Michael W. Alberts, Gastautor / 26.10.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 56 / Seite ausdrucken

Mehr Meinungsvielfalt statt Mehrheitswahlrecht

Der Parteienstaat hat die Kontrolle über alles an sich gezogen. Mit dieser Diagnose hat Fabian Nicolay die Debatte eröffnet. Prof. Markus C. Kerber empfahl das Mehrheitswahlrecht. Der Vorschlag klingt gut, doch zur Revitalisierung der Demokratie taugt er nicht.

Der Parteienstaat hat die Kontrolle über alles an sich gezogen und die Gewaltenteilung unterminiert – so die überzeugende Diagnose von Fabian Nicolay. Als vermeintliche Therapie empfiehlt Prof. Kerber, den Bundestag ausschließlich per jeweiliger 50-Prozent-Mehrheit aus den lokalen Wahlkreisen zu besetzen, um die vom Parteifunktionärs-Establishment ausgesuchten Abgeordneten von den Landeslisten zu vermeiden, die ohne rechten Kontakt zum wählenden Bürger und deshalb irgendwie an allem schuld sind.

Der Vorschlag ist vielleicht aus quasi akademischer Sicht interessant – zur Revitalisierung der Demokratie in Deutschland taugt er nicht. Schon deshalb, weil es zu einer solchen fundamentalen Reform nicht kommen wird. Bereits eine ernsthafte Diskussion darüber würde daher unnötig Aufmerksamkeit binden, die anderswo dringender gebraucht wird; sie würde auch diejenigen bürgerlichen Kreise spalten, die gemeinsam für eine Rückkehr zu einer an den Interessen des Volks orientierten Politik kämpfen könnten.

Man kann sich lustig machen über den ziemlich deutschen Gerechtigkeits-Sinn dafür, dass eine Partei mit X Prozent der Wählerstimmen auch genau X Prozent der Sitze im Parlament bekommen muss. (Dazu dienen ja die Landeslisten und die massive Aufblähung des Bundestags durch Ausgleichsmandate.) Dass andererseits eine Partei mit nur 44 Prozent aller Wählerstimmen eine dicke Mehrheit im Parlament erhält, wie bei Mehrheits-Wahlrecht ohne weiteres möglich (UK 2019) – in Deutschland wohl undenkbar, denn die Präferenzen der Wähler werden damit stark verzerrt und große Teile der Bevölkerung fühlen sich nicht angemessen repräsentiert.

Die trotz „gerechtem“ Verhältniswahlrecht gewachsene Kluft zwischen Volk und Bundestag als repräsentativem Verfassungsorgan ist freilich nur ein Teil des Problems: Zusätzlich wächst die Kluft zwischen nationalem Parlament und tatsächlicher politischer „Gestaltung“ des Gemeinwesens insgesamt, denn: Deutschland ist längst kein wirklich souveräner Staat mehr, weil weitreichende Befugnisse nach Brüssel abgegeben worden sind – zugunsten einer keinem einzigen Wähler zwischen Polen und Portugal verantwortlichen monströsen Technokratie, die sich anmaßt, demokratisch legitimierte nationale Regierungen wie ungezogene Schulbuben zu behandeln.

Internationale Politik ohne demokratische Basis

Was nutzt also die theoretische Bürgernähe eines im Wahlkreis bewährten echten Volksvertreters in einem Bundestag, der immer weniger zu beschließen hat, weil die EU-Kommission, gelenkt von Lobbykreisen und Hinterzimmer-Diplomaten, kaum noch einen Lebensbereich auslässt in ihrem totalitären Weltrettungswahn. Beim Europäischen Parlament handelt es sich nur um eine teure Spielwiese, deren konkreter Einfluss sehr begrenzt ist: Die Strippen werden durch die Brüsseler Nomenklatura gezogen, entschieden wird per Kungelei durch einige Regierungs-Chefs.

