Die Evaluation der Corona-Politik ist überraschend kritisch ausgefallen, vor allem in ihrer juristischen Beurteilung. Auch wenn sie den Weg in den Hygiene-Staat light weist: Hinter die Ergebnisse sollte niemand zurückfallen.
Der Irrtum der Corona-Politik, der ihre denklogische Voraussetzung ist, besteht in der Annahme, das Corona-Virus wäre so gefährlich, dass seine infektionsmäßigen Auswirkungen „oben drauf“ kommen: Die Krankheits- und Sterbefälle, die im Zusammenhang mit einer Infektion stehen, träten also zum üblichen Krankheits- und Sterbegeschehen hinzu, was einen gesundheitlichen Notstand bedeute, gegen den Maßnahmen zu ergreifen in der unbedingten Verantwortung des Staates läge.
Zwar sähe man hierzulande weder im Alltag noch in den Statistiken über das übliche Ausmaß zweifellos erkennbar hinausgehende Krankheits- und Sterbefälle, das läge allerdings bereits an den präventiv ergriffenen Maßnahmen: An Italien, Brasilien oder Spanien hätte sich doch gezeigt, was passieren würde, ließe man das Virus einfach laufen. Kritiker der Maßnahmen, die von Beginn an deren Wirkungslosigkeit, vor allem aber deren Sinnlosigkeit in einer überall zur Entwarnung veranlassenden Lage konstatierten, verglichen dieses Argument treffend mit dem Elefanten-Witz. Ein Mann, der klatscht, um Elefanten fernzuhalten, wird durch deren Abwesenheit in seiner Annahme bestätigt, dass sein Klatschen wirkt.
Um das Klatschen gegen nicht-existente Dickhäuter dennoch zu verteidigen, könnte man jedoch argumentieren wie der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen, der sich zu dem nun vorliegenden Evaluationsbericht so geäußert hat: „Die Abwesenheit von Evidenz zur Wirksamkeit ist keine Evidenz für die Abwesenheit von Wirksamkeit". Dahmen steht für die Corona-Ideologie in ihrer letzten Entfaltungsstufe. Er bezeugt den Mythos reiner Wissenschaftlichkeit, die, wie nun offiziell wurde, gerade nicht auf systematisch erhobenen und rational interpretierten Fakten beruhte, sondern auf den Meinungen von Experten, die qua Regierungskonformität als seriös gelten. Maßnahmen dürften dem Grünen zufolge nicht nur dann ergriffen werden, wenn sie im Vorfeld von keiner Evidenz gedeckt sind, sondern auch dann, wenn sie sich im Nachhinein nicht einstellt.
Demgegenüber ist darauf zu beharren, dass Grundrechtseinschränkungen per se felsenfest begründet werden müssen und die Beweislast ihre Befürworter, mitnichten ihre Kritiker tragen. Andernfalls opfert sich die bürgerliche Gesellschaft, zu deren Substanz die Individualrechte gegenüber staatlicher Willkür gehören, einem so neurotisch ängstlichen wie autoritären Präventionsstaat, der Spekulationen und mathematische Modellierungen zu angeblich künftig eintretenden Katastrophen als hinreichend dafür betrachtet, auch ohne gegenwärtige Gefahrenlage rechteeinschränkend entgegenzusteuern; ein Konzept, das auch jenseits von Infektionskrankheiten anzuwenden begehrt wird. Der Staat versteht sich selbst hierin nicht mehr als in seinem Herrschaftsbereich universaler Garant für ein verfassungsgemäß geregeltes Miteinander, sondern als Hirte in schwerer Zeit, der seine dümmlichen Schäfchen notfalls zu ihrem eigenen Vorteil mit dem Gebell seiner Hunde zur Räson bringt.
Missstände vergleichsweise radikal benannt
Man sollte vermehrt über die „Entscheidungsfähigkeit“ der Bürger nachdenken, die sich allzu oft der wissenschaftlichen Vernunft versperren, meint etwa Christian Drosten, der den Evaluationsausschuss glücklicherweise frühzeitig verließ und wie kein Anderer für einen von keinen verfassungsmäßigen Hemmnissen getrübten Wissenschaftsautoritarismus steht, dessen Überheblichkeit nur deswegen vergleichsweise so wenigen sauer aufstößt, weil Kants Verständnis von Mündigkeit und Aufklärung nicht auf die Gegenwart und ihre politischen Gefahrenlagen bezogen wird.
