Thilo Schneider / 20.10.2020 / 11:00 / Foto: Timo Raab / 178 / Seite ausdrucken

Mein FDP-Austritt

Sehr geehrte Damen und Herren,

ein stilvoller Abgang geht so, dass man einfach aufsteht, sich Schlüssel und Zigarillos nimmt und wortlos, die Türe sanft schließend, den Club verlässt. Zu unser aller Pech habe ich keinen Stil, weswegen ich die Türe zuknallen lasse. 

Ich bin der FDP kurz vor der absehbaren Wahlkatastrophe 2013 beigetreten, weil ich sicher war (und bin), dass eine vernunftorientierte bürgerlich-liberale Politik für unsere Gesellschaft essenziell notwendig ist. Und weil ich es für wichtig hielt (und halte), den wöchentlichen Panikattacken auf Wirtschaft und Gesellschaft ein Gewicht entgegenzusetzen. Ein Gewicht, das aus der bürgerlichen Mitte und nicht von rechtsaußen kommen muss. In der FDP habe ich dieses Gegengewicht gesehen, in einer liberalen und bürgerlichen FDP, die sich Freiheit, Individualismus und Wettbewerb auf die später magentafarbenen Fahnen geschrieben hat. „Nicht lamentieren – machen!“ war meine Devise. 

In den folgenden vier Jahren habe ich einiges an Geld und Freizeit in diese Idee investiert, meine Wohnräume für Vorstandsversammlungen zur Verfügung gestellt, da es nach der Bayern-Wahl auch kein Abgeordnetenbüro mehr als Treffpunkt gab; ich war an jedem verdammten Stand bei jedem verdammten Scheißwetter, um für Freiheit und Bürgerlichkeit zu werben, habe Plakate gehängt und wieder abgehängt, Kindern Luftballons in die Hand gedrückt und mich in der Fußgängerzone beschimpfen lassen dürfen. 

Sternstunden dieser Zeit waren der Wiedereinzug in den Bundestag 2017 und der Abbruch der Sondierungsgespräche mit schwarz-grün. Es schien mir, als hätte die FDP endlich ihre Rolle als bürgerliche Oppositionspartei begriffen. Mit Rot oder Grün macht man im Bund keine Geschäfte. Das sind keine bürgerlichen Parteien (mehr), sondern „fifty shades of red-green“ der Gängelei der Bürger. Der kann sich auf dieser Seite des politischen Spektrums nur aussuchen, von wem und wo und wie und warum er geschurigelt werden möchte.

Einfach nur Bullshit

Am 5.2.2020 wurde Thomas Kemmerich in einer freien und geheimen Wahl zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt. Mutmaßlich (!) mit den Stimmen von AfD UND CDU. Vielleicht hat auch ein AfDler Ramelow und ein Grüner Kemmerich gewählt, man weiß es nicht und das ist auch gut so. 

Am 6.2.2020 gratulierte Volker Wissing (mittlerweile „unser“ Generalsekretär) Thomas Kemmerich, und das war auch gut und richtig so. Es gab und gibt bis heute keinen Grund, warum Thomas Kemmerich seine Wahl hätte ablehnen sollen. Es gibt in einer Demokratie nur Mehrheiten – keine „schönen“ oder „hässlichen“ Mehrheiten. Davon steht auch aus gutem Grund nichts im Grundgesetz. 

Selbstverständlich war auch der Rücktritt Kemmerichs korrekt – aber die Begründung war es nicht. Eine Partei, die mit gerade mal 10 Stimmen in einen Landtag einzieht, hat keine moralische (!) Berechtigung, den MP zu stellen. Einen Rücktritt damit zu begründen, dass ihn „die Falschen“ gewählt haben und dies der Bundeskanzlerin nicht so gut gefällt, ist einfach nur Bullshit und ein Schlag ins Gesicht der Wähler, die einen MP Ramelow verhindern wollten, in dem sie AfD, FDP und CDU wählten. Garniert wurde die ganze Affäre mit einem peinlichen „Nachtritt“ von Christian Lindner, der sich gar nicht so schnell freuen konnte, wie er sich entschuldigen wollte.

Dann wurde Linda Teuteberg geräuschvoll entsorgt und durch Volker Wissing er- und ent-setzt. Und der ging sofort, wie es sich für einen Generalsekretär gehört, „auf Angriff“… Am 19.09. meint Volker Wissing gegenüber dem „Focus“, „der Staat kann vieles besser als der Markt“. Via Twitter kritisiert er am 29. September 2020 das parlamentarisch völlig korrekte Vorgehen von Julia Klöckner (CDU), „alle Fraktionsspitzen“ zum Thema „Tierwohl“ einzuladen und nennt diese Einladung eine „Lockerungsübung der CDU für eine Zusammenarbeit mit der AfD“. Am 6. Oktober 2020 zitiert Herr Wissing die „taz“ und meint, es sei dringend geboten, die Polizei auf „strukturellen Rassismus“ untersuchen zu müssen. Ich gehe nicht davon aus, dass Volker Wissing während dieser Zeit an einer Erkrankung litt. 

