In meinem jüngsten Artikel Das „Postfaktische“ und seine hohe Lebenserwartung, hatte ich auf einige Parallelen der aktuellen Politik mit rhetorischen Mustern totalitärer Staaten hingewiesen. Die Anrufung an ein imaginiertes Kollektiv („Wir schaffen das“) als auch die tröstliche Behauptung, Deutschland werde aus der sog. Flüchtlingskrise „besser und stärker“ hervorkommen, geläutert und moralisch geadelt, schienen mir dabei exemplarisch. Die Widersprüche der zur Alternativlosigkeit erklärten Politik werden in einer Art angewandter „Dialektik“ als Reflexion und Abbild der Komplexität (Buntheit, Vielfalt etc.) der heutigen Verhältnisse umgedeutet, was gegen jegliche Kritik von außen immunisiert. Die Widersprüche sind so selbst nur der exakte „Beweis“ für die Richtigkeit der eigenen Position. Eine Volte, die in den realsozialistischen Ländern bis zum Zusammenbruch als mediales Zauberstück, wenngleich zunehmend lächerlicher, vorgeführt wurde.
Dieser von der Realität immer mehr bedrängten „Dialektik“ begegnen wir heute täglich und insbesondere in den öffentlich-rechtlichen Medien. Letztere definieren sich – und das scheint mir in diesen Ausmaßen nur aus autoritären Staaten bekannt – über eine volkspädagogische, auf Erziehung der Abweichenden zielende Berichterstattung, die uns bestimme Denk- und Gefühlsmuster, bei Strafe sozialer Ächtung, nahelegt. Am stärksten zeigt sich das, wenn auch nicht darauf zu reduzieren, in der Thematisierung der sogenannten Flüchtlingspolitik und der propagierten Bereicherung der Masseneinwanderung tribalistischer Kulturen.
Nach dem Konsum von Dokumentationen wie „Fremde in meinem Haus - Flüchtlinge mit Familienanschluss“ (ZDF Reihe „37 Grad“), „Arabische Flüchtlinge im Allgäu“ (ebenfalls ZDF) oder „Protokoll einer Abschiebung“ (NDR), die uns die „Unmenschlichkeit“ der deutschen Behörden und des Asylsystems in aller Deutlichkeit vor Augen führt, kommen wohl immer mehr Zuschauer zu diesem Schluss: Die öffentlich-rechtlichen Medien sind zu willigen Propaganda-Instrumenten der Regierung geworden, ihre Repräsentanten zu einseitigen Oberlehrern, die die Deutungshoheit über die Realität für sich reklamieren. Die fast im Wochentakt erscheinenden „Studien“ zu rechtextremen Tendenzen, zu islamfeindlichen Haltungen (zuletzt in Bayern gemessen), über den Hass der (Dunkel)Deutschen, die naive Orientfolklore oder die tägliche Dosis an AfD-Bashing in den öffentlich-rechtlichen Sendern, all das ist zu einer Art medialer Dauerschleife geworden. Das Schlimme daran ist, dass wirklich niemand mehr weiß, was man noch glauben kann, da selbst die absurdesten „Beweise“ noch für die angebliche Richtigkeit politisch korrekter Positionen herhalten müssen. Ein besonders bizarres Beispiel war vor kurzem der sog. Glücksatlas, der dieses Jahr zum ersten Mal den Einfluss der kulturellen Vielfalt auf die Lebenszufriedenheit der Menschen untersuchte. Das Ergebnis überraschte nicht: Die Toleranten seien mit ihrem Leben wesentlich zufriedener. Intoleranz mache unglücklich, ergo mache Rassismus krank.
