Viele Politiker bleiben bei der Ukraine-Politik in ihrer Wunsch-Wahrnehmung gefangen. Die beiden Sozialdemokraten Gunter Weißgerber und Robert Hagen, der eine schon ohne und der andere noch mit SPD-Parteibuch, appellieren: Mehr Realismus wagen!
Präsident Donald Trump ordnete nach dem Eklat im Weißen Haus eine Aussetzung sämtlicher Militärhilfe für die Ukraine an und erhöhte damit den Druck auf Wolodymyr Selenskyj, seinem Kurs der Annäherung an Moskau zu folgen. Am 6. März 2025 berichtete die Financial Times darüber hinaus, dass die USA die Kanäle des Austausches von Aufklärungsdaten mit der Ukraine eingefroren haben. Dieser Vorgang ist aktuell wahrscheinlich noch einschneidender als ein Stopp der Lieferung von Waffensystemen. Allerdings kommen vom US-Präsidenten inzwischen wieder Signale, diese Sperren aufzuheben.
Denoch: Setzte sich die Ukraine bisher mit Bravour unter großen Opfern gegen den Eroberungsfeldzug Russlands zur Wehr, so ändert Donald Trumps Anordnung die Situation drastisch. Doch trotz emotionaler Betroffenheit wird nichts mehr helfen als die Betrachtung der Wirklichkeit. Dieser Betrachtung gehen einige einleitende Bemerkungen voraus, die weder den mächtigsten Mann der Welt in Washington noch den Aggressor in Moskau beeinflussen werden. Aber es muss immer wieder gesagt werden.
Unerheblich ist die Diskussion über den Eklat im Oval Office am 28. Februar 2025. Ob der Abbruch des Gesprächs geplant oder ungeplant war: Nichts ändert eine diesbezügliche Erkenntnis an den kommenden Entwicklungen. Der US-Präsident will den Krieg beenden und er wird ihn aus heutiger Sicht sehr wahrscheinlich beenden. Rest-NATO und Europäische Union vermögen die US-Lücke in der Ukraine nicht zu füllen.
Die Ukraine wird sich zwischen einer blutigen Niederlage in den Lagern von Putins Gulag oder der Hoffnung auf einen langanhaltenden Waffenstillstand hinter dem menschlichen Schutzschild der US-Beschäftigten und -Niederlassungen infolge des Mineralabkommens entscheiden müssen. Eine brutale Wahrheit.
„Von fragwürdigen Freunden empfohlen“
Einen anderen US-Präsidenten als Donald Trump gibt es nicht, Donald Trumps Vorgänger Bill Clinton und Barack Obama schufen die Situation durch atomare Entwaffnung der Ukraine, Unterlassene Sicherheit 2008 (NATO-Mitgliedschaft), unterlassene Garantie- und Hilfeleistungen 2014 (Russlands Eroberung der Krim und der Oblaste Luhansk und Donezk) sowie fahrlässiges gewähren lassen von Angela Merkel und Francois Hollande mit den Minsker Abkommen (faktische Aufgabe der Ostukraine und der Krim).
Russlands nächster Überfall auf die Ukraine 2022 geschah während Joe Bidens Amtszeit.
Joe Biden half der Ukraine bis zu seinem Ausscheiden. Es war aber keine Hilfe für einen Sieg. Die Ukraine bekam immer nur die Menge an Waffen, die sie weiterkämpfen ließ.
2022 verpasste Joe Biden die einmalige Chance, der Ukraine so zu helfen, dass sie den Aggressor hätte hinauswerfen können. Im ersten Kriegsjahr wäre Russland schnell zu besiegen gewesen. Joe Biden verhielt sich ähnlich ambivalent Israel gegenüber. Er half dem überfallenen Staat und dessen Todfeinden zugleich.
Die Blase um Joe Biden und Barack Obama ist mitschuldig am Eklat im Oval Office, wie einige Medien berichten: „Chris Murphy und Senator Chuck Schumer rieten Volodymyr Oleksandrovych Zelenskyy zu dessen konfrontativen Verhalten am 28. Februar, rieten ihm bei dem bekanntlich schnell aggressiv auftretenden Donald Trump zu untauglichen Mitteln. Ein Lauf ins offene Messer. Von fragwürdigen Freunden empfohlen.“
Politik beginnt mit dem Erkennen der Realität
Realität 1
Der mächtigste Mann der Welt mit Mehrheiten im Repräsentantenhaus und Senat will den Frieden in der Ukraine erzwingen und die Beziehungen zu Russland normalisieren. Niemand kann ihn umstimmen. Nicht die 31 weiteren NATO-Staaten, nicht die Europäische Union, nicht Barack Obama, Joe Biden und die Demokraten, nicht die internationale Flut der emotional berührenden Bitten und Proteste. Aggressiv formulierte Widerstände dagegen bestärken Donald Trumps Willen zum Handeln nach seinen Einsichten.