20 Prozent aller Wähler zu Teufeln erklären

Am 8. Oktober bemerkt Thomas Kemmerich via Twitter sachlich vollkommen korrekt: „Nicht die Annahme der Wahl war ein Fehler, sondern der Umgang der anderen demokratischen Parteien mit der Situation.“ Wir erinnern uns an den Volker Wissing vom 6. Februar 2020, der, Zitat, meinte: „Ich finde es sehr honorig, dass sich Herr Kemmerich in dieser schwierigen Situation in die Verantwortung hat nehmen lassen“. 

Der gleiche Volker Wissing schreibt nun, am 9. Oktober 2020, via Twitter an die Adresse von Thomas Kemmerich: „Eine Zusammenarbeit mit der AfD, die gesellschaftspolitisch auf Ausgrenzung setzt und sich nicht klar von rechtsextremen Elementen distanziert, kann es nicht geben.“ Am gleichen Tag distanziert sich der komplette Vorstand der FDP von ihrem kurzzeitigen und ehemaligen Ministerpräsidenten – statt ihm den Rücken zu stärken. Völlig übersehen wird dabei die Tatsache, dass „mit AfD Stimmen gewählt werden“ nicht gleichbedeutend mit „mit der AfD zusammenarbeiten“ ist. Erst recht, wenn im Vorfeld keine Absprachen stattgefunden haben. Aber man kann natürlich auch 20 Prozent aller Wähler zu Teufeln in Bürgergestalt erklären. Geht ja. 

Ja, Volker Wissing geht auf „Angriff“. Nur in die falsche Richtung. Niemand braucht eine weitere rot-grüne Partei in Deutschland. Mit dieser Marschrichtung verliert die FDP mehr Mitglieder und Wähler rechts einer politischen Mitte, als sie links hinzugewinnen kann. Wir müssten meiner Ansicht nach die Alternative zur Alternative UND zur linksgewendeten Union sein. Aber der Beifall von Leuten, die sich eher die linke Hand abhacken würden, als FDP zu wählen, scheint der FDP-Spitze wichtiger zu sein, als Rückgrat zu beweisen und Politik für eine liberal-konservative, bürgerliche Mitte zu machen, die doch so dringend eines politischen Fürsprechers und einer politischen Stimme bedarf.

Eine sich an den Zeitgeist anbiedernde Partei

Einer Mitte, die mit Gendergaga, Klimaparanoia, Rassismusgewese und „All refugees welcome“ nichts anfangen kann, weil sie links ihre Kinder großziehen und rechts ihre Eltern pflegen muss und zwischendurch noch „Demokratieabgabe“ und nächstens CO2-Steuern zahlt, die umweltsäuische Mitte. Die gerne „mehr Netto vom Brutto“ und eine akzeptable Alters- und Krankenvorsorge hätte. Die bereit ist, selbstständig und eigeninitiativ Geld dafür zurückzulegen, für das sie derzeit keinerlei Zinsen bekommt. Die – um im FDP-Jargon zu bleiben – „Fortkommen durch eigene Leistung“ sucht. Und die so verzweifelt ist, dass sie eine AfD statt einer FDP wählt.    

Ich hatte gehofft, die FDP hätte dies 2017 endlich begriffen und hätte auch endlich genug Rückgrat, um lieber von 80 Prozent der Bevölkerung gehasst zu werden, statt von 96 Prozent ignoriert zu werden. Stattdessen erlebe ich eine sich an den Zeitgeist anbiedernde Partei, die ebenfalls in den „Gendergaga, Klimaparanoia, Rassismusgewese und „All refugees welcome“-Gewässern mit magentafarbenen Gesichtern rudert. Anscheinend in der stillen Hoffnung, von SPD, Grünen und CDU so ein halbes Prozentpünktchen bei den Zweitstimmen abzugreifen. Hat ja schon einmal so super geklappt…

Ministerpräsident Kretschmann sagte einst seinen Grünenden: „Wenn Ihr das so wollt, dann macht das so. Dann seid aber mit 5 Prozent zufrieden.“ Wahrscheinlich habe ich ja tatsächlich von Wahlkämpfen und Politik keine Ahnung – ich habe aber Ahnung von Menschen und weiß, dass sie Mut, Beharrlichkeit und Standhaftigkeit honorieren. Diese Eigenschaften sehe ich in der FDP nicht mehr.

