Als regelmäßige Ration zur geistigen Stärkung verabreichte die SED-Führung in der DDR ihren Genossen kleine Heftchen aus der Reihe „Frage und Antwort – Argumente für die tägliche Diskussion“. Dort konnten die treuen Parteigänger nachlesen, dass Wahlen, bei denen es nichts zu wählen gab, einen bedeutenden Fortschritt gegenüber der bürgerlichen Demokratie darstellten, dass die Mauer dem Schutz des Friedens diente und der Sozialismus als wissenschaftlich überlegene Bewegung auf der Siegerstraße marschierte. Und wenn es keine Südfrüchte in den Läden gab, dann lag es daran, dass der westdeutsche Imperialismus wieder einmal die Transitpauschale für Westberlin nicht pünktlich bezahlt hatte.
Dem Umweltbundesamt (UBA) mit Sitz in Dessau kommt das Verdienst zu, das alte und längst verloren geglaubte Agitationsformat wiederbelebt zu haben, nämlich in Gestalt der Boschüre: „Und sie erwärmt sich doch. Was steckt hinter der Debatte um den Klimawandel?“ Zwei vertraute Prinzipien wirken stilbildend für das UBA-Heft: Was nicht passt, wird darin passend gemacht beziehungsweise weggelassen. Und: Ein fester Standpunkt ersetzt für die Autoren den lästigen Umgang mit Gegenargumenten.
Schon der Untertitel macht deutlich, dass ihrer Meinung nach irgendetwas hinter der Klimadebatte steckt, nämlich „ein Personenkreis, der die Erkenntnisse der Klimawissenschaft nicht anerkennt, die sogenannten ‚Klimawandelskeptiker’ oder kurz ‚Klimaskeptiker’.“ Nun nennen die UBA-Agitatoren auf den 118 Seiten ihrer Broschüre nicht einen einzigen Skeptiker, der den Klimawandel bezweifelt oder gar bestreitet. Im Gegenteil, einige Kapitel später werfen sie beispielsweise dem Buchautor Fritz Varenholt vor, er führe den Klimawandel in seinem Buch „Die kalte Sonne“ einseitig auf die Sonnenaktivität zurück.
Die Frage, wer hinter der Klimadebatte steckt, beantworten die Autoren zunächst mit einem Blick auf die USA, indem sie aufzählen, welche Verbände und damit Wissenschaftler der Ölkonzern Exxon Mobile gefördert habe. Fazit: die Fäden ziehen Ölkonzerne und Ultrakonservative, die verdiente Klimaforscher wie Michael Mann, den Schöpfer der „Hockeystick-Kurve, in die Enge treiben. Strukturell liest sich der Abschnitt wie der „Zeit“-Artikel „Die Klimakrieger. Wie von der Industrie bezahlte PR-Manager der Welt seit Jahren einreden, die Erderwärmung finde nicht statt“ (Zeit 48/2012). Den UBA- wie der „Zeit“-Schreibern unterlaufen dabei gleich zwei Denkfehler: Selbst wenn jemand von ExxonMobile Sponsorengelder erhält, beweist das noch nicht die Falschheit seiner Position. Und zweitens: neben einem Exxon-Knecht könnte es durchaus noch Wissenschaftler geben, die ohne alle Sponsorengelder im Rücken die gleiche oder ähnliche Kritik etwa an Michael Mann und seiner Hockeystick-Kurve äußern. In der internationalen Klimadebatte zählt der Hamburger Meteorologe Hans von Storch zu den heftigsten Kritikern Manns und dessen Thesen. Die UBA-Broschüre erwähnt ihn sogar und weist darauf hin, dass von Storch 2007 als Chefredakteur der Zeitschrift „Climate Reseach“ aus Protest gegen einen skeptischen Artikel zurücktrat – sie zitieren ihn also dort, wo es ihnen passend erscheint. In der Kontroverse gegen Mann taucht von Storch dagegen mit keinem Wort auf – weil er dem UBA-Team dort ganz offensichtlich nicht passt. Denn weder lässt sich dem gestandenen Hamburger Wissenschaftler und IPCC-Autor die Expertise absprechen noch irgendeine Verbindung zu finsteren Ölmächten ans Revers heften. Als Gegenspieler Manns nennt das UBA also nur den US-Politiker Joe Barton, garniert mit dem Hinweis, Barton habe ein Million Dollar an Spenden von der Öl- und Gasindustrie kassiert.