Medien fördern den therapeutischen Staat
Die Überdosis an Volkserziehung vor allem in den öffentlich-rechtlichen Medien, die uns täglich vorführt, wie sehr andere Kulturen uns doch bereichern, wie viele verstockte Reaktionäre es hierzulande noch gibt, wie dringend wir für unsere Zukunft und unsere Renten massenhafte Zuwanderung (Demografie, Facharbeitermangel) benötigen, auf was für einem guten Weg Deutschland doch bei der Integration hunderttausender junger Männer ist, erinnert an die innerste Essenz totalitärer Staaten: die Herstellung einer medialen Wirklichkeit, die der Ideologie als Beweis für ihre „Richtigkeit“ dient. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang aber die damit einhergehende Schaffung eines neuen (sozialistischen, rassisch reinen oder umfassend toleranten) Menschen. Heute ist der ideale Mensch derjenige, der die Segnungen des Multikulturalismus, die Auflösung seiner nationalen und kulturellen Eigenheiten und die grenzenlose Einwanderung schrankenlos bejaht. Man möchte einfach einmal fragen: Von wem haben Medien und Politik eigentlich einen Erziehungsauftrag bekommen, der uns zu toleranten, islamophilen, stets verständnisvollen und sich permanent schuldig fühlenden Bürgern machen soll? Nähern wir uns nicht mehr und mehr einer Art von therapeutischem Staat, der unerwünschte Einstellungen und abweichendes Verhalten von der verordneten Toleranz als Krankheit (Islamophobie, Xenophobie) etikettiert und diffamiert?
Die Einflussnahme des modernen Staates auf das Verhalten seiner Bürger hat eine lange historische Tradition. Man denke hier nur an die zahlreichen staatlichen Kampagnen die vor allem auf die unteren Schichten zielten: Gesundheitsinitiativen, staatliche Eingriffe in die Kindererziehung, Aufklärungskampagnen gegen Alkohol oder die Etablierung von verbindlichen Arbeitsnormen. Stand zu Beginn eine „Verbesserung“ des Sozialverhaltens der Arbeiter, eine Art von Kreuzzug gegen allgemeine Laster wie Alkohol oder Müßiggang auf dem Programm, haben sich die Reformanstrengungen seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts vor allem auf den Kampf gegen Diskriminierung, die Förderung von Vielfalt und dem Kampf gegen Vorurteile fokussiert. Dieses Programm der Verhaltenslenkung erhält seine Wirkmacht und Legitimation über die mentale Anknüpfung an den „Krieg gegen den Faschismus“ bzw. gegen seine Wurzeln, wie etwa Vorurteilen, die in der Konsequenz zu Diskriminierung und Schlimmeren führen. Deshalb müssen die Sozialbeziehungen und individuellen Meinungen ständig vom Staat und den Medien kontrolliert werden, da das eine (Vorurteile) angeblich schnell zum anderen (Faschismus) tendiert. Deshalb auch die ständige Anrufung einer „rechten Gefahr“, des Rechtsrucks, des drohenden Faschismus, der angeblich in Deutschland kurz bevor steht.
Der amerikanische Politikwissenschaftler Paul Edward Gottfried verweist auf mindestens drei Strategien mit denen der heutige Staat mittels konformistischer Medien versucht, Konsens in Fragen der politischen Korrektheit herbeizuführen: Erstens die ständige Betonung des Maßes an Übereinstimmung in der Bevölkerung. Denjenigen, die Einspruch gegen die Politik des Multikulturalismus erheben, wird entweder vorgehalten, eine Minderheit zu sein oder unnötige Kontroversen und Ressentiments zu schüren; zweitens die permanente Anrufung von Moral und gutem Gewissen („Aufstand der Anständigen)“, begleitet von einer Thematisierung eigener vergangener Verbrechen, die eine ständige Demonstration von „Rechtschaffenheit“ eröffnet; und drittens die Etikettierung abweichender Meinungen von vorgegebenen Sprachfiguren als eine Form von „Krankheit“, vorurteilsbehaftet und im Prinzip behandlungsbedürftig.
Abweichler sollen umerzogen werden
Wer Gottfrieds Analysen in „Multikulturalismus und die Politik der Schuld“ für überzogen hält, schaue sich einmal die Website des weithin unbekannten „Europäischen Rats für Toleranz und Versöhnung“ genauer an. In einem Positionspapier des Rats wird die Pflicht - man könnte auch sagen: der Zwang - zur Toleranz, bereits in nuce festgeschrieben. Sektion 7 fordert, dass Verstöße gegen Toleranz strafverschärfend als „qualifizierte“ Straftaten gelten sollen. Für jugendliche Täter werden spezielle Programme vorgeschlagen, die „Abweichler“ umerziehen sollen. Entscheidend ist, dass das Jugendstrafrecht den Gedankenverbrechern früh begegnet und sie in bester kommunistischer Manier in eigene Umerziehungslager, hier Rehabilitationsprogramme genannt, einweist. Wörtlich heißt es im Toleranzpapier der EU: „Juveniles convicted of committing crimes listed in paragraph (a) will be required to undergo a rehabilitation programme designed to instill in them a culture of tolerance“.
