Gestern hatten wir bei Policy Exchange unseren neuen Bericht über das Versagen der britischen Stadterneuerungspolitik produziert. Über die Berichterstattung in den Medien konnten wir uns eigentlich nicht beklagen, denn in mehreren Dutzend Zeitungen wurde daraus zitiert, und der Koautor Dr. Tim Leunig und ich haben einige Radio- und Fernsehinterviews gegeben. So weit, so gut.
Aber am Ende des Tages wirkte mein Kollege James Swaffield, der zweite Koautor des Berichts, doch merkwürdig frustriert und geknickt. Als ich ihn fragte, warum er denn so unzufrieden war, beklagte er sich bitterlich. Er, der seine beiden Universitätsabschlüsse von der Universität Oxford und der London School of Economics (LSE) hat, habe gemeinsam mit Dr. Tim Leunig, einem Dozenten an der LSE, einen Bericht geschrieben, der die vorhandene Literatur zum Thema zur Kenntnis nimmt, offizielle Statistiken auswertet und insofern doch eigentlich ganz normalen akademischen Gepflogenheiten gefolgt sei. Natürlich sei er aus Rücksicht auf die Zielgruppe aus Politikern und Journalisten in einer anderen Sprache verfasst als ein akademisches Paper, aber er sei daher längst nicht mit einem geringeren Anspruch geschrieben worden.
“Ja, und?” fragte ich ihn. “Und wo ist nun das Problem?”. “Das Problem ist,” sagte James, “dass die Medien das überhaupt nicht zur Kenntnis genommen haben.” Und dann wies er mich auf etwas hin, woran ich mich wohl so gewöhnt habe, dass ich es inzwischen gar nicht mehr registriere. In fast allen Zeitungsberichten wurde der Bericht in einer Art präsentiert, die ihn letztlich darauf reduzierte, von einem “konservativen” Institut vorgelegt worden zu sein. Er komme eben aus dem Umfeld der Konservativen Partei und müsse daher mit Vorsicht genossen werden.
Außerdem störte James, dass die Medien aus dem Bericht Dinge entnahmen, die dort überhaupt nicht standen. Weder hatten wir einzelne Städte beschuldigt, sich nicht genügend entwickelt zu haben, noch hatten wir in dem Bericht eine Nord-Süd-Diskussion geführt. Aber die Regionalzeitungen in Nordengland hat das nicht weiter gestört, denn eine Geschichte nach dem Motto “Londoner Tory-Think Tank kritisiert die nordenglische Stadt XYZ” ist einfach viel zu attraktiv. Besonders dann natürlich, wenn der Parlamentsabgeordnete aus XYZ Labour-Mitglied ist und somit entrüstet sowohl den vermeintlichen Angriff des politischen Gegners als auch die arrogante Haltung der Südengländer insgesamt verurteilen kann. Dabei sollte man allerdings sagen, dass James kein Tory ist und dass er außerdem aus Liverpool kommt.
Ich habe lange über James’ Beobachtungen nachgedacht. Vielleicht ist er einfach zu empfindlich? Vielleicht liegt es auch daran, dass das sein erster Job nach der Uni ist? Kann alles sein, aber wahrscheinlich hat er schlichtweg Recht mit seinen Beobachtungen. Aber wenn das so ist, woran liegt das?
Als ich mir überlegte, ob andere Think Tanks ähnliche Erfahrungen mit ihren Veröffentlichungen machen, war ich der Antwort wohl ein Stück näher gekommen. So wie Policy Exchange als “leading centre-right think tank” beschrieben werden kann, so gibt es dazu ein sozialdemokratisches Pendant, nämlich das Institute of Public Policy Research (IPPR). Aber mir ist kein einziger Artikel in Erinnerung, in dem vom “leading centre-left think tank IPPR” die Rede gewesen wäre. Im Gegenteil. IPPR ist schlicht das IPPR, kein Etikett, nichts. Dabei ist das IPPR deutlich parteipolitischer als es Policy Exchange je war. Der IPPR-Aufsichtsrat ist von Labour-Politikern dominiert, während zwischen unseren Trustees und der Tory-Führung keine Verbindung besteht. Klar stehen wir bestimmten politischen Positionen näher als anderen, aber wir pflegen auch gute Kontakte mit Politikern aller Parteien.