Wenn eine Regierung ausnahmsweise doch die Bürger fragt – so wie die irische 2008 anlässlich der EU-Reformen – und die Bürger sagen Nein, dann ändert das nichts: es wird einfach so oft abgestimmt, bis es passt. Der europäische Gruppenzwang ist allemal stärker. Schließlich kann es ja nicht sein, dass wegen 100.000 Iren, die nicht hinreichend von Brüssel überzeugt sind, der ganze schöne Kontinent nicht vorankommt!

Weitere fundamentale Vorfestlegungen, an denen nationale Parlamente so gut wie nichts mitzureden haben, werden auf globaler Ebene, etwa im Rahmen von UN-Konferenzen getroffen. Das ist dann hinterher angeblich „völkerrechtlich“ (eigentlich: „Regierungs-rechtlich“?) verbindlich und gilt als sakrosankt – die deutschen Wähler hat aber niemand gefragt, bevor im Namen Deutschlands das absurde „1,5-Grad-Ziel“ von Paris für das Weltklima akzeptiert wurde, oder großzügige Absichtserklärungen pro Massenmigration.

Immerhin gibt es noch wichtige Bereiche, in denen die nationale Politik einiges zu sagen hat. Also würde sich wenigstens dafür eine Wahlrechtsreform lohnen? Das zentrale Argument für das Modell „Mehrheit je Wahlkreis / keine Landeslisten“ ist die Vorstellung, ein echter Volksvertreter, der spätestens im zweiten Wahlgang mindestens die Hälfte der Wähler hinter sich hat, sei nicht so von seiner Partei abhängig, sondern sehr viel stärker von seiner Popularität bei den örtlichen Mitbürgern. Soweit die Theorie – die man zum Glück an der Praxis anderer Länder prüfen kann!

Das Establishment gewinnt immer

Länder mit einem solchen Wahlrecht neigen zu einem Zweiparteien-System; jedenfalls gilt das für Amerika. Dort werden die nationalen Abgeordneten zum Repräsentantenhaus und zum Senat per Mehrheit der örtlichen Wähler bestimmt, darüber hinaus können die Wähler sogar schon vorher bei den „Primaries“ entscheiden, welche Person die (eigene) Partei überhaupt zur endgültigen Wahl aufstellt. Mehr Einfluss der Bürger auf die Besetzung des Parlaments ist kaum vorstellbar – die Unabhängigkeit der Abgeordneten von ihren Parteiführungen müsste also riesengroß sein. Die Realität ist eine andere:

Die beiden großen US-Parteien haben – natürlich – ebenfalls ihre Establishments, die mehr hinter als vor den Kulissen die Strippen ziehen und auch die Auswahl der Kandidaten stark beeinflussen. Und nach der Wahl? Die „Demokraten“ haben im bisherigen Repräsentantenhaus zwar nur vier Stimmen mehr als die Hälfte, werden aber von ihrer Anführerin Pelosi und deren Entourage knallhart unter Kontrolle gehalten – auch weil die Führung auf reich gefüllten Wahlkampf-Töpfen sitzt, über deren Verteilung an örtliche Kandidaten sie nach eigenen Vorlieben entscheidet. Im Ergebnis ist die sehr knappe Mehrheit kaum durch „Abweichler“ gefährdet.

Ähnlich im Senat, wo gegenwärtig zwischen den beiden Parteien ein Patt herrscht, mit jeweils 50 Senatoren. Auf der Seite der „Demokraten“ gibt es in dieser Situation, wo es wirklich auf jede einzelne Person ankommt, nur ein bis zwei Senatsmitglieder, die nicht sofort alles abnicken: Joe Manchin und Kyrsten Sinema. Gerade Manchin hat guten Grund zu einem Anschein von Überparteilichkeit, denn er kommt mit West Virginia aus einem Staat, den Donald Trump mit Riesenvorsprung gewonnen hat.