Die Erziehung zu einer umfassenden Akzeptanz der beschworenen Vielfalt gilt insbesondere für Schulen: “Schools, from the primary level upwards, will introduce courses encouraging students to accept diversity and promoting a climate of tolerance as regards the qualities and cultures of others […] it is very important to start such courses as early as possible in the educational programme.“
Dass die Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen längst Wirklichkeit geworden ist, zeigt etwa die vor kurzem unter der Schirmherrschaft des Bundesfamilienministeriums initiierte Kampagne von Youtube gegen tatsächlichen und angeblichen (rechten) Hass im Internet mit der Bezeichnung „#nichtegal“. Außerdem sollen 5000 Schüler der 9. und 10. Klassen, so die Absicht, im heldenhaften Kampf gegen den Hass rekrutiert, für Toleranz gegenüber „Vielfalt“ sorgen und schon in jungen Jahren zu Gesinnungsschnüfflern ausgebildet werden. Am schlimmsten ist die Situation aber wohl an den Universitäten. Hier ist eine linke Denunzianten-Kultur entstanden, die sich immer mehr zum Maßstab des Noch-Sagbaren entwickelt. Was noch gedacht werden darf, wird dabei auch von ganz oben vorgegeben. Die Leitung der Leipziger Universität sendete etwa anlässlich einer geplanten Legida-Demonstration (von der man denken will, was man mag) folgende Nachricht an ca. 30.000 Studierende:
„Alle Rektoratsmitglieder nehmen an den Gegenkundgebungen teil; selbiges erwarten wir sehr gerne von Ihnen. Die Lehrveranstaltungen sollen am 12.01.2015 ab 15.00 Uhr in den offen Raum der Stadt verlegt werden, um so unseren Studierenden die Teilhabe und Teilnahme an den ‚Lehrstunden für Demokratie und Vielfalt‘ zu ermöglichen.“
All das erinnert an eine der bekanntesten Folgen der US-amerikanischen Comicserie „Southpark“, die den Titel „Todescamp der Toleranz“ trägt. Nachdem der Lehrer Garrison sich als Homosexueller geoutet hat und gekündigt wurde, wird er wieder eingestellt, da die Schule nach den neuesten Antidiskriminierungsgesetzen eine Millionenabfindung an ihn zahlen müsste. Als Garrison das mitbekommt, versucht er alles, um gefeuert zu werden. Er bringt seinen Freund Mr. Slave in den Unterricht und praktiziert im Klassenzimmer SM-Rituale. Als sich die Schüler danach zu Hause bei ihren Eltern darüber beschweren, werden sie für intolerant gehalten und – nachdem ein gemeinsamer Besuch im „Museum der Toleranz“ keinen Erfolg hatte – in ein „Toleranz-Camp“ gesteckt, wo sie unter Anleitung eines SS-ähnlichen Lagerleiters hinter Stacheldraht antidiskriminierendes Verhalten lernen sollen, das Minderheiten toleriert. Der verpflichtende Besuch von Gender- und Diversity-Seminaren, Antirassismus- und Antisexismuskursen für Unbelehrbare, könnte der Auftakt zu einer allgemeinen gesellschaftlichen „Umerziehung“ sein, die diskriminierendes Verhalten oder persönliche Abneigung zu einer therapeutischen Angelegenheit macht. Das alles aber im Namen des Guten und zum Wohl der Uneinsichtigen.
