Mein Kind, das öffentliche Gut 

Von Lisa Marie Kaus. 

Meine Kita-Suche in Berlin-Kreuzberg zeigt Anflüge von alltäglichem Wahnsinn. In Berlin hat seit dem 1. August 2017 jedes Kind mit seinem ersten Geburtstag den Anspruch auf einen beitragsfreien Betreuungsplatz. Dennoch muss man absurderweise einen Kita-Gutschein beim Jugendamt des Bezirks beantragen, der einem pauschal für eine Betreuungszeit für 5 bis 7 Stunden am Tag ausgestellt wird. Wohlgemerkt, pauschal heißt nicht sofort, man wartet gut und gerne Wochen auf den Amtsakt. 

Selbstverständlich gilt das Dokument, welches einen gesetzlich festgelegten Anspruch, der durch Prüfung des Alters des Kindes selbst durch nicht ausgebildete Verwaltungsfachwirte zweifelsfrei festgestellt werden kann, nur für einen begrenzten Zeitraum, dann muss die Frist verlängert werden. Die absurde Regelung mit der Beantragung eines Kita-Gutscheins für einen Kitaplatz, der einem sowieso zusteht, und die stoisch verwaltenden Sachbearbeiter haben ein enormes Pointen-Potenzial. 

Die verzweifelten Eltern und ehrlich bemühten und ausgelasteten Erzieher erfreut das schon weniger. Aber all diese Situationsbeschreibung würde nur an der Oberfläche kratzen. Denn eigentlich geht es um etwas ganz Grundlegendes: um Gerechtigkeit (jeder Gesinnungsethiker greift sich nun betroffen ans Herz). 

Ökonomisch gesehen sind Kinder ein echtes Problem, eine wirklich kniffelige Angelegenheit. Ihre wirtschaftlichen Kosten und ihr wirtschaftlicher Nutzen treten in unterschiedlichen Perioden auf. Dies führt dazu, dass für die Kosten am Lebensanfang meist zu einem großen Teil die Eltern aufkommen, während den wirtschaftlichen Ertrag in der beruflich aktiven Lebenshälfte vor allem der Staat für sich beansprucht. In Zukunft, mit einer überalterten Gesellschaft und einem überforderten Sozialstaat, wird sich dieses Ungleichgewicht noch weiter verschärfen.

Die Entscheidung für ein Kind ist eine private Entscheidung. Wenn Kinder eine private Entscheidung sind, dann sollten Individuen auch die Konsequenzen ihrer Handlung tragen und somit für die Kosten eigenverantwortlich aufkommen. Wären Kinder einzig ein Konsum- oder Investitionsgut für ihre Eltern, also zögen die Eltern entweder einzig einen direkten Nutzen aus der Aufzucht ihres Nachwuchses oder erwirtschafteten später daraus Erträge (zum Beispiel in Form einer Altersabsicherung), so wäre die ganze Geschichte in der Tat reine Privatsache. 

Der Sozialstaat ist ein Trittbrettfahrer heutiger Eltern

Ökonomisch betrachtet sind Kinder, die später einmal mehr Steuern zahlen, als Leistungen durch den Staat zu empfangen, ein positiver externer Effekt für den Fiskus. Die Verschuldung von Staaten ist nur dadurch möglich, dass heutige Generationen dem Kapitalmarkt die Begleichung durch ihnen nachfolgende Generationen versprechen. Die Barro-Ricardo Äquivalenzhypothese geht daher davon aus, dass zum Beispiel eine Erhöhung der Staatsverschuldung zu einer Erhöhung der Sparquote führt. Wohlwissend, dass die Staatsausgaben von heute die Steuern von morgen sind, legen besorgte Eltern schon mal Geld zurück, damit die Kinder die Schulden später begleichen können. 

Das Problem ist nun, dass Eltern für die Bereitstellung der positiven Externalität für Steuer-, Sozial- und Rentensystem nicht entschädigt werden, während sie andere nicht davon ausschließen können, von den Leistungen ihrer Kinder zu profitieren. Kinder sind ein öffentliches Gut. Der Nutzen wird sozialisiert, während die Eltern auf den Kosten sitzenbleiben. 

Der Sozialstaat ist ein Trittbrettfahrer heutiger Eltern. Steht den Kindern zukünftig ein geringeres Einkommen zur Verfügung, da sie für mehr Rentner einzahlen müssen, können sie ihre eigenen Eltern im Alter weniger unterstützen. Dieses Problem würde im Übrigen auch dann nicht beseitigt, wenn das Rentensystem privatisiert wäre. Eine kapitalgedeckte Rente setzt auf die Produktivität künftiger Generationen, zwar nicht mehr national aber weltweit – no man is an island. 

Vor allem aber schmälert der Wohlfahrtsverlust der eigenen Kinder die Wohlfahrt der besorgten Eltern. Mit schwindenden Renten und dem Aufleuchten der Altersarmut am Horizont, unter anderem durch die Niedrigzinspolitik der EZB, wird für viele Eltern die Angst, eine Last für ihre Kinder im Alter zu sein, immer realer. Während Kinderlose im Alter alles verprassen und im Pflegefall auf die Gemeinschaft bauen können, geht es bei Eltern in diesem Fall zuerst ihren eigenen Kindern finanziell an den Kragen. Wer Kinder hat, hat der Zukunft Geiseln in die Hand gegeben. 

