Olivier Kessler, Gastautor / 06.07.2022 / 06:15 / Foto: Pixabay / 37 / Seite ausdrucken

Medien: Eine Frage der Berufsethik (2)

Von Olivier Kessler.

Welche Gründe kann es haben, dass die Medien ihrer Rolle als Durchleuchter politischer Macht oftmals nicht gerecht werden? Zwei Faktoren, die wir uns im Folgenden genauer anschauen wollen, dürften hier eine entscheidende Rolle spielen: Die Berufsethik der jeweiligen Journalisten und die Abhängigkeit vom Staat.

Für Nicht-Insider ist es oftmals nur schwer nachvollziehbar, wie eng Journalisten und Politiker tatsächlich miteinander verwoben sind. Hinter den Kulissen gibt es eine Vielzahl persönlicher Kontakte, die gemäß dem Politikwissenschaftler Thomas Mayer wechselseitig und „emotional imprägniert“ sind. (6) Das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten sei jedoch nicht immer nur gut. Manchmal sogar regelrecht „vergiftet“. (7) Warum? Politiker fürchteten im Umgang mit Medienschaffenden die Gefahr des Kontrollverlusts. Denn Journalisten hätten im Prinzip stets die Macht, die Politiker medial bloßzustellen oder sie zumindest unsympathisch rüberzubringen. Medienleute auf der anderen Seite verachteten die Politiker, weil sie ihre Spielchen und Inszenierungen durchschauten. Mayer fühlt sich dabei „an ein verdrossenes Ehepaar erinnert, das in gegenseitigem Misstrauen gealtert ist und sich doch nicht scheiden lassen kann.“ (8)

Welche Umstände führen dazu, dass Politiker und Journalisten scheinbar nicht ohne einander können? Einige Medienschaffende suchen regelrecht die Nähe zur politischen Macht, weil sie sich davon exklusiven oder vorzeitigen Zugang zu Informationen erhoffen. William Perry, einstiger US-Verteidigungsminister, meinte: 

„Journalisten sind wie Krokodile: Man muss sie nicht lieben, aber man muss sie füttern.“ (9)

Der Vorteil für den Journalisten besteht darin, diese „News“ der Öffentlichkeit als erstes – also noch vor seinen Wettbewerbern – präsentieren zu können (wobei die Nachricht z.B. darin bestehen kann, zu verlautbaren, was der Bundesrat am Folgetag entscheiden wird). Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, von der Konkurrenz zitiert zu werden. Der Arbeitgeber des Journalisten freut sich natürlich, wenn sein eigenes Produkt in anderen Publikationen erwähnt wird. Auch der verantwortliche Journalist wird solche „Leistungen“ bei den nächsten Lohnverhandlungen in die Waagschale werfen können.

Draht zum Staat hat seinen Preis

Der Draht zu staatlichen Machthabern hat jedoch auch seinen Preis. Wer den Politiker, von dem er seine exklusiven Infos bezieht, in der Berichterstattung zu kritisch begleitet, riskiert, nicht mehr lange in dessen Gunst zu stehen. Er könnte durch einen anderen Journalisten ersetzt werden, der dem Informationslieferanten mehr „Goodwill“ entgegenbringt oder der es zumindest mit einer unkritischeren Berichterstattung dankt. Der Deal lautet, überspitzt formuliert: exklusiven Zugang zu Informationen gegen unterwürfige Hofberichterstattung.

Der Wirtschaftswissenschaftler Ludwig von Mises (1881–1973) beobachtete diesen Wettstreit bei der Informationsbeschaffung schon zu seinen Zeiten:

„Die Regierung hatte es nicht nötig, die Journalisten zu bestechen; es genügte, sie zu informieren. Die Journalisten fürchteten nichts so sehr, als dass man sie einen Tag später als andere ihrer Zunft informieren könnte. Um dieser Strafe zu entgehen, waren sie immer bereit, den Regierungsstandpunkt zu vertreten.“ (10)

