Thilo Schneider / 03.10.2018 / 17:00 / Foto: Timo Raab / 8 / Seite ausdrucken

Mein Besuch bei der ökologischen Marktwirtschaft

Neulich, kurz nach dem Spätfrühstück, stellt die beste Gefährtin von allen die Sonntagsfrage: „Was wollen wir heute machen?“ Nun, es ist Sonntag. Der Tag des Herrn. Da darf man gar nichts machen. Man darf Fernsehen schauen, im Bett herumlungern, ich könnte bei „Horizon Zero Dawn“ weiterspielen, eben all das, was man an einem wirklich freien Sonntag ohne jedwede Verpflichtung machen kann. Und dabei könnte man Salzstängelchen essen. Leider werden alle meine Vorschläge in exakt dieser Reihenfolge abgelehnt.

Nach einem kurzen Blick in ihr Handy verkündet die biologisch abbaubarste Lebensgefährtin von allen im freudigen Kindergeburtstagston: „Ich weiß, was wir machen! In der Stadt ist heute Öko-Markt. Da gehen wir hin!“ Nun... Das ist eigentlich gar keine so gute Idee. Ich habe so meine Vorstellungen, was auf Biomärkten passiert, und ich schlage stattdessen das aufregende Erlebnis des Zuschauens von Wandfarbe beim Trocknen vor. Aber es hilft nichts. Einer schönen Frau widerspricht ein Herr im gesetzten Alter nicht. Außer, es ist Sarah Wagenknecht. Wir gehen also auf den Öko-Markt. Zumal der in Laufnähe liegt.

Ich habe ja so halb erwartet und halb befürchtet, schlecht gekleideten Leuten mit Haaren statt Frisuren zu begegnen, aber ich wurde nicht enttäuscht. Die Besucher, die zum Öko-Markt strömen, tragen entweder Klamotten, die nicht einmal ein Third-Hand-Markt annehmen würde, oder sauteure Fahrradfahrerfunktionswäsche. Ein kurzer Blick auf die Anzeigetafel über die freien Stellplätze in der Tiefgarage neben dem Marktplatz verrät mir, dass nur noch fünf Tapfere die Chance haben, einen Parkplatz für den Diesel zu finden. Die anderen 995 Plätze sind aller Wahrscheinlichkeit nach mit E-Autos belegt. Es haben wohl doch ein paar Naturfreunde das Auto dem Fahrrad vorgezogen. Was ich verstehe. Es ist kühl. Und Pelzmantel wird da ja niemand tragen wollen.

Gleich am Anfang steht der Spessartbund und klärt mich auf, dass der Wald ein Lebensraum ist. Nur für den Fall, dass ich dachte, dass da niemand lebt außer Leuten, die Polizisten mit Kot bewerfen. Ein bärtiger Waldschrat steht vor einem Tisch, auf dem eine Petition liegt, einen beforsteten Wald zum Naturschutzgebiet zu erklären. Und irgendwie stelle ich mir vor, wie ich ihm in freier Wildbahn begegne und er mit dem Satz „Wir mögen hier keine Fremden“ eine Schrotflinte durchlädt. Nebenan verkauft sich die neueste Technik für sauberes Wasser: Man klemmt einen Magneten an die Kupferleitung zu Hause und erhält so gesundes, entmagnetisiertes oder magnetisiertes Wasser, das irgendwie, laut Werbung „wie von der Quelle schmeckt“. Was ich sehr erstaunlich finde.

Ein Flüchtling namens Sören

Während ich noch am Grübeln bin, ob ich magnetisches Wasser brauche, patscht mir eine Kinderhand braunen Ton aufs Jacket. Ein Zwerg ist vom nahegelegenen „Kindertöpfern mit echtem Ton“ geflüchtet und versucht, sich mit dreckigen Händen einen Fluchtweg vor seiner Mutter zu bahnen, die mit einem schrillen „Sören, komm sofort zurück“ den Flüchtling verfolgt. Bevor ich Sören mit einem gekonnten Body-Smash zum konsequenten Anhalten zwingen kann, zerrt mich die gefährlichste Gefährtin von allen an einen Stand mit Schmuck. Aus Holz. Sowohl Stand als auch Schmuck.