Ein betroffen-empörtes Nach-Luft-schnappen

Dies ist kein Plädoyer für eine staatlich gelenkte Familienpolitik. Es ist nicht Aufgabe eines liberalen Staates, Anreize für eine möglichst hohe Kinderzahl pro Frau zu setzen. Wie Garry Becker, Nobelpreisträger für Ökonomie, bemerkte, kommt es bei Kindern aus wirtschaftlicher Sicht auch nicht auf Quantität, sondern auf Qualität an. Die Anzahl der Kinder sagt nichts über ihre Produktivität im späteren Leben aus. 

Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich bereits ein betroffen-empörtes Nach-Luft-schnappen ob der ökonomischen Anmaßung der Kosten-Nutzen-Gegenüberstellung – beim Thema Kind und generell. Aber nur, wenn man Kosten und Nutzen transparent macht, kann man am Ende für eine Annäherung an eine Verfahrensgerechtigkeit sorgen. Ostentatives Gutmenschentum zeigt dann sein zutiefst ungerechtes und asoziales Gesicht, wenn die Kosten nicht mehr zu verschleiern sind, ihre Immanenz nicht mehr zu leugnen ist. Die soziale Kälte des vermeintlichen Sozialstaates lässt sich an einem einfachen Beispiel veranschaulichen:

Angenommen, Sie sind eine alleinerziehende Mutter in Berlin-Köpenick. Angenommen, ihre vergütete Elternzeit läuft aus, und Sie finden keinen Betreuungsplatz für ihr Kind – angesichts der aktuellen extrem angespannten Situation der Kindergartenplätze in der Hauptstadt ist das ein nicht ganz unwahrscheinliches Szenario. Es bleibt Ihnen lediglich die Möglichkeit, unbezahlt weiter in Elternzeit zu verweilen und von den warmen Worten des Berliner Senats zu leben oder direkt Hartz IV zu beantragen. Einen Anspruch auf ALG I – wofür Sie während Ihrer Berufstätigkeit vor der Geburt jahrelang einzahlten – haben Sie nicht, da die Betreuung ihres Kindes nicht sichergestellt ist. 

Die Bereitstellung einer frühkindlichen Betreuung – wenn von den Eltern gewünscht – ist demnach tatsächlich nichts weniger als das: Gerechtigkeit. Und nebenbei seit 2013 auch ein rechtlicher Anspruch.

Nun haben wir das Vergnügen, nach 16 Monaten intensiver Suche einen Kitaplatz gefunden zu haben, lediglich mit einigen Monaten Verdienstausfall bezahlt. Hier im La-La-Land Berlin ist der Betreuungsplatz mittlerweile ja „umsonst“. Berlin verschleiert die privatisierten Kosten der frühkindlichen Betreuung also etwas aufwändiger als andere Bundesländer, Kommunen oder Landkreise, wo Eltern nicht selten Betreuungskosten von über 1.000 Euro im Monat leisten. Der Krippenplatz als Luxusgut. 

Der Sozialstaat zuckt nur mit den Schultern

Und dabei ist – wieder rein ökonomisch gesprochen – eine gute Kinderbetreuung keine Dekadenz, sondern eine absolute Notwendigkeit für unsere Volkswirtschaft. Weder durch noch so gut ausgebildete Zuwanderer noch durch einen Baby-Boom wird der Altenquotient zu senken sein. Einzig eine Steigerung der Produktivität kann hier wirkliche Veränderungen bringen. Wir brauchen Bildung und Leistungsbereitschaft und eine Entlastung der Leistungsträger. Diese sind nämlich sehr mobil, und viele werden nicht bereit sein, den Karren zu ziehen, wenn sie dabei knietief im Dreck stehen.  

Ein Wohlfahrtsstaat mit offenen Grenzen für Einwanderung braucht irgendwann eine geschlossene Grenze für Auswanderung, sonst bleibt der Karren gänzlich stecken. Der Mauerbau im August 1961 war eine Notwendigkeit zur ökonomischen Erhaltung des realexistierenden Sozialismus. Wenn eine Ideologie über den unterschiedlichen Interessen der Individuen steht, ist der Zwang nicht weit. Außerdem – und es klingt nach einer wohlfeilen Sonntagsrede – auch aus Sicht von „Gerechtigkeit“ ist eine frühkindliche Bildung entscheidend, an den Universitäten kommt sie zu spät. Doch der Sozialstaat zuckt nur mit den Schultern und nimmt Geld an anderer Stelle in die Hand. 

Nun kann man einen Euro nicht zweimal ausgeben. Jeder Unternehmer macht sich vor der Tätigung einer neuen Ausgabe die Opportunitätskosten deutlich, nämlich die Investition, die er nicht ausführen kann, weil er das Geld in ein anderes Projekt steckt. 