Es ist auch denkbar, dass die Führungsetage eines Medienkonzerns einen guten Draht zur Regierung pflegt und auf diesem Weg an exklusive Informationen gelangt, die sie dann gezielt in der Mitarbeiterhierarchie hinunter reicht. Um diese Beziehungen nicht zu gefährden, ist es auch denkbar, dass die Führungsriege eines solchen Medienkonzerns dann den eigenen Mitarbeitern untersagt, kritisch über die entsprechende Regierung zu berichten. So ist etwa Ende 2021 bekanntgeworden, dass der CEO von Ringier, Marc Walder, dem enge Beziehungen zu Regierungsmitgliedern nachgesagt werden, intern die Weisung ausgesprochen hatte, dass man die Corona-Maßnahmen der Regierung nicht kritisch hinterfragen dürfe, um die Politik der Regierung zu stützen. Was letztlich die tatsächliche Motivation eines solchen redaktionellen Eingriffs war, sei einmal dahingestellt, doch zeigt das Beispiel, dass der Druck, gemeinsame Sache mit der Macht zu machen, auch von oben kommen kann und nicht immer vom einzelnen Journalisten so gewollt sein muss.

Für politische Zwecke eingespannt

Politiker ihrerseits sind im Hinblick auf die Wahlen auf Publizität angewiesen. Und das, wie Thomas Mayer betont, „möglichst in der Form zustimmungsfähiger Selbstdarstellung, denn sie allein schafft Bekanntheit und im günstigsten Fall auch Legitimation, die Währung der Macht“. (11) Politiker (und jene, die es noch werden wollen) sowie die sie unterstützenden Kommunikationsprofis beobachten die Redakteure oft minutiös in ihrer Arbeitsweise. Sie ziehen daraus ihre Schlüsse und versuchen, Journalisten für ihre eigenen Zwecke einzuspannen: etwa zur Verbreitung eigener Standpunkte oder negativer Meldungen über die politische Konkurrenz.

Natürlich haben es Redakteure in ihrer Arbeit nicht leicht. Gewiefte PR-Experten sorgen dafür, dass ihre Auftraggeber – internationale Organisationen, Regierungen, Ämter und Parteien – etwa bei Medienmitteilungen nur im allerbesten Licht erscheinen. Die Fakten werden oftmals skrupellos beschönigt. „Je wichtiger der Politiker ist, desto größer ist das Heer von Beamten, Beratern, Pressesprechern und Spin-Doktoren, das dazu da ist, die Botschaft, die der Journalist vermitteln soll, so zu drehen, wie es dem jeweiligen Interesse am besten entspricht“, berichtet Karl-Peter Schwarz aus seiner eigenen Erfahrung als langjähriger Journalist. (12)

Es stellt zweifelsohne eine Herausforderung dar und erfordert ein gutes Gespür, das Unstimmige, Widersprüchliche und Vertuschte herauszuarbeiten. Dass es als politischer Journalist alternativlos sei, eng mit Politikern zusammenzuarbeiten, um überhaupt an Geschichten zu kommen, ist jedoch eine reine Schutzbehauptung. In der Politik wimmelt es nur so von Widersprüchen, Machtkämpfen, Spielchen, Manipulationen, Unwahrheiten, Verschleierungen, Selbstbereicherungen und Machtmissbräuchen. Wer als Journalist hier wachen Auges durch die Welt geht; wer aufmerksam die Medienmitteilungen von Parteien und öffentlichen Ämtern sowie die Berichte öffentlich-rechtlicher Betriebe liest und darauf achtet, was eben gerade nicht gesagt wird und was damit eventuell vertuscht werden soll, wird an allen Ecken und Enden „Stories“ entdecken, die an die Öffentlichkeit gehören. Persönliche Nähe zur politischen Macht bedarf es dazu nicht, lediglich eines klaren Verstandes, Fachkenntnissen, Mutes und Rückgrats. Die Berufsethik ist daher entscheidend für einen Qualitätsjournalismus, der sich als Gegenpol der Macht versteht und nicht als dessen verlängerter Arm.

