Thilo Schneider / 05.10.2021 / 14:00 / Foto: Timo Raab / 33 / Seite ausdrucken

Makita oder Alte, weiße Männer, die auf Ziegen starren

In sogenannten „Programmkinos“ laufen meist Filme, die von Kritikern gefeiert und vom Publikum verschmäht werden. Aber bei Freikarten vergibt man sich ja nichts. Also los ...

Ich will ja immer meinen Horizont erweitern, deshalb habe ich ein paar Vorträge über das Sozialversicherungssystem bei einer Flüchtlingshilfe gehalten – natürlich für Dank und Vergeltsgott. Umso erfreuter war ich, als ich für ein besonderes Event der ehrenamtlich Tätigen Kinokarten für eine Filmpremiere erhielt. Kinokarten für lau sind eine prima Sache und so packte ich mir die Maske ins Gesicht und den Schatz unter den Arm (sie ist größer, ich muss da etwas höher ansetzen) und wir machten uns auf, uns einen schönen Film anzusehen. Nennen wir ihn – wir wollen ja niemanden verletzen – „Makita – Sonne über den Weiden.“

Vorab: Ich habe generell zu sogenannten „Programmkinos“ ein eher ambivalentes Verhältnis, denn meist laufen da Filme, die von Kritikern stürmisch gefeiert und nach acht Monaten irgendwann bei Arte um zwei Uhr nachts gezeigt werden, wenn es eh egal ist. Aber laue Kinokarten sind laue Kinokarten, da gibt es nichts, und ich bin nicht so reich, als dass ich mir nicht einen Kinobesuch spendieren lassen würde.

So saßen wir also brav mas(sa)k(r)iert im Kino, bis alle 20 Leute ihre Plätze ordnungsgemäß mit zwei Metern Abstand eingenommen hatten. Normalerweise kommt im Kino dann zuerst Werbung für Coca-Cola und Emirates, danach regional von Fliesen-Bär und Rechtsanwalt Knöllinger („Wir klagen die Hölle aus ihrem Feind – seit 30 Jahren“) und zum Schluss brüllt eine untersetzte Kinoangestellte: „Will jemand noch ein Eis?“

Nicht so bei „Makita – Sonne über den Weiden“.

Zuerst kommen im Vorspann diejenigen, die den Kram bezahlt haben: Filmforderstelle Brandenburg, Deutsche Förderstätte für sehbehinderte Regisseure, Canal XXX (Rumänien), Schwul-lesbische Queer-Subventionierungs-Anlaufstelle für Bedeutungslosigkeit, Migrationshilfe grauhaariger Berliner Landfrauen, Förderstelle für Gedöns Berlin, Fördergeldabgreifstelle Kreuzberg, Filmakademie des antifaschistischen Widerstands Leipzig und Canal +/- (Frankreich).

Danach eine ganze Latte Preise: Angeberpreis gegenseitiger Preisverleiher Berlin, Streichelpreis (Zweiter Platz) des Offenbacher Zoos, Fantasiefackel Reemtsma, Extra-ordinäre Auszeichnung der Greta-Lindh-Stiftung für angewandte Scheinargumentation und der Ehrenpreis des Deutschen Orthopädieverbands. Also ein echtes Filmkritikerpraliné.

Dann die Zitate der Filmkritik: „Relotius hätte es nicht besser erzählt“ (Spiegel offline), „Ruhige Bilder mit intensiver Sprache“ (Welt), „Ein Genuss für die Augen und das Ohr“ (Grammatik-Magazin), „Muss man gesehen haben, sollte man aber nicht“ (Blockbuster-Magazin), „Gigantisch in Szene gesetzt“ (Gesamtverband der Ziegenzüchter), „Corona-Diät 2021“ (Frau am Herd), „Was zur Hölle…“ (Achse des Guten).

Ein langer Sonnenaufgang und dann Ziegen, Ziegen, Ziegen…

Und dann geht er endlich los, der Leckerbissen für Cineasten und Kritikerlieblinge: Die Sonne geht unter Zikadengezirpe über einer afrikanischen Landschaft auf und taucht die Steppe, in der ein einzelner Baum mit flacher Krone steht, in goldenes Morgenlicht. Fünf Minuten lang geht die Sonne auf. Sehr lange fünf Minuten.

Dann kommt Bewegung ins Bild. Man hört Ziegen meckern. Erst eine, dann ein paar mehr. Dann kommt vom unteren Bildrand eine Ziege und läuft Richtung aufgehende Sonne. Und noch eine Ziege. Und noch eine Ziege. Und ich merke, wie mir die Augen schwer werden vom Ziegenzählen. Und dann kommt eine menschliche Gestalt. Ein offenbar etwa 10-jähriger Junge mit Badehose und Afrikahintergrund tritt in den Vordergrund und sagt Sätze wie (aus dem Gedächtnis): „Mkeke, mbele bano soi!“ Und dabei treibt er die Ziegen mit einem Stöckchen vor sich her, Richtung des traurigen Baumes, der da so einsam im Sonnenaufgang herumsteht.

