Till Schneider / 02.01.2014 / 18:16 / 12 / Seite ausdrucken

Mein Abschied von der „Süddeutschen“ (4)

Mein Abo hat sich ausgetröpfelt: Heute lag die letzte SZ im Briefkasten. Silvesterdienstag, 31. Dezember 2013. Ganz ernst jetzt: Es ist Wehmut bei mir aufgekommen. Und weshalb genau? Das habe ich mich gefragt, wobei mir klar war, dass der Grund nicht nur im Wegfall der täglichen Versorgung mit Vertrautem liegen kann, also im Äußerlichen.

Auf das Tieferliegende bin ich dann aber schnell gekommen. Es besteht, kurz gesagt, hierin: Ich habe meinen alten Glauben verloren. Und diesen Verlust wird mir ab dem 2. Januar 2014 das Fehlen der SZ symbolisieren. Ich spüre schon den Phantomschmerz.

Denn früher habe ich ja geglaubt, was in der SZ steht. Will heißen: Ich teilte die Hoffnung des Blattes, auf linksliberal-bessermenschlichem Weg in eine lichte Zukunft gelangen zu können. Und zwar teilte ich diese “Leithoffnung”, wie ich sie nennen will, mit glühendem Herzen. Das ist schon eine ganze Weile her, aber es hat tiefe Spuren hinterlassen, die nachwirken. Glaube und Hoffnung sind immerhin wesentliche Teile von Identität, und diese wechselt man nicht so ohne weiteres – zu sehen an den Vielen, denen es nicht gelingen will. Oder die es halt nicht wollen.

Ich gebe zu: Es ist nicht einfach, einen solchen Glauben zu verlieren. Es schmerzt wirklich, und es verunsichert. Denn was kommt danach? Welcher neue Glaube tritt an die Stelle des alten? Gibt es ihn überhaupt, oder droht der Absturz in Nihilismus?

Indes zeigen gerade diese Fragen, was Organe wie die SZ vermitteln: Sicherheit. Es kann nämlich in der Realität so schlimm kommen, wie es will – der Daily Lama ruft: „Wir sind auf dem richtigen Weg und müssen uns daher von momentanen Trostlosigkeiten nicht entmutigen lassen.” Das schafft vielleicht keine tatsächliche Sicherheit, aber doch ein Gefühl davon. Ich selbst habe zu den Leuten gehört, die das genießen, kann es daher beurteilen und schließe hemmungslos von mir auf alle anderen.

Man sieht die wichtige gesellschaftliche Funktion, die ein Erzähl- (oder Märchen-)Onkel wie die SZ erfüllt: Ohne das Gefühl von Sicherheit im Rücken ginge dem Bürger vieles nicht mehr so leicht von der Hand. Er könnte gar auf die Idee kommen, seine Mitarbeit am Projekt in Frage zu stellen oder zu verweigern. Damit das nicht geschieht, benötigt er täglich (Tageszeitung!) die Botschaft: “Es wird weiterhin alles genau so sicher sein wie bisher – WENN wir nur gemeinsam noch ein bisschen MEHR von x, y und z bereitstellen. Das sollte nicht schwerfallen, da wir doch eine WACHSTUMSGESELLSCHAFT sind, und in einer solchen wächst entweder alles gleichzeitig oder gar nichts. Weshalb sollte da ausgerechnet jenem x, y und z das Wachstum verweigert werden? Völlig unlogisch!”

Eben – das wäre unlogisch, und infolgedessen befriedigt die Botschaft auch das Grundbedürfnis nach Rationalität, beziehungsweise nach rationaler Begründung eigenen Tuns. Auch kann nun in Kauf genommen werden, dass es sich bei der Botschaft um das berühmte „mehr desselben” handelt (kennt jeder: Paul Watzlawick, „Anleitung zum Unglücklichsein”, 1983), denn in diesem unserem Fall steht ja am Ende nicht das Unglück. Sondern die glückliche, da friedliche „Konsenskultur”, wie es SZ-Feuilletonchef Andrian Kreye einmal ausdrückte – in seinem vielleicht umfassendsten normativen Flächenbombardement, einem Leitartikel des Titels „Dünkel und Empörung”, SZ vom 4. Februar 2013, den ich hier öffentlich auseinandernehme. („Flächenbombardement” war nicht nur so dahingesagt. Man lese nach! Hier wackelt tatsächlich die gesamte Republik!)

