Bei den Anhörungen im US-Kongress zu den Vorkommnissen des 6. Januar 2021 spielt die Wahrheit nur eine Nebenrolle. Zumindest bei denen, für die Trump die Inkarnation des Bösen ist und die davon einfach nicht lassen können.
Ich weiß gar nicht, wie lange die Anhörungen im US-Kongress zu den Vorkommnissen des 6. Januar 2021 nun schon laufen. Auf jeden Fall gehen sie gerade in die Verlängerung. Denn man wollte im Juni damit fertig sein, macht aber weiter und hat sicher noch weitere „Bombshells“ wie Cassidy Hutchinson im Ärmel, eine ehemalige Mitarbeiterin von Trumps Stabschef Mark Meadows, die nie Gehörtes über den Tagesablauf des Präsidenten an jenem Tag zu berichten weiß, an dem – glaubt man den Demokraten – die Vereinigten Staaten beinahe zum „Königreich Trump“ hinübergeputscht worden wären.
Nun muss man wissen, dass sich neben diesem politischen Tribunal, an welchem außer berufsempörten Dems nur zwei von eben denen handverlesene Republikaner teilnehmen, ordentliche Gerichte längst mit dem befasst haben und noch befassen, was da am 6. Januar vor sich ging. Mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen übrigens. Es gab Verurteilungen, weil es schlicht nicht statthaft ist, Fenster des Capitols einzuschlagen und sich gegen die Polizei Zutritt zu diesem Gebäude zu verschaffen. Es gab aber auch Freisprüche, weil an anderer Stelle (es gibt mehr als nur einen Eingang) die Polizei freundlich winkend die Türen öffnete.
Da es hunderte Stunden Videomaterial der Ereignisse gibt, die man veröffentlichen könnte, wäre die Sortierung in Straftaten und Dummheiten schnell erledigt, aber das ist nicht erwünscht. Man hat es auf den großen Fisch abgesehen, der hinter den Kulissen die Strippen gezogen haben soll, um die Demokratie in den USA (die es freilich gar nicht gibt, weil die Vereinigten Staaten eine Republik mit demokratischem Wahlsystem sind) zu Fall zu bringen. Für das politische Establishment ist und bleibt Trump das Monster unter dem Bett, auch wenn sich die Bürger längst kaum noch für das interessieren, was da letztes Jahr am 6. Januar geschehen ist. Doch die Dems um Joe Biden haben nichts anderes anzubieten, und statt drängendere Probleme wie Inflation, Kriminalität, illegale Einwanderung und Wirtschaft zu adressieren, heißt es immer noch „Trump, Trump, Trump!“.
Vor Gericht nicht verwendbar
Die Zeugin Cassidy Hutchinson weiß Fürchterliches zu berichten. Sie spricht ruhig, ernsthaft, aber bewegt und muss juristisch gut vorbereitet worden sein. Es kann nämlich zum rechtlichen Problem werden, in einem solchen Hearing wissentlich die Unwahrheit zu sagen. Alle ihre Sätze enthalten deshalb Formulierungen wie „…sagte etwas in der Art von…“. Hutchinson weiß also, wie sie ihre Aussage soweit relativiert, dass die bei jeder Nachfrage auch in die entgegengesetzte Richtung ausweichen kann. Doch Nachfragen sind nicht zu erwarten, denn das Hearing enthält kein Kreuzverhör. Kritische Fragen werden den „Zeugen“ nicht gestellt, das ist kein Prozess der Wahrheitsfindung, sondern eine Märchenstunde.