Von Storch kritisierte vor allem die katastrophale Methodik von Manns Hockeyschlägerkurve, die sich in ihrem ersten Teil, also gewissermaßen dem Schläger, auf Baumring-Daten stützt, während er den zweiten Teil, also die Kelle, aus Thermometerdaten konstruierte. Ein Vergleich von Baumring-Daten und Thermometermessungen in der Gegenwart zeigt, dass beide deutlich auseinanderlaufen – ein schlecht zu widerlegendes Faktum, auf das Mann mit kuriosen und verdrehten Ausflüchten reagierte. Die Kurve avancierte 2001 gewissermaßen zum Leitmotiv des „Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimawandel“ (IPCC), weil sie griffig suggerierte, es werde immer schneller immer wärmer. In seinem Buch „Die Klimafalle“ (Hanser Wissenschaftsverlag 2013) beschreibt von Storch zusammen mit seinem Kollegen Werner Krauss ausführlich, wie ein regelrechtes Klimawissenschaftler-Kartell um Mann jede wissenschaftliche Kritik an der Kurve diskreditierte und beiseiteschob. Ein paar Jahre später, 2007, ließ selbst das IPCC die Mann-Kurve mehr oder weniger in der Versenkung verschwinden, schon deshalb, weil die mittlerweile auch durch die reale Klimaentwicklung widerlegt war.
Storch schreibt: „Der nächste IPCC-Bericht ...stellte die Befunde der Hockeyschlägerkurve nicht mehr ins Zentrum In ihm wurde vielmehr eine ganze Palette an Vorschlägen zur Temperaturentwicklung der im letzten Jahrtausend präsentiert. Der Hockeyschläger stellte sich dabei als randständig heraus. ...Der folgenschwerste Fehler lag bei der IPCC-Leitung des Dritten Sachstandsberichts, der die Hockeyschlägerkurve so prominent platziert hatte.“
Soviel also zu der Behauptung des UBA, es gebe in der Klimawissenschaft eigentlich gar keine kontroverse Debatte, sie werde nur von verantwortungslosen Journalisten herbeigeschrieben.
Das UBA-Heftchen erwähnt folglich weder diese Auseinandersetzung noch von Storchs Buch mit einem Wort. Was nicht passt, wird eben weggelassen. Ein paar Seiten später machen seine Autoren wieder etwas passend, indem sie die Kritik am IPCC auf ein Mindestmaß herunteragitieren. Sie behaupten,dem IPCC ließen sich überhaupt nur zwei unbedeutende Fehler nachweisen: 2007 habe es zum angeblichen Abschmelzen der Himalaya-Gletscher einfach einen Zahlendreher gegeben – 2035 statt 2 350 – und die überschwemmungsbedrohten Gebiete der Niederlande seien falsch angegeben worden. Begründung: „Die niederländische Regierung hatte diese Zahl falsch geliefert.“ Schon das wirkt unfreiwillig komisch, da die UBA-Autoren gleichzeitig beteuern, Grundlage der IPCC-Berichte sei die „weltweit geprüfte und veröffentlichte Fachliteratur“. Im der Passage zur Gletscherschmelze suggeriert das UBA, die Zahl 2350 sei die korrekte, und es handle sich nur um einen Druckfehler. In Wirklichkeit stammte diese Zahl eben nicht aus begutachtetem Material, sondern angeblich aus einem Interview mit einem russischen Wissenschaftler, der anschließend allerdings bestritt, überhaupt ein Jahr genannt zu haben. Abgesehen davon: nur Scharlatane könnten behaupten, sie wüssten, welches Himalaya-Klima in mehr als 300 Jahren herrscht. Als führende Glaziologen das IPCC auf den haarsträubenden Fehler aufmerksam machten, kanzelte dessen Chef Rajendra Pachauri die berechtigte Kritik als „Vodoo science“ ab. Auch das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) verwendete die falsche Zahl 2035 im Jahr 2009 zur argumentativen Stütze eines Projekts,für das die PIK-Leitung eine Finanzierung durch die EU erhoffte.