Und doch ist der Senator vor kurzem an entscheidender Stelle nach einigem theatralischem Zögern umgefallen, hat sich von seinen Anführern ködern (kaufen) lassen mit Gefälligkeits-Zusagen für West Virginia, die wohl nicht einmal eingehalten werden. Am Ende entscheidet also selbst unter den Umständen eines ausgeprägten Mehrheits-Wahlsystems mit „starken“ Wahlkreisvertretern die Partei, wenn es darauf ankommt. Hätte eine Partei eine klare Mehrheit im Senat, etwa mit 56 gegen 44, könnten sich natürlich ein paar mehr Mitglieder ein „eigenes Profil“ erlauben, aber das würde dann bei der Gesetzgebung wiederum folgenlos bleiben, vermeintliche „Bürgernähe“ hin oder her.

Dass es nur zwei Parteien gibt, führt außerdem dazu, dass in vielen Regionen des Landes, die einigermaßen deutlich nach links oder rechts neigen, eine Partei sich über Jahrzehnte hinaus als praktisch unangefochtene politische Kraft festsetzen und sich das ganze Gemeinwesen in denkbar korruptester Art zu eigen machen kann, einschließlich des Justizapparats. In großen Metropolen wie New York, Chicago, Los Angeles und vielen weiteren Ballungszentren haben die „Demokraten“ aufgrund der demographischen Situation (z.B. Anteile der „schwarzen“ Bevölkerung sowie des „urbanen“ akademischen Milieus) kaum eine „Abwahl“ zu fürchten und damit praktisch freie Hand.

Starke Wahlkreisvertreter – nur Wunschdenken

In Deutschland hat es aufgrund der größeren Anzahl von Parteien über die Jahre immerhin gewisse Verschiebungen gegeben, in vielen Großstädten von der SPD zu den Grünen, teils auch zur CDU. Zumindest im Grundsatz kann man hoffen, dass eine wirksame Konkurrenz der Parteien dazu beiträgt, dass allzu üble Machenschaften im kommunalen Filz auffliegen könnten und mehr Transparenz möglich ist. Keine Garantie gegen Machtmissbrauch und Korruption, aber doch ein potenzielles Gegenmittel.

Zurück auf die nationale Ebene: Zum Beispiel 2017 sind nur 15 von 200 CDU-Abgeordneten über Landeslisten in den Bundestag gekommen, mehr als 9 von 10 MdB der langjährigen Kanzlerpartei sind also als Wahlkreis-Gewinner ins Parlament eingezogen und hätten die Chance gehabt, nur und ausschließlich ihrem Gewissen zu folgen. Und? War die CDU-Fraktion ein Hühnerhaufen aus potenziellen Abweichlern? Offensichtlich nicht. Das Gleiche gilt für den 2017er Landtag von Nordrhein-Westfalen mit ausschließlich (!) direkt gewählten Unions-Abgeordneten. Die schwarzgelbe Koalition hatte nur eine hauchdünne Mehrheit, die allem Anschein nach nie gefährdet war.

Der starke Lokalmatador, der auf nationaler Ebene mutig den Mächtigen entgegentritt, ist offenbar reine Fiktion. Ein Politiker mit Ehrgeiz will nicht im Wahlkreis berühmt sein, sondern bundesweit. Er will Einfluss erlangen – der vom Establishment zugeteilt wird, bei Wohlverhalten. Merkel hat mit ihrer Machtfülle letztlich jeden Widerspruch in ihrer Partei auszumerzen gewusst – die vielen theoretisch unabhängigen Abgeordneten mit starken Wahlkreis-Mehrheiten haben nicht aufgemuckt. Sie hat sogar eiskalt verfügt, dass in Thüringen eine völlig korrekte Ministerpräsidentenwahl rückgängig gemacht wurde.

Selbst wenn der Bundestag „nur“ aus etwa 400 Abgeordneten bestünde, allesamt starke Individuen direkt aus dem Wahlkreis: Wie soll daraus in Berlin konkrete Politik werden? Ohne Bündelung durch Parteien und Fraktionen wäre das Geschäft gar nicht organisierbar. Es bedarf auch der Spezialisierung: Wenn Abgeordnete die Regierung kontrollieren sollen, gerade aus der Opposition, muss jemand von Partei X im Themenfeld Y kompetent sein und kluge Fragen stellen; der Wahlkreis ist dabei weitgehend irrelevant, auch wenn ein MdB aus Südschwaben vermutlich nicht die Zuständigkeit für das Fischereiwesen anstreben wird.

