Lieber Hans,
jetzt, wo Du ein big shot bist, musst Du es Dir gefallen lassen, ständig öffentlich zitiert zu werden. Und schon geht’s los. Die Gesellschaft, so sollst Du gesagt haben, sei in einer Vertrauenskrise. Die Glaubwürdigkeit sei allgemein gesunken, das Bekenntnis zur Demokratie nehme ab.
Ich sage nur: So what. Auf irdische Instanzen vertraue ich sowieso nicht. Der Staat, in dem wir leben, ist nach dem Misstrauensprinzip aufgebaut. Polizei, Justiz, Steuerfahndung, U-Bahn-Kontrolleure, alle gibt es nur, weil er und seine nachgeordneten Instanzen den Bürgern nicht trauen. Ich traue dem Staat umgekehrt auch nicht. Deshalb bekenne ich mich zur Demokratie. Denn: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Demokratie ist die Staatsform, in der die Macht und die Regierung vom Volk ausgehen. Und zwar von dem ganzen Volk. Teile desselben von der Mitbestimmung auszuschließen, ist nicht gestattet.
Womit wir beim zweiten Leyendecker-Zitat wären. Ich fand es in Berichten über den 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund, als dessen Präsident Du dieses Jahr figurierst.
Christliche Grundwerte gegen das Gedankengut der AfD
Du hast für das Ereignis einen Bannstrahl gegen die Nationalen gerichtet. EKD-Präsident Heinrich Bedford-Strohm schob eine Erklärung nach. Christliche Grundwerte, so sagte er, seien unvereinbar mit dem Gedankengut der AfD.
Soll künftig jeder Partei ein passendes Maß an Meinungsfreiheit zugeteilt werden? Also so eine Art classified freedom of speech? Die Grünen dürfen alles sagen, die Outcasts zur Rechten gar nichts? Nein, Demokratie geht anders.
Bei der letzten Bundestagswahl 2017 wurde die AfD von etwa sechs Millionen Deutschen gewählt. Sechs Millionen Schmuddelkinder? Und der Kirchentag propagiert als eines seiner Ziele den Kampf gegen Diskriminierung. Wie geht das mit dem Boykott der AfD zusammen?
Mit dem Gedankengut der Linkspartei sind die christlichen Werte offenbar nicht unvereinbar. Die Erben der SED durften auf dem Kirchentag mitmischen und für die Gleichberechtigung von christlichen Theologen und muslimischen Imamen im deutschen Bildungsbetrieb Reklame machen.
Die AfD-Prinzipalen behaupten, die christlichen Kirchen stünden wieder mal auf Seiten der Mächtigen. Mir fallen Argumente dafür und andere dagegen ein. Was, wenn nicht ein „politischer Kirchentag“, wie Du ihn nennst, wäre eher geeignet, diesen Vorwurf zu klären?
Henrik Svensmark gegen Greta Thunberg
Strittig ist auch die von der AfD so genannte „Klimahysterie“. Die meisten Wissenschaftler halten die globale Erwärmung und deren „menschengemachten“ Ursachen für erwiesen. Aber naturwissenschaftliche Wahrheiten werden nicht per Akklamation entschieden. Das Thema, so meint der dänische Forscher Henrik Svensmark, sei völlig politisiert. Es bestehe kein Interesse mehr an neuen Erkenntnissen. „Man hat sich auf eine Theorie geeinigt und fertig.“ Und Professor Svensmark kann das bestimmt besser beurteilen als Greta Thunberg.
„Man erkennt den Irrtum daran, dass alle Welt ihn teilt“, sprach der französische Meisterdenker Jean Giraudoux. Svensmarks Landsmann Professor Bjørn Lomborg hat in seinem Buch „Apokalypse No!“ die Menschheit zu mehr Gelassenheit in Sachen Umwelt ermahnt: „Der Welt geht es besser, als die Politiker denken, aber noch nicht wirklich gut. Wir sollten nicht so viel Spaß am Untergang haben.“ So sehe ich das auch.
Der Biologe Paul Ehrlich von der kalifornischen Stanford University sagte letztes Jahr, der Untergang der menschlichen Zivilisation in den kommenden Jahrzehnten sei „nahezu gewiss.“ Doch solche Prognosen haben frühere Generationen von Wissenschaftlern auch über die Niederlande verbreitet. Heute liegen 40 Prozent von deren Landfläche und fast die ganze Hauptstadt Amsterdam unterhalb des Meeresspiegels und saufen trotzdem nicht ab. Warum? Weil die Holländer ein fleißiges und gescheites Volk sind. Ihr Credo: Wer nich will diken, der mot wiken. Und deichen können andere auch.