Realität 2
Völkerrecht kann nur durchsetzen, wer dazu in der Lage ist. Die Rest-NATO-Staaten und die EU gehören nicht zu diesem illustren Kreis. Volodymyr Oleksandrovych Zelenskyy setzt international zu sehr noch auf warme Worte und Hilfen inzwischen Ohnmächtiger.
Realität 3
Die Rest-NATO-Staaten und die EU werden in Konkurrenz zu den USA die Verlierer sein. Sie verlieren die Schutzmacht und können sich auf lange Zeit nicht selbst atomar, ob mit oder ohne Frankreich und dem Vereinigten Königreich, schützen. Das Macron-Frankreich wird Paris schützen – ob es in gleicher Weise Berlin schützen würde, bleibt zu bezweifeln. Eher wäre dieser Schutz Marine Le Pen nach deren jüngsten Äußerungen zuzutrauen.
Konventionell wehrbereit sind in Europa Norwegen, Schweden, Finnland, Polen, Lettland, Estland, Litauen, Tschechien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Portugal, Irland, Italien, Griechenland.
Deutschland mit seiner abgerüsteten Bundeswehr und den starken Russlandparteien im Bundestag als auch in einigen Länderparlamenten muss als Totalausfall betrachtet werden.
Die Slowakei, Ungarn und wahrscheinlich Rumänien könnten sich freiwillig Russland ergeben. Ebenfalls Totalausfälle.
Realität 4
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten werden den Energiepreiskrieg mit den USA krachend verlieren, wenn sie ihre Transformation/Energiewenden/ Energiebesteuerungen nicht ändern. Ein komplexes Gebäude während einer Existenzkrise von den Füßen auf den Kopf stellen zu wollen, diese abstruse Idee wird nicht nur die Europäische Union zerstören.
Realität 5
Die Rest-NATO-Staaten und die Europäische Union müssen der Trump-Administration als Kaufleute entgegentreten. Jedwede Ideologie und jedweder Versuch der Belehrung werden den Abstand zum bleibend wichtigsten Partner auf dem Globus vergrößern.
Helmut Schmidt würde sagen „Wer mittels Emotionen verhandelt, sollte zum Arzt gehen!“.
Was Putin weiß und der Westen ignoriert
Wladimir Putin kennt das NATO-Statut besser als viele Zeitgenossen außerhalb Russlands. Deshalb marschierte er 2014 in die Ukraine ein. Die NATO kann keinen Staat im Kriegszustand aufnehmen.
Warum weiß das der KGB-Mann in Moskau und wissen es die NATO-Mitgliedschaftsversprecher im Westen nicht? 2005 bejahte Putin noch eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens. 2008 war die Tür dafür das letzte Mal geöffnet. Angela Merkel schlug sie endgültig zu. Wladimir Putin könnte ihr ein Denkmal vor der Lubjanka in Moskau setzen.
Wer der Ukraine die NATO-Mitgliedschaft verspricht, handelt wider besseres Wissen und täuscht die Ukraine. Außerdem bedarf eine Aufnahme aller Stimmen der NATO-Mitgliedsländer. Wo soll diese Einstimmigkeit nach elf Jahren Krieg in der Ukraine unter den zweiunddreißig Staaten herkommen?
Im jetzigen offenen Kriegsfall ist die Aufnahme nicht möglich und in der Tat lassen die offenen Gebietskonflikte nach einem möglichen Friedensschluss in der Ukraine mit Russland immer einen Krieg zwischen den zwei Staaten befürchten.
Die Aussagen von Donald Trump über die Gefahr eines dritten Weltkrieges könnten in den Überlegungen zu amerikanischen Sicherheiten ihren Grund haben. Und sie sind nicht von der Hand zu weisen.
Noch befassen sich viele seriöse Kommentatoren unabhängig von Donald Trumps Denken mit dem Krieg Russlands in der Ukraine. Es ist die Zeit herangekommen, sich auf Donald Trumps Fundament einzulassen. Das Trumpsche Fundament heißt: Wir müssen Russland von China wieder entfernen, da die große Gefahr China und nicht der Rest darstellt.
Will die EU nur Zaungast sein?