Die organisatorische Bündelung politischer Denkrichtungen durch Parteien ist insofern kaum vermeidbar. Das eigentliche Problem liegt darin, dass Pluralismus und echter Wettbewerb weitgehend abhanden gekommen sind und der „Zeitgeist“, maßgeblich definiert durch Medien und aktivistische „Eliten“ (überhöht als „Zivilgesellschaft“), eine freie Debatte gar nicht mehr zulässt: Wer abweicht vom Zentralnarrativ, ist mindestens „unsolidarisch“ und im Zweifel ein Nazi, wie in der Pandemie durchexerziert. Kein Wunder, dass sich viele an die „Blockflöten“ in der DDR-Volkskammer erinnert fühlen, die eine Vielfalt von Weltanschauungen und „echte Demokratie“ vorgaukeln sollten.

Das deutsche Polit-Oligopol

Gegen den offiziellen alternativlosen „Groupthink“ bräuchten unzufriedene Bürger eine faire Chance, durch Gründung einer neuen Partei das Korsett zu sprengen (wie in Italien und Schweden erfolgreich vorgeführt). Aber dagegen steht in Deutschland die Fünf-Prozent-Hürde – deren dauerhafte Überwindung durch die AfD fast ein Wunder ist und wozu es schon eines Bündels grotesk bürgerfeindlicher Beschlüsse der Bundesregierung bedurfte, die so demonstrativ gegen die nationalen Interessen gerichtet waren, dass damit eine Protestpartei beinahe absichtlich provoziert worden zu sein scheint – quasi zur Abschreckung, als „rechtes“ Gespenst.

Aus ökonomisch-ordnungspolitischer Perspektive ist die deutsche Politiklandschaft ein Quasi-Oligopol, das den Markteintritt für potenzielle Wettbewerber unfair erschwert, womit das System innovationsfeindlich und korrekturresistent wird, zum klaren Nachteil der „Verbraucher“. Gäbe es ein politisches Bundeskartellamt zur Sicherstellung ausreichenden freien Wettbewerbs der Meinungen, müsste es längst einschreiten. Stattdessen setzt der Staatsapparat auf Zensur und betreutes Denken.

Kleinstgruppierungen aus dem Bundestag herauszuhalten, ist angeblich den Erfahrungen der Weimarer Republik geschuldet: Stabilität vor Meinungsvielfalt. Je mehr Parteien gebraucht werden, um eine Mehrheit im Parlament zu erreichen, desto schlechter… aber stimmt das überhaupt? Immerhin zeigt das Beispiel Israel, dass auch unter solchen Voraussetzungen erfolgreich regiert werden kann, in einem Land, das über Jahrzehnte mit existenziellen Herausforderungen in einem feindseligen Umfeld zu kämpfen hatte.

Unsere Nachbarn in den Niederlanden haben 2021 sagenhafte 17 Parteien in ihr Parlament gewählt. Ist Holland in Not wegen chaotischer Unregierbarkeit? Nein, der „liberale“ Ministerpräsident Rutte ist stark genug, seinem Land umstrittene Maßnahmen aufzuzwingen (bis zur partiellen Zerstörung der Landwirtschaft, Masseneinwanderung). Die stramme Gefolgschaft zu den Zielen der WEF-Globalisten ist dabei keine Folge der zersplitterten Parteienlandschaft, denn eine ähnliche Politik („Net Zero“, massive Covid-Lockdowns) wird auch in London betrieben, unter klassischem Mehrheitswahlrecht.

