Meghan – ein linksliberaler Fotoroman

Von Ulrike Prokop.

Der US-Fernsehsender CBS war mit seinem Interview mit Herzogin Meghan und Prinz Harry das TV-Ereignis der vergangenen Woche. Die zweistündige Sendung mit TV-Moderatorin Oprah Winfrey erreichte durchschnittlich 17,1 Millionen Zuschauer und brachte weltweit Top-Quoten. Woran liegt das?

Wellenreiten: Im Zusammenspiel mit der Interviewerin Oprah Winfrey bemüht sich Meghan Markle, aus ihrer persönlichen Geschichte ein Drama zu machen, in dem sich andere wiedererkennen können. Nicht irgendwelche anderen sind hier angesprochen, sondern ein Lager. Es geht um die linksliberale Community, die auf bestimmte Reizthemen anspringt. Es gibt drei Angebote im Standardrepertoire: Sexismus, Rassismus und Missachtung von Beschädigten aller Art. Wer dieser drei Verbrechen bezichtigt wird, hat von vornherein verloren. Meist endet es für die Beschuldigten mit dem sozialen Tod, ganz egal, ob ein justitiabler Fall vorliegt oder ob die ganze Chose erfunden ist. Es reichen wolkige Reden, geführt von nicht genannten Personen, von denen man gehört hat, dass sie …

In diesem Aufreger-Interview wurden Rassismus in der königlichen Familie und Missachtung der seelisch schwer verletzten Meghan vorgebracht. Die Interviewerin spiegelt und vergrößert die Affekte: „What?“ Aufgerissene Augen, so Entsetzliches hat sie in ihrem ganzen Leben nicht gehört! Das sagt die Mimik der medial perfekten Darstellerin Oprah. Die Dramatik des Interviews zielt nicht darauf, eine private Geschichte zu erzählen. Meghan Markle soll stellvertretend für das Leid der Armen und Beladenen sprechen. Einst zur Stummheit verdammt, jetzt aber befreit: Ich kann sprechen.

Und es funktioniert! Auch in Deutschland. Herzergriffen die taz: „Eine Stimme für viele. Im TV-Interview erhebt Markle Rassismusvorwürfe gegen das britische Königshaus. Damit beschreibt sie den Alltag vieler Marginalisierter.“

Da interviewt eine Milliardärin eine Millionärin, beide die perfekten Gewinnerinnen, und der taz-Autorin stehen die beiden für das Alltagsleben von Ausgegrenzten? Wie kommt eine solche Realitätsverrückung zustande?

Es gelingt Meghan, das Publikum zu animieren

Da ist einerseits der Anschluss, den Meghan Markle an die Welle gesucht hat: Mit ihren Vorwürfen reiht sie sich ein in den Kulturkampf, dessen Stichworte sie illustriert. Das ist aber nicht alles. Es geht nicht um Worte, viel stärker sind die Bilder. In das Interview werden Lebensszenen eingeblendet. Es werden keine Programme erörtert, sondern Meghan bebildert ihre Unschuld mit ihrem niedlichen Hühnerstall. Sie hockt dort, umgeben von vor dem Aufessen gerettetem Federvieh. Ein Bild reiner Natürlichkeit, mit allen Mitgeschöpfen ein Herz und eine Seele.

Obgleich Meghan Markle in ihren Reden klar den Anschluss an dominante Erregungsthemen sucht, ist das nicht das Wichtigste. Obgleich ihre Reden von der Presse zitiert werden, wirkt der Auftritt tatsächlich vor allem über die Bildproduktion.

Meghan produziert einen Fotoroman für die Presse und im Interview so etwas wie einen Serienfilm. Der handelt von der Gefahr, der Enttäuschung durch die Nächsten, von der geretteten Liebe. Sie wird Mutter, und der Prinz hält ihre Hand, und sie wirft sich an das große mütterliche Herz von Oprah Winfrey.

Es gelingt Meghan, das Publikum zu animieren. Eine Flut von Zuschriften zu den verschiedenen Presseartikeln zum Interview zeigt, wie sie Phantasien anregt, wie sie Emotionen aufrührt, die darauf drängen, in Worte gefasst zu werden (Charakteristisch die Kommentare bei Welt Online). Je mehr die Sache fortschreitend politisiert wird, verschwinden die spontanen Impulse des Publikums, weil sie sich nun in der vorgegebenen Rhetorik des Kulturkampfs bewegen. Interessant sind aber gerade die ersten unmittelbaren Reaktionen.