Die Zeit gegen den deutschen Wald
Noch ein nicht mehr aktuelles Beispiel für zeitgeistnahe Aufgeregtheiten: Wie schrieb seinerzeit die „Zeit“ über das sogenannte Waldsterben? Wer dessen Ausmaß ignoriere, sei ein Ignorant. Ein paar Jahre später war dann alles in Butter. Das Waldsterben starb einen stillen Tod. Heute ist der deutsche Wald gesünder als jemals in seiner Geschichte.
Dem Deutschlandfunk hast Du vor einigen Wochen gestanden, Du seiest über die Jahre ein Anderer geworden. Das muss erlaubt sein. Und wer sich die Dramaturgie des populistischen Kirchentags in meiner Ruhrpottheimat zu Gemüte führt, wird das gern glauben. Über zwanzig Jahre Dienst bei der stramm linken „Süddeutschen Zeitung“ scheinen mir deutliche Spuren in Deinem Gemüt hinterlassen zu haben.
Kaum zu glauben, dass wir zwei auch was gemeinsam haben. Aber wir waren beide mal Kanoniere an Rudolf Augsteins „Sturmgeschütz der Demokratie“, wie er den „Spiegel“ nannte. Du fünfzehn und ich fast dreißig Jahre lang. Und wir haben gegenüber im „Kornhauskeller“ den einen oder anderen frohen Humpen miteinander geleert. Wir haben beide auch zusammen mit Kollegen ein Buch gemacht. Wobei ich mich erinnere, dass Du mit meinem Beitrag überhaupt nicht einverstanden warst. Das Buch ist trotzdem ungekürzt erschienen. Denn damals warst Du noch tolerant.
Frösche gegen den Sumpf
Du warst fraglos das investigative Alphatier im Hause. Du hast mit Deinem Aufklärungsjournalismus nicht wenig zum Gelingen unserer Demokratie beigetragen. Umso mehr wundere ich mich darüber, dass ein so gestandener Muckracker wie Du auf seine alten Tage der Versuchung der Intoleranz nachgibt.
Du sagtest, in Deutschland gebe es Unterstützung für Leute, die die Demokratie abschaffen wollten. Das wird wohl so sein. Es gibt immer Frösche, denen es auf dem Trockenen besser gefällt als im Sumpf. Nur, im AfD-Programm steht nichts dergleichen.
Dass von der AfD eine gesellschaftliche Spaltung droht, wie Du meinst, kann ich nicht als Nachteil empfinden. Es gehört zu einer pluralistischen Gesellschaft, dass sie denkartig gespalten ist. Das sagt ja schon der Name. Nur in Diktaturen denken und reden und wählen alle dasselbe.
Verstehe mich richtig, ich bin kein AfD-Versteher. Und solange sie sich nicht von den Rabatzniki in ihren Reihen trennt, für die die christlichen Werte nicht die höchsten in ihrer Werteordnung sind. werde ich sie auch nicht wählen. Dies Gelübde gilt aber nicht für alle Zeiten.
Abgrenzungsbeflissenheit ist natürlich Dein gutes Recht. Ich drücke auch den Aus-Knopf an der Glotze, wenn Fliegenschiss-Gauland auf dem Bildschirm erscheint (oder Trittin oder Wagenknecht). Aber vielleicht denkst Du mal darüber nach, ob ein Kirchenmann sich nicht auch von einem Mann wie dem evangelischen SPD-Flegel Johannes Kahrs aus Hamburg abgrenzen sollte, der der AfD-Fraktion im Bundestag zurief, Hass mache hässlich. Und sie sollten doch mal in den Spiegel schauen. Kahrs sitzt konfessionell in demselben Boot wie Du und ich.
Kein Platz für Unfug
Du sagst über den Kirchentag mit besserwisserischem Hochmut: "Soll bei so einem Ereignis ein Vertreter der AfD eingeladen werden, um zu erklären, dass das, was wir an Zerstörung gerade erleben, nicht menschengemacht sei? Das ist doch Unfug." Und: "Wer nichts zu sagen hat und nicht zu einem Diskurs wirklich beitragen kann, bekommt keinen Platz auf einem Podium.“ Aber den linken Promis Katja Kipping und Bodo Ramelow bereitet Ihr die Bühne, von der herab sie ihr Publikum mit ihren Weltbeglückungstiraden indoktrinieren können.