Dieses System hat Boris Johnson eine massive Parlamentsmehrheit für seine „Tories“ beschert – durch inkonsequente Politik und Intrigen seiner partei-internen Gegner hat er trotzdem das Amt verloren. Das zeigt: Nicht mal durch ein Mehrheitswahlrecht kann man die „Stabilität“ einer Regierung garantieren. Es kommt vielmehr stark auf die öffentliche Debatte an, auch auf einflussreiche Kreise hinter den Kulissen, sowie offensichtlich immer noch auf das konkrete Verhalten einzelner Personen.

Pluralismus durch neue Kräfte

Wer in Deutschland plötzlich ein Mehrheitswahlrecht installieren will, betreibt im Ergebnis eine weitere Verengung des Meinungsspektrums – wo offensichtlich das Gegenteil dringend notwendig wäre. Auch wenn die Politik angeblich „schön bunt“ geworden ist und gewisse Abgeordnete penetrant ihre „Diversität“ zelebrieren: Das narzisstische Panoptikum praktiziert eine bürger- und freiheitsfeindliche Politik mit dem Zeitgeist. Die Demokratie ist gefährdet, nicht wegen der Existenz von Parteien, sondern weil die technokratischen Eliten die offene Debatte zu anstrengend finden und den Bürger zu einem gehorsamen Büttel ihrer größenwahnsinnigen Phantasien machen: brav maskiert und „geimpft“, elektronisch dauer-überwacht und zensiert, gnadenhalber alimentiert.

Diesen ideologischen Extremismus kann man zwar in Deutschland am Erstarken der Grünen festmachen, aber die Vorstellung, das Abgleiten in extreme Positionen liege an zu vielen Parteien, ist trotzdem leicht erkennbar Unfug: Die mächtigen Eliten in den USA treiben die bedeutendste Demokratie der Welt in die gleiche lebensgefährliche, menschenfeindliche Ideologie: Klimawahn, „Impf“-Fanatismus, weit offene Grenzen, inflationäre Gelddruckerei – ganz ohne zusätzliche grüne Partei. Auch Zweiparteien-System und Mehrheitswahlrecht sind eindeutig keine Garantie für bürgerfreundliche Bodenhaftung; dort genauso wie hier agieren die Mächtigen mit maßloser Arroganz und politischer Brechstange.

Der Kampf der bürgerlichen Individuen gegen den übermächtigen Staat ist nicht zu gewinnen durch angebliche „Bürgernähe“ von Wahlkreis-Matadoren. Freiheit und Selbstbestimmung können nur durch neue politische Kräfte im öffentlichen Meinungskampf zurückgewonnen werden; wir brauchen endlich wieder echte pluralistische Debatten mit wirklich unterscheidbaren Strömungen. Die fünf etablierten Parteien von ganz links (SED, Grüne) bis mittelinks (Union) füllen nur ein halbes Spektrum; die eine andere Partei ist erfolgreich tabuisiert und nölt (verständlicherweise) meist beleidigt vom Katzentisch.

Die Fünf-Prozent-Hürde muss weg…

…um neuen Parteien eine faire Chance zu geben. Vielleicht mit einer anderen Art von Spitzenkandidaten, die in den etablierten Parteien keinen Platz hätten. Schlimmer kann es kaum werden, sieht man sich das aktuelle Personal an. Vielleicht zieht ein Dieter Bohlen mit Freunden in den Bundestag ein – das wäre kein Unglück, sondern eine Bereicherung. Mehr echte Alternativen könnten auch mehr Bürger aus der Lethargie holen – während ein Mehrheitswahlrecht die Stimmen vieler Bürger fast irrelevant werden lässt, weil in ihrem Wahlkreis eine Partei klar dominiert und die eigene Teilnahme damit ziemlich witzlos wird.

Nur mit mehr aktiven Bürgern hat Demokratie – als nationale Selbstbestimmung – noch eine Chance gegen die global-technokratische Machtergreifung. Letzterer spielt die gegenwärtige Koalition schwungvoll in die Hände; auch eine unter Mitwirkung des gegenwärtigen „Oppositionsführers“ würde die bewusste, zutiefst demokratie- und bürgerfeindliche Selbstaufgabe Deutschlands nur mit minimal anderer Geschmacksnote fortsetzen.