Aber mir ist das eben alles nicht mehr rational genug. Und es ist mir schon längst „zu viel desselben” – wie Watzlawick es natürlich auch gemeint hat. Das war ja gerade das Erhellende an der „Anleitung zum Unglücklichsein”: Die überzeugende Bloßstellung des Durchhaltegedankens als Garantie dafür, irgendwann mit 300 Sachen ungespitzt in die Betonmauer einzuschlagen. Ob mich die Kündigung meines SZ-Abos davor bewahrt, ist allerdings fraglich. Ein Freund von mir fantasiert schon seit Längerem mit bestürzender Regelmäßigkeit über Auswanderung.

Bleibt mir in meinem Verlustschmerz also nur, noch ein letztes Mal nach Bestätigung zu suchen, weshalb mein Schritt richtig war. Und da finde ich heute einen guten, ja optimalen Kandidaten im Blatt, nämlich einen Kommentar von Roland Preuß zum Thema „Armutszuwanderung nach Deutschland”, Titel: “Hässlicher Stempel”. Ich darf vorab ein wenig feixen: Das ist natürlich das perfekte Thema für die SZ. Man kann auf verblüffende Volten der Integrationsakrobatik gefasst sein, und der Artikel enttäuscht diesbezüglich nicht, wie man sehen wird.

Nein, der Artikel begeistert sogar in einem Maß, dass ich dem Kind einen Namen geben möchte: Der SÜDDEUTSCHE EIERTANZ. Wer will, kann sich noch einen Bindestrich zwischen den Wörtern dazudenken und „Eier-” durch „Veits-” ersetzen, das passt auch. Diese journalistische Form leistet nicht weniger als die Quadratur des Kreises, denn sie präsentiert Gegensätzliches, einander Widersprechendes in so schwindelerregender Weise, dass sich die Gegensätze am Ende aufgehoben finden, wenn auch nur im Bewusstsein des Lesers und für maximal zehn Minuten.

Ausgangspunkt des Preußschen Eiertanzes ist die ins Haus stehende EU-Freizügigkeit für rumänische und bulgarische Staatsangehörige. Und so beginnt der Tanz – ich zitiere ausführlich, sonst bringt das nix: „Man möchte in diesen Tagen dem rumänischen oder bulgarischen Kollegen, wenn es ihn denn gäbe, die Hand geben und ihn nochmals willkommen heißen. Man könnte ihm bei der Gelegenheit sagen, dass man nicht glaubt, er arbeite in Deutschland wegen des Kindergelds, sondern weil er gute Arbeit suchte. Das wäre nur fair. Denn die jetzige Debatte um Armutszuwanderer verstellt den Blick auf diese Menschen, auf das Gute, das ihr Recht auf Freizügigkeit mit sich bringt.”

Wir haben hier also die EDLE GESTE als Opener. Diese legt fest, unter welchen Gesichtspunkten die gesamte Angelegenheit zu interpretieren ist – daher gleich am Anfang. Entscheidend die Wortwahl: „Man” möchte in diesen Tagen – das heißt, „wir alle” möchten (vielleicht ausgenommen den Kommentator, sonst hätte er vermutlich „ich” gesagt); „Kollegen”, „die Hand geben”, „willkommen”, „glauben”, „gut”, „fair”, „Menschen”, „das Gute”, „Recht” offenbart eine restlos freundschaftliche Gesinnung; „wenn es ihn denn gäbe” (den „Kollegen”) drückt ehrliche Vorfreude aus. Welch Letzteres umso großherziger ist, als einfach vorausgesetzt wird: Der Zuziehende verfügt über die Qualifikation, von jetzt auf gleich ins bundesdeutsche Arbeitsleben einzusteigen; Sprachbarrieren spielen dabei sowieso keine Rolle, und um Kindergeld geht es ihm nicht (vielleicht verzichtet er sogar aus Dankbarkeit darauf – wer weiß!).

Schauen wir weiter: „Der EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien 2007 hat die Länder nach Jahrzehnten im Abseits wieder nach Europa geleitet, hat Hunderttausenden seiner Bürger Wohlstand und Hoffnung gegeben. Und deutschen Unternehmen viele neue Kunden und Tausende Fachkräfte beschert. Sie belasten die Sozialsysteme nicht, sie helfen, ihre Zukunft zu sichern. Der Fokus der CSU auf Armutszuwanderer verpasst den Rumänen und Bulgaren dagegen einen hässlichen Stempel.” Abgesehen von der Petitesse, dass es in jenen Ländern „Hunderttausende” waren, die profitiert haben, hingegen den deutschen Unternehmen nur „Tausende” neue Fachkräfte beschert wurden, welche uns allen bei der Zukunftssicherung helfen, ist das korrekt. Und daher ist es unsachlich und ganz schön link, einfach seinen „Fokus” auf Armutszuwanderer zu legen, wie die CSU es tut.

