Rainer Grell / 14.09.2016 / 12:00 / Foto: Mark Ahsmann / 1 / Seite ausdrucken

„Manni Banane, ich Kopf – Tor“

Sie wussten nicht, dass Fußball auf mehreren Ebenen gespielt wird? Natürlich wussten Sie das. Die Frage kam nur etwas überraschend. Sie dachten spontan, da spielt Hummels (oder „Pummels“ wie eine meiner Enkeltöchter sagt; Mats wird es ihr nachsehen, sie ist erst zwei) gegen Neymar und dieser gegen Neuer usw. Stimmt, aber das ist eben nicht alles.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin kein Fußballexperte, nicht mal ein Fan. Aber wenn die Bundeskanzlerin und ihr Innenminister und sogar das Staatsoberhaupt zu einem Fußballmatch erscheinen, Angela Merkel anschließend sogar bis in die Katakomben vordringt, um Jogis Jungs zu knuddeln, dann ist das mehr als nur ein harmloses Spiel, wie wir es früher (Anfang der fünfziger Jahre, um genau zu sein) mit einer Schweinsblase spielten. Der „homo ludens“ (Johan Huizinga) reicht da als Erklärungsmodell nicht mehr aus. Er wurde vom „homo oeconomicus“ (Eduard Spranger) verdrängt.

Also, die untere Ebene hat mehrere Klassen. Wie viele eigentlich? Ganz oben ist die Champions-League, die aus unerfindlichen Gründen „Königsklasse“ genannt wird (ein Begriff, der übrigens im Englischen kein Äquivalent hat; auch das Spanische kennt ihn nicht, obwohl dort sogar „die Königlichen“ spielen), gefolgt von der Europa-League. Das ist sozusagen das europäische Oberhaus. Von EM und WM sehe ich jetzt mal ab, die finden ja nur alle vier Jahre statt. Dann folgen die nationalen Klassen. Bei uns die Bundesliga, im Mutterland des Fußballs die Premier League, in Frankreich die Ligue 1, in Spanien die Primera División, in Italien die Serie A und so weiter.

Nach der 13.Klasse machen wir mal einen Punkt

Bleiben wir mal in Deutschland, sonst wird’s zu kompliziert (für mich jedenfalls). Auf die (erste) Bundesliga folgt die zweite, auf diese zwar die dritte, aber ohne „Bundes“ davor, also einfach 3. Liga, auf diese die Regionalliga; hier spielt z.B. der Verein aus meinem Stadtbezirk Degerloch, die Stuttgarter Kickers (spielten einst sogar in der Bundesliga, das war mir sehr sympathisch, weil sie dann nicht auf ihrem Platz unter dem Fernsehturm kicken durften, sondern auf dem VfB-Platz, so dass bei uns nicht alles zugeparkt war; in der Regionalliga ist es aber auch erträglich, da kommen nicht so viele).

Schließlich gibt es noch die Oberliga, die in meiner Jugend vor Gründung der Bundesliga im Jahr 1962 oder 63 die höchste Spielklasse war (wenn ich mich richtig erinnere; da spielten ein Adi Preißler, „Grau is alle Theorie – entscheidend is auf’m Platz“, bei Dortmund, und ein Frans de Munck, „der schwarze Panther“, im Tor der Kölner, und in Essen spielte außer Schwarz-Weiß noch RWE mit dem „Boss“ Helmut Rahn). Es gibt auch noch eine sechste Klasse, die Verbands- oder Landesliga. Danach ist noch immer nicht Schluss, irgendwo habe ich etwas von der 11. oder gar 13. Klasse gelesen, aber ich mache hier einfach einen Punkt. In diesen sechs oder wie vielen auch immer Klassen wird mit dem Ball gespielt oder manchmal auch gegen ihn, wie ich bisweilen in Sportreportagen höre. Ich nehme an, die Experten unter den Achse-Lesern wissen, was das bedeutet.

Seit einiger Zeit spielen aber nicht mehr nur die Mannschaften gegeneinander, sondern – ohne Ball – auch die Trainer. Jetzt spielt etwa Guardiola gegen Ancelotti, Klopp gegen Mourinho und Wenger gegen van Gaal oder gegen wen auch immer. Jesus ist übrigens auch beteiligt, er trainiert SCP. Jeder Trainer entwickelt sein eigenes System und versucht, die Mannschaft darauf einzuschwören, mal mit kurzen Pässen (Tiki-Taka), mal mit langen (man glaubt nicht, wie viele Arten von Pässen es gibt). 

