Roger Letsch / 05.07.2022 / 14:00 / Foto: Fabian Nicolay / 23 / Seite ausdrucken

Märchenstunde im Kongress

Bei den Anhö­run­gen im US-Kon­gress zu den Vor­komm­nis­sen des 6. Januar 2021 spielt die Wahr­heit nur eine Nebenrolle. Zumin­dest bei denen, für die Trump die Inkar­na­ti­on des Bösen ist und die davon einfach nicht las­sen kön­nen.

Ich weiß gar nicht, wie lan­ge die Anhö­run­gen im US-Kon­gress zu den Vorkommnis­sen des 6. Janu­ar 2021 nun schon lau­fen. Auf jeden Fall gehen sie gera­de in die Ver­län­ge­rung. Denn man woll­te im Juni damit fer­tig sein, macht aber wei­ter und hat sicher noch wei­te­re „Bombs­hells“ wie Cas­sidy Hut­chin­son im Ärmel, eine ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­te­rin von Trumps Stabs­chef Mark Mea­dows, die nie Gehör­tes über den Tages­ab­lauf des Prä­si­den­ten an jenem Tag zu berich­ten weiß, an dem – glaubt man den Demo­kra­ten – die Ver­ei­nig­ten Staa­ten bei­na­he zum „König­reich Trump“ hin­über­ge­putscht wor­den wären.

Nun muss man wis­sen, dass sich neben die­sem poli­ti­schen Tri­bu­nal, an welchem außer berufs­em­pör­ten Dems nur zwei von eben denen hand­ver­le­se­ne Repu­bli­ka­ner teil­neh­men, ordent­li­che Gerich­te längst mit dem befasst haben und noch befas­sen, was da am 6. Janu­ar vor sich ging. Mit sehr unter­schied­li­chen Ergeb­nis­sen übri­gens. Es gab Ver­ur­tei­lun­gen, weil es schlicht nicht statt­haft ist, Fens­ter des Capi­tols ein­zu­schla­gen und sich gegen die Poli­zei Zutritt zu die­sem Gebäu­de zu ver­schaf­fen. Es gab aber auch Frei­sprü­che, weil an ande­rer Stel­le (es gibt mehr als nur einen Ein­gang) die Poli­zei freund­lich win­kend die Türen öffnete.

Da es hun­der­te Stun­den Video­ma­te­ri­al der Ereig­nis­se gibt, die man veröffentlichen könn­te, wäre die Sor­tie­rung in Straf­ta­ten und Dumm­hei­ten schnell erle­digt, aber das ist nicht erwünscht. Man hat es auf den gro­ßen Fisch abge­se­hen, der hin­ter den Kulis­sen die Strip­pen gezo­gen haben soll, um die Demo­kra­tie in den USA (die es frei­lich gar nicht gibt, weil die Ver­ei­nig­ten Staa­ten eine Repu­blik mit demo­kra­ti­schem Wahl­sys­tem sind) zu Fall zu brin­gen. Für das poli­ti­sche Estab­lish­ment ist und bleibt Trump das Mons­ter unter dem Bett, auch wenn sich die Bür­ger längst kaum noch für das inter­es­sie­ren, was da letz­tes Jahr am 6. Janu­ar gesche­hen ist. Doch die Dems um Joe Biden haben nichts ande­res anzu­bie­ten, und statt drän­gen­de­re Pro­ble­me wie Infla­ti­on, Kri­mi­na­li­tät, ille­ga­le Ein­wan­de­rung und Wirt­schaft zu adres­sie­ren, heißt es immer noch „Trump, Trump, Trump!“.

Vor Gericht nicht verwendbar

Die Zeu­gin Cas­sidy Hut­chin­son weiß Fürch­ter­li­ches zu berich­ten. Sie spricht ruhig, ernst­haft, aber bewegt und muss juris­tisch gut vor­be­rei­tet wor­den sein. Es kann näm­lich zum recht­li­chen Pro­blem wer­den, in einem sol­chen Hea­ring wissent­lich die Unwahr­heit zu sagen. Alle ihre Sät­ze ent­hal­ten des­halb Formulierungen wie „…sag­te etwas in der Art von…“. Hut­chin­son weiß also, wie sie ihre