Die UBA-Agitatoren fragen an anderer Stelle: “Übertreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Gefahren des Klimawandels, um mehr Forschungsmittel zu bekommen?“ Antwort: I wo. „Das Ansehen in der Wissenschaft hängt im starken Maße von der wissenschaftlichen Reputation ab. Wenn Wissenschaftler ...Thesen vertreten, die sich später als unhaltbar erweisen…ist ihr wissenschaftliches Ansehen – unter Umständen für ihre gesamte wissenschaftliche Laufbahn – beschädigt.“ Mit der gleichen Logik könnte man sagen: Politiker lügen nicht, denn das könnte ihnen ja bei Wahlen schaden. Wissenschaftler übertreiben also nicht, weil das ihre Reputation demolieren würde – zumindest, wenn ihnen keine amtlichen UBA-Vorbeter mit staatlicher Autorität zur Seite springen würden, und wenn es so etwas wie eine breite kritische Medienöffentlichkeit in Deutschland zur Klimafrage gäbe.
Womit wir bei den Publizisten wären, die vom UBA im Stil einer schwarzen Liste angeschwärzt werden. Um nachzuweisen, dass Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning, die Autoren von „Die kalte Sonne“ sich als „fachfremde“ Autoren unmöglich in Klimamodelle einarbeiten könnten, referiert das UBA-Quartett kurzerhand die entsprechend zurechtgebogene Biografien der beiden. Varenholt wird als Manager von Shell und RWE vorgestellt, um ihn als Öl- und Energiemanager schon von vorn herein einzunorden. Dass der promovierte Chemiker Varenholt von 1976 bis 1981 als Sachgebietsleiter Chemie im UBA arbeitete, lässt das Autorenkollektiv beiseite, ebenso, dass Varenholt als Chef von RWE Innogy tätig war, der RWE-Konzerntochter für erneuerbare Energien, und seit 2012 der Deutschen Wildtier-Stiftung vorsitzt. Denn der einigermaßen komplette Lebenslauf ließe Varenholt einfach zu kompetent und obendrein noch als zu grün erscheinen. Bei Lüning lassen die UBA-Autoren dessen Habilitation als Geologe beiseite.
Und unabhängig von dieser Manipulation machen sie deutlich, wie ihr Verständnis von Wissenschafts- und Debattenfreiheit aussieht: Da nur lizensierte Forscher und Autoren überhaupt Klimamodelle verstehen, darf sich auch nur dieser privilegierte Kreis dazu äußern und darüber hinaus Weltpolitik betreiben, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Wenn es um Protagonisten geht, die auf der richtigen Seite stehen, spielt Fachfremdheit übrigens keine Rolle, jedenfalls keine, die das UBA für erwähnenswert hält. IPCC-Chef Pachauri arbeitete früher als Ingenieur für Eisenbahnwesen; bei dem vom UBA an dutzenden Stellen positiv zitierten PIK-Forscher Stefan Ramstorf handelt es sich um einen Ozeanologen. Über die ständigen Interventionen Ramstorfs und anderer PIK-Wissenschaftler bei Verlagen und Chefredaktionen mit dem Ziel, aus seiner Sicht kritische Autoren anzuschwärzen, sagte Hans von Storch im Focus: „Das ist ein Nichternstnehmen einer der wichtigsten sozialen Institutionen, nämlich der Medien. Wer sich so benimmt, sieht sich offenbar als Richter, der weiß, wie Berichterstattung auszusehen hat.“
Eigentlich verwundert es fast, dass das UBA nicht gleich verlangt, Renegaten wie von Storch die Lehrerlaubnis zu entziehen, und eine Klimazensur für die Presse einzuführen.
Aber vielleicht werkelt man in Dessau ja schon an einem Folgeheftchen mit genau diesen Forderungen.