Ich gebe es zu: Als ahnungsloser und vielleicht auch etwas ignoranter Wessi nahm ich von diesem überragenden Album und der kongenialen Zusammenarbeit von Manfred Krug und Günther Fischer erst lange nach der Wiedervereinigung Notiz. Zwar kannte ich schon seit meinen Jugendjahren die Puhdys – mein bester Kumpel hatte Verwandtschaft in der DDR – und hatte auch mitbekommen, dass „Über sieben Brücken musst du gehen“ im Original nicht von Peter Maffay, sondern von der Ost-Rockband Karat war. Auch wusste ich, dass Nina Hagen aus der „Zone“ rübergemacht hatte. Ihren DDR-Hit „Du hast den Farbfilm vergessen“ hörte ich allerdings auch erst nach der Wiedervereinigung zum ersten Mal (auf einer DDR-Party mit Gesichtskontrolle bei der „Einreise“ und 1,12 Mark für ein Bier). Ja, und den Namen Manfred Krug hatte ich nur irgendwie im Zusammenhang mit dem „Tatort“ oder „Liebling Kreuzberg“ registriert. Nicht einmal durch die Fernsehserie „Auf Achse“. Die ging irgendwie völlig an mir vorbei. Wahrscheinlich war ich da gerade selber immer auf Achse, wenn das lief. Ich kenne tatsächlich keine einzige Folge davon. Im Nachhinein eigentlich schade. Denn inzwischen zählt Manfred Krug für mich zu den interessantesten deutschsprachigen Interpreten.
Als ich mir – aus reiner Neugierde und ohne große Erwartungen – die CD-Ausgabe des im Juni 1971 erschienenen Albums „Das war nur ein Moment“ aus der hiesigen Stadtbücherei mitnahm und das erste Mal anhörte, fiel mir regelrecht die Kinnlade runter. Das war definitiv mit das Beste, was mir an deutschsprachiger Musik jemals zu Ohren gekommen ist! Wieso hatte ich nicht schon vorher davon gehört? Warum kannte das in meinem Bekanntenkreis keiner? Wie konnte das passieren, dass das bei uns völlig unterging? Ich meine, das ist großartige Musik, die sich vielleicht am treffendsten als Soul-Jazz mit Einflüssen von Chanson bis hin zu psychedelischem Rock mit einem gehörigen Schuss Seventies-Vibe beschreiben lässt. Und das Ganze auch noch auf Deutsch. Hallo?! Aus Westperspektive könnte man die Musik auf „Das war nur ein Moment“ und dessen Nachfolger „Ein Hauch von Frühling“ aus dem darauffolgenden Jahr irgendwo zwischen Udo Lindenberg und Udo Jürgens verorten.
Der Vergleich mit den beiden Udos trifft die Sache sogar ziemlich gut, wie ich finde. Wobei ehrlicherweise dazu gesagt werden muss, dass beide dem Gespann Krug/Fischer nicht das Wasser reichen können. Songs wie „Frag mich, warum“ oder „Unser Abend war wunderbar“ können durchaus Assoziationen an den frühen Udo Jürgens hervorrufen. Jedoch hat er nur in den allerseltensten Momenten – wenn überhaupt – diese Klasse erreicht. Und das coole psychedelische Bläser-Zwischenspiel bei „Der Tag beginnt“ hätte es bei ihm so eher nie gegeben. Dasselbe gilt für die Stücke, die man eher mit Udo Lindenberg in Verbindung bringen könnte, wie zum Beispiel „Gestern war der Ball“ oder das funk-rockige „Hör auf“. Das hätten die Kollegen vom Panik-Orchester – bei allem Respekt – so nicht hinbekommen. Da konnte im Westen allenfalls noch die Kollaboration von Hildegard Knef und Hans Hammerschmid mit Stücken wie „Von nun an ging's bergab“, „Die Herren dieser Welt“ oder der schrägen Funk-Jazz-Nummer „Im 80. Stockwerk“ mithalten. Aber sonst sehe ich da wirklich niemanden. Mit so einer Entdeckung im deutschsprachigen Bereich habe ich wirklich nicht mehr gerechnet (und dabei ahnte ich zu dieser Zeit noch gar nichts von einem Gerhard Gundermann!).