Die europäischen Reaktionen scheinen bislang all das nicht zu reflektieren. Emmanuel Macron und Keir Starmer tun so, als könnte man die militärische Unterstützung der USA an die Ukraine ersetzen und damit sei alles gut. Nichts aber ist gut, es bedürfte, wenn man einen Sieg der Ukraine anstrebt, einer Unterstützung, die weit über das, was die Biden-Administration bisher geleistet hat, hinausgeht. Dazu ist die Rest-NATO und sind die EU-Staaten weder willens noch in der Lage.
Ein bisschen erscheinen Macron und Starmer wie getriebene Politiker, die aus der Empörung über Trump neue Statur für ihren inneren politischen Kampf gewinnen wollen. Macron und Starmer führen keine Gruppe von Politikern an, die nach Lösungen aus der fatalen Situation suchen. Diese Lösungen können, so wie die Dinge in Europa liegen, nur im Einklang mit den grundlegenden Ideen Trumps bezüglich China und Russland gestaltet werden.
Es ist auch völlig egal, ob Donald Trump den Oberchinesen oder den Oberrussen mag, aus Sicht der Vereinigten Staaten, die er die nächsten vier Jahre qua Amt verkörpert, wird er die Dinge so regeln, wie er es für richtig hält.
Die Rest-NATO und die EU müssen sich entscheiden, ob sie dabei sein wollen und auf diese Weise noch Einfluss ausüben können oder ob sie als bedeutungsschwache Zaungäste alles auf sich niedergehen lassen müssen. Kein Staat der Welt kann sich nach dem Bruch des „Budapester Memorandums“ noch auf Papier-Garantien von Großmächten einlassen.
Eine nüchterne Feststellung
Es ist an den Europäern, diese wohl unabänderliche Strategie der USA durch ihre Beiträge im Sinne der Ukraine zu stärken. Und die Europäer müssen vor allem ihre Rolle bestimmen, für den Fall, dass Putin auf die Avancen Trumps eingeht. Da wird es dann schwierig oder geradezu delikat, wenn die Europäer eine Aufrüstung gegen Russland durchführen, das zur selben Zeit eine strategische Annäherung an die USA mit Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen vollzieht.
Wenn aber Putin die amerikanische Strategie konterkarieren wird, und dafür hätte er existenzielle Gründe, also seinerseits auf Sieg setzt, dann ergibt sich wieder ein völlig neues sicherheitspolitisches Kapitel. Das hieße nämlich in der globalstrategischen Logik, dass die USA der Ukraine zum Sieg verhelfen müssten.
Man muss kein Prophet sein, um zu konstatieren, dass die europäischen Nationen in einer Zeit schwacher Führung vor den größten Herausforderungen der Neuzeit stehen. Einige dieser Nationen wollen sogar nicht einmal mehr Nation sein.
Es kann dabei nur das Ziel sein, mit und nicht gegen US-Amerika versuchen zu handeln. Wer das, auch wenn man Merz heißt, nicht begreift und glaubt, sollte vielleicht noch einmal Rat bei den baltischen und polnischen Politikern suchen.
Cato der Ältere (243-149 v.u.Z.) schloss seine Parlamentsreden immer mit dem Ruf „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“ ab. Wir machen es ihm auf unsere Weise nach:
Wenn der Plan B der Energiewender mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus Atom- und Kohleenergie und der Absicherung mit russischem Erdgas (Nordstream I II), der Zäsur der Grenzöffnung 2015, der grünwoken Transformation von USA und EU darin bestand, vierzehn Jahre nach dem Seebeben von Fukushima in den USA einen Präsidenten Donald Trump und in Deutschland starke Russlandparteien zu haben, dann ist es der erste Fünfzehnjahrplan linker Sektierer, dem durchschlagender Erfolg beschieden werden kann.
Energiewende und woke Transformation müssen beendet werden, soll der derzeitige westliche Albtraum überwunden werden können!
Gunter Weißgerber
Robert Hagen, SPD München/Arbeitskreis Europa und internationale Politik
Gunter Weißgerber (Jahrgang 1955) trat am 8. Oktober 1989 in das Neue Forum ein und war am 7. November 1989 Gründungsmitglied der Leipziger SDP. Für die SDP/SPD sprach er regelmäßige als Redner der Leipziger Montagsdemonstrationen 1989/90. Er war von 1990 bis 2009 Bundestagsabgeordneter und in dieser Zeit 15 Jahre Vorsitzender der sächsischen Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion (1990 bis 2005). Den Deutschen Bundestag verließ er 2009 aus freier Entscheidung. 2019 trat er aus der SPD aus. Die Gründe dafür erläutert er hier. Er sieht sich, wie schon mal bis 1989, wieder als “Sozialdemokrat ohne Parteibuch”. Weißgerber ist studierter Ingenieur für Tiefbohr-Technologie. Er ist derzeit Unternehmensberater und Publizist.