Weiter die SZ: „Man muss dies laut sagen, ehe man über die Probleme spricht. Denn fernab des Getöses über Niedriglöhner und Sozialbetrüger bleibt ein Kern an Schwierigkeiten, welche die Freizügigkeit mit sich bringt.” Aha! Immer zuerst das Gute sagen, und zwar laut – so ist’s recht! Denn nur so wird das Offensichtliche offensichtlich, also die Tatsache, dass es sich bei Problematisierungen der Phänomene „Niedriglöhner” und „Sozialbetrüger” um „Getöse” handelt. (Übrigens: Auch hier wieder das „man”. Man fühlt sich integriert! Und das „muss” – ja, mit Müssen kennen wir uns alternativlos aus.)

Jetzt aber wird’s richtig spannend: Preuß zufolge existiert „fernab” des Getöses dann doch ein „Kern an Schwierigkeiten”. Wie das? „In Städten wie Duisburg, Dortmund oder Berlin-Neukölln sind sie unübersehbar. Scheinselbständige verkaufen sich als Tagelöhner, Roma-Frauen gehen anschaffen, andere versuchen als Bettler oder mit dem Kindergeld durchzukommen. Unter den Einheimischen spüren dies vor allem die ärmeren.” Ach so, stimmt – Einheimische spüren ja manchmal auch was. Dennoch muss ich ab hier meine uneingeschränkte Zustimmung verweigern: Wieso ist das Genannte „fernab” des Getöses anzusiedeln? Verstehe ich nicht. Das Genannte ist doch genau der GEGENSTAND des Getöses, wenn mich nicht alles täuscht! Außerdem ist es auch noch „unübersehbar”, das heißt, allzu selten kann es nicht vorkommen, sonst wär’s ja übersehbar! Herr Preuß, Herr Preuß – jetzt müssen Sie sich schon ein bisschen anstrengen, um Ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren!

Tut er das? Sehen wir zu: „Die Schulen in ihren Stadtvierteln sind überfordert durch viele Zuwandererkinder, Sozialeinrichtungen sind überlaufen. Es hat ein Verdrängungswettbewerb ganz unten eingesetzt – um die Plätze im Obdachlosenheim, um Wohnraum, um den Termin beim medizinischen Notdienst. Der Unmut darüber lässt sich nicht abtun als statistische Ausnahme oder die Fremdenfeindlichkeit von Spießbürgern.” OK, stimmt alles. Aber leider fördert es gerade nicht die Glaubwürdigkeit von Herrn Preuß, denn im Licht dieser Fakten erweist sich die Sache mit dem „Getöse” als – ich setze es extra in Versalien: MERE BULLSHIT. Sorry, Herr Preuß, das müssen Sie sich jetzt schon anhören! Oder wie wollen Sie die Kurve kriegen, damit es vielleicht doch wieder anders aussieht?

So versucht er’s: „Ein Teil der Neuankömmlinge, eine klare Minderheit wohlgemerkt, wird auf Hartz IV angewiesen sein. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass das hiesige Existenzminimum höher ist als zahlreiche reguläre Einkommen auf dem Balkan. Viele Zuwanderer werden chancenlos bleiben auf dem deutschen Arbeitsmarkt, ohne Deutschkenntnisse und Berufsausbildung, manche als Analphabeten. Sie werden auf Unterstützung angewiesen sein, selbst wenn sie arbeiten wollen. Diese Herausforderung lässt sich nicht allein durch 100 neue Integrationskurse oder 1000 zusätzliche Sozialarbeiter lösen.” Herr Preuß, Herr Preuß!! Was ist denn das jetzt auf einmal? „Chancenlos bleiben auf dem deutschen Arbeitsmarkt, ohne Deutschkenntnisse und Berufsausbildung, manche als Analphabeten”? Und das gleich bei „vielen” Zuwanderern, was ja wohl nur heißen kann, dass die anderen vergleichsweise wenige sind? Dabei hatten Sie sich doch schon so auf Ihre neuen „Kollegen” gefreut, die augenblicklich mit der Arbeit anfangen können, gänzlich unbelastet von Fragen der Qualifikation und der Sprachbarrieren! Also, was jetzt? Bleiben wir auf Linie, oder fallen wir ins Getöse mit ein?