Heutzutage trumpfen in westlichen Gesellschaften unrechtmäßige Autoritären kaum noch etwa als religiöse Moralapostel auf, sondern vielmehr als wissenschaftliche Experten, deren peinlich berührende Selbstüberschätzung nicht nur von Fachidiotie und einer Geringschätzung von verfassungsmäßig verbrieften Ansprüchen zeugt, sondern in vielen Fällen auch mit psychologisch-biographischen Kompensationsbedürfnissen zusammenhängen dürfte: Die Nerds hatten mit Corona endlich das Sagen und durften den Lebenslustigen und Unbeschwerten den Marsch blasen. Im Kontrast dazu ist der Sachverständigenausschuss jedoch um Sachlichkeit bemüht und im Ton sowie seiner Multidimensionalität angenehm.
In die bisherige Symbiose aus Politik und Experten reiht sich der Bericht nicht ein. Die Politik berief sich stets unbestimmt auf konforme Wissenschaftler, die ihrerseits angaben, nur objektive Berater und daher (auch rechtlich) keine verantwortlich zu machenden Entscheidungsträger seien: eine Behauptung, die juristisch hoffentlich noch auf den Prüfstand gerät. Diese zirkuläre Logik, die über die Immanenz bestehender Politik höchstens zaghaft justierend hinauswies, führt zu den nun prominent und vergleichsweise radikal benannten Missständen: ein vom Robert-Koch-Institut und namentlich von Lothar Wieler zu verantwortender Datensalat sowie die Evidenzlosigkeit der ergriffenen Maßnahmen, ihre undemokratische Durchsetzung und kommunikative Vermittlung sowie rechtskonstruktiv schwerwiegende Probleme, die im Grunde keine einzige Grundrechtseinschränkung unberührt lassen.
So stelle bereits die „Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ eine „juristisch fragwürdige Konstruktion dar“, die sich für die Zukunft verbiete. Die darin „vorgenommene Verlagerung wesentlicher Entscheidungsbefugnisse auf die Exekutive wird im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ganz überwiegend für verfassungswidrig gehalten“. Mehr noch: „Die genannten Bestimmungen des § 5 Abs. 2 IfSG“, in denen zu den gelisteten Maßnahmen ermächtigt wird, „sind verfassungswidrig. Dieses Verdikt lässt sich auch nicht durch eine streng restriktive Auslegung und Anwendung der inkriminierten Normen vermeiden, da eine verfassungskonforme Auslegung hier nicht ersichtlich ist.“
Im Grunde ist damit die gesamte Corona-Politik als rechtswidrig abgekanzelt; eine Einsicht, die in den Medien nicht prononciert wird, weil sie den Journalismus ob seiner Mitmachbereitschaft und Diffamierungslust von Kritikern in Erklärungs- und Rechtfertigungsnot bringt. „Partizipation beinhaltet auch, Kritik und Skepsis ernst zu nehmen und sich aktiv damit auseinanderzusetzen. Abweichende Meinungen wurden in der Corona-Pandemie oft vorschnell verurteilt. Wer alternative Lösungsvorschläge und Denkansätze vorschlug, wurde nicht selten ohne ausreichenden Diskurs ins Abseits gestellt“, eine Belehrung, die bei Weitem nicht nur die Öffentlich-Rechtlichen blamiert.
Die Mitte falscher Versöhnung
Statt das Verdikt zur Verfassungswidrigkeit in der gebotenen Ernsthaftigkeit zu entfalten, was die Frage nach sich zöge, wie begangenes Unrecht bestraft und wiedergutzumachen wäre, argumentieren die sich selbst so verstehenden Regierungs-Berater jedoch für einen Hygiene-Staat light: Die staatliche Interventionsnotwendigkeit im Angesicht von Pandemien, als die heutzutage de facto auch Infektionskrankheiten vom Kaliber der Grippe gelten, setzen sie unhinterfragt voraus, etwa indem sie die Anzahl der weltweiten Corona-Toten ohne epidemiologisch-vergleichende Kontextualisierung angeben, ohne die absolute Zahlen jedoch per se nicht aussagekräftig sein können.