Dann schwimmt eben mit dem Strom. Wie es tote Fische tun. Aber künftig schwimmen Sie ohne mich, auf Leute wie mich sind Sie ja sowieso nicht angewiesen und die wollen Sie ja auch nicht. Ich bin ja auch zu ungeschmeidig und zu sehr Idealist. Ich suche mir einen anderen Zirkus und Sie bitte einen anderen Clown. Am besten einen mit einem Elektroroller und einem Dutt. Ich mache jetzt meinem Leiden ein Ende:

Die Einzugsermächtigung für meine Beiträge erlischt hiermit. 

Ich erkläre meinen sofortigen Austritt aus der FDP, den Liberallinken.

Aschaffenburg, der 15.10.2020

(Weitere Aus- und Nachtritte des Autors auch auf www.politticker.de

Foto: Timo Raab

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netiquette:

Dr. Christian Rapp / 20.10.2020

Das wurde Zeit. Leider findet sich unter den BT Parteien keine wählbare Alternative die dem GG gemäß lediglich an der politischen Willensbildung mitwirkt. Alle wollen an die Macht, was daraus wird, sieht man in Coronazeiten.

Peter Petronius / 20.10.2020

So, wie man als Christ nicht Mitglied in der Evangelischen oder Katholischen Kirche sein kann, nachdem deren Oberhirten im Oktober 2016 auf dem Tempelberg die Grundlage ihres Glaubens verleugnet haben, so kann man als Liberaler und/oder Konservativer nicht Mitglied in der FDP oder AfD sein, denn auch diese beiden Organisationen trampeln mit Hingabe auf dem herum, das sie zu repräsentieren vorgeben.

Karl Neumann / 20.10.2020

Ich kann mich glücklich schätzen. Mir droht kein Austritt aus der Partei, weder mit “Tritt” noch freiwillig. Ich war zeitlebens nie Mitglied eines solchen Debattierclubs. Und ich bin auch nicht unglücklich darüber, dass ich niemals auf einem Wahlzettel meine Stimme für einen solchen Verein abgegeben habe. Ich habe mir stets die mahnenden Worte meines Opas zu Herzen genommen: ” Eet che saat un suup che dick un haul che fott van Poletik. ” Für diejenigen, welche das Plattdeutsch nicht beherrschen : ” Iss dich satt und trink dick und halt dich fern von Politik.” Wie wahr,wie wahr.

Claudius Pappe / 20.10.2020

Tja F.D.P. , schon 148 zustimmende Kommentare zu Herrn Schneiders berechtigtem FDP Austritt. ............fällt euch was auf ? Wenn ihr wolltet, dann könntet ihr mehr als 3% bei der nächsten Wahl erreichen…...............................mal auf den (ehemaligen FDP) Wähler hören…..................................aber ihr wollt ja grün/rot werden

Silvia Orlandi / 20.10.2020

Darf ich Sie trösten? Die anderen Parteien sind auch nicht besser.Meine Prognose für die Wahl 21: Koalition CDU— SPD= wie gehabt. 2. Möglichkeit: CDU— Grüne= das Gleiche in giftgrün. Opposition schielt mal nach links /rechts wie es gerade opportun erscheint.Liberale ( Mittelständler, Freiberufler,Familienbetriebe) entsorgt Corona.

Alexandra Spindler / 20.10.2020

Den Zustand der heutigen FDP hat Loriot vor 40 Jahren schon beschrieben. In einer seiner legendären Sendungen gibt es eine Fernseh-Politrunde. EIn schmalziger Vertreter dieser Partei sagt immer wieder nur diesen Satz: “Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal”. Dem ist heute nichts hinzu zu fügen.

Hjalmar Kreutzer / 20.10.2020

@R. Matzen, gestatten Sie, dass ich widerspreche: Ein Herr Meuthen, der ÖFFENTLICH darüber spekuliert, ob nicht eine SPALTUNG seiner Partei gut wäre, gehörte von Rechts wegen vor das Bundesschiedsgericht und wegen parteischädigenden Verhaltens ausgeschlossen, und seine Getreuen, wie Pazderski und Junge gleich mit. Coole Sprüche klopfen und in Brüssel seinen Versorgungsposten absitzen ist für einen Parteivorsitzenden, wenn derart die Hütte brennt, einfach mangelhaft. Setzen, Sechs!

Joachim Nettelbeck / 20.10.2020

Lol! Ich bin dieses Jahr aus der CSU ausgetreten - vielleicht sollten wir uns zusammentun. Es muss doch einen Markt für eine bürgerliche Partei geben, die diesen ganzen Quatsch nicht mitmacht (einschließlich Corona). Andernfalls muss ich mein Kreuz nächstes Jahr nämlich tatsächlich alternativ vergeben ...

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