An dieser Stelle meiner Intensivlektüre platzte mir leider der Kragen, doch will ich versuchen, auch die restliche Analyse mit der gebotenen Sachlichkeit durchzuziehen. Also: Wir haben in diesem Absatz – wie schon für den ganzen Artikel – eine sog. „beruhigende Eingangsfeststellung à la SZ”. Hier des Inhalts, dass „wohlgemerkt” nur eine „klare Minderheit” der Neuankömmlinge auf Hartz IV angewiesen sein werde. Damit ist erneut gesagt, dass (siehe oben) „weiterhin alles genau so sicher sein wird wie bisher, WENN wir nur gemeinsam ...”; gleich danach aber werden „viele” Zuwanderer chancenlos bleiben auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Und wovon werden die dann leben? Nicht von Hartz IV? Vielleicht dann doch nur von Kindergeld? Oder gar von Kriminalität? Man erfährt es nicht. Wohl aber erfährt man, dass diese „Herausforderung” (neudeutsch für alles von „Riesenproblem” bis „komplett unlösbar”) „nicht allein durch 100 neue Integrationskurse oder 1000 zusätzliche Sozialarbeiter” zu bewältigen ist.

Aha. Und womit ist sie dann zu bewältigen? Wie wäre es mit: „... dem rumänischen oder bulgarischen Kollegen, wenn es ihn denn gäbe, die Hand geben und ihn nochmals willkommen heißen” (doppelt genäht hält besser)? Oder mit: „... ihm sagen, dass man nicht glaubt, er arbeite in Deutschland wegen des Kindergelds, sondern weil er gute Arbeit suchte”? Denn wichtig ist vor allem, dass man das Richtige GLAUBT – wie es ja sowieso auf Glauben ganz zentral ankommt, siehe meine Betrübnis über den Glaubensverlust. Was aber, wenn irgendwann nicht nur „1000 zusätzliche Sozialarbeiter”, also persönliche Integratoren nötig wären, sondern mehr, als es überhaupt „Einheimische” gibt? Gilt dann für die Zuwanderer immer noch: „Sie belasten die Sozialsysteme nicht, sie helfen, ihre Zukunft zu sichern”? Oder gilt das, Hand aufs Herz, vielleicht schon vorher nicht?

Geduld, der Artikel ist noch nicht zu Ende: „EU-Zuwanderer, die von Anfang an Unterstützung nötig haben, wollte die rot-grüne Bundesregierung bewusst vermeiden, als sie 2005 den EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens billigte. Es gab nie eine bedingungslose Freizügigkeit für EU-Bürger. EU-Recht erlaubt den Mitgliedsländern, Arbeitssuchende monatelang staatliche Stütze zu verweigern. Die Zuwanderer sollten dem Land zugute kommen.” Ja, so sah man es damals. Und? War das in Ordnung? Preuß: „Es ist völlig legitim, einen Nutzen für beide Seiten zu fordern – anders als bei politisch Verfolgten, bei denen dies keine Rolle spielen darf. Eine Reihe fragwürdiger Gerichtsurteile beschädigte seither diese Leitplanken der Freizügigkeit. EU-Zuwanderer gelten zum Beispiel schon dann als Arbeitnehmer mit Anrecht auf Hartz IV, wenn sie gut eine Stunde am Tag arbeiten. Solche Vorschriften verschieben das Armutsproblem, statt es zu lösen.”

Oha. Leitplanken der Freizügigkeit! Demnach muss die Freizügigkeit geleitet werden, obwohl sie doch frei ist! Aber: Ja, das muss sie natürlich. Sogar die SZ erkennt dies, und ihr Hinweis auf jene „Reihe fragwürdiger Gerichtsurteile” ist durchaus substantiell. Weshalb sie abschließend empfiehlt: „Gefragt sind nun die Bundesregierung und die EU. Sie müssen die Regeln der Freizügigkeit nicht neu erfinden. Doch sie sollten deren Leitplanken wieder aufrichten. Sie waren die Voraussetzung, um den umstrittenen EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens zu wagen. Klare Regeln und faire Chancen für die Zuwanderer werden das politische Getöse um die Freizügigkeit bald verschwinden lassen.”

Vier Begriffe ragen heraus: „Regeln”, „Voraussetzung”, „umstritten” und „wagen”. Dies in folgender konkreter Verbindung: Der EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens war gewagt und infolgedessen umstritten; Voraussetzung dafür, dass er trotz allem gelingt respektive so wenig wie möglich Schaden anrichtet, wären daher Regeln und deren Einhaltung. Diese Regeln wurden jedoch laut Preuß juristisch unterlaufen, ergo lahmgelegt; anders gesagt: die Voraussetzung für das Wagnis ist nicht mehr gegeben. Stimmt alles – das ist der status quo. Aber was, zum Teufel, käme dabei heraus, wenn man die Regeln – oder von mir aus Leitplanken – „wieder aufrichten” würde? Also das täte, woraus sich für Preuß „faire Chancen für die Zuwanderer” ergeben würden? Fände er es wohl fair, wenn wegen seiner Leitplanken auf einmal viel weniger Zuwanderer eine „faire Chance” erhielten? Und viel weniger neue „Kollegen” an seiner Seite stünden? Ganz nebenbei: Wie sähe es dann mit der Zukunftssicherung Deutschlands aus – durch „Menschen, die die Sozialsysteme nicht belasten”?! Doch wohl ziemlich schlecht! Da müsste einem fast das Getöse lieber sein, oder? Herrgottnochmal, Preuß!! Si tacuisses!