Es spielen sogar Vereinsmanager gegeneinander

Die Fußballsprache erinnert an Krieg, geht es hier doch um Angriff, Verteidigung und Deckung, werden Zweikämpfe ausgetragen, Schüsse abgeben, wobei ein besonders scharfer Schuss als „Bombenschuss“ qualifiziert wird. Der erfolgreichste Schütze der Bundesliga, Gerhard Müller, trägt den Ehrentitel „Bomber der Nation“. Dementsprechend erinnern die Trainer an Militärstrategen wie Sunzi (500 v. Chr.: Die Kunst des Krieges) und Carl von Clausewitz (1780-1830: Vom Kriege). Sie studieren zusammen mit ihrem gesamten Team sämtliche Gegner akribisch und entwickeln Taktiken, wie sie am besten zu besiegen sind. Zu ihrem Handwerkszeug gehören Taktikboard und Taktik-Set und viel Psychologie. Denn viele Spieler sind wahre Sensibelchen. Meint man gar nicht, wenn man sie so auf dem Platz sieht.

Ja, und dann spielen natürlich auch die Vereinsmanager gegeneinander, bundesweit, europaweit, weltweit. Da werden Spieler gekauft und verkauft, so als ob die Sklaverei nicht schon seit ca. 200 Jahren abgeschafft ist. An die Stelle des Sklavenmarktes ist der Spielermarkt getreten. Da werden gigantische Summen bewegt, die nur deshalb gefordert und bezahlt werden, weil ein begehrter Spieler natürlich immer einen laufenden Vertrag hat, für dessen vorzeitige Aufhebung eben eine „Ablöse“ bezahlt werden muss. Die Summen gehen bis zu 100 Millionen Euro pro Spieler. Da zeugt die Ablöse von 9 Millionen für den Wechsel von Sebastian Schweinsteiger von Bayern München zu Manchester United nicht gerade von einem hohen Marktwert des Weltmeisters von 2014. Deshalb kann sich Trainer Mourinho offenbar auch leisten, „Basti“ überwiegend auf der Bank zu lassen.

So, und auf der obersten Ebene spielen die Verbände: national (DFB – Deutscher Fußball-Bund), europaweit (UEFA – Union of European Football Associations) und international (FIFA – Fédération Internationale de Football Association). Das sind diejenigen, die seit 1863 die Regeln machen, Ecke, Freistoß, Vorteil usw. Schauen Sie ruhig mal rein in die Regelwerke, es lohnt sich (FIFA, 112 Seiten; DFB, 124 Seiten). Fragen Sie mich jetzt nicht, warum die UEFA eine englische, die FIFA eine französische Bezeichnung führt (beantworten Sie mir diese Frage lieber – bitte).

Meine erste Begegnung mit einem späteren Verbandspräsidenten hatte ich 1970, als ich den Verwaltungsausschuss des Stuttgarter Gemeinderats begleiten durfte, der dem Chef-Organisator der Fußball-Weltmeisterschaft 1974, Hermann Neuberger, das damalige Neckar-Stadion in Stuttgart als WM-tauglich präsentieren wollte. Neuberger war allerdings erst überzeugt, nachdem die Stadt und der Bund zusammen rund 20 Millionen Mark in den Ausbau des Stadions investiert hatten (vier WM-Spiele waren der Lohn dafür). Ja, im Fußball geht es immer um Geld, um viel Geld. Und wo das Geld ist, so lautet eine alte Erkenntnis, da ist auch das Verbrechen. Leider habe ich für diesen Gedanken keine Quelle gefunden. Am Ende stammt er noch von mir? Mehr will ich zum Thema Geld an dieser Stelle nicht sagen, denn ich möchte nicht in die diversen laufenden Verfahren eingreifen. Der Besuch in dem, natürlich völlig leeren, Neckarstadion (heute Mercedes-Benz-Arena, wo gerade der dreimalige Deutsche Meister und dreimalige DFB-Pokal-Sieger, der Verein für Bewegungsspiele Stuttgart 1893 e. V. 1 : 2 gegen den 1. FC Heidenheim verloren hat) war übrigens bis heute mein einziger in einem Fußballstadion und wird es nach Lage der Dinge wohl auch bleiben. Wenn es sein muss, sitze ich bei ARD oder ZDF in der ersten Reihe.