Die absolute Anzahl weltweiter Schlaganfälle mag für sich katastrophal wirken, ist jedoch nur im Verhältnis zu den Vorjahren realitätsgerecht einzuordnen. Einen solchen Vergleich, der am Anfang jeder gesundheitlich begründeten Intervention zu stehen hätte, so künftige Staatseingriffe nicht auch bei Lappalien möglich sein sollen, bleibt auch der Evaluationsausschuss schuldig. Immerhin bekräftigt er nicht positiv die Propaganda des RKIs, das sich mit seiner Risikoeinschätzung einer „hohen Gefahr“ für die Bevölkerung noch heute der Lächerlichkeit preisgibt.
Kritik wird geübt, während zugleich künftiges Unheil auf den Weg gebracht wird: „Um für die nächste Pandemie gewappnet zu sein, sollten Befugnisnormen geschaffen werden, die nicht nur auf SARS-CoV-2 zugeschnitten sind, sondern für alle Krankheitserreger gelten.“ Handelt künftige Politik nach Maßgabe der Evaluation, werden sich die schlimmsten Exzesse der Corona-Politik bis auf Weiteres nicht wiederholen; dies aber um den Preis des Einpegelns in einer Mitte falscher Versöhnung, die den seit Corona salonfähig gewordenen Bruch mit dem rechtstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht revidiert, sondern chronifiziert.
Denn der Evaluationsbericht mahnt nicht an, was doch so zentral wäre: Jeder Staat hat positiv nachzuweisen, dass eine Gefahrenlage besteht, seine Maßnahmen zielführend und verhältnismäßig sind, sowie vernünftige (also keiner stümperhaften Datenerhebung folgenden) Kriterien anzugeben, an welche die Rückkehr in den Normalzustand gebunden ist. Bis heute kann auch der Sachverständigenausschuss nicht angeben, wann denn die Pandemie eigentlich vorbei wäre.
Bleibt diese Kritik jedoch aus, können auch künftig top-down übermittelte Pandemie-Postulate einer durch Pharma-Interessen dominierten WHO vermittlungslos in den Ausnahmezustand katapultieren, der in bürgerlichen Gesellschaften eine legitime Option darstellt, von der sie allerdings nur dann und solange Gebrauch machen dürfen, wie er sich in Abwägung mit den Grundrechten rechtfertigen lässt. Wo eine Krankheit sich über einen klinisch irrelevanten Test definiert, ohne den diese gar nicht identifiziert werden kann, ist mit moderner Medizin gebrochen, da beißt sich die Katze in den Schwanz: Das Instrument, mit dem man sucht, definiert zugleich den Fund: Mit dieser Kritik an der zirkulären Methodologie „leugnet“ man materiell überhaupt nichts, sondern bestreitet nur, dass das derart Identifizierte einen eigenen Namen verdient; eine Denkbewegung, welche die meisten Menschen intellektuell keineswegs überfordert hätte, sondern aus anderen Gründen scheiterte.
Wie wollen wir miteinander leben?
Dieses, wenn man so will, philosophische und erkenntnistheoretische Argument, findet auch keinen Eingang in den Evaluationsbericht, dessen Autoren stattdessen prognostizieren, dass „jede neue Infektionskrankheit ihre eigenen, nur schwer vorherzusehenden Eigenschaften aufweisen wird“, ohne angeben zu können, durch welche Merkmale sich Covid-19 gegenüber den Influenza-like-Illnesses (wie es früher hieß) überhaupt auszeichnet. Dass man zwischen Schnupfen und Pest jedoch zu unterscheiden hat, wird indes zugestanden: „Ein Virus, das zwar viele Krankheitsfälle verursacht, aber kaum gravierende Verläufe, ist rechtlich anders zu bewältigen als ein Virus, das bei einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung Langzeitschäden verursacht.“
Das stimmt zwar, doch kommen dieselben Autoren nach einer „Analyse von 23 Reviews und 102 primären Studien durch eine Gruppe von Epidemiologen und Gesundheits-Analysten aus der Schweiz und den USA“ lediglich zu der Einschätzung, dass all diese Untersuchungen darauf hindeuten, dass Post-Covid „möglicherweise (!) eine Auswirkung auf die öffentliche Gesundheit (!) und auch das Familien- und Arbeitsleben hat.“ Damit ist die Frage danach, in welche der beiden Kategorien SARS-CoV-2 fällt und wie es rechtlich zu bewältigen wäre, der eigenen Darstellung nach eigentlich entschieden, weil im Zweifel die Faktizität immer die Potenzialität zu schlagen hätte. Als mögliche Gefährdung ließe sich schließlich ständig irgendetwas ausmachen.
