Jesko Matthes / 07.03.2017 / 06:00 / Foto: Emmanuel Eslava / 3 / Seite ausdrucken

Mehr Wehrmedizin für Zivilisten

Von Jesko Matthes

Mit einem sogenannten Tourniquet kann man akute Blutungen an Armen und Beinen stillen. Früher wurde das sogar im Erste-Hilfe-Kurs unterrichtet: Ein langes Handtuch und ein Stück Holz reichen aus. Man binde das Handtuch um den Arm oder das Bein, oberhalb der Blutung, und „verdrille“ es mit dem Holz, bis die Blutung gedrosselt ist und zum Stillstand kommt - eine lebensrettende Maßnahme, die ursprünglich auf die Wehrmedizin zurückgeht und weiterhin einer ihrer früh einzusetzenden Bestandteile ist.

Aktuell flattert mir eine Fachzeitschrift ins Haus („Chirurgenmagazin / BAO Depesche“,  Zentralorgan des Berufsverbandes niedergelassener Chirurgen, Heft 83, Februar 2017) und auf Seite 5 unter der Rubrik „Nachrichten“ findet sich folgende Meldung:

Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) fordern, Rettungswagen bundesweit mit Tourniquets auszustatten, mit denen sich lebensbedrohliche Blutungen an Armen und Beinen unterbrechen und stoppen lassen – etwa nach Explosions- und Schussverletzungen bei einem Terroranschlag. DGU-Präsident Prof. Ingo Marzi sagte dazu: ‚Wir müssen uns weiterhin gut für den Fall terroristischer Anschläge vorbereiten – daher ist es sinnvoll, die Ausstattung mit Tourniquets für die Schwerverletztenversorgung nachzuholen.‘

DGU-Generalsekretär Prof. Reinhard Hoffmann verwies auf die Erfahrung von Medizinern, die die Opfer der Anschläge von Paris vor Ort versorgten: „Das Tourniquet ist eine einfache Maßnahme, um eine Blutung zu stoppen und somit Leben zu retten. Wir müssen es nur parat haben.“ Während in Frankreich alle Rettungsfahrzeuge mit Tourniquets ausgestattet sind, ist das in Deutschland noch nicht flächendeckend der Fall. Die Unfallchirurgen halten es darüber hinaus für sinnvoll, dass auch öffentliche Plätze mit Tourniquets ausgestattet werden – analog zu Defibrillatoren. So könnte jeder Bürger im Ernstfall bei einer lebensbedrohlichen Blutung schnell handeln.“

Auch ich lerne dazu, zunächst als Arzt. Ich stamme aus Berlin. Von dort aus wird mein Land regiert. Woher also stammen die mir unbekannten Informationen der o.g. Medizinexperten über die dringliche Notwendigkeit von Tourniquets?

Ich lerne dazu, auch als Privatmann. Es beruhigt mich ungemein, wenn ich den uniformierten Mann der Bundespolizei (früher hieß das Bundesgrenzschutz) in der kugelsicheren Weste mit der Maschinenpistole über der Schulter, der eventuell neben dem „Wasserklops“ am Breitscheidplatz steht, in Zukunft fragen kann, wo genau die Boxen mit den 20 – 100 Tourniquets stehen. Sind es etwa die neuen Dinger da, vor der Gedächtniskirche, mit den Kerzen und den Blumen davor? Oder ist das doch das Mahnmal für die Terroropfer des 19. Dezember?

Jesko Matthes ist Arzt und lebt in Deutsch Evern.

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Peter Sticherling / 07.03.2017