Wenn Sponsoren auch die Hamas fördern

Wo wir gerade vom Geld reden, dürfen natürlich die Sponsoren nicht fehlen. Fünf Jahre lang trugen zum Beispiel die Barça-Spieler den Schriftzug „Qatar Foundation“ auf der Brust, einer Stiftung, die auch Geld an die Hamas überwiesen haben soll. Aber Geld ist beim Sponsering offenbar nicht alles, wie Karl-Heinz Rummenigge bei der Präsentation des neuen Sponsorpartners des Rekordmeisters erläuterte: „Procter & Gamble als führender Spieler im Konsumgütermarkt passt sehr gut zum FC Bayern München". Beim VfB Stuttgart ist der Hauptsponsor die Mercedes-Benz Bank. Außerdem gibt es aber noch „Exklusiv Partner“ (z.B. Puma), „Premium Partner“ (Kärcher), „Team Partner“ (z.B. Breuninger), „Club Partner“ (z.B. Media Markt) und „Service Partner (z.B. Hochland Kaffee). Wer wissen möchte, wen Adidas, der zweitgrößte Sportartikelhersteller der Welt alles sponsert, kann das hier nachlesen

Ich weiß nicht, wer auf die bescheuerte Idee gekommen ist, Fußball als eine der schönsten Nebensachen der Welt zu bezeichnen. Natürlich, irgendwann mag das mal der Fall gewesen sein. Die „Helden von Bern“ bekamen vom DFB für den Gewinn der Weltmeisterschaft im Jahr 1954 (die ich seinerzeit übrigens im Fernsehen verfolgt habe, es war meine erste Fernsehsendung überhaupt) gerade mal 2000 Mark (pro Beinpaar). Heute sind die Spitzenspieler durchweg Millionäre. „Fußball ist Geschäft. Und Geschäft ist Geschäft" (Ulrich Hoeneß).

Ach ja, eine Ebene hätte ich beinahe vergessen: Die Schiedsrichter spielen natürlich auch noch mit. Sollten sie an sich nicht, denn sie sind ja die Unparteiischen. Aber das ist schwieriger als sich das so dahin sagt. Weiter möchte ich dieses heikle Thema, Stichwort „Wettmafia“, nicht vertiefen.

Der unverzeihliche Fehler der Carmen Thomas

Habe ich noch jemanden vergessen? Mein Gott ja: die Zuschauer natürlich und das Fernsehen. Ohne diese beiden wäre der Fußball nie zu dem geworden, was er heute ist: Eine riesige Unterhaltungsindustrie. Spiele ohne Zuschauer, sog. Geisterspiele, hat es zwar (zur Strafe) schon gegeben. Aber sie sind selten. Noch seltener sind Zuschauer ohne Spiele. Es handelt sich dabei um ein rein passageres Phänomen, wenn ein Spiel abgebrochen wird wie zum Beispiel das Pokalqualifikationsspiel unserer Kickers gegen die Hertha vor fünf Jahren, weil ein Linienrichter mit einem gefüllten Bierbecher am Kopf getroffen wurde und kurzzeitig zu Boden ging. Nur zur Klarstellung: Der Becher war natürlich von einem Zuschauer und nicht etwa von einem Spieler geworfen worden.

Eine besondere Spezies, denen ich zum Schluss dieser kleinen Betrachtung, noch ein paar Worte widmen möchte, sind die Sportreporter. Frauen haben hier kaum eine Chance, nachdem einst Carmen Thomas vor mehr als 40 Jahren den bis in alle Ewigkeit unverzeihlichen Fehler begangen hat, im aktuellen Sportstudio des ZDF von Schalke 05 zu sprechen. Mein Gott! Nach dem legendären Tooor-Schrei von Herbert Zimmermann beim WM-Finale in Bern und nachdem Marcel Reif in Rente und in die Schweiz gegangen ist, ist die Welt der Sportreporter und -kommentatoren ärmer geworden.