Die Lust des Publikums

Die zu den Presseartikeln veröffentlichten Kommentare der Leserschaft bezeugen die Lust des Publikums, selbst Geschichten zu erzählen. Nur wenige Stimmen folgen dem, was Meghan vorbringt: die Unschuld am Königshof, das Leiden an Einsamkeit und rassistischer Beleidigung bis hin zu Selbstmordgedanken, die verweigerte Hilfe durch „den Palast“, die Rettung durch Flucht ins freie Amerika, Selbstbefreiung oder, wie Harry zusammenfasst: „Auch die anderen wollen eigentlich weg. Nur wir haben uns befreit.“

Die meisten Stimmen aus dem Publikum bringen eine andere Erzählung: Die falsche Schlange Meghan eroberte sich einen Prinzen. Der ist ein Tor und verfällt der Bösen, die ihn von seinen Leuten trennt, um ihn nach Hollywood oder wenigstens zu Netflix zu verschleppen, wo ihn ein trauriges Schicksal erwartet. Wie ein Vampir wird sie ihm das Blut aussaugen, und das war es.

Ehrlicherweise muss jeder zugeben, dass niemand weiß, was wahr ist. Oder auch nur, was in Wahrheit empfunden wurde. Natürlich legt die Deutung in der Presse bestimmte Vermutungen nahe, aber auch hier weiß niemand Genaues, und so bedienen sich die Zeitungs-Geschichten neben den Gerüchten vor allem der Bilder als Beleg. Und zwar der Bilder von Meghan, Harry hat dabei nur eine Funktion als Verstärker. Es sind ihre Bilder, die die Geschichte beglaubigen. Damit kommt ihre Darstellung ins Spiel. Das Ganze reduziert sich auf Kamera-Augenblicke. Sie haben etwas Magisches. Die Augen saugen sich daran fest, als könne die Wahrheit aus dem Augenschein abgelesen werden.

Die Gewissheit vermittelt sich dem Betrachter über die Optik

Punkt, Punkt, Nase, Strich, fertig ist das Angesicht. Die Macht der Mimik. Sie wird als authentischer Ausdruck des Inneren unseres Gegenübers gelesen und unmittelbar geglaubt. Schon das Baby identifiziert Mimik, verbunden mit Klang und Geruch, als anziehend, abstoßend oder beruhigend. Interessant ist, dass die Fotografie auf Erwachsene die gleiche Macht ausübt. Hundertmal können wir uns sagen, dass das Kamera-Bild und die wahre Szene, aus der dieses stammt, nur sehr begrenzt übereinstimmen. Der Augenblick, den die Kamera festhält, steht plötzlich festgefroren, kontextbefreit, auf Dauer gestellt, offen für alle Zuschreibungen.

Das Körperbild, vor allem das Gesicht, wirkt über archaische Schemata. Wir können uns dem Appell der Mimik kaum entziehen. Wir empfinden spontan eine Gewissheit über die Botschaft und über die Intention des Gegenübers, die stimmen kann oder auch nicht. Eine Erscheinung im Bild, eine Präsentation, eine Aufführung, deren Hintergrund unbekannt ist. Da stellt sich die Frage in Bezug auf Meghan: Was sehen wir in ihr? Wahrheit vermittelt sich dem Betrachter weniger über die Rede – sie kann wahr sein oder nicht. Die Gewissheit vermittelt sich dem Betrachter über die Optik.

Dabei geht es um abstrakte Prinzipien. Meghan hat eine schöne, betont weibliche Figur.  Ihr Gesicht wirkt dagegen schmal, fast kindlich, ist sehr stark strukturiert, durch die Brauen, den Mund, das Kinn. Sie kann zerbrechlich erscheinen. Ästhetisch hat sie dieses Prinzip während des Interviews mit Oprah durch ihr Kleid verstärkt, das, schwarz mit weißen Blüten auf der Schulter, gerade diese zerbrechliche Schönheit hervorgehoben hat. Sie hat schöne Augen, in denen das Weiß als Schimmer Leben in ihren Gesichtsausdruck zaubert. Aber ihre Augen sind nicht sehr groß und ihre Haut leuchtet nicht. Das liegt nicht an ihrem dunklen Hautton, sondern am Alter, und hinzu kommt ein Mangel an emotionalem Fluss im Gesichtsausdruck.

Das hat überhaupt nichts mit ihrer Person zu tun, sondern allein mit der Ungerechtigkeit der Ästhetik: der reinste Charakter kann verschlagen aussehen und nichts hilft dagegen. Meghan sieht sehr hübsch aus, aber sie verfügt nur über wenige mimische Übergänge, und ihr Ausdruck ist beschränkt. Verletzlichkeit, kindhafte Erwartung, tapfere Sprecherin, Geliebte. Das ist das Repertoire. Typisch für Meghan sind krasse Übergänge. Ein Schema folgt auf das andere und zwar bruchlos. Als ob der Schalter umgelegt würde. Ihr Sprechen ist als Ton unabhängig vom Inhalt; es erklingt ein endloses Dozieren, eine quasi vor sich hinlaufende Sprechmaschine, die unabhängig von der Mimik funktioniert. Das bedeutet: Es gibt optische Hindernisse, die einer Eignung als Ikone entgegenstehen, und das auch unabhängig von den Geschichten, die erzählt werden. Das Publikum ist nicht recht überzeugt und sagt: Meghan ist nicht authentisch.