Eine musikalische Mixtur, die man so noch nicht gehört hatte
Manfred Krug und Günther Fischer lernten sich gegen Ende der Sechziger Jahre bei der Klaus-Lenz-Band kennen, wo Krug schon seit ein paar Jahren als Sänger mitgewirkt hatte. Außerdem war er bereits seit den späten 50er Jahren als Schauspieler erfolgreich gewesen und gehörte längst zur DDR-Prominenz. Fischer dagegen befand sich noch in seinem Musikstudium und wurde lediglich für die jährlichen Konzerte in Bigband-Besetzung als Saxophonist angeheuert. Als er Krug eines Tages ein paar Eigenkompositionen vorspielte, war dieser davon so angetan, dass die beiden beschlossen, ein ganzes Album miteinander zu machen. Und weil man große Ambitionen hatte, sollten dazu englische Texte geschrieben werden. Das sahen die Genossen beim volkseigenen Amiga-Label aber ganz anders und stellten die Bedingung, dass auf Deutsch gesungen wird.
Rückblickend sollte sich das sogar als glückliche Fügung herausstellen, weil dadurch eine musikalische Mixtur entstand, die man so noch nicht gehört hatte. Zwar hatte im Westen Udo Jürgens bereits 1965 mit „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ erste Schritte zu so etwas wie einer deutschsprachigen Soulmusik unternommen. So konsequent und elaboriert wie Günther Fischer jedoch hat das im gesamten deutschen Sprachraum – so weit ich sehe – bis dahin niemand getan. Und mit seiner Orientierung an der Musik von Ray Charles und dem Motown-Soul von Marvin Gaye bewegte sich Fischer absolut auf der Höhe der Zeit. So hip war im Westen damals noch nicht einmal ein Udo Lindenberg, der 1971 gerade mal sein erstes Album herausbrachte, auf dem er noch auf Englisch sang. Und das dilettantische Herumgerotze von Ton Steine Scherben auf ihrem ebenfalls 1971 erschienenen ersten Album mit dem Titel „Warum geht es mir so dreckig?“ wirkt dagegen regelrecht armselig.
Natürlich kann man das nicht so ohne Weiteres vergleichen. Schließlich waren bei Manfred Krug und Günther Fischer erstklassige, ausgebildete Musiker und Sängerinnen am Werk – alter Schwede, die Background-Sängerinnen! – und außerdem stand ihnen die gesamte Infrastruktur des staatlichen VEB Deutsche Schallplatten Berlin mit hochwertigster Studio- und Aufnahmetechnik zur Verfügung. Das hört man dann freilich auch. Aber dennoch sind Fischers kompositorische Fähigkeiten und sein musikalischer Ideenreichtum sowie auch seine intime Kenntnis, was beim Klassenfeind gerade angesagt war, überaus bemerkenswert und können gar nicht hoch genug geschätzt werden. Am schwächsten – oder sagen wir: am gewöhnungsbedürftigsten – ist am ehesten noch Krugs Gesang. Wobei ganz schnell deutlich wird, dass er seine Stimme sehr gut im Griff hat und selbst größere Intervallsprünge, wie sie beim Jazzgesang typisch sind, sicher beherrscht. Auch kann man ihm ein gewisses Feeling nicht absprechen. Er macht seine Sache wirklich gut. Aber wenn sich zuweilen Assoziationen zu herkömmlichem Schlager einstellen, dann ist das vor allem Krugs eher unspektakulären Stimme und seiner harmlosen Liebeslyrik geschuldet, die er unter dem Pseudonym Clemens Kerber verfasst hat. Letzteres kann man aber auch nur bedingt ihm anlasten, da seine Texte unter der strengen Aufsicht des Ministeriums für Kultur standen.