Den AfD-Anhängern muss gesagt werden: auch auf der bürgerlich-konservativen Seite (rechts von Blackrock-Gender-Klima-Merz) ist Platz und Bedarf für mehr als eine Partei – diese Seite des Spektrums würde mit einer zusätzlichen Kraft nicht „gespalten“, sondern gestärkt. Im übrigen gilt: Über die Abschaffung der vollkommen überflüssig gewordenen Fünf-Prozent-Hürde zu debattieren, lohnt sich auf jeden Fall – schon um die herrschenden Parteien zu entlarven, die sich aus lauter Angst vor potenzieller Konkurrenz und Kontrollverlust feige hinter der Hürde verstecken.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Ralf Pöhling / 26.10.2022

Das Problem ist nicht das Wahlrecht, sondern die geografische Ausdehnung der Demokratie und die damit einhergehende Destillation von Personal nach oben. Das Problem ist die Zentralisierung von Macht einiger weniger auf eine immer größer werdende Gruppe von Regierten. Je weniger Menschen die Macht über ein immer größer werdendes Volk von Wählern haben, desto weniger Menschen müssen gekauft, unter Druck gesetzt oder manipuliert werden, um die Demokratie zu umgehen. Demokratie funktioniert nur stabil im Kleinen, wo jeder jeden kennt und die Entscheidungen des gewählten Volksvertreters für jeden lokal nachvollziehbar sind. Dabei gilt: Je mehr Volksvertreter auf das Wahlvolk kommen, desto schwieriger wird es, diese Volksvertreter alle zu schmieren oder zu nötigen, damit diese Entscheidungen treffen, die nicht im Interesse des Wahlvolkes, sondern im Interesse einiger weniger Lobbygruppen sind. Zentralismus ist unglaublich vulnerabel und einfach auszuhebeln. Ich brauche bei einer zentral gesteuerten Maschine nur die Zentrale ausschalten oder manipulieren und sie ist stillgelegt oder tut etwas anderes, als man von ihr erwartet. Wenn ich den Busfahrer eines vollbesetzten Busses schmiere oder nötige, dann fährt der Bus nicht dorthin, wohin die Fahrgäste es erwarten, sondern wohin man den Busfahrer genötigt oder geschmiert hat. Wenn alle Fahrgäste in ihrem eigenen Auto zu ihrem eigenen Ziel fahren, werden sie meist dort auch wirklich ankommen. Der Parlamentarismus ist quasi der Bus unter den demokratischen Systemen. Und je größer dieser Bus ist und je mehr Passagiere mitfahren, desto einfacher kann man diese am falschen Ort abliefern. Oder die Klippe hinabstürzen lassen. Man muss dafür nur den Busfahrer manipulieren. Die Basisdemokratie versorgt jeden einzelnen hingegen mit einem eigenen Auto. Und jeden einzelnen Autofahrer dazu zu manipulieren, sich selbst am falschen Ort abzusetzen oder die Klippe hinabzustürzen, ist eben unmöglich.

Dr Stefan Lehnhoff / 26.10.2022

Ja, die 5% Hürde ist falsch. Parteien sind auch falsch. Und alle Wahlsysteme auch. Aber das grundsätzliche Problem ist damit noch lange nicht beschrieben- und das wird auch immer (auffällig, oder?) mit einem Schulterzucken nicht begonnen: Die Demokratie ist die schlechteste Regierungsform außer alle anderen. Mehr kommt nie. Das ist leider viel zu wenig- und im 21. Jahrhundert extrem viel zu wenig. Macht müsste komplett anders organisiert werden- das zu erklären reicht aber kein Essay oder gar ein Forumsbeitrag, da braucht Edwin ganzes Buch- vielleicht schreibe ich es ja. Den Inhalt wüsste ich, aber für wen soll ich mir die Arbeit machen?