Dianas epische Theatralik

Dagegen Megans Vorbild Lady Di: Das Thema verfolgte Unschuld ist Diana ganz unabhängig von ihrer Lebensgeschichte auf den Leib geschrieben. Eine gequälte und traurige Frau ist keineswegs per se im Bild attraktiv oder auch nur mitleiderregend. Dazu gehören ein Zeichenrepertoire und eine körperliche Grundausstattung. Lady Di hatte große Augen mit langen Wimpern. Die Iris war stark farbig, das Weiß ungewöhnlich rein, so dass ihr Blick immer funkelte wie ein Stein oder ein Stern. Ihre Haut hatte eine fast durchsichtige Helle. Natürlich wäre diese auch bei Lady Di verblasst mit zunehmendem Alter – aber sie hatte eine weitere Gabe: eine fließende Mimik voller langer Übergänge.

Kam sie zum Beispiel – dem Auto entstiegen – auf die Kamera zu, so brauchte es lange, bis sie den Blick in die Kamera hob. Die Verzögerung war ihr natürlich, wie alle ihre Übergänge optisch verzögert waren. Es genügte, um dem Betrachter eine Erwartung zu vermitteln, der dann vollkommen entsprochen wurde. Sie blickte schließlich auf, in die Kamera, teilte den Blick, tauchte ein und erfüllte so eine Sehnsucht. Hinzu kam ihr Haar. Ihr Haar war immer wie eine Mähne und versprach Freiheit, Bewegung und Natur. Lady Di konnte ziemlich böse Sachen machen, aber es blieb bei ihr immer die Geschichte von der Unschuld, die aus gerechter Empörung zurückschlug.

Ihre Erscheinung war überwältigend, die Bebilderung einer Geschichte von Vertrauen, Verrat und Kampf. Hinzu kam noch etwas: In ihren Äußerungen lag ein Augenblick von Übermut. Bevor ihr Blick eintauchte, gab es einen Moment des Aufblickens, der eine weitere Dimension einführte – nicht Distanz oder Skepsis, aber den Augenblick des Maßnehmens und der Einladung des Gegenübers, mit dem sie in ein Spiel eintreten wird. So zeigte sie sich als darstellende Darstellerin und das machte sie zum Subjekt. Sie verfiel nicht ihrer Rolle, sondern sie zeigte sie. Diese epische Theatralik machte sie zur Emanzipierten und lässt verstehen, warum die Frauen sie so lieben.

Niemand kennt die Wahrheit, aber Lady Di‘s Repertoire provoziert in den Betrachtenden die Geschichte von der mutigen Unschuldigen.

Meghan hingegen ist in ihrer Rolle versunken und liefert dem Erzähltrieb der Betrachter eine verhältnismäßig eindimensionale Präsentation. Es hilft wenig, dass sie die begrenzte Optik durch politische Programmatik zu ergänzen sucht. Sie lächelt, sie hat Tränen, sie neigt den Kopf, aber es gelingt ihr nicht, sich mit dem Publikum auf unterschiedlichen Ebenen zu verbinden. Sie bietet sich an als Objekt der Betrachtung, aber ohne den epischen Witz ihres großen Vorbilds. Daher erfinden die Leute schlicht aus optischer Langeweile lauter böse Geschichten, mit denen sie die Meghan'sche Darstellung unterlegen, damit sie interessant wird: „Sie tut nur so, in Wirklichkeit ist sie eine andere.“ So ungerecht ist das Bild. Ich vermute, dass Meghan die mediale Welle nicht reiten kann, sie kann sich nur anschließen, aber nicht zum Emblem werden.

Foto: Northern Ireland OfficeCC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Bernd Zeller / 12.03.2021

Das Interview war keine Meghan-Geschichte, sondern eine Oprah-Geschichte. Das Pärchen war gut gecastet.

Bastian Kurth / 12.03.2021

Man betrachte sich nur die “aufgenordete” Nase von Frau Markle und die glattgebügelten Haare und dann überlege man wer hier rassistisch reagiert und handelt. Frau Winfrey ist eine selbstgefällige Labertante, die auf einem Millionenvermögen sitzt und auch Frau Markle und ihr Mann sind, soweit man den Gerüchten glauben darf, keine Sozialhilfeempfänger. Würde Frau Markle - nicht Merkel! - keinen Profit aus dieser Winselarie schlagen, würde sie dort kaum aufgeschlagen sein, da sie ja mit Ihrem Karl-Heinz aus Großbritannien geflüchtet ist um ganz privat und unbehelligt zu sein, die Frau ist eine Lachnummer!

Florian Bode / 12.03.2021

So viele Worte über eine belanglose Person.

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