Im Westen TV-Star mit gelegentlichen Gesangseinlagen
Als Krug dann 1976 seinen Namen unter einen Protestbrief gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns setzte, wurde er von den Apparatschiks kurzerhand abgesägt. Zwar durfte er noch einen Teil der vereinbarten Auftritte mit dem Günther-Fischer-Quintett spielen, jedoch wurden ihm von da an keine Rollen als Schauspieler mehr angeboten. Kurz nach dem letzten Konzert stellte er dann seinen Ausreiseantrag, der erstaunlich schnell bewilligt wurde, sodass er bereits acht Wochen danach in die BRD übersiedeln konnte. Selbstverständlich nicht, ohne vorher noch ausgiebig von der Staatssicherheit bespitzelt zu werden, wie er in seinem autobiografischen Bestseller „Abgehauen“ berichtete.
Im Westen angekommen, knüpfte Krug zunächst an seine Schauspielkarriere an und übernahm noch im selben Jahr die Rolle des Fernfahrers Franz Meersdonk in der ARD-Serie „Auf Achse“. Weitere Fernsehrollen, wie etwa die des Anwalts Robert Liebling in „Liebling Kreuzberg“ oder als Kommissar Paul Stoever im NDR-Tatort (wo er in späteren Folgen gemeinsam mit seinem Kollegen Brockmöller Gesangseinlagen darbot, die manchen als „Kult" galten), machten ihn zu einem der beliebtesten deutschen TV-Stars. Nur als Sänger konnte er nicht mehr so recht Fuß fassen. Das von Peter Herbolzheimer produzierte Album „Da bist du ja“ von 1979 kam zwar bei der Kritik gut an, verkaufte sich aber nur dürftig. Günther Fischer dagegen gelang vom Osten aus eine Karriere als Komponist von Filmmusik, unter anderem für den (west)deutsch-amerikanischen Horror-Thriller „Nightkill“ und den WDR-Dreiteiler „Die große Flatter“ sowie das international besetzte Nachkriegsdrama „Just a Gigolo“ (dt. „Schöner Gigolo, armer Gigolo) mit David Bowie, Sydne Rome, Maria Schell, Curd Jürgens und Marlene Dietrich in ihrer letzten Rolle.
Nach der Wende wanderte Fischer nach Irland aus. Krug blieb im vereinten Deutschland und war inzwischen so populär geworden, dass sich große Unternehmen für ihn als Werbeträger interessierten. 1996 wird er das Gesicht des Börsengangs der Telekom mit ihrer T-Aktie, in die fast zwei Millionen Privatanleger ihr Erspartes investierten. Nach deren krachendem Absturz bezeichnete Krug in einem Interview mit dem Stern von 2007 seine Mitwirkung bei den Werbespots als seinen größten beruflichen Fehler und entschuldigte sich öffentlich, woraufhin die Telekom die Zusammenarbeit mit ihm beendete. Und auch seine DDR-Vergangenheit holte ihn wieder ein: Beim Lesen seiner Stasi-Akte stieß er auf einen „IM Günther“, in dem er seinen früheren Musikerkollegen wiederzuerkennen glaubte. In einem offenen Brief im Spiegel bezichtigte er Günther Fischer, Informationen über ihn an die Stasi geliefert zu haben. Fischer stritt dies jedoch vehement ab und reagierte zutiefst gekränkt. Trotz mehrfacher Angebote von Konzertveranstaltern für gemeinsame Auftritte kam es zu keiner Reunion mehr. Nicht zuletzt auch deswegen, weil Krug Fischer die geforderte Entschuldigung zeitlebens verweigerte. Manfred Krug starb am 21. Oktober 2016 im Alter von 79 Jahren.
YouTube-Link zum rockigen Jazz-Popsong „Der Tag beginnt“
YouTube-Link zum Soul-Schlager „Frag mich, warum“
YouTube-Link zum jazzig angehauchten Chanson „Unser Abend war wunderbar“