Mehr Gas aus postsowjetischer Dynastie?

Um die Gas-Lieferungen aus Russland zu ersetzen, stützt sich die EU nun auch auf eine post-sowjetische Herrscherdynastie.

In einigen EU-Staaten, insbesondere in Deutschland, herrscht derzeit die blanke Angst vor einer Gaskrise, falls die Lieferungen aus Russland in größerem Umfang ausfallen sollten. Noch im Frühling hatte man in Brüssel und Berlin lautstark darüber nachgedacht, in welchem Umfang man es sich leisten könne, russisches Erdgas zu boykottieren, damit so wenig europäisches Geld wie möglich nach Russland fließt. Nach dieser ausführlichen öffentlichen Debatte wunderte man sich dann allerdings, dass sich der Kriegsherr im Kreml seinerseits herausgefordert fühlte, Hand an den Gashahn zu legen.

Seither macht das Katz-und-Maus-Spiel ums Gas den Deutschen und etlichen EU-Europäern Angst. Wer bisher abhängig vom russischen Gas war, sucht nun dringend Ersatz. Die devote Betteltour des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) bei arabischen Despoten vor einigen Wochen war die passende Illustration zur deutschen Kopflosigkeit in Sachen Energieversorgung. Was sollen die Energiewendepolitiker tun in diesen Zeiten, in denen Deutschland die von ihnen forcierte Abhängigkeit von Russland auf die Füße fällt?

Anfang der Woche freute sich nun EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass sie den Europäern weitere Gaslieferungen gesichert hätte, die Putins Gas zum Teil ersetzen könnten. Die kommen nur leider auch aus einer Quelle, die moralisch nicht unbedingt viel sauberer ist, als die bisherige.

„Um sich von Energielieferungen aus Russland zu lösen, will die EU künftig deutlich mehr Gas aus der Südkaukasus-Republik Aserbaidschan beziehen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev unterzeichneten am Montag in Baku eine Absichtserklärung, wonach über den südlichen Gaskorridor innerhalb von fünf Jahren doppelt so viel Gas im Jahr geliefert werden soll wie bisher. Ab 2027 sollen demnach jährlich mindestens 20 Milliarden Kubikmeter fließen“, meldete der Deutschlandfunk Anfang der Woche.

Viel Geld für den eigenen Ruf

Also Gas von Ilham Aliyev (oder Alijew) soll das Gas von Wladimir Putin ersetzen. Bis vor Kurzem galt der Herrscher in Baku noch nicht als besonders vorzeigbar. Menschenrechtsverletzungen in der lupenreinen Diktatur waren zu offenkundig, obwohl sie in EU-Gremien oft etwas schaumgebremst behandelt wurden. Denn den Herrschern in Baku war es viel Geld wert, ihre Reputation aufzuhübschen. „Wie Aserbaidschan westliche Politiker korrumpiert“ überschrieb das Handelsblatt noch im letzten Jahr einen Artikel über aserbaidschanische Zuwendungen an EU-Politiker und deren mutmaßliche Gegenleistungen. Solche Berichte gab es immer wieder. So sagte der SPD-Fraktionssprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bundestag, Frank Schwabe, im März letzten Jahres in einem Interview mit der taz Folgendes über den aserbaidschanischen Einfluss auf den Europarat:

„2013 war ich noch ganz neu dabei. Und es gab eine Abstimmung über einen Bericht über die Freilassung politischer Gefangener, eben in diesem Aserbaidschan. Nach langem Ringen wurde er mit ziemlich deutlicher Mehrheit abgelehnt.

Das war komisch, weil jedem klar sein müsste, dass es politische Gefangene in Aserbaidschan gibt. Nach der Abstimmung kam es auf den Fluren der parlamentarischen Versammlung zu absurden Jubelszenen. Das hat mich verstört. Aber ich konnte nicht so recht einordnen, was da vor sich ging, habe mir aber geschworen, dagegen anzugehen.

(taz:) Und was ging da vor sich?

Es gab ein Netzwerk von Abgeordneten, die ganz offensichtlich Dinge verabredeten, die nicht im Sinne des Europarates waren. Der soll ja Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie schützen. Aber es ging vielen Abgeordneten um das genaue Gegenteil. Viele versuchten, Staaten gerade vor Kritik zu schützen, statt sie zu kritisieren. Offensichtlich oft gegen Geld. Bei dem Netzwerk geht es nicht nur um Aserbaidschan, aber dort konzentriert es sich.

(taz:) Warum?

Aserbaidschan wird besonders häufig im Europarat kritisiert, weil die Menschenrechtslage dort verheerend schlecht ist. Gleichzeitig hat Aserbaidschan vor vielen Jahren entschieden, mit viel Geld den eigenen Ruf zu verbessern. Und Staatspräsident Ilham Aliyev hat sehr, sehr viel Geld.“

Schikanen, Schlägertrupps und Erpressung

Einige Fälle in denen etwas von dem vielen Geld in den Taschen von Politikern landete, sind hier und hier beschrieben. Nach dem Deal zwischen Aliyev und von der Leyen wies der Deutschlandfunk zudem auf die Lage der Journalisten im Lande unseres künftig wichtigeren Gas-Großlieferanten hin:

„Was in Aserbaidschan offenbar nicht willkommen ist: kritischer Journalismus. Auf der internationalen Rangliste der Pressefreiheit liegt die Kaukasusrepublik mittlerweile auf Platz 154 – von insgesamt 180. Aserbaidschans Behörden gingen „brachial gegen unabhängige Blogger*innen und Journalist*innen vor“, stellt die Organisation Reporter ohne Grenzen fest. Wer sich dem Druck durch Schikanen, Schlägertrupps und Erpressung nicht beuge, werde „unter absurden Anschuldigungen zu Haftstrafen verurteilt“.