Die von den Sachverständigen zur Beschreibung von Covid-19 herangezogenen Merkmale – meistens Erkältungssymptome, das nun als Long Covid neudefinierte Fatique-Syndrom, mitunter lebensbedrohliche Lungenentzündungen und systemisches Organversagen – sind genauso charakteristisch für andere Erkältungsviren, für die schon immer galt, dass sie leicht übertragbar, weil in der Regel harmlos sind. Es ist nachgerade absurd, dass ausgerechnet die zumeist symptomlose Übertragung für die Gefährlichkeit des Erregers herhalten musste, bezeugt diese doch die auf breiter Ebene vorhandene Schlagfertigkeit der natürlichen Immunantwort. Mit der für sich schon komischen Ansicht, dass mehrheitlich symptomlose Übertragungen überhaupt in den Einmischungsbereich des Staates fielen, ist man in der Nähe einer Frage, die das rein Faktische und von Experten prioritär zu Beantwortende von vornherein übersteigt, weil sie universaler, ethischer und ästhetischer Natur ist: Wie wollen wir miteinander leben?
Wollen wir einen Staat, der im Spielen von Kindern Infektionsherde erkennt; für den die Zulässigkeit von öffentlichen Veranstaltungen, nach denen es allen Teilnehmern gut geht, von irgendwelchen Laborergebnissen abhängig macht? Wollen wir die gruppenbezogene Aufteilung in vorbildlich und unsolidarisch bereits im Klassenzimmer beginnen lassen, noch bevor die dort Sitzenden sich einen Gesellschaftsbegriff aneignen konnten, der um die Tücken kollektiver Mobilisierungen genauso weiß, wie er im Zweifel auf das Recht auf Individualität und Abweichung besteht?
Kurzsichtige und lieblose Argumentationen
Die Maskenpflicht, für die sich der Ausschuss zwar nicht generell ausspricht, deren möglichen Nutzen er aufgrund von „epidemiologischen Erkenntnissen und tierexperimenteller Bestätigung“ aber als gegeben betrachtet, wäre auch dann nicht zu verteidigen, wenn sie den intendierten Zweck zumindest teilweise gerecht würde: Es gibt sehr viel Wichtigeres als verhinderte Infektionen, ja als Gesundheit und dazu gehört, dass man sich nicht uniformiert, sondern in seinen mimischen Ausdrucksmöglichkeiten frei zueinander verhalten darf, weil das menschliche Antlitz in der Öffentlichkeit grundsätzlich in Freiheit erstrahlen sollte. Das ist kein Pathos, sondern doch eine Selbstverständlichkeit, die einem nicht nur jede Bahnfahrt offenbart, sondern auch die Gehässigkeit und Zwietracht, die Maskenpflichten unweigerlich hervorrufen, im Evaluationsbericht aber gar nicht besprochen werden.
Es gehört zu den Ungeheuerlichkeiten der vergangenen zwei Jahre, dass sich dahingehend kein wirkmächtiger Konsens geltend machte; dass die Regierenden durch entsprechende Verordnungen sogar die eigene Lebensqualität und die ihrer Kinder erheblich zu mindern bereit waren; dass die Maskenfrage nicht als die tiefgreifende („eingriffsintensiv“) Angelegenheit verhandelt wurde, die sie ist – als beträfe sie „nur ein Stück Stoff“, das prinzipiell jedem zumutbar wäre. Insbesondere Soziologen, Psychologen und Ästheten hätten, schon der Würde ihrer ureigenen Disziplinen wegen, gegen einen naturwissenschaftlich bornierten Moralismus einstehen müssen, der in seinen mechanisch-reduktiven Voraussetzungen nicht einmal selbsterklärend ist.