Es gibt Armreifen aus Holz, Baumringe aus Holz, Anhänger aus Holz, Kulis aus Holz und Amulette aus Holz. Und wäre ich ein Ent – ein Baumriese aus „Herr der Ringe“ – würde ich zuschlagen. Und zwar auf den Verkäufer, der für einen lächerlichen Holzring satte 15 Euro haben will. Bevor sich die holtze Holde auf ein Birkenrindenamulett einschießt, flüchte ich an den Stand gegenüber, an dem es die wohl hässlichsten 100-prozent-biologischen Filzmützen gibt, die die Menschheitsgeschichte kennt. Hätten sie bei der französischen Revolution diese Mützen getragen – in Europa wäre die Monarchie niemals abgeschafft worden.

Der Geruch von Essen steigt mir in die Nase. Nebenan gibt es Bratwürste – aber ach: Aus vegan hergestelltem Tofu. Was immer das sein mag. Die Auslage sieht genauso traurig aus wie das Grillpersonal und die wenigen Kunden, die sich dieses kulinarische Desaster gönnen wollen, und ich frage mich, ob ich stattdessen eine Papierserviette fressen soll... Aber da lauert ja schon das nächste Markthighlight: „Kellermann’s mobile Kelterei“ mit Fallobst und Deppenapostroph. Da riecht es nach Äpfeln und den Geruch werde ich so leicht auch nicht los werden, da ich in der Maische stehe, die sich, aus Achtlosigkeit des Bedienpersonals, aus einem Bottich selbstständig gemacht hat. Immerhin gibt es aber den Bioapfelsaft im praktischen 5-Liter Plastikkanister, und wenn der Kanister in 500 Jahren irgendwo ausgegraben wird, dürfte der Apfelsaft richtig Zunder haben.

Wir wollen weiterschlendern zu den „Schafsfellen aus echter Schafswolle“, als mich ein plötzlicher Schmerz in den Kniekehlen trifft und mich eine junge Mutter mit Tattoos bis zum Hals und Kinderwagen anblafft: „Passen Sie doch auf, wo Sie stehen!“ Bevor ich noch „ich stehe auf Ihrer Seite“ sagen kann, schlägt mir irgendjemand auf den Rücken. „Na, was machst denn Du da?“, will der irgendjemand wissen, und ich habe bis jetzt keine Ahnung, wer das war, aber er drückt mir einen Pappbecher mit offensichtlich frisch gepresstem, warmem Apfelsaft in die Hand, bevor er wieder wie von Geisterhand in der Menge verschwindet. Nachdem es aber keinen Stand mit warmem Apfelsaft gibt, schütte ich das Zeug lieber unauffällig weg. Es gibt zu viele Scherzkekse in diesen Zeiten, und der Farbe nach hat mein Spender in den letzten Stunden zu wenig Flüssigkeit zu sich genommen.

Gut riechende, filterlose Zigaretten

Ich finde die ökobegeisterte Gefährtin am Tresen des „Bierkönigs“, der immer auf jedem Fest ist und dem ich sogar zutraue, auf einer Party der anonymen Alkoholiker sein Jever zu verkaufen. In einem Moment der Unaufmerksamkeit hat sie sich anscheinend von dem grünen Stadtratsabgeordneten Ulrich Esspunkt ein Bier spendieren lassen, und ich tröste mich damit, dass sie sich diesen Verrat mit Geld aus seiner Privatschatulle bezahlen lässt. Ich stelle mich dazu und überlege, ob ich den gut bevölkerten Bienenkorb, der neben „Ulrich dem Guten“ steht, versehentlich umtreten soll, aber ehe ich meinen perfiden Plan in die Tat umsetzen kann, steigt mir ein gar lieblicher Duft in die Nase: An der Bushaltestelle neben dem Markt sitzen vier junge, sichtlich entspannte Männer und rauchen gut riechende, filterlose Zigaretten aus garantiert biologischem Anbau ohne Schadstoffe. Ich nehme an, dass sie dies aus medizinischen Gründen tun, denn den einen jungen Mann kenne ich von letzter Woche, als er in einer Kontrolle meine Fahrzeugpapiere sehen wollte.