Das unabhängige Radio Azadlig wurde bereits geschlossen, unabhängige Zeitungen wie „Zerkalo“ würden durch wirtschaftlichen Druck „ausgetrocknet“, heißt es in dem Bericht. Online-Nachrichtenportale würden zensiert. Selbst die Familien von Medienschaffenden, die ins Ausland geflohen sind, müssten Repressalien befürchten.

Im Juni hat die aserbaidschanische Regierung ihr Mediengesetz noch einmal verschärft. Ziel sei vor allem ‚abschreckende‘ Wirkung, stellte der Europarat in der sogenannten Venedig-Kommission fest. Im jüngsten Gutachten heißt es, dass ‚mit dem Gesetz versucht wird, nahezu alles, was den Mediensektor in Aserbaidschan betrifft, zu regulieren, einschließlich der Online-Medien’.“

Daran dürfen sich die Gasbedürftigen in der EU nun nicht mehr so sehr stören, denn um gegen Putin bestehen zu können, wird dummerweise auch jeder Despot gebraucht, der Gas liefern kann. Der mag zwar auch nicht unbedingt integrer als Wladimir Putin sein, aber er verfügt nicht über so viel bedrohliche Macht und führt gerade keinen Amgriffskrieg in unserer Nachbarschaft.

Zu einem Angriffskrieg ist aber auch Aliyev bereit, wenn er glaubt, dass dieser ihm nützt. Das hat er im Herbst 2020 im Krieg gegen Armenien bewiesen. Aber wer will jetzt schon davon reden und die neue Gas-Harmonie stören?

Sowjetische Bilderbuchkarriere

In Aserbaidschan hat sich ein ganz besonderes Regime etabliert. Der Familie Aliyev ist es gelungen, so etwas wie eine sowjetisch-postsowjetische Herrscherdynastie zu begründen. Ilham Aliyev, der jetzige Präsident, hatte das Amt im Jahr 2003 von seinem Vater übernommen, und der wiederum sicherte es sich nach dem Zerfall der Sowjetunion, nachdem er schon eine sowjetische Bilderbuchkarierre hinter sich hatte.

Ab 1944 arbeitete Gaidar Aliyev für die Geheimpolizei NKWD und wurde 1967 Chef des KGB in Aserbaidschan. 1969 stieg er zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Aserbaidschanischen SSR auf und 1982 zum Mitglied des Politbüros der KPdSU. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist ihm dann 1993 als Heydar Aliyev der Wechsel ins Amt des Präsidenten des unabhängigen Aserbaidschans gelungen.

Zurück in die Gegenwart. Sohn Ilham dürfte nun erst einmal Ruhe vor störenden Nachfragen aus EU-Europa nach politischen Häftlingen und den Menschenrechten haben. Das ist nicht schön, aber uns droht ja wirklich eine Gasnotlage, weshalb man bei den Lieferanten vielleicht nicht allzu wählerisch sein darf, oder? Das klingt zumindest völlig nachvollziehbar. Es wäre nur gut, sich und uns dann auch einzugestehen, dass die Energiewende-Politik mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus allen sicheren Formen der Energieerzeugung ein Irrweg war, der krachend gescheitert ist, auch weil so die Gas-Abhängigkeit gewachsen ist. Es mag deshalb jetzt realpolitisch geboten sein, Geschäfte mit dem einem Despoten auszuweiten, um sich von einem anderen zu lösen. Aber ist das eine belastbare Lösung oder eine neue Illusion? Immerhin hat der eine, also Aliyev, bestimmt kein Interesse daran, mit dem anderen, also Putin, in einen tiefergehenden Konflikt zu geraten.

Foto: The Chancellery of the Senate of the Republic of Poland (bearbeitet)

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Michael Scheffler / 21.07.2022

Auch achgut wollte das so. Seit dem 24. Februar Gleichsetzung von Russland mit der Sowjetunion. Alle Oligarchen waren dort verschwunden. Und jetzt ist man überrascht? Gibt’s irgendeinen großen Energielieferanten, der keine Despotie ist?

Dr. Joachim Lucas / 21.07.2022

Wie kommt denn das Gas nach Europa? Die Nachbarländer Aserbeidschans sind Georgien, Armenien, Russland und der Iran. Zugang zu den Weltmeeren gibt es nicht. Das Kaspische Meer ist bekanntlich ein Binnenmeer. Ich schlage Elekroflugzeuge mit Ökostrom aus Windrädern vor. Schon Hitler wollte übrigens seine Energieprobleme im 2. Weltkrieg mit der der Eroberung der Ölfelder um Baku lösen. Viel weiter sind wir also nicht gekommen. Die Verzweiflung der Grünverstrahlten muss schon groß sein, wenn man nach solchen Strohhälmchen greift.

Yon Bureitxa / 21.07.2022

Jetzt “spielt…” die rotgrüne Polithucke doch noch “...mit den Schmuddelkindern”! Glauben die mental offensichtlich infantilisierten Reisenden in Sachen Gas tatsächlich, dass Putin, im Zweifel, den ehrenwerten, neuen Geschäftspartner der EU so dealen lässt wie der sich das vielleicht vorstellt? KGB lässt, schon aus Familientradition, grüssen…

T. Weidner / 21.07.2022

“Schikanen, Schlägertrupps und Erpressung” durch die Regierung: Ist das inzwischen nicht auch in Deutschland gegeben?

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