Stefan Frank / 30.12.2020 / 14:00 / 7 / Seite ausdrucken

Marokko will jüdische Geschichte in Lehrplan aufnehmen

Wie israelische und arabische Medien unter Berufung auf die französische Nachrichtenagentur AFP berichten, wird die jüdische Geschichte und Kultur Marokkos bald Teil des Schullehrplans sein – so etwas gibt es in keinem anderen arabischen Land. Die Entscheidung „hat die Auswirkungen eines Tsunamis“, sagte Serge Berdugo, Generalsekretär des Rates der jüdischen Gemeinden Marokkos in Casablanca gegenüber AFP – und das meinte er in einem guten Sinn.

Obwohl Marokko seit 2000 keine offiziellen Beziehungen zu Israel hatte, besuchten weiterhin jedes Jahr tausende von Juden marokkanischer Herkunft – auch aus Israel – das Land ihrer Vorfahren, um religiöse Feiertage zu feiern oder Pilgerreisen zu unternehmen.

Anfang Dezember wurde Marokko das vierte arabische Land, das in den letzten vier Monaten seine Feindseligkeiten mit Israel beilegte und die Aufnahme (in Marokkos Fall: Wiederaufnahme) diplomatischer Beziehungen ankündigte. Die Nachricht war zuerst von US-Präsident Donald Trump und dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu verkündet worden, der marokkanische Königspalast bestätigte sie kurz darauf.

In einer Mitteilung hieß es, König Mohammed VI. habe zugestimmt, mit „minimaler Verzögerung“ volle diplomatische Beziehungen zu Israel herzustellen. Zuvor hatten die Vereinigten Staaten Marokkos Souveränität über die Westsahara anerkannt.

Seit Monaten vorbereitet

Wie AFP berichtet, wurde die Aufnahme der jüdischen Geschichte in die Lehrbücher seit Monaten vorbereitet, im Geheimen, was darauf schließen lässt, dass auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel schon seit Monaten feststand. Noch im August hatte Marokkos islamistische Regierung einen solchen Schritt abgelehnt. Sehr wahrscheinlich war selbst sie vom König nicht in dessen Pläne eingeweiht worden.

Jüdische Geschichte soll „ab dem nächsten Halbjahr“ Teil des Lehrplans werden, schreibt AFP unter Berufung auf das marokkanische Bildungsministerium – und zwar im letzten Grundschuljahr, für Kinder von elf Jahren. Der Schritt ziele darauf ab, „die vielfältige Identität Marokkos hervorzuheben“, so Fouad Chafiqi, Leiter der akademischen Programme des Ministeriums.

Marokko habe „sein jüdisches Gedächtnis nie gelöscht“, sagte Zhor Rehihil, Kurator des marokkanischen jüdischen Museums in Casablanca – des einzigen seiner Art in der Region – gegenüber AFP. Der Geschichtslehrer Mohammed Hatimi sagte der Nachrichtenagentur, die „Einführung der jüdischen Identität“ in das marokkanische Curriculum werde dazu beitragen, „zukünftige Bürger zu fördern, die sich ihres vielfältigen Erbes bewusst sind“.

Marokko hat seit Jahren eine Sonderrolle in der islamischen Welt. 2009, als der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad den Holocaust leugnete, nannte König Mohammed VI. die Schoah „eines der tragischsten Kapitel in der modernen Geschichte“. Im September 2018 ließ er vor der UN-Generalversammlung eine Rede verlesen, in der er sagte:

„Rassismus im Allgemeinen – und Antisemitismus im Besonderen – sind keinesfalls nur eine Denkungsart. Antisemitismus ist die Antithese zur Meinungsfreiheit. Sie enthält eine Verneinung des Anderen und ist ein Eingeständnis des Scheiterns, ein Armutszeugnis und eine Unfähigkeit zur Koexistenz. Er impliziert eine anachronistische Rückkehr in eine mystisch verklärte Vergangenheit.“

„Alles ist möglich“

Eine weitere Überraschung gab es letzten Donnerstag, als Marokkos UN-Botschafter Omar Hilale in New York an einer von der israelischen UN-Mission veranstalteten Channukah-Zeremonie teilnahm. Dabei hob Hilale „die engen Beziehungen seiner Regierung zur marokkanischen jüdischen Minderheit“ hervor, insbesondere während des Holocaust. „Wir freuen uns sehr, ein weiteres Signal für das Engagement Marokkos für das zu senden, was Chanukka darstellt – das Ende der Dunkelheit … den Beginn des Lichts“, fügte Hilale hinzu.