Exbischöfin Margot Käßmann war natürlich auch dabei. Sie haute mit einem fetzigen Trump-Bashing tüchtig auf die Pauke. Man wusste danach ganz genau, wo der Feind steht. Und Talktante Dunja Hayali, die schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten ist, durfte Bibelarbeit machen. Ich gestatte mir, das so zu empfinden, wie wenn der Wolf als Referent zum Veganerkongress geladen wird. Nein, für mich war das ein Griff ins Klo. Und ich hätte gern gewusst, wann Frau Hayali zum letzten Mal eine Bibel angepackt hat.
Auch Kevin Kühnert war zur Stelle. Er ist wie Dunja Hayali auch nicht in der Kirche. Der Streit, den er anfangen wollte, kam aber nicht richtig in die Puschen. Denn Kevin war sich mit der Dame von der grünen Heinrich-Böll-Stiftung, mit der er einen strittigen Dialog führen sollte, im Wesentlichen einig. Für ihn war das sowieso ein Laientreffen. Vielleicht fühlte er sich im „Union Gewerbehof“, wo früher Stahl gegossen wurde, fremd unter all den Amateuren.
Prantl für Widerständigkeit
Ein Kompliment bleibt Dir bei allen Miserabilien nicht erspart. Auf dem Dortmunder Großevent hast Du wirklich was auf die Beine gestellt. Der Auftrieb an Würdenträgern war beachtlich. Sogar Kanzlerin Überalldabei war da, um sich einen runterzumerkeln. Und die vier noch lebenden Bundespräsidenten. Chapeau. Dein moralinschwangerer Ex-Co-Chef Heribert Prantl, der gottlob mit Wirkung vom 1. März seinen Redigiergriffel bei der „Süddeutschen“ hingelegt hatte, räsonierte kämpferisch über „Widerständigkeit“.
Exbundespräsident Joachim Gauck teilt Deine Phobien offenbar nicht, wackerer Hans. Er sagte letzte Woche in einem Interview mit dem „Spiegel“, es gebe auch bei der AfD Menschen, mit denen es zu reden lohne. Er persönlich halte die Partei zwar für verzichtbar. Weil sie aber da sei, müsse man mit ihr streiten. Schade, dass so ein prima Präsident aus Schloss Bellevue ausziehen musste, um einem Sonntagsredner Platz zu machen.
Der einzige Teilnehmer, der an der Linkslastigkeit der Veranstaltung Anstoß nahm, war Stefan Ruppert, Protestant und kirchenpolitischer Sprecher der FDP. Er bemängelte vor allem die politische Einseitigkeit, wie er anmerkte. Die Liberalen seien zwar nicht wie die AfD von den Podien ausgeladen worden. Viele liberale Christen fühlten sich aber ausgegrenzt.
Bedford-Strohm gegen Ketzerei
Bischof Bedford-Strohm hat die evangelischen Christen dazu aufgefordert, Ramelow von den Linken bei der Aufarbeitung des DDR-Erbes eine Chance zu geben. Wie wäre es, wenn er den Rechten auch ihre Chance gäbe? Stattdessen erklärte er, wenn jemand sage, er sei „zuerst Deutscher und dann Christ, dann ist das Ketzerei“. Und aus der Geschichte der Inquisition weiß man, wie so was endet.
Für konservative evangelische Christen wie mich stellt sich die Frage, ob sie den roten Muff ihrer Kirche weiter stumm ertragen sollen. Ich bin evangelischer Christ und will es auch bleiben. Aber es gibt legitime Alternativen, wie Du weißt. Du warst ja selbst früher Katholik.
Der galoppierende Linkstrend in der protestantischen Kirche bleibt gewiss nicht ohne Folgen. Letzte Woche erschien die Studie der Universität Freiburg, in der die Halbierung der Kirchensteuerzahlerbestände bis zum Jahr 2060 vorausgesagt wurde. Auf dem Dortmunder Kirchentag habe ich keine Indizien dafür entdecken können, dass die EKD daraus Konsequenzen ziehen will.
PS: Wenn Du mich einer Antwort würdigen willst, werde ich Broder bitten, sie auf der „Achse“ zu veröffentlichen.