Mein Gespräch mit der Serienkillerin Aileen Wuornos

Im Dezember 1991 war ich im Norden der USA, trank dunklen Kaffee, las die New York Times und öffnete meine Post, als ich jemanden im Fernsehen sagen hörte:

„Zwei Frauen werden gesucht, als mögliche Verdächtige im Zusammenhang mit der Erschießung von acht bis zwölf Männern mittleren Alters, die auf Highways in Florida in den Tod gelockt wurden. Die Frauen sind bewaffnet und gefährlich. Es könnte sich um die ersten weiblichen Serienmörder unseres Landes handeln.“

Ich dachte: Das ist doch ein Scherz! Oder? Vielleicht geht es um die Rezension eines Films über einen weiblichen Serienmörder? In Ordnung, warum nicht? Vielleicht handelt es sich um eine Geschichte über zwei glamouröse girl gangsters, die südlich der Mason-Dixon-Linie frei herumlaufen. „Scarlett, Schätzchen: Sind Sie und Melanie das da draußen, mit fliegenden Reifröcken und blitzendem Gewehrlauf?“ (Anspielung aufVom Winde verweht, Anm. d. Red.) Die beiden Verdächtigen, eine große Blonde und eine brünette „Butch“ (im Deutschen am besten mit „Kampflesbe“ zu übersetzen, Anm. d. Red.), sind wahrscheinlich ein Paar hartgesottene, biersaufende, koks-schnupfende Motorrad-Mamas. Es war nur eine Frage der Zeit, dass solche durch und durch amerikanischen Desperados sich ihren Weg ins Fernsehen freischießen würden (und wahrscheinlich würde es bald viele solcher Figuren im TV geben).

Unzählige Male gruppenvergewaltigt

„Wollen Sie ein R-Gespräch von Miss Aileen Wuornos annehmen?“

„Aber sicher, Vermittlung bitte.“

„Hey, Arlene hat mir erzählt, dass sie sich mit einer Anwaltsfreundin von Dir getroffen hat. Das ist super. Aber hör zu. Ich will keine anderen Besucher, wenn ich Arlene nicht haben kann. Ich brauche Kontaktbesuche mit ihr. Das ist die Hauptsache. Das ist es, worauf ich warte.“

„Ich habe eine Liste aller Vergewaltigungen gemacht.“

Lee (d.h. Aileen Wounos, Anm. d. Red.) erzählte mir, dass sie mit gespreizten Armen und Beinen gefesselt und auf einer Party unzählige Male gruppenvergewaltigt worden war, bevor sie bei einer anderen Vergewaltigung geschwängert wurde. Als sie anfing, per Anhalter in den Westen zu fahren, verlangten einige der Lkw-Fahrer, die sie mitgenommen hatten, Sex für die Fahrt, raubten sie aus, hielten ihr Waffen an den Kopf und bedrohten sie mit Messern. Lee lernte, schnell zu fliehen und noch schneller zurückzuschlagen – und, wenn möglich, zuerst zuzuschlagen.

Sie sagte:

„Ich hatte eine Menge freiwilligen Sex, bevor ich 13 war. Aber ich wurde auch sehr viel gefesselt und dazu gezwungen. Vielleicht achtmal. Dann wurde ich vergewaltigt, als ich dreizehn war, und davon wurde ich schwanger. Als ich vierzehn war, vergewaltigte mich ein älterer Mann, er war ungefähr achtundfünfzig Jahre alt, er leitete das „Nudie Theater“ in der Stadt. Im selben Jahr vergewaltigte mich auch ein Mann in der Nachbar-Stadt, er war etwa achtundzwanzig Jahre alt. Als ich sechzehn Jahre alt war, vergewaltigten mich zwei Motorradfahrer aus einer Gruppe namens „The Renegades“. Dann, vielleicht zwei Monate später, vergewaltigten mich zwei Typen, die behaupteten, zur Mafia zu gehören. Als ich dann aus Detroit raus trampte, vergewaltigten mich viele Trucker, Polizisten und Typen, mit denen ich feierte.“

„Lauf wie der Teufel und schrei, Lee, schrei“

Ich unterbrach sie: „Lee, vielleicht ist das zu schwer, wenn du im Gefängnis bist und ganz allein …“

„Nee. Lass mich Dir erzählen. Du hast gefragt, nicht wahr? Also, wie ich schon sagte, als ich sechzehneinhalb Jahre alt war, fesselten mich fünf Typen auf einer Party ans Bett und vergewaltigten mich. Ich wurde ohnmächtig. Als ich sechzehndreiviertel Jahre alt war, zerrten mich drei Typen von einer anderen Party und trugen mich in den Wald. Ich wurde ohnmächtig. Als ich siebzehn war, wurde ich nicht vergewaltigt, aber es war knapp. Es geschah in Jeffersonville, Indiana. Dieser Typ war ein Kinderschänder. Vielleicht hat er auch Kinder ermordet. Er schlug mich heftigst. Die Polizei konnte nicht sagen, ob ich ein Mann oder eine Frau war, mein Gesicht war so geschwollen. Es dauerte zwei Monate, bis es verheilt war.

Als ich achtzehn Jahre alt war, vergewaltigte mich ein Polizeibeamter in Lauderdale in einem verlassenen Haus, und er brachte seine Kumpels mit. Etwa sechs Monate später wurde ich nicht vergewaltigt, aber zwei Typen versuchten es. Ich wurde geschlagen und am Straßenrand liegen gelassen. Als ich neunzehn war, brauchte ich eine Bleibe. Der Typ, der mich untergebracht hatte, zwang mich zum Sex mit ihm.“

Wuornos holte tief Luft – ich vermochte das nicht – und fuhr fort.