So ist es verblüffend kurzsichtig, die behauptete partielle Wirksamkeit von Lockdowns mit einer „biologischen und physikalischen Plausibilität“ damit zu begründen, dass die „Reduktion enger physischer Kontakte zur Reduktion von Infektionen“ führe, denn der entscheidende Endpunkt wäre doch die Verhinderung von Krankheit. Ein Immunsystem kann von Infektionen mit vielfältigen Erregern auch profitieren, indem es auf diese Weise Resistenzen aufbaut, die wiederum zur Herdenimmunität beitragen, die in den feuchten Träumen von Pharmaaktionären nun alljährlich herbeigeimpft werden müsse. So ist es überaus naheliegend, dass in Einsamkeit und Isolation gehaltene Menschen zwar weniger Infektionen durchmachen, am Ende des Tages jedoch öfter kränker werden und insgesamt schwächer sind, als sie es ohne Kontaktbeschränkungen gewesen wären.
Genauso lieblos argumentierten die Autoren, wenn sie behaupten, dass man bei einem „hohen Infektionsgeschehen und einer (drohenden) Überlastung des Gesundheitswesens gezwungen“ sein könne, „Zugangsbeschränkungen einzuführen“. Fällt damit doch unter den Tisch, dass die Intensivstationen in der nationalen Gesamtschau nicht nur nie an ihre Grenzen gerieten, sondern gar unterhalb der bei 80 Prozent liegenden Idealauslastung arbeiteten, worüber die Statistiken der DIVI-Intensivmediziner bis heute in unzweideutiger Weise Auskunft geben. Wichtig ist indes, das Folgendes angesprochen wird: „Weitere Surveillance-Projekte zur Überwachung akuter Atemwegserkrankungen sollen die Epidemiologie, die Krankheitsschwere und die Krankheitslast in der Klinik sowie die Gesamt-Mortalität erfassen und verfolgen. Entscheidungsträgerinnen und -träger haben sich trotz dieser etablierten (!) Sentinel-Systeme während der gesamten Pandemie stark auf die Meldedaten fokussiert.“
Die Aktualität Kants
Das dürfte schlichtweg daran gelegen haben, dass sich mit den etablierten Meldesystemen keine autoritäre Politik machen ließ, weil sie keinen Anlass zur Beunruhigung gaben. Angesprochen auf die Diskrepanz zwischen Melde- und Sentineldaten gestand das RKI einmal zu, dass Covid-19 auf „Bevölkerungsebene nicht wahrnehmbar“ sei. Bei der Verhandlung von mikroskopisch vergrößerten Messrealitäten auf der Gesellschaftsebene handelt es sich um eine wider besseres Wissen-Wollen betriebene Selbst-Hypnose, auf die auch der Evaluationsbericht hereinzufallen scheint.
Der Gesetzgeber scheint den dennoch überraschend kritischen Bericht nicht erwartet zu haben. Es muss noch so etwas wie ein latent schlechtes Gewissen in der ruinösen bürgerlichen Gesellschaft geben, das die Evaluation der Maßnahmen im Infektionsschutzgesetz festschrieb. Von den Sachverständigen ist der Gesetzesauftrag nun mit einer nicht von der Hand zu weisenden Ernsthaftigkeit erfüllt worden. Sollte das Debattenniveau künftig nicht hinter die Ergebnisse zurückfallen, was voraussetzen würde, dass der Bericht auch im Original und nicht nur medial vorgefiltert rezipiert würde, wäre schon einiges gewonnen – das spricht weniger für den Bericht selbst als gegen die durchschnittliche Einfältigkeit des bisherigen Corona-Diskurses.
Nichts davon, was die Evaluation an triftigen Aussagen enthält, erfordert eine wissenschaftliche Vorbildung oder eine Kenntnis öffentlich nicht zugänglicher Daten und Fakten. Die Expertokratie, für die der Bürgerwille lediglich ein potenzielles Hindernis im Regierungsgeschäft darstellt, den man bestenfalls didaktisch zielführend mitnehmen müsse, erinnert an die anhaltende Aktualität Kants, der gewiss keinen Evaluationsbericht abgewartet hätte, um von seiner Vernunft öffentlich Gebrauch zu machen.
„Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (…) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen.“ Möge der Bericht möglichst vielen auf die Beine helfen.
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