Christoph Lövenich, Gastautor / 16.12.2024 / 12:00 / Foto: privat / 80 / Seite ausdrucken

Mathematiker und Bildungskritiker unerwünscht

Dem renommierten Mathematik-Professor Bernhard Krötz wird die Verwendung eines „N-Worts“ zur Last gelegt. Man schießt sich auf ihn ein, nachdem er vorher mit bildungspolitischer Kritik angeeckt ist.

„Zehn kleine black persons“ – das passt vom Versmaß her nicht zur Melodie des bekannten Kinderliedes. Professor Bernhard Krötz, der an der Universität Paderborn Mathematik lehrt, hat sich denn auch in einer E-Mail der Originalformulierung bedient. Ende Oktober ließ er – ungegenderte – „Studenten“ wissen, dass eine der parallel stattfindenden Übungen zur Vorlesung Lineare Algebra I künftig mangels Nachfrage ausfällt. „Die wenigen Teilnehmer verteilen sich bitte auf die verbleibenden Gruppen“, schrieb Krötz. „Hoffe, dass wir die zehn kleinen Negerlein nicht weiter singen müssen.“ Damit spielte der Mathematiker auf einen offenbar fortgesetzten Rückgang der Anwesendenzahl bei der Lehrveranstaltung an. Davon hört man auch an anderen Unis in anderen Fächern. Möglicherweise haben manche junge Leute, die durch die Corona-Zeit geprägt wurden, ein gestörtes Verhältnis zur physischen Präsenz entwickelt.

Die Negerlein-Äußerung des Hochschullehrers erhitzt die Gemüter. Derlei sei „nicht nur verletzend und diskriminierend“, sondern verstoße auch gegen „unsere gemeinsamen Werte von Toleranz und Respekt an der Universität“, heißt es in einer Erklärung, die von über einem Dutzend Fachschaften und mehreren Hochschulgruppen der südostwestfälischen Uni unterstützt wird. Ihr haben sich außeruniversitäre Organisationen wie das Bündnis gegen Rechts Paderborn und ein örtliches Feministisches Kollektiv angeschlossen. Vor dem Hintergrund von „Prof. Bernhard Krötz' Vergangenheit“ sei „diese Entgleisung als gewollte Provokation zu interpretieren“. Zu einer Provokation gehören immer auch diejenigen, die sich provozieren lassen. Die Erklärung wirft dem Wissenschaftler vor, dass er „nun auch offiziell in seiner Tätigkeit als Professor der Universität Paderborn rassistische Stereotype verbreitet“. Welche sollen das sein, wo er nur einen Liedtitel genannt hat?

Schulbildung im Visier

Die angesprochene „Vergangenheit“ des Betroffenen wird sich nicht darauf beziehen, dass er ein Heisenberg-Stipendium und eine ERC-Förderung für herausragende Wissenschaftler erlangen konnte. Außerhalb mathematischer Fachkreise hat sich Krötz vielmehr einen Namen als lautstarker Kritiker der Bildungsmisere in Deutschland gemacht. An der Vermittlung des Lehrstoffes, den Schulbüchern und der Niveauabsenkung hat er eine Menge auszusetzen. Berühmt wurde sein Video „Schulmathematik: Vergleich Indien-NRW“ – wie der wohl ausgegangen sein mag? Dort vertritt er die die Auffassung, dass die Mathe-Abschlussprüfung für baden-württembergische Realschüler in den 1970ern heute fast alle angehenden Realschullehrer in NRW überfordern würde. 

„Die jungen Leute scheitern nicht, weil sie zu untalentiert sind“, nimmt Krötz gegenüber Achgut Schulabsolventen in Schutz, „sondern weil man ihnen kein vernünftiges Arbeitsverhalten beigebracht und das nötige Wissen durch fachlich entkernte Lehrpläne vorenthalten hat.“ Den „Vorgaben der Ideologen und Indoktrinatoren im deutschen Bildungswesen“ weist er die Schuld zu. Dabei stellt er böse Absicht in den Raum: „Wissen ist Macht und das soll natürlich nicht bei der Bevölkerung sein und in der Schule nicht vermittelt werden“. Vor einer Weile habe ich „zunehmende Indoktrination und Volksverdummungs-Pädagogik“ ebenfalls als Hauptprobleme im Bildungssektor ausgemacht. Der zweite Punkt – wohl der gefährlichere – war im „Paradies der Werktätigen“ wenig ausgeprägt. Krötz empfiehlt konsequenterweise, alte Mathe-Lehrbücher aus der DDR zu verwenden. 

Der mittelfränkische Mathematiker kritisiert Auswüchse wie „sprachsensiblen Mathematikunterricht'' (siehe jenseits des Großen Teichs: „antirassistische Mathematik“) und Grundsätzliches wie die die große Rolle der Bertelsmann Stiftung bei der Transformation von Bildung in Deutschland. Damit tritt er manchen auf die Füße. Welche „diskriminierenden Aussagen“ er in diesem Zusammenhang allerdings getroffen haben soll, darüber lässt uns der studentische Aufruf gegen Krötz im Unklaren. Vielleicht stößt man sich daran, dass eines seiner Videos den Titel „Diskriminieren Sie!“ trägt und er dort den biologischen Unterschied zwischen Mann und Frau kurz erwähnt – das entspricht schließlich nicht dem woken Wissensstand.