Schnitt.

Wir sehen jetzt quasi über die Schulter unseres Protagonisten. Was nicht ganz einfach ist, da er sich augenscheinlich an den blöden Baum gesetzt hat und den Stamm als Lehne benutzt. Friedlich grasen die Ziegen im Schatten. Des Baumes. Oder was Ziegen eben so machen. Makita (so schätze ich, heißt der Junge, das schließe ich messerscharf aus dem Filmtitel) ist wohl etwas fade. Wie mir. Im Gegensatz zu mir hat er aber eine Wiese unter dem Hintern, von der er sich einen Grashalm abreißt, auf dem er dann – ja, was? – eine „alte Volksweise seines Stammes“ spielt und mir wird klar, warum sein Stamm nie Dinge wie das Kolosseum gebaut hat. Ungefähr sieben Minuten malträtiert Makita den unschuldigen Grashalm, während die Ziegen friedlich in der Gegend herumstehen.

Schnitt.

Wir sehen Makita von vorn, den sein Geblase offenbar durstig gemacht hat. Zum Glück hat er einen gestrickten Beutel dabei, aus dem er eine Plastikwasserflasche (Nestlé?) kramt, die er in einem Zug leert. Dabei fällt ihm auf, dass man in so eine Plastikwasserflasche auch atmen kann, was dann ein dumpfes Geräusch erzeugt. Er setzt die leere Wasserflasche an und intoniert eine ähnliche Melodie wie die, die er gerade dem Grashalm entrungen hat. Musikalisch ist er, da gibt’s nix. Dann schraubt er die Flasche zu und klopft einen Rhythmus darauf. Die Ziegen stehen herum.

Schnitt.

Wir befinden uns jetzt hinter der Herde und betrachten durch die Beine der Tiere Makita am Baum. Plötzlich wird es dramatisch. Eine Ziege springt und bockt und wir sehen, dass sie eine Plastikwasserflasche am rechten Huf hat, die sie offensichtlich loswerden will. Wer grast auch schon gerne mit Plastikwasserflaschen am Fuß? Der Junge springt auf und ruft „Makita, Makita“ und mir wird klar, dass nicht der Junge, sondern entweder die Ziege Makita heißt oder Makita das Wort für „Ziege“ oder „Verdammter Shicedreck“ auf Ubuntu oder Bento ist.

Im Kinosessel eingeschlafen

Schnitt.

Wir sehen wieder über die Schulter des Jungen. Ein dramatischer Moment. Er entfernt unter unverständlichem Brummeln die Plastikflasche vom Huf der Ziege, die irgendein Idiot in die afrikanische Steppe geschmissen hat, und wirft sie weit weg. Also, so weit eine leere und beschädigte Plastikwasserflasche eben fliegt. Etwa fünf Meter. Besonders pfiffig scheint er nicht zu sein.

Schnitt.

Ein offensichtlich afrikanischer Marktplatz. Vor niedrigen, lehmfarbenen Häusern fahren 70er-Jahre-Autos ohne TÜV und mit blau qualmenden Dieselabgasen auf und ab, auf dem Platz davor hocken Männer und Frauen teils barfuß, teils mit Sandalen und sehr bunten Kleidern angetan und verkaufen auf Decken und Pappkartons exotische Gewürze und Speisen wie „Cafards frits“ oder so und es rennen Kinder und Hühner planlos herum.

Schnitt.

In Nahaufnahme sieht man dunkle Hände, die Geldscheine wechseln, dazu buntes und lustiges Stimmengewirr und Motorengeräusche der vorbeifahrenden Autos und Mopeds.

Schnitt.

Es wird hell. Lautes Gebrummel und Gemurmel, als die Kinobesucher den Saal verlassen. „Was ist los?“, will ich vom Schatz wissen. Er gähnt und reibt sich die Augen. „Anscheinend ist der Film fertig“, sagt der Schatz in sein Gähnen. „Wie war er?“, will ich wissen. „Wer? Der Film? Keine Ahnung!“, gibt der Schatz grammatikalisch falsch zurück und erklärt: „Ich bin eingeschlafen.“ Nun, ich anscheinend auch. Ich sehe mich um. Friedlich dösen noch drei, vier andere Ehrenamtsbelohnte mit uns in den Kinosesseln.

Schnitt.

Am nächsten Tag steht im Feuilleton unserer Provinzzeitung zum Film: „Ein ruhiges, unaufgeregtes Spektakel, das so manchen Besucher zum Nachdenken anregen wird.“ Tut es. Ich frage mich, ob ich unser Schlafzimmer mit Kinosesseln statt dem Bett und unseren Kühlschrank mit Plastikwasserflaschen bestücken soll. Jetzt muss ich nur noch auf den Directors-Cut von „Makita 2 – Ziegen am Abgrund des Wahnsinns“ warten. 