Denn Hutchinson war keineswegs Augen- oder auch nur Ohrenzeugin der von ihr geschilderten Ereignisse, die sich im „Beast“, der gepanzerten Präsidentenlimo abgespielt haben sollen. Wenn Sie jetzt die Worte „Einspruch, Hörensagen!“ im Sinn haben, liegen Sie richtig, liebe Leser. Vor Gericht wäre die ganze Aussage Hutchinsons nicht verwendbar. Aber wir sind ja hier nicht vor einem ordentlichen Gericht, sondern vor einem Tribunal der selbstreferenziellen Moral – und solche kennt bekanntlich keine Prozessordnung. Hutchinson berichtet, was sie von anderen gehört hat, als Trump am 6. Januar 2021 nach seiner Rede auf der Kundgebung in das „Beast“ einstieg, um zurück zum Weißen Haus zu fahren. Er wollte jedoch, so Hutchinson, zum Kapitol „zu seinen Leuten“ fahren, griff aus dem Fond des Fahrzeuges mit einer Hand in das Lenkrad und hielt mit der anderen Hand den Secret-Service-Agenten in Schach, der am Steuer saß.
Eigentlich eine sportliche Leistung, wenn man bedenkt, dass die Presse in der Amtszeit Trumps nicht müde wurde, Anzeichen des körperlichen Verfalls und der Amtsunfähigkeit des Präsidenten zu entdecken, wenn er etwa beim Halten einer Kaffeetasse zitterte oder etwas wackelig eine nasse Rampe herunterkam! Genau dieser alte Mann schaffte es aber angeblich, aus dem Fond einer überlangen Limo heraus nach vorn ins Lenkrad zu greifen und sich ganz nebenbei und mit nur einer Hand mit einem bestens trainierten Personenschützer des Secret Service anzulegen.
Clevere und langlebige Ideen
Eine schöne Geschichte, die nur leider so nie passiert ist. Hutchinson war kaum mit ihrer Erzählung fertig, da meldete sich Peter Alexander per Twitter zu Wort. Alexander ist keine Maga-Mütze, sondern White House Chefkorrespondent von NBCNews, einem Sender, der sich nicht gerade durch Trump-Nähe auszeichnet. Er teilt mit, dass zwei tatsächliche Augenzeugen der Vorgänge in der Präsidentenlimo an besagtem Tag, nämlich der leitende Agent Bobby Engel und der Fahrer des „Beast“ bereit seien, unter Eid auszusagen, dass Trump niemals ins Lenkrad gegriffen und auch nie einen Agenten des Secret Service angegriffen habe. Hutchinson hat also mit großer Wahrscheinlichkeit gelogen, was man sehr leicht überprüfen könnte, wenn man die beiden Agenten vorladen würde. Ob man dies tun wird, wollen Sie wissen? Kommen Sie, diese Frage können Sie sicher selbst beantworten, liebe Leser!
Die Wahrheit interessiert in dieser Sache niemanden. Zumindest auf der Seite jener, für die Trump die Inkarnation des Bösen ist und von dem sie doch nicht lassen können, weil er ihnen fünf schöne Jahre lang zuverlässig als Quotenbringer, Wetzstein und amoralisches Urmeter gedient hat und noch bis heute dient. Was waren diese Zeiten doch schön, denkt sich wohl auch Sascha Lehnartz, der Chefkorrespondent der WELT, und lässt in einem Meinungsbeitrag noch mal richtig Dampf ab. Er nimmt die Aussagen Hutchinsons für bare Münze, fordert die Inhaftierung Trumps und wirft in seinem heiligen Zorn gleich noch all die anderen (längst als faustdicke Lügen entlarvten) Vorwürfe auf den Ex-Präsidenten, wenn er etwa das alte Klischee von Putin als Trumps „Autokraten-Buddy im Kreml“ bedient. Es gab keine Russlandverschwörung. Das Ganze war eine clevere – und langlebige – Idee aus Clintons Wahlkampfteam.
Im Gegensatz zum schäumenden Lehnartz sind die Amerikaner offensichtlich auch nicht „dankbar, dass Joe Biden der aktuelle Präsident der USA“ ist. Zumindest nicht mehr. Für Bidens Umfragewerte müsste man inzwischen ein zusätzliches Kellergeschoss bauen. Das könnte sich der Präsident dann mit dem Informationsstand deutscher Journalisten teilen, wenn es um die Vorgänge und die Stimmung in den USA geht.
Dieser Artikel erschien zuerst auf unbesorgt.de.
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