DGU-Generalsekretär Prof. Hoffmann meint, dass jeder Bürger im Ernstfall bei einer lebensbedrohlichen Blutung schnell handeln könnte, wenn flächendeckend Tourniquets vorhanden wären. Abgesehen davon , dass nicht gesagt wird, wieviele Tourniquets pro Quadratmeter Fläche bereit gestellt werden sollen, scheint mir die Sache nicht einfach zu sein. Denn im Ernstfall müsste dser Anwender in der Anwendung des Tourniquets geübt sein. Zudem müsste er wissen, dass er nach Anlegen des Tourniquets diesen mit Datum und Zeitangabe zu beschriften hat auf einem auf dem Touniquet anzubringenden Klebestreifen. Sollte kein Klebestreifen zur Hand sein kann der Anwender das korrekte Datum ansonsten auich mit einem Filzstift (den ja jeder stets bei sich trägt) aui die Stirn des Verletzten schreiben. Erforderlich ist dabei die richtige Schreibweise des Datums bzw. der Datum-Zeit-Gruppe (Date Time Group, DTG). Hätte jemand z.B. heute in Deutschland eine um 18:12 durch einen terroristischen Anschlag entstandene blutendende Extremitätenverletzung mit einem in der Nähe befindlichen Tourniquet versorgt, dürfte er nicht einfach 07.03,2017, 18:12 Uhr schreiben. Das wäre falsch und könnte ungewollte Folgen haben. Korrekt müsste er mit Filzstift entweder auf den Klebestreifen oder in Ermangelung desselben auf die Stirn des Opfers (darf man Opfer sagen oder nicht besser Erlebender?) schreiben: 031811Amar17. Ich glaube, dass dies kaum einer weiß und deshalb dürfte es mit der flächendeckenden Bereitstellung von Tourniquets nicht sein Bewenden haben. Es bedarf einer intensiven Schulung der wehrmedizinunkundigen Bevölkerung im Anlegen von Tourniquets und auch im korrekten Datumschreiben. Kaum einer dürfte wissen, dass zuerst zweistellig der Tag, dann die Uhrzeit, darauf die Zeitzone für Deutschland und schließlich die kleingeschriebene englische Abkürzung für den Monat,  gefolgt von der zweistelligen Jahresangabe zu schreiben ist. P.S. Bei der Zeitzonenangabe ist auch noch zu beachten ob es Sommer- oder Winterzeit ist.

Winfried Sautter / 07.03.2017

P.S. Im Fall eines Terroranschlags oder einer vergleichbaren Katastrophe wären die Volks-Defibrillatoren auch keine wirkliche Abhilfe.  Ein allgemein zugänglicher Kasten mit Verbandsmaterial, wie er in jedem Betrieb auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorgehalten werden muß, wäre um Vieles hilfreicher.  Die öffentlich aufgehängten Defis demonstrieren nur die pathetische Nutzlosigkeit hypertropher, fehlgeleiteter Medizin und bescheren den medizintechnischen Firmen einen komfortablen Ertrag.

Winfried Sautter / 07.03.2017

Der Zivil- und Katastrophenschutz ist seit den 1990er Jahren systematisch vernachlässigt, demontiert und finanziell ausgetrocknet worden - damals in der Euphorie “Schwerter zu Pflugscharen”, nachdem der Kalte Krieg glücklich und siegreich beendet war. Die Hilfsorganisationen - Malteser, Johanniter, ArbeiterSamariter und Rotes Kreuz - hatten bis dahin mit finanzieller Unterstützung des Bundes für eine Breitenausbildung der Bevölkerung in Erster Hilfe (diese war keineswegs für Führerscheinbewerber konzipiert, für den “Lappen” reicht der Schmalspurkurs LSM - Lebensrettende Sofortmaßnahmen am Unfallort) gesorgt und mit den Schwesternhelferinnen eine Reserve für Lazarettpersonal aus- und kontinuierlich weitergebildet, deren Ausbildungsstand (inkl. “Spritzenschein”) weit über dem des heutigen Pflegehilfspersonals lag. Perdú. Erinnert sei auch an den sog. Ersatzdienst als Alternative zu Wehr- oder Zivildienst, bei dem man sich auf acht Jahre verpflichtete, die Dienstpflicht studenten- und arbeitnehmerfreundlich zumeist an Wochenenden ableistete, Staat und Gesellschaft sich jedoch eine ausgebildete Reserve für den Not- und Katastrophenfall sicherten. Hier wäre auch noch das Technische Hilfswerk zu nennen, falls nicht nur Tourniquets sondern auch schweres Gerät von Nöten sind. Schließlich sei noch angemerkt, dass die Aussetzung der Wehrpflicht nicht nur in eng gedachter sicherheitspolitischer Hinsicht, sondern auch weiter gefasst im Sinn der wehrhaften Demokratie eine Torheit war: Jeder Soldat erhielt bzw. erhält eine vergleichsweise umfassende Ausbildung in der sog. Selbst- und Kameradenhilfe, die - naheliegend - weit über die Kenntnis der stabilen Seitenlage und die Behandlung von Sonnenbrand hinausgeht. Diese Kompetenzen, in früheren Generationen nolens volens erworben und auch in der Zivilgesellschaft nicht verloren, sind nunmehr kaum noch vorhanden. Was heute Not täte, wäre eine allgemeine Dienstpflicht, in der einige Kenntnisse erlernt und Fähigkeiten eingeübt werden, die im Eventualfall für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Fortbestand des gesellschaftlichen Zusammenhalts notwendig sind.  Diesen Job den Profis zu überlassen, und selbst nur in den Social Media die eigene Betroffenheit zu posten, ist ein Offenbarungseid unserer Gesellschaft, die so gern das “bürgerschaftliche Engagement” beschwört.

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