So. Das war jetzt eine komplette Durchkommentierung des SZ-Artikels. Sie erfolgte, wie eingangs gesagt, zum Zweck der Selbsttherapie; wer mehr herauslesen möchte, tut das auf eigene Verantwortung. Der SÜDDEUTSCHE EIERTANZ ist demnach wie folgt zuzubereiten: Man lege edle Gesten, beruhigende Feststellungen usw. in ausreichender Stärke und Zahl vor (Achtung – eine pro Artikel reicht nicht! Repetitio est mater studiorum!), kontrastiere mit der harten Realität und tue dann so, als ließe sich alles locker unter einen Hut bringen. (Hegel! These – Antithese – Synthese! „Deutscher Idealismus”!!!) Schließlich garniere man mit einer sog. beruhigenden Prophezeiung, z.B. „[blabla und blabla] werden das politische Getöse um [blabla] bald verschwinden lassen”, und serviere heiß.

Ich allerdings habe mir an meiner vielleicht letzten Mahlzeit dieser Art gründlich den Gaumen verbrannt. Und nicht bloß das (Achtung, man betritt nun ironiefreies Gebiet): Ich finde dieses verlogene Getue ZUM KOTZEN. Linksliberal-bessermenschliche Träume, frisch geträumt in behaglicher Redaktionsstube, als Einstieg in den Tag? Dankeschön. Da sind mir meine realistischen Albträume lieber. Zur Hölle mit der SZ – die Selbsttherapie hat voll angeschlagen! Wenn Steffen Seibert Regierungssprecher ist, dann ist die SZ mindestens Regierungsschwätzer! Dabei sollte doch eigentlich der Journalismus ... ich lasse Horacio Verbitsky für mich sprechen: „Journalism is publishing what someone doesn’t want us to know. The rest is propaganda.” Genau! Und dazu gibt’s diesmal keine Antithese, verflucht nochmal! Nieder mit dem deutschen Journidealismus!

PS: Wer trotzdem noch Lust auf eine Antithese hat, diesmal eine zur Leitmeinung der SZ, der lese auf achgut das hier (für die Fakten) und das hier (für deren Interpretation). Qualifikation, Sprachbarriere, Hartz IV etc. – kommt alles reichlich darin vor.

+++ Wird vermutlich fortgesetzt +++

Till Schneider, geboren 1960, ist Pianist und Autor. Er studierte Musik, Journalistik und Psychologie.

 

 

 

 

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Leserpost

netiquette:

Paul Mittelsdorf / 02.01.2014

Genau auf diese Weise: Lesen, ärgern, Gegenargumente formulieren (insofern überhaupt Argumente vorhanden waren, auf die man sich beziehen konnte) habe ich während meiner Studienzeit die SZ auf dem Küchentisch durchgearbeitet. Entweder der Tag brach mit Ärger an oder er hörte mit Ärger auf. Die SZ war Indoktrination pur. Ich lernte, daß man zwar schön schreiben, aber sich trotzdem nicht dafür zu schade sein kann, im Namen dessen, was man als erstrebenswert erachtet, wissentlich zu lügen. Danke für diese Erfahrung, SZ, Ihr habt meine Sicht darauf, zu welchen Lügen und Verdrehungen Journalisten selbst in sicheren Zeiten wie heute fähig sind, nachhaltig geprägt. Jetzt ist der Küchentisch wieder voll und ganz in der Hand der Dinge, für die er eigentlich gemacht ist, und das habe ich noch keinen einzigen Moment bereut.

Wolfgang Schmid / 02.01.2014

Gute Güte, Sie sind aber kompliziert… Schmeißen Sie die SZ in den Müll (wo sie hingehört) und hören Sie endlich auf damit zu hadern, dass Sie deren Leitartikel einstmals geglaubt haben. Sie schaffen das! PS. Ich habe mir auf diese Weise auch die SZ, sie ZEIT, den SPIEGEL (das Blatt mit den Hitler-CDs) und GEO abgewöhnt. Obwohl GEO - das war eine andere Geschichte…

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