Eine zweite Re-Education nach 1945
Wir erleben heute eine Pädagogisierung der Politik und der Medien, eine Art zweite Re-Education nach 1945, die die richtige Gesinnung zum entscheidenden Kriterium für die Unterscheidung von Freund und Feind, Hell- und Dunkeldeutschland, macht. Der Bürger ist nicht mehr länger ein zoon politikon, sondern Gegenstand einer pädagogischen Intervention, die auf die Akzeptanz gesellschaftlicher Reformen abzielt, über die er aber niemals befragt wurde. Im Namen der sozialen Gleichheit, der Antidiskriminierung, der Diversität und der Globalisierung sollen alle nationalen wie auch kulturellen Differenzen zugunsten einer imaginierten Weltgesellschaft (One World) aufgelöst werden. Wir werden alle eins, da jeder Unterschied als diskriminierend betrachtet wird. Ein Egalitarismus, der aber in sich paradox bleibt. Denn gleichzeitig wird heute jeder Minderheit ihr Recht auf Andersartigkeit zugestanden, bei gleichzeitiger Tabuisierung, diese Andersartigkeit zu benennen.
Die Einteilung von Menschen nach Merkmalen in Gruppen greift fundamental eines der Grundprinzipien liberaler Gesellschaften an, nämlich das Individualrecht. Es gibt kein Gruppen- oder Kollektivrecht, es zeichnet sich aber eine Tendenz ab, immer kleinere Gruppen im Namen von Diversity zu konstruieren, um danach eine Benachteiligung festzustellen, die wiederum eine Heerschar vermeintlicher Helfer auf den Plan ruft und rechtliche Sonderstellungen mit sich bringt. Parallel dazu gibt der Diskriminierungsdiskurs der Regierung das Recht, diejenigen zu sanktionieren, die sich unsensibel gegenüber Minderheiten – die als „victims“ eingestuft werden – verhalten.
Man kann die permanent angerufene Diversität, begleitet von der Aufforderung, unsere tradierten Identitäten aufzulösen, als ein Machtinstrument des Staates interpretieren, bei dem die Produktion von Verschiedenheit darüber entscheidet, welche Gruppen in der Gesellschaft nach welchen Kriterien behandelt werden sollen, wer etwa gefördert werden soll und wer nicht. Der heutige Staat, so Paul Gottfried, „arbeitet daran, eine multikulturelle Gesellschaft aufzubauen, die sich der 'Verschiedenheit' verschrieben hat, indem er seine Bürger als Resozialisierungsobjekte betrachtet. Einige (Minderheiten) werden in ihrer Identität gefördert, (…) anderen (der Mehrheitsbevölkerung) wird nahegelegt, von ihren tradierten Identitäten, die ihnen als ablehnenswert dargestellt werden, Abstand zu nehmen."
Staatlich geförderte Anstiftung zur Denunziation
Wer von uns das nicht tut, gilt im besten Fall als altmodisch, ängstlich oder autochthon, im schlimmsten Fall als Rechtspopulist, Rassist oder Faschist. Es ist davon auszugehen, dass Sanktionen, vor allem dank staatlich geförderter Anstiftung zur Denunziation und breiter Unterstützung der Leitmedien, zunehmen werden. „Bestrafe einen, erziehe Hunderte“, diese Mao Tse-Tung zugeschriebene Formel hat auch heute Gültigkeit: Sperren bei Facebook, Angst vor gesellschaftlicher Ächtung, berufliche Nachteile, mediale Shitstorms gegen Uneinsichtige, hohe Haftstrafen gegen Hate-Speech, die in keinem Verhältnis etwa zu Gewaltdelikten stehen, ethnisch begründete Urteile, Schulungen und Programme gegen Intoleranz etc.
Im Toleranzpapier der EU heißt es unter Sektion 9 (Mass Media): “The Government shall ensure that public broadcasting (television and radio) stations will devote a prescribed percentage of their programmes to promoting a climate of tolerance.”
Die öffentlich-rechtlichen, aber teilweise auch schon die privaten Medien in Deutschland haben den hier formulierten Erziehungsauftrag bereits übererfüllt. Die Effekte sind allerdings ganz andere als intendiert. Auf Dauer lassen sich unliebsame Tatsachen einfach nicht leugnen und das gilt selbst für wirklich totalitäre Staaten, deren Medien – anders als heute – unter absoluter Kontrolle standen. Aus historischer Erfahrung wissen wir, dass am Ende einer Verweigerung von Fakten und Realitäten durch Regierungen der innere Zusammenbruch steht. Dafür ist auch das Maß des Vertrauens entscheidend, das die Bürger in Staat und Medien setzen. Vieles deutet darauf hin, dass dieses Vertrauen in den letzten Monaten schwerste Schäden erlitten hat.