Konsequenzen

Krötz‘ Gegner aus der erwähnten Erklärung – vielfach Studenten mit NRW-Schulhintergrund – verlangen von ihm eine Entschuldigung, von der Uni Paderborn eine Distanzierung sowie disziplinarische Maßnahmen gegen den Professor. Die Hochschule erkennt in den „Negerlein“ nichts strafrechtlich Verbotenes, wie sie dem Spiegel mitteilt, „behält sich vor dem Hintergrund ihres Werteverständnisses jedoch persönliche Gespräche ausdrücklich vor“. Krötz könnte also vor zeigefingerschwingende Uni-Vertreter zitiert werden.

Das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach (MFO) im Schwarzwald geht einen Schritt weiter: Der Workshop „Mathematik an Gymnasien”, den Krötz dort Ende Januar halten sollte, entfällt. Der Hochschullehrer wurde nach Achgut.com vorliegenden Informationen beim MFO denunziert; dass der Spiegel die Negerlein-E-Mail als „rassistisch“ einstuft, könnte dort Eindruck gemacht haben. „Diese Vorgänge“, teilt das MFO etwas unkonkret einem Radiosender mit, „sind vollkommen unvereinbar mit den Werten und Standards unseres Instituts“.

Der Paderborner Aufruf wirft dem Professor den „nächsten Schritt in einer Eskalation, die wir nicht hinnehmen können“, vor. Welche Eskalation? Dass er einen Bildungsnotstand anprangert, ist schon schlimm genug, jetzt erwähnt er auch noch metaphorisch ein Kinderlied? Wenn hier etwas eskaliert, dann die Cancel Culture. 

 

Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.

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Gisela Zabka / 16.12.2024

Erinnert stark an Coleman Silk, Philip Roths traurigen Helden im „Menschlichen Makel“, Silk, Professor für Altphilologie, der zu Beginn eines Seminars fragte, wo denn die beiden Studenten seien, die sich noch nie haben blicken lassen, „hat sie schonmal jemand im College gesehen oder sind es dunkle Gestalten [spooks], die das Seminarlicht scheuen“. Und damit war Coleman Silk erledigt, seine brillante Karriere am Ende. Die beiden Studenten waren Schwarze, „spooks“ soll früher ein abwertender Name für Schwarze gewesen sein, die Hexenjagd begann: Rassismus! Angeführt – wie wohl auch in Paderborn – von den Neidern und Mittelmäßigen, den vermeintlich Zukurzgekommene und Übergangenen, wobei sich eine Delphine Roux besonders hervortat (Roth wusste genau, wer die größten Moralapostel sind). Die Paderborner „Studierenden“ dürften im Übrigen in Schockstarre verfallen, sollten sie erfahren, dass es in Frankreich seit über dreißig Jahren eine Rockband namens „Les Négresses Vertes“, die Grünen Negerinnen, gibt, und von Philip Roth sei ihnen dringend abgeraten, denn da würden sie mit verbotenen Wörtern wie „Negername“ konfrontiert.

Donatus Kamps / 16.12.2024

An dieser Situation kann man wieder einmal - wie schon so oft - erkennen, welche beiden Gruppen die am stärksten diskriminierten Minderheiten in Deutschland sind: 1) die Intelligenten 2) die Menschen, die anderen Glaubensgemeinschaften angehören als den Glaubensbrüdern und Glaubensschwester:innen der Aufgeweckten des Linksgrünsozialismus. der letzten Klimatage (“Das Klimakterium ist nahe!”). Religiöse Toleranz ist bei diesen Aufgeweckten der letzten Klimatage gegenüber den Geboten, Sprachregeln, Sündenregistern und Ablaßregeln anderer Religionen nicht zu erwarten. Das Gebot des toleranten Miteinanders ist kein Gebot dieser Glaubensgemeinschaft.

W. Renner / 16.12.2024

„Krötz‘ Gegner aus der erwähnten Erklärung – vielfach Studenten mit NRW-Schulhintergrund – verlangen von ihm eine Entschuldigung,…“ Also überwiegend w/m/d´s aus bildungsfernen Schichten. Und dann auch noch die Baumschüler aus dem Schwarzwald. Wie viele Fields Medaillen hängen dort am Tannenzapfen? Welche mathematischen Fundamentalsätze haben die der Menschheit bisher beschert? Das Gleichungssterben als erste Ableitung aus dem Waldsterben vielleicht?

Gert Lange / 16.12.2024

Es geht auch an den Unis eben nur noch um politische Indoktrination. Wer da nicht mitspielen will muss den Dissidenten machen, alles kurz vor der wahren Demokratie (Diktatur), oder?

T. Schneegaß / 16.12.2024

@Dirk Jungnickel: “.... der GEISTESzustand in diesem rot-grün-linken Land sollte Anlass zur Sorge geben….” Wie recht Sie doch wieder mal haben. Selbst hier auf der Achse gibt es solche Anlässe zur Sorge, wenn man Kommentare wie “Moskaus Politik ist - bis auf wenige Ausnahmen - seit Jahrzehnten machtversessen und opportunistisch; eigentlich eine Binsenweisheit.” liest. Ist schon schlimm, nicht wahr?!

Holger Kammel / 16.12.2024

Zum Spaß, Mathematik und Medizin sind natürliche Feinde. Ein paar Medizinern erklären, wir machen eine gemeinsame Rechnung und sie dann teilen lassen.. Anschließend Lachen. Umwerfend komisch.

Xaver Huber / 16.12.2024

Prof. Krötz ist einer der ehrenwertesten Personen dieses Landes.

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