!, unter dem System Merkel!, noch wohlfühlen kann. Wenn er die „ Hass- und Hetzkampagne“ gegen sich durchhält, hat er meine größte Hochachtung. Dem „ letzten Fähnlein“ der angegriffenen Künstlern, wünsche ich ebenfalls alles Gute und viel „ Stehvermögen“.

Siegfried Ulrich / 25.04.2021

Hallo Herr Liefers, Ihre Worte von 1989 passen auch für unsere Tage. Bleiben Sie fest und knicken nicht ein, getroffene Hunde bellen eben. Wie bei Biermann 1976 haben einige Ihrer Kollegen sich wieder entschuldigt - wofür eigentlich?! Für die Inanspruchnahme der evtl.  gar nicht mehr so selbstverständlichen Meinungsfreiheit? Hamed Abdel-Samad hat heute bei “Phönix persönlich” auch gezeigt,  was wir jetzt brauchen. Sie beide lassen uns noch hoffen…

Carsten Bertram / 25.04.2021

Ja so eine Rede könnte man auch heute halten, nur heute ist nicht mehr so eindeutig was Mehrheit und was Minderheit ist. Ich glaube sogar das die Mehrheit noch für diese irren Maßnahmen ist. Es dauert noch eine Weile bis die Verhältnisse kippen werden. Leider ist der Schaden dann nicht mehr zu reparieren und kein großer Bruder hilft .

Matthias Böhnki / 25.04.2021

Da muß ich Sie leider korrigieren, Herr Buurmann. Freidenkende damals wurden nicht in eine imaginäre rechte Ecke gestellt, dem Faschismus dienend und im Geiste bei den Nazis - das spielte in der Niederwalzung Andersdenkender in der DDR als Argument überhaupt keine Rolle. Das Argument war viel mehr, man spiele in die Hände der Staatsfeinde, oder noch besser, der Klassenfeinde. Oder man machte sich gemein mit ihnen, oder zum Handlanger. Den Andersdenkenden als Nazi zu brandmarken haben selbst die SED-Bonzen nicht hin bekommen.

Ulla Schneider / 25.04.2021

Die Situation hat weder was mit rechts noch mit links zu tun. Das sind Ausreden. Hier geht es um das Treten der Grundrechte, nichts Neues seit der “Übernahme” BRD durch die Ostzone. Die Ähnlichkeiten sind doch enorm. Oder hat das noch keiner seit der Zwangsabgabe durch den Staatsfunk gemerkt? Was sagte gestern dieser ” Fatzke” und farbloser Spd-ler?”..... Alle angestellt beim Staatsfunk, sofort entfernen.. .. “ Ich war immer der Meinung, daß das fahrende Gauklervolk sehr um seine Freiheit bemüht ist. Aber auch da scheint der Kleingeist einzuziehen. - Tukur zitiert Rielke!!! Mensch Buurmann, wer kennt den denn noch ? -Gedichtsabende, eine Marktlücke. Er soll froh sein, daß er seine Füße in bella Italia hat, der Glücksmensch.

Rolf Schreiber / 25.04.2021

Hat die Rede von damals   auch den ” Falschen” in die Hände gespielt und von den “Falschen” Beifall bekommen ? Sei`s drum ,  heute brauchen   die Damen und Herren Künstler , mehr Mut als 1989 !

Christian Feider / 25.04.2021

“für einen demokratischen Sozialismus”.... wo jemand herkommt,liest man an seinen Jugendaeusserungen ebenso wie an seinen späteren “Distanzierungen”... ich frage mich nur,was in den deutschen Genen schiief gelaufen sein mag,das nach 2 komplett desaströsen Katastrophen mit beiden Spielarten dieser Ideologie die Menschen weiterhin dieser Idee nachrennen wie die Lemminge und nicht sehen,das davon IMMER nur die “Nomenklatura”(dazu gehören auch Schauspieler im Staatsdienst) verdienen und der Rest buckelt

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