Fred Kasulzke / 26.10.2022

Zu dem Thema empfehle ich: Sebastian Haffner - Überlegungen eines Wechselwählers.

j. heini / 26.10.2022

Ich denke, der Staat wurde nicht eingehegt. Er hat trotz Aufsicht durch das BVerfGE zu viele Themen an sich gezogen, die er nicht hätte an sich ziehen dürfen. Regel wurde auf Regel getürmt. Das rächt sich jetzt. Außerdem hat das BVerfGE dafür gesorgt, dass Artikel aufgenommen oder geändert werden durften, die dem eigentlichen Zweck Schutz des Bürgers vor dem Staat nicht dienen. Oder nur noch indirekt, indem sie dem Staat die Macht geben, Unterwerfung unter staatliche Massnahmen fordern für ein höheres wie z. B. das Klima. Fazit: Die Aufsicht über den Staat funktioniert genauso wenig, wie die Aufsicht über den ÖRR. Im übrigen wird die Werbetrommel für alles geschlagen, nur nicht für ein tiefes Verständnis für unsere Demokratie mit ihrer sozialen Marktwirtschaft. Im Bildungssystem ist echtes Demokratieverständnis eine Wüste.  

Michael Schröder / 26.10.2022

So lange die allermeisten Bürger unterwürfige, staatsgläubige “Untertanen” sind, statt frei denkende Menschen sind, wird sich in diesem Land nichts ändern, schade…

Holger Busekros / 26.10.2022

Das Problem ist die Gewaltenteilung. Den Parteien und Politikern die Legislative, Gesetze machen. Der Rest muss unabhängig von den Partteien sein. Die Exekutive ohne Beteiligung der Parteien, im Gegenteil sollten die Führungspersonen zwingend ohne Parteibuch sein, unabhängig welche Partei bei der letzten Wahl den Wahlkreis gewonnen hat. Bürgermeister werden unabhängig vom Volk gewählt, dort kann man das Mehrheitswahlrecht ohne Einfluss der Parteien schon umsetzen. Und bei der Judikative noch extremer. Richter mit Parteibuch sind nicht mehr erlaubt. Und diese werden auch nicht mehr durch die Legislative ernannt, sondern durch unabhängige Gremien, wieder ohne Einfluss der Politik. Bei hohen Ämtern wie z.B. das BVG durch Direktwahl vom Volk. Sollte ein Einfluss der Politik erkennbar sein/werden ist die Nominierung hinfällig.

M. Posselt / 26.10.2022

In dem Beitrag fehlt eindeutig der Hinweis auf die direkte Demokratie über bundesweite Volksentscheide, wie in der Schweiz. Das ist ein starkes Korrektiv für die Parlamentarier und die Regierung. Der Wähler hat dann nicht nur aller 4 Jahre was zu sagen. Weiterhin bin ich eher für das Mehrheitswahlrecht, weil in diesem Fall die Abgeordneten direkt dem Bürger aus dem Wahlkreis gegenüber stehen, jedoch ist auch hier, wie im Artikel geschildert, der Einfluss des Parteiestablishments nicht zu vernachlässigen. An der 5% Hürde würde ich nicht rütteln. Wenn diese fällt, können alle möglichen Spinner (siehe Die Partei) ins Parlament einziehen und womöglich die grünrote Einheitspartei verstärken.

Frank Kutschke / 26.10.2022

Die Fünfprozenthürde muss weg, damit das Volk auch herrscht. Also passiert was? Wir kriegen die jetzt auch bei Europawahlen und der Bundestag wird bald nur noch alle 5 Jahre gewählt (was bisher nur wenige Medien aufgegriffen haben). Die Demokratie schafft sich ab. Weg muss aber trotzdem auch die starre Klüngelliste. Das Volk hat seine Vertretung zu 100% zu bestimmen. Entweder durch panaschieren, kumulieren etc. oder indirekt wie in BW. Da sind die Grünen immerhin schon rechter als die Bundes-CDU, weil die Abgeordneten durch Wählerstimmen in der Listenfolge aufsteigen und der linksextremste Mist zumindest teilweise verhindert werden kann.

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