Ich schnappe mir meine Gefährtin mit dem Satz: „Komm Schatz, wir wollten doch heute noch Glyphosat trinken“ und schiebe sie unauffällig zu dem Stand mit fair gehandelter Chokolade (ja, mit C! Fair gehandelte Schokolade schreibt sich mit C!). Ich spendiere ihr eine Tafel für unfaire zwei Euro, die ich ihr aus der Plastikverpackung friemele, die sich unter dem fair hergestellten Papier verbirgt. Sie hingegen hat wohl zu viel von dem Zigarettenduft der Bushaltestelle abbekommen, denn sie dreht sich mit einem begeisterten „Ooooh, guck mal...“ zu einem Zelt um, in dem selbst gestrickte Einhörner aus 100 Prozent Schurwolle hängen. „Darf ich so eines haben?“, fragt sie in dem gleichen Ton, der meiner Tochter seinerzeit einen VW eingebracht hat und ich kaufe das wohl hässlichste Strickeinhorn der Stadt. Zu einem Preis, für den ich auch einen VW bekommen hätte. Aber sie ist glücklich und vielleicht auch ein wenig enttäuscht, dass das Strickeinhorn nicht mit Helium gefüllt ist und deswegen nicht fliegt. Und ich, nett wie ich bin, verkneife mir eine Bemerkung über die Schaumstofffüllung.

Wir schlendern vorbei an „Crepes aus glutenfreiem Teig“ mit Nutella-Belag, Weidenkörben aus biologisch abbaubarem Plastik und „Ökowein aus China“ rüber zum Amerikaner aus echt amerikanischem Fastfood. Ich nehme zwei fette Hamburger mit Pommes und einer Cola-Light – die muss sein: Für das gute Gewissen. Ich mag ehrliche Nahrungsmittelindustrieerzeugnisse von Großkonzernen. Und endlich bin ich am richtigen Ort. Wenngleich mir das Bio-Siegel auf den Hamburger-Grilletten doch etwas zum Nachdenken gibt.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

netiquette:

Reinhard Aschenbrenner / 03.10.2018

@Frank Stricker: Ein bisschen Humor muss auch sein. Je größer das Themenspektrum, das alternative Medien bieten, desto kleiner die Notwendigkeit, mehr von anderen zu lesen als unbedingt nötig. Darüber hinaus ist das Thema absolut achsekompatibel.

A. Gerdes / 03.10.2018

Früher hat der Spießer am Sonntag seinen 190er gewaschen und poliert, heute geht er auf nen Biomarkt. Darauf eine Tofu-Wurst und nen Schluck Öko-Wein. Prost!

Erik Meinhardt / 03.10.2018

Brilliant. Sehr gelacht! Genau so ist es im richtigen Leben. Danke!

Wiebke Lenz / 03.10.2018

Wieder einmal: Wunderbar, Herr Schneider! Auch diesen Artikel habe ich bzgl. Treffsicherheit und Wortwahl sehr genossen!

Frank Stricker / 03.10.2018

Kann mir mal jemand erklären was dieser Beitrag hier auf der Achse soll ?  Eine seltsame Mischung aus Stiftung Warentest und ökologischem Zeigefinger.  Typisch Thilo Schneider, “keine Meinung , keine Ahnung, kein Konzept”, um es mal mit Marius-Müller-Westernhagen zu sagen.

K.Anton / 03.10.2018

Ja, so muss der Sonntag sein!

Marc Blenk / 03.10.2018

Lieber Herr Schneider, erst Alfred Tetzlaff (Folge Entedankfest) geschaut und dann noch dies hier gelesen. Ein feiner Nachmittag.

K.H. Münter / 03.10.2018

Köstlich!

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