(Weitere Film-Kritiken des Autors unter www.politticker.de)  

 
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Heike Olmes / 05.10.2021

Einfach krass, Ihre Filmforderungsstellen, Abgreifpreise und Filmkritiken, Herr Schneider!

Stephan Bender / 05.10.2021

Deleted Scene: “Wie heißt Du?” ... “Makita.” ... “Und was denkst Du?” ... “Ich denke darüber nach, ob ich tatsächlich die Ziegen hüte oder in Wirklichkeit die Ziegen mich hüten!” ... “Interessant! Genau das Gleichnis denken wir in Deutschland auch!” ... “Und jetzt?” ... “Pack Deine Sachen…!”

Silke Müller-Marek / 05.10.2021

Ich glaube, ich ziehe den Film   “Die Götter müssen verrückt sein” vor. Geht auch um ‘ne Flasche, hat aber bedeutend mehr Handlung. Kennt den jemand?

Christian Sporer / 05.10.2021

Ich hab mich selten so amüsiert über einen Beitrag. Der romantisch verklärte Blick von Kulturschaffenden auf das einfache und doch erfüllte Leben in Afrika. Dem Ziegenhirten wird quasi eine höhere philosophische Erkenntnis zugeschrieben von der wir Westler keine Ahnung haben. Wer noch mehr amüsantes über diesen Irrglauben lesen möchte: Nigel Barley: traumatische Tropen, Notizen aus meiner Lehmhütte. Ein britische Ethnologe der von seiner Universität gedrängt wird Feldforschung bei einem Stamm in Kamerun durchzuführen. Er beschreibt mit typisch britischem Humor die falsche Wahrnehmung welche die meisten Westler vom edlen Wilden haben.

S.Buch / 05.10.2021

Als (böser) alter, weißer Mann ist man privilegiert, weil man vom Kinosessel aus auf den guten, jungen, schwarzen Mann bei seiner unterprivilegierten Arbeit starren kann. Ja, so ist das.

Reiner Gerlach / 05.10.2021

@ Marcel Seiler Bei der aggressiven Werbung für dieses historische Meisterwerk bin ich mir da auch nicht ganz sicher.  Aber wenn die neue 07 weiblich und schwarz ist (behindert oder lesbisch weiß ich nicht), ist wahrscheinlich die Liste der Förderer und Sponsoren länger als die Liste der Schauspielenden :-)

Archi W. Bechlenberg / 05.10.2021

Ich verbinde mit Makita hochwertige Elektromaschinen, nicht billig, aber zuverlässig. Die Beschreibung des Ziegenkäses klingt nach einer jener hocharte(sic!)fiziellen deutsch-aserbeidschanischen Coproduktionen, die erfahrungsgemäß noch weniger Zuschauer anlocken als nurdeutsche Filme mit Katja Riemann. Auch Programmkinobetreiber wissen, dass sich wirklich niemand für Filme über das harte Leben in den Salzminen von Tongatanga, die letzten Fischer im Vitzivutzi-Delta oder das segensreiche Wirken einer per Floß von zwei Nonnen auf dem Ayahuescafluss bis zum Stamm der Moriobis transportierten Melkmaschine interessiert; sie müssen den Verleihern aber oft solchen Sentimental-Kitsch abnehmen, um dafür auch mal einen Film zu bekommen, der etwas Geld in die Kasse spült. Auch gibt es für das Zeigen solcher Sodbrenner manchmal Prämien, Preise und Protektionen, die mit Penunze verbunden sind. /// Es gab einen Filmkritiker, vor einigen Jahren verstorben, der solche Filme liebte, war er doch “sozial und politisch engagiert”; er empfahl vor allem Filme, in denen es um den heldenhaften Kampf eines Knaben ging, dessen Lieblingskamel von Sandflöhen gebissen wurde oder über den ebenso engagierten Einsatz einer Gruppe von Tuareg, die die letzten Sandflohpopulationen in der Pitschiwarwüste retten wollen. Dieser Kritiker war mir in den Jahren, in denen kaum ein Tag verging, an dem ich nicht im Kino saß, in Presse und Rundfunk ein zuverlässiger Informant, wenn es um die Frage ging, welche Filme es unbedingt zu meiden galt. P.S. „Mkeke, mbele bano soi!“ heißt übrigens übersetzt “Ich hasse es, in diesem Film mitzuspielen, anstatt mit der Playstation zu daddeln.”

Claudius Pappe / 05.10.2021

Hallo Herr Schneider. Sie brauchen gar nicht ins Kino fahren ( die Parkgebühren können sie sich sparen, oder falls sie umweltbewusst und auf nächtliche Abenteuer mit Makitas aus sind -öffentliche Verkehrsmittel benutzen ) können sie solche Filme auch auf Arte, 3Sat oder ONE schauen. Das hat den Vorteil das der Schatz dann bequem auf dem Sofa schlafen kann.

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