Seit die Bürger des kleinen Ortes Mehring bei Altötting die Frechheit besaßen, einen ihnen im nahen Stadtwald zugedachten Wind-„park“, sogar den größten Bayerns, qua Bürgerentscheid abzulehnen und dieser unerhörte Vorfall in ganz Deutschland die Runde machte, ist in der Bayerischen Staatskanzlei Feuer unter dem Dach.
Denn die geplanten vierzig gigantischen Windräder im Staatswald waren zu einem Prestigeprojekt der Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern stilisiert worden mit der erklärten Absicht, den Windkraftirrsinn aus dem Hause Habeck in Berlin noch zu toppen. Bayern vorn, lautet Söders Ansage, auch in Sachen der sogenannten Erneuerbaren.
Zum Glück ist ein weiterer Bürgerentscheid in Marktl am Inn, für den sich der bayerische Wirtschaftsminister und Windkraftfan Hubert Aiwanger (Freie Wähler) mächtig ins Zeug gelegt hatte – das Windkraft-Industriegebiet soll sich über das Gebiet von insgesamt sieben Gemeinden erstrecken – zugunsten des Projektes ausgefallen. Doch schon droht ein neues Bürgervotum, diesmal in der Gemeinde Haiming und ebenfalls initiiert von der regen Bürgerinitiative „Gegenwind Altötting“, die Söder, Aiwanger & Co. schon die erste Niederlage eingebrockt hatte.
Jetzt ist Söder offenbar entschlossen, die Notbremse zu ziehen: Bürgerwille gut und schön, aber bitte nicht zu viel davon! Direkte Demokratie sei zwar ein „hohes Gut“ sagte Söder jüngst in einer Regierungserklärung zur „Modernisierung Bayerns“. Doch dürfte sie nicht zur Blockade von Zukunftsprojekten genutzt werden, zu denen Söder auch die Windkraft zählt. Deshalb sollen jetzt wohl die Hürden für die Bürgerbeteiligung erhöht werden, schließlich habe Bayern hier im Ländervergleich die großzügigsten Regelungen.
Bürgerbeteiligungs-Abrissoffensive
Gleich in einem Aufwasch will Söder auch das Verbandsklagerecht abschaffen, das es NGOs, vor allem Umweltverbänden, ermöglicht, etwa gegen Infrastrukturprojekte Klage zu erheben oder auch die Einhaltung von Klimaschutzregelungen vor Gericht zu erstreiten, wie es sich etwa die besonders klagefreudige Deutsche Umwelthilfe zu ihrer Aufgabe gemacht hat. Allerdings steht diesem Vorhaben, Bürgern und Verbänden Mitspracherechte zu beschneiden, die internationale Aarhus-Konvention entgegen. Das schon 2001 in Kraft getretene Übereinkommen regelt den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Auch sämtliche EU-Staaten gehören zu den Unterzeichnern der Konvention.
Söders Bürgerbeteiligungs-Abrissoffensive stellt eine markante Kursänderung dar, hatte sich die CSU doch bislang immer mächtig gebrüstet mit der direkten Demokratie, insbesondere jener auf kommunaler Ebene. Bürgerbeteiligung erhöhe die Akzeptanz politischer Entscheidungen, heißt es noch in dem im Oktober 2023 verabschiedeten Grundsatzprogramm der Christsozialen. Sie schaffe zusätzliche Legitimität und mache, wunderbare Wortschöpfung, „Demokratie erlebbar“. Bayern sei das „Land der Volks- und Bürgerentscheide“ – nirgendwo sonst in Deutschland gebe es so viele direkt-demokratische Entscheidungen wie im Freistaat. „Direkt-demokratische Instrumente bereichern und ergänzen die parlamentarische Demokratie. Sie haben befriedende Wirkung.“
Auf Söders Kahlschlag-Ankündigung folgte sogleich ein veritabler Shitstorm von Seiten der Opposition sowie betroffener Verbände. Die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die in Bayern schon mehrere erfolgreiche Volksbegehren („Rettet die Bienen“, „Für echten Nichtraucherschutz“) auf Landesebene durchgebracht hatte, kündigte sogleich eine neue Initiative an, um Söder in die Arme zu fallen. Söders Koalitionspartner, die Freien Wähler, die vergangenes Jahr in ihrem Landtagswahlprogramm sogar eine „Absenkung der Mindestbeteiligung bei Bürgerentscheiden“ forderten, versuchen einstweilen, den Ball flach zu halten. Richten soll es jetzt ein „Runder Tisch“ unter Leitung des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein zur „Weiterentwicklung von Bürgerentscheiden“.
Doch wie groß ist die angebliche Blockadewirkung von Bürgerentscheiden in Bayern, insbesondere was Erneuerbare Energie und „Klimaschutz“ angeht? Der bundesweit tätige Fachverband Mehr Demokratie hat nachgerechnet: In einem Zeitraum von 2013 bis 2022 gab es in Bayern auf kommunaler Ebene 150 „Klima-bezogene direkt-demokratische Verfahren“. Nur ein Drittel davon hätte „bremsende Wirkung“ entfaltet, sagt Sprecher Jan Renner. Bei zwei Dritteln sei es dagegen um „Klimaschutz fördernde Maßnahmen gegangen“. Eine Blockade sei aus diesen Zahlen nicht ersichtlich, sagt Renner, auch wenn in Einzelfällen ein Windprojekt per Bürgerentscheid gekippt worden sei.
Dass vierzig Prozent aller direkt-demokratischen Verfahren derzeit auf Bayern entfielen, sei richtig, bestätigt Renner. Ein Manko sieht er darin naturgemäß nicht, im Gegenteil. Außerdem sehe die Zahl größer aus, als sie sich in Wirklichkeit ist: Statistisch gesehen sei in jeder Kommune nur alle 16 Jahre ein solches Verfahren zu erwarten. Was Volksbegehren auf Landesebene anbelangt, hat Bayern, im Gegensatz zu den Regelungen auf kommunaler Ebene, mit die strengsten Vorschriften. Die Erfolgsquote von Volksbegehren liegt in Bayern bei nur 22,5 Prozent, damit liegt Bayern im Ranking der Bundesländer nur auf dem 11. Platz.
Für Panik bei den Freunden der repräsentativen Demokratie und der unumschränkten Parteienherrschaft besteht also eigentlich kein Anlass. Mal sehen, was bei dem angekündigten Runden Tisch herauskommt. Entweder verläuft Söders Panikattacke im Sand oder man schraubt doch ein wenig an den Quoren. Dann stünde allerdings neuer Streit mit den Freien Wählern ins Haus.
Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.