Deswegen höre ich kaum noch hin, wenn etwa Bela Rety erklärt, wer oder was eine hängende Spitze oder ein echter Neuner ist und das dies jetzt ein taktisches Foul war, das unweigerlich „gelb“ nach sich ziehen müsste, während auf eine „Notbremse“ regelmäßig „rot“ folgt – oder auch nicht. Und wenn gar die drei Ollis zugange sind (Oliver Welke, Oliver Kahn und Oliver Schmidt) und einer von den dreien begeistert erläutert, dass Pep Guardiola je nach Mannschaftsaufstellung entweder 3-4-3 oder 4-3-3 spielen lässt, dann praktiziere ich das schnelle Umschaltspiel und suche erst mal die Toilette auf. Übrigens der berühmte Satz, wonach Netzer „aus der Tiefe des Raumes“ kam, stammt nicht von einem Sportreporter, sondern von dem London-Korrespondenten der FAZ Karl Heinz Bohrer, Literaturtheoretiker seines Zeichens, anlässlich des Sieges der deutschen „Wembley-Elf“ gegen England im Viertelfinale der EM 1972.

Wer noch die Sportartikel-Hersteller, unabhängig von ihrer Sponsoren-Funktion, und den Platzwart (gibt es sowas eigentlich noch?) einbeziehen möchte, liegt nach meinem Eindruck durchaus nicht daneben. Denn ein zu stark gewässerter oder holpriger Platz kann ebenso spielbeeinflussend sein wie die verwendeten Bälle (das „Spielgerät“), deren „ballistische Flugkurven“ sehr asymmetrisch und damit (für den Torwart) nicht leicht vorhersehbar sind, wie Metin Tolan, Professor für Experimentelle Physik an der Technischen Universität Dortmund, uns auf der Seite „Welt der Physik“ gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, überzeugend darlegt.

„Manni Banane, ich Kopf – Tor.“ Mit diesen fünf Worten beschrieb einst Horst Hrubesch, der gerade mit der deutschen Olympiamannschaft Silber in Rio geholt hat, eine Spielsituation. Diese Fähigkeit zur Kürze ist mir leider nicht gegeben. 

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Emil Sondermanns / 15.09.2016

Fußball ist der Beweis dafür, dass der Mensch an sich nach Millionen von Jahren Evolution auf einem Niveau leicht höher als die Grasnarbe angekommen ist. Darüber fliegt jener Hohlraum, den die Massen im Netz zappeln sehen wollen. Es ist leicht, sich über Fußball aufzuregen, wenn man verkennt, dass er die letzte Bastion der direkten Demokratie ist: noch können Fans direkt ihrer Stimmung Luft machen und nicht mehr funktionierende Trainer, Vereinspräsidenten und Spieler ins Abseits befördern. Dass sie dabei dem brutalsten Turbokapitalismus zusehen, wen kümmert’s, wer denkt darüber nach? Der wildest aufgezogene Turbotrainer ist Pep Guardiola:  seine hüpfenden und blind kombinierenden Rennpferdchen haben äußerst geringe Rekonvaleszenzzeiten, wenn sie denn mal verletzt sind. Man ist rundum tolerant und kann einen Kaiser ebenso akzeptieren wie Steuersünder, Korruption und seit neuestem sogar schwule Bomber in Pension. Im Club der bolzenden Millionäre gönnt man sich Multikulti satt, während sich Fanreligionen die Köpfe einschlagen und diskriminierend bekriegen. Fußball ist ein Spiel außerhalb der Zeit und doch mittendrin im Konsumrausch der traditionellen Produkte: hier weiß jeder, was er bekommt: Spannung pur und das ewig gleiche traditionelle Gerede vom Ball und dessen wildem Zappeln im Netz. Will man die Psychologie der Zuschauer begreifen, dann setze man sich in eine vordere Reihe und fotografiere oder blicke nach hinten, in unterschiedlichsten Momenten. Vieles erinnerte mich letztes Mal an jene Freuden, die wir damals empfanden, als wir gemeinsam den Säbelzahntiger erlegten. Fußball wird heute durch die Großreiche Bayern München, Real Madrid, Barcelona, Manchester zerstört. Sie produzieren die wahnwitzige Langeweile der Perfektion und des Immergewinnens. Niemand will Perfektion, sondern jeder wünscht Offenheit der Chancen und jene Überraschungen, die das Leben wirklich bereichern.

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