„Nun, diese Vergewaltigungen hier stammen aus meiner Karriere als Straßenmädchen. Eine Menge Typen haben mich um mein Geld gebracht. Sie schlugen mich am ganzen Körper. Sie benutzten den Schmerz. Es ist, als ob sie dir gerne wehtun. Sie haben mich mit allen möglichen Namen beschimpft. Einige drohten, mich umzubringen. Mich zu ersticken. Mich zu Tode zu stechen. Mich zu verstümmeln. Meinen Kopf abzuschneiden. Verrücktes Zeug. Was mich gerettet hat, war meine Gelassenheit. Das, und nicht etwa, sie zurückzuweisen. Ein freundliches Gespräch mit ihnen hat ihre Herzen verändert. Deshalb habe ich überlebt. Wenn ich konnte, rannte ich verdammt noch mal da raus, oder ich übernahm die Kontrolle durch Schreien.“

Was ist für sie eine „Vergewaltigung“?

Mit sachlicher Stimme fuhr Wuornos fort.

„Als ich neunundzwanzig war, vergewaltigte mich ein Lastwagenfahrer. Er nahm auch mein Geld. Dies fand in einem Motel statt. Im selben Jahr vergewaltigten mich zwei Schwarze auf einer Party in Macon, Georgia. Als ich dreißig war, brachte mich ein Typ in ein Motel, wo ein anderer Typ wartete. Beide vergewaltigten mich. Sie raubten auch mein Geld. Es gab drei weitere Vergewaltigungen, aber ich habe kein richtiges Bild mehr davon. Sie geschahen in einer bewaldeten Gegend, als ich dreißig, einunddreißig, zweiunddreißig war. Ich bin getrampt und habe mich prostituiert. Jedes Mal nahmen die Typen mein Geld. Aber es ist vage. Als ich zweiunddreißig war, versuchte ein Typ, mich zu vergewaltigen, aber ich redete es ihm aus. Er setzte mich ab. Seit ich dreiunddreißig war, hatte ich acht Vergewaltigungsversuche. (Sie spricht jetzt von 1990, dem Jahr, in dem sie die meisten Morde begangen hatte). Ein UPS-Zusteller hat es nicht durchgezogen. Er lief weg, als ich mich mit einer Waffe verteidigte.“

Wie oft wurde Wuornos vergewaltigt, gruppenvergewaltigt, beinahe vergewaltigt? Zwanzig Mal vergewaltigt? Dreißig Mal? Fünfzig Mal? Noch öfter? Was glaubt Wuornos, was Vergewaltigung ist? Ist für Wuornos Sex mit einem Mann nur dann „Vergewaltigung“, wenn er sich weigert zu zahlen, oder wenn er sie zwingt, etwas zu tun, das sie abstoßend findet, wie Analsex, etwas, dem sie vorher nicht zugestimmt hat?

Vielleicht ist es nur dann eine „Vergewaltigung“, wenn der Mann droht, sie zu töten, wenn er ihre Hände an das Lenkrad seines Autos bindet und sie weiß, dass sie nicht mehr „die Kontrolle“ hat, dass etwas mit ihr geschieht, das viel mehr ist als etwas, was sie akzeptieren würde, was sie noch einmal durchleben könnte, ohne zu sterben oder verrückt zu werden.

In einem Brief an ihre Jugendfreundin Dawn aus dem Jahr 1992 schrieb sie:

„Lass mich Dir sagen, was bei einer Vergewaltigung passieren kann. Dir werden die Haare ausgerissen, er schiebt seinen Penis vollständig aufgerichtet in Deinen Hals und quetscht Deine Speiseröhre sowie die Oberseite und die Seiten der (inneren Wangen) Deines Mundes... Außerdem sagt er Dir, wenn Du meinen Schwanz mit den Zähnen kratzt, bist Du tot. Dann reißt er Dir die Muschihaare aus, um Dir zusätzliche Schmerzen zu bereiten, greift Dir richtig hart in den Arsch, wie (Teig kneten), wenn er dir seinen Schwanz in den Arsch stopft, das gleiche beim anal screwing. Er beißt in die Brustwarzen und schneidet sie dabei fast ab ... Während er dich brutal vögelt, so schnell und hart er kann ... Und auch während das geschieht, werden Drohungen ausgesprochen und Dirty Talk mit der provozierendsten Härte, die man sich vorstellen kann. Also Vergewaltigung bedeutet nicht nur einsteigen und wieder verschwinden. Die Gesellschaft versteht das nicht und kümmert sich nicht darum, besonders wenn man eine Nutte ist. Denen wird erlaubt, dich so zu behandeln und auch, Dich zu töten.“

 

Auszug aus Phyllis Cheslers neuem Buch Requiem for a Female Serial Killer. World Encounter Institute/New English Review Press, 250 Seiten, Erscheinungstag: 12. November 2020. Mehr Informationen hier.

Phyllis Chesler ist Autorin, Schriftstellerin und emeritierte Professorin für Psychologie  und Frauenforschung an der City University of New York. Von ihr stammen u.a. die wegweisenden feministischen Klassiker „Women and Madness“ (1972), „Woman’s Inhumanity to Woman“ (2002) und „An American Bride in Kabul“ (2013), die mit dem National Jewish Book Award ausgezeichnet wurden, sowie „Islamic Gender Apartheid: Exposing a Veiled War Against Women“ (2017). Sie ist Mitglied beim Middle East Forum und gehört zur Frauenrechtsorganisation „Frauen der Mauer“.

Foto: Phyllis Chesler

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