Hans-Hermann Tiedje, Gastautor / 07.11.2021 / 10:00 / Foto: Imago / 45 / Seite ausdrucken

Mehr Kimmichs braucht Die Welt

Hexenverfolgung sei verboten, dachte ich. Die letzte Hexe, Helen Duncan, wurde bekanntlich 1944 von Winston Churchill gerettet. Sie hatte dann noch zwölf gute Jahre zu leben. Ihr Fehlverhalten: Sie beschwor Geister und sagte wahr. Seither finden Hexenjagden nicht mehr statt. 

Dazu folgende Richtigstellung: 

Hexenjagden finden heutzutage täglich statt, vor allem in Medien und vorrangig im Netz. Man nennt sie nur nicht mehr so. Womit wir bei Joshua Kimmich (26) wären, Fußballspieler. Er ließ sich nicht impfen und soll sich dafür schämen. Der Fall beweist: Vom Sympathikus zum Porcus ist es in Deutschland nur ein kurzer Weg.

Rund um die Uhr wird Kimmich beschimpft. Sein Fehler: Er hat seine Meinung gesagt. Er hat nicht als Mediziner gesprochen oder Virologe, er hat nicht etwa zur Impfverweigerung aufgerufen, nein, er hat nur gesagt, was er denkt. Seither steht er am öffentlichen Pranger. Ich finde das zum Kotzen. 

Der guten Klarheit halber: Ich halte Kimmichs Auffassung für falsch. Ich bin fürs Impfen. Aber seit wann sind Auffassungen verboten? Und was sind das für Typen, die sich da öffentlich empören? Biedermänner oder Biederfrauen? Garantiert sind viele von ihnen Heiratsschwindler, Falschparker, Hundequäler, Frauenschläger, Schwarzfahrer oder Blockwarttypen.

Unwillkürlich denkt man an Hannes Jaenicke, den Schauspieler, der sich in der Rolle des Weltenretters gefällt. Wenn er die Welt rettet, schalte ich ab, er ist ja nur ein Darsteller, mit Hut oder ohne Hut. 

Joshua Kimmich aber will gar nicht die Welt retten, er hat eigentlich nur laut gedacht. Für Gedanken- und Meinungsfreiheit kämpfte schon Schiller. Mehr Kimmichs braucht die Welt. Und weniger Haushaltsnazis, die ihre Freizeit im Netz verbringen.

Zuerst erschienen im Euro am Sonntag

Foto: Imago

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Leserpost

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Dietmar Richard Wagner / 07.11.2021

Ein grammatikalisches Späßchen zu Beginn: “Hexenjagd” gibt es nicht mehr, wohl aber “Hexerjagd” im Kontext des Artikels. - - Jeder sollte seine Meinung sagen dürfen, und eine Begründung dafür, da stimme ich dem Autor zu. Auch eine Meinung zur Meinung ist erlaubt und notwendig, wie der Autor als Corona-Impfbefürworter zeigt. - - Wichtig ist, dass beides unaufgeregt, in gegenseitigem Respekt geschieht. In neugieriger Toleranz, die zum Austausch von Argumenten führt, und nicht zum flegelhaften (ein- oder gegenseitigen) Beleidigen oder Ausgrenzen. Insofern braucht “die Welt” nicht nur mehr “Kimmichs”, sondern mehr toleranten, pluralistischen Gedankenaustausch statt nachgeplapperten, totalitären Gratismut.

Hartmut Runge / 07.11.2021

Sehr geehrter Herr Tiedje, es ist gut, dass Sie Joshua Kimmich und die Meinungsfreiheit verteidigen, aber Sie haben nicht zu beurteilen, ob Kimmichs Auffassung richtig oder falsch ist. Hier fängt die Übergriffigkeit schon an. Sie können für sich entscheiden, sich impfen zu lassen und das ist dann für Sie ok. Sie können auch sagen, dass Sie die Auffassung von Joshua Kimmich für sich nicht nachvollziehen können. Aber sie falsch zu nennen würde bedeuten, dass Sie besser wissen, was für den Fussballspieler richtig wäre und das ist übergriffig. Ansonsten danke für den Beitrag.

Werner Arning / 07.11.2021

Das ist der neue Sport in Deutschland: Alle „Was erlauben Kiiiiiiimmich“ zu beschimpfen. Jede Woche kommt einer hinzu. Ein Philosoph, eine Linke, bei Welke hat jetzt sogar „Uns Poldi“ sein Fett weggekriegt. Wer jetzt nicht der gleichen Meinung ist, der hat schwer verschissen bei den Welkes des Öffentlich-Rechtlichen und bei der ganzen Meute der nachplappernden Empörungsweltmeister.

Elizabeth Bennet / 07.11.2021

Impfen mit regulär entwickelten, sicheren Impfstoffen (nach seriöser medizinischer Aufklärung und bewusster, ungezwungener Eigenentscheidung) finde ich auch gut. Falsch finde ich es, Menschen mit politischen Drückermethoden und Drohkulissen dazu zu nötigen, sich eine Substanz spritzen zu lassen, deren Wirkungsweisen sie nicht überzeugen. Zumal ein sicherer, wirksamer Impfstoff politische Drückermethoden und infame Drohkulissen gar nicht nötig hätte.

Christoph Kugler / 07.11.2021

> Der guten Klarheit halber: [...] Ich bin fürs Impfen. Warum stolpere ich staendig ueber diese disclaimer? Sie schmieren penetrant aufs Brot, wie tolerant man sei. Ganz anders als die Gruenen, die Hexenverfolger oder wer auch sonst den Zeitgeist traegt. Nur wird das so nur ein Spiegel dieser ungefragten Bekundungen. Lassen Sie es weg, Herr Tiedje. Es interessiert fuer diese Art Meinung nicht, ob sie selbst sich diese Nadel setzen oder nicht.

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