Medienmarkt ist nicht frei

Der Grund für die Missachtung dieser Berufsethik und das Suchen einer unkritischen Nähe zu politischen Machthabern könnte nebst der Zustimmung zur Ideologie der entsprechenden Politiker auch im Streben nach einer Minimierung der eigenen Aufwendungen und Recherchetätigkeiten liegen, um so bei gleichem Lohn mehr Freizeit für sich selbst zu gewinnen. Indem der Redakteur einen Teil seiner Aufgaben bequem von „Ghostwritern“ aus der PR-Branche erledigen lässt, braucht er sich der mühevollen Arbeit, sich aktiv auf die Suche nach „Geschichten“ zu machen, nicht mehr zu widmen. Sie werden einem dann vielmehr wie „Push“-Nachrichten auf einem Silbertablett zugetragen – und zwar ausgerechnet von jenen Akteuren, die man in der eigenen Arbeit kritisch begleiten sollte. Von jenen Playern also, welche die Geschichten selbst betreffen und folglich ein Interesse an deren Aufpolierung und Schönfärbung haben.

In einem freien Medienmarkt (in welchem sich Angebot und Nachfrage frei von Zwangseingriffen des Staates bilden könnten) hätten die Medienkonsumenten das Sagen. Wem die Berichterstattung gewisser Medien zu „machtnah“, „propagandistisch“ oder „unkritisch“ ist, der kann die Abos der entsprechenden Publikationen abbestellen. Durch die sich reduzierenden Einnahmen kämen die betroffenen Medienhäuser unter Zugzwang: Wer sich nicht an den Wünschen der Leser, Zuhörer oder Zuschauer orientiert, sondern an jenen der Politik, der wird über kurz oder lang vom Markt verschwinden. Doch leider ist der Medienmarkt auch in der „freien Welt“ alles andere als frei, was uns zum zweiten Punkt bringt, weshalb viele Medien die staatliche Macht kaum zu kritisieren wagen: die problematische Politisierung der Medienlandschaft.

Zweiter Auszug aus dem Buch „Verlockung der Macht: Die Kunst, die offene Gesellschaft zu verteidigen“ hrsg. Von Olivier Kessler, Edition Liberales Institut 2022, 273 Seiten. Bestellbar hier.

Den ersten Auszug finden Sie hier.

 

Olivier Kessler ist ein Schweizer Publizist und Campaigner.

 

Fußnoten:

(6) Thomas Mayer (2015). Die Unbelangbaren. Wie politische Journalisten mitregieren. Berlin: Suhrkamp. S. 38.

(7) a. a. O., S. 60.

(8) a. a. O., S. 60-61.

(9) Zitiert in: Peter Filzmaier, Peter Plaikner und Karl. A. Duffek (Hrsg., 2006). Mediendemokratie Österreich. Böhlau: Edition Politische Kommunikation. S. 265.

(10) Ludwig von Mises (1978). Erinnerungen. Stuttgart/New York: Gustav Fischer. S. 30.

(11) Thomas Mayer (2015). Die Unbelangbaren. Wie politische Journalisten mitregieren. Berlin: Suhrkamp. S. 84.

(12) Karl-Peter Schwarz (16. Mai 2017). „Lügenpresse!“ – Über journalistische Ethik, Zensur und Political Correctness. Abgerufen auf: https://kairos.blog/2017/05/16/luegenpresse-ueber-journalistische-ethik-zensur-und-political-correctness/

Foto: Pixabay

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Detlef Rogge / 06.07.2022

Das Unbehagen vieler Konsumenten den Medien gegenüber ist nicht neu und läßt sich wissenschaftlich belegen. In Deutschland begreifen sich nach einer Studie der FU-Berlin - Institut für Publizistik - und Kommunikationswissenschaften - aus dem Jahr 2010 in etwa fünfzig Prozent aller Politikjournalisten als politisch links und sehen ihre Aufgabe primär in der weltanschaulichen Beeinflussung der Gesellschaft, während das journalistische Selbstverständnis von einer ausgewogenen und neutralen Berichterstattung in den Hintergrund rückt. In den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten machen zudem die politischen Parteien und die mit ihnen verzahnten Gruppierungen und Organisationen durch ihre Präsenz in den Rundfunkräten ihren Einfluss auf Inhalte und Schwerpunkte besonders in der politischen und gesellschaftlichen Berichterstattung geltend, signifikante Kriterien, die für den Status von »Staatsmedien« sprechen. Die Situation bleibt nicht ohne Einfluß auf den journalistischen Nachwuchs, ein in sich selbst beschleunigender Prozeß.

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