Wir leisten uns das teuerste öffentlich-rechtliche Rundfunksystem der Welt und können Erzieher nicht kompetitiv bezahlen. 2016 betrugen die reinen Ausgaben für Tageseinrichtungen für Kinder (0-14 Jahre) in Deutschland 23,1 Milliarden Euro. Pro Kopf macht das ca. 6.600 Euro im Jahr oder 550 Euro im Monat. Für einen minderjährigen unbegleiteten Migranten gibt der Staat monatlich den 10-fachen Betrag aus. Bernd Raffelhüschen schätzt, auf Basis der Generationenbilanzierung, die Kosten für die aktuelle Migrationskrise auf 900 Milliarden Euro über den Lebenszyklus der Neueingewanderten. 

75 Jahre Kita-Finanzierung zackzack woanders ausgegeben

Seit 1991 haben die Bundesländer 295,2 Milliarden Euro für Kindertageseinrichtungen ausgegeben. Wir reden hier also von 75 Jahren Kita-Finanzierung, die seit 2015 mit einem Fingerschnipp an anderer Stelle ausgegeben werden. Im gleichen Jahr zog sich der Tarifkonflikt zwischen Gewerkschaften und kommunalen Arbeitgebern um die Löhne von Beschäftigten in Sozial- und Erziehungsdienst sieben Monate hin. Die Gewerkschaften hatten anfänglich 1,2 Milliarden Euro gefordert, am Ende erhielten sie 315 Millionen Euro.

Was ich noch nicht lobend erwähnte: Die Ausgaben für Kindertageseinrichtungen haben sich seit 2009 nahezu verdoppelt. Auch die finanzielle Entlastung Berliner Eltern bei der Freistellung der Kindergartenbeiträge riss ich nur – zugegeben despektierlich – an. Dennoch ist dies hier mein Hessischer Landbote, ein dem Fatalismus erlegenes Pamphlet. Ein Staat kann nicht so tun, als würde er in die nächste Generation investieren und gleichzeitig die Zukunft meines einjährigen Sohnes mit jeder politischen Entscheidung der vergangenen Jahre verspielen. Um bei dem Bild zu bleiben, ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass mein Kind den im Dreck feststeckenden Karren ziehen muss. Anfang des Jahres waren wir einige Wochen in Neuseeland – dort war es sehr schön… Die Opportunitätskosten der konsumtiven Ausgaben eines verantwortungslosen Wohlfahrtsstaates entsprechen dem Kindchenschema.  

Lisa Marie Kaus ist Mutter eines einjährigen Sohnes und war nach einem Studium der Volkswirtschaftslehre im Europäischen Parlament in Brüssel tätig. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an ihrer Promotion.

Foto: Bundesregierung/Steins

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Fritz kolb / 22.08.2018

Als die „Lawine der Flüchtlinge“ (Schäuble 2015) unser Land erreichte, wurde uns eröffnet, dass „keinem Deutschen Bürger etwas weggenommen würde“ (Schäuble 2016). Manchmal kommt es mir so vor, als müssten die Politiker der Regierungsparteien ihren Selbsthass loswerden, auf unsere Kosten natürlich und von unseren Steuergeldern fürstlich honoriert. Denn so dumm, das so Gesagte selber zu glauben, können sie eigentlich nicht sein. Ihr Beitrag, Frau Kaus, hebt sich, weil faktisch unterlegt, wohltuend von all diesen ideologiegeschwängerten, populistischen Phrasen der Politdarsteller ab. Und mutig ist er sowieso, weil Sie ja gleichzeitig in einem Moloch arbeiten, der Kritik sehr schlecht goutiert. Das wissen Sie natürlich, aber Ihre Wut über die untragbaren Verhältnisse steht offensichtlich über Ihrem Karriereplan, und das finde ich sehr beachtenswert. Auch, weil es weiteren kritischen Geistern, von denen es immer noch viel zu wenige gibt, Mut machen dürfte.

Marcel Seiler / 22.08.2018

Die Autorin hat 100% recht. Der linke Zeitgeist verachtet Mütter, besonders übrigens, wenn sie in stabiler Beziehung leben. Deutschland beutet seine eigenen Familien aus, und das schon länger. Jetzt subventioniert es (zum Ausgleich?) die Einwanderung Unqualifizierter. Ich glaube nicht, dass es den Regierenden explizit darauf ankommt, das deutsche Sozialgefüge zu zerstören, aber darauf läuft es hinaus. Wenn ich Kinder hätte und hochqualifiziert wäre, würde ich über Auswanderung ernsthaft nachdenken.

Nico Schmidt / 22.08.2018

Sehr geehrte Frau Kaus, was Sie schreiben, wissen alle Beteiligten seid Jahren, übrigens auch in Brüssel beim europäischen Parlament. Wurde mit Weitblick geplant von den hochbezahlten Volkswirten, Betriebswirten und von den vielen, vielen Staatssekretären im Berliner Senat? Schweigen. Das wird sich noch in allen anderen Bereichen rächen, die auch so lausig verwaltet werden. Kein kleiner Unternehmer und kein privater Haushalt kann sich so verwalten wie Sexy-Berlin. MfG Nico Schmidt

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