Doch wie dem auch sei: Wenn die Medien ausgewogen berichten würden, dann müssten sie entweder auch IPPR das Etikett “Labour-Think Tank” oder “centre-left” anhängen oder aber auch bei uns auf Etiketten verzichten. Aber von solch einer Ausgewogenheit kann keine Rede sein. Während nämlich die BBC in der Vergangenheit sogar direkt mit dem IPPR kooperiert hat, werden wir von der BBC deutlich kritischer behandelt. Besonders deutlich wurde dies übrigens gestern, als Dr. Leunig live im BBC Radio zu dem Bericht interviewt wurde. Nachdem er die Kernergebnisse vorgestellt hatte, gab es folgenden Dialog:
BBC presenter: I think we should probably just remind everyone who the Policy Exchange are, and it is usually prefixed with the phrase ‘right-leaning think tank’. Are you happy with that?
Dr Tim Leunig: I think that’s probably an accurate description of Policy Exchange as a whole, but I am an academic so I am not politically aligned to Policy Exchange or the Conservative Party.
BBC presenter: I just wonder whether there is any kind of ideological inclination away from big government spending, more in favour of a looser, smaller government approach which might have influenced some of the conclusions here?
Dr Tim Leunig: Well, I am an academic, I was given complete freedom to write whatever I liked. There was no steer from Policy Exchange asking me to take anything out or include anything in particular.
(Das ganze Interview gibt es hier, ab ca. 10:40.)
Das ist insofern schon fast wieder komisch, weil Dr. Leunig nicht nur kein Konservativer ist, sondern im Gegenteil aktives Mitglied der Liberal Democrats. Aber unvorstellbar wäre bei der BBC eben ein Dialog mit umgekehrten Vorzeichen. Der Autor eines IPPR-Berichts würde niemals gefragt, ob nicht die “Ideologie der Labour-Partei” die Schlussfolgerungen beeinflusst hätte oder ob Druck auf ihn ausgeübt worden sei. IPPR-Berichte sind für BBC-Moderatoren unantastbar und von vornherein über jeden Zweifel erhaben.
Und noch eine Ironie: Das IPPR hatte vor einigen Monaten selbst einen Bericht vorgestellt, der zu ähnlichen Schlüssen kam wie unsere Untersuchung (diesen Bericht haben wir außerdem zustimmend in unserer Publikation zitiert). Aber wenn das IPPR sagt (und damals sogar explizit), dass sich der Norden Englands zu langsam entwickelt, dann ist auch das für Medien kein Anlass, ihnen eine arrogante, London-zentrierte Mentalität vorzuwerfen. Und wütende Politikerproteste aus den Reihen der Labour-Partei gibt es dann natürlich auch nicht.
Mein Kollege James hatte die Sache also vollkommen richtig beobachtet: eine faire, ausgewogene Berichterstattung war es eigentlich nicht, die seinem Bericht da zuteil wurde. Aber ebenso bezeichnend, dass mir dies erst auffiel, als er sich darüber bei mir beklagte. Man hat sich an den Linksdrall der meisten Medien einfach zu sehr gewöhnt.
Und zum Schluss noch, damit ich nicht missverstanden werde, eine Klarstellung: Ich finde es vollkommen in Ordnung, wenn die Medien Berichte von Think Tanks kritisch beurteilen - dafür sind Medien da. Aber es ist einfach nicht okay, wenn sich einzelne Presseorgane selektiv heraussuchen, wen sie kritisch beurteilen wollen und wem sie unkritisch alles durchgehen lassen. Das sollte für alle Medien gelten, erst recht aber für die durch Rundfunkgebühren finanzierte BBC.