Israels UN-Botschafter Gilad Erdan, der gemeinsam mit Hilale einen Chanukka-Leuchter anzündete, sagte bei der Zeremonie, dass das jüngste Normalisierungsabkommen „den Traum vieler Israelis marokkanischen Erbes“ erfülle, die „stolz auf ihre Wurzeln“ blieben und eine „große Liebe für das Land“ hätten:

„Indem wir unsere Unterschiede aufgreifen, anstatt sie als Bedrohung zu betrachten, haben wir neue unglaubliche Möglichkeiten für die Zukunft geschaffen. Wenn Sie mir vor ein paar Monaten gesagt hätten, dass ich mit meinen Freunden aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko Chanukka-Kerzen anzünden werde, hätte ich gesagt: ‚Unmöglich‘. Aber hier senden wir eine Botschaft der Hoffnung an die jungen Menschen in unserer Region, dass alles möglich ist.“

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

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Leserpost

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sybille eden / 30.12.2020

A.Ostrovsky, haben sie mal darüber nachgedacht welche Überlebensfähigkeit Westsahara ohne die Obhut und wirtschaftliche Hilfe Marokkos hat ? Sie wären nicht mal in der Lage ihre wenigen Bodenschätze zu fördern, noch ihre Kamele mit genügend Heu zu füttern, geschweige denn irgend eine Art von Energie zu erzeugen außer dem Feuerchen von Kamelmist ! Einfach mal nachdenken.

Lutz Herrmann / 30.12.2020

Kein Verdienst von Obama oder Biden oder Flinten-Uschi. Soviel ist mal sicher.

Ralf Pöhling / 30.12.2020

Wunderbare Entwicklung. König Mohammed VI. macht seinem Ruf als Modernisierer derzeit alle Ehre. Wenn die islamische Welt nach vorne aufschließen will, muss sie damit aufhören, dass sich ihre Führer zuvorderst über alte Feindbilder an der Macht halten. Die Juden sind nicht daran Schuld, dass die islamische Welt nicht aufholt, sondern ihre theokratischen und rückwärtsgewandten Ultrakonservativen, die jegliche Eigeninitiative ihrer Völker unterdrücken und die daraus mangelnde Entwicklung dann auf eine angebliche Unterdrückung durch die Juden schieben. Die Richtung, die der König eingeschlagen hat, stimmt. Genau wie bei den bisherigen Vorreitern aus dem arabischen Raum. Selbst die Saudis unter MBS haben die Zeichen der Zeit erkannt. Man darf jetzt nur nicht zu viel in zu kurzer Zeit erwarten, sonst folgt der Backlash. Für den Westen gilt das selbe in die andere Richtung: Wir sind zu progressiv. Viel zu progressiv. Es braucht einen guten Schuss Konservativismus, damit der Westen sich stabilisiert. Wenn das gelingen sollte, rücken der Westen und die islamische Welt jeweils von links und rechts aufeinander zu und treffen sich hoffentlich irgendwann in der Mitte. Wenn dieses Ziel erreicht sein sollte, wäre das größte Problem der Globalisierung vom Tisch. Man kann nur hoffen, dass Biden, sofern er denn trotz auffälliger Wahlmanipulationen doch zum Präsidenten gekürt werden sollte, Trumps einzigartige Außenpolitische Erfolge nicht wieder sofort zum Einsturz bringt.

A. Ostrovsky / 30.12.2020

Für die Anerkennung ihrer völkerrechtlichen Besetzung der Westsahara machen die sogar sowas. Viel wird da nicht dahinter sein. Herzliche Beziehungen… Wir brauchen mehr Tempo ... Taschentücher.

Irmgard Grünberg / 30.12.2020

Endlich auch einmal eine freudige Nachricht. Der Antisemitismus in Deutschland beschämt mich zutiefst, insbesondere die ambivalente Haltung unserer Politiker.

Chr. Kühn / 30.12.2020

Und die Unseligen Unseren hocken verständnislos daheim und schmollen. Recht so! Möge diesen neuen bzw. erneuerten Freund- und Partnerschaften ein langes Leben, aber auch ein langer Atem beschert. Einfach wird es nicht werden, und es gibt noch zu viele, denen das alles überhaupt nicht in den Kram paßt. Nichtsdestotrotz ein gar nicht so kleiner Lichtblick in diesen düsteren Zeiten! Allen Gutachslern, hinter wie vor dem Monitor, wünsche ich einen ruhigen Altjahresaus- und Neujahreseinklang. Bleibt’s gsund und munta! :-)

Stefan Riedel / 30.12.2020

Donald Trump macht’s möglich! Und Peking-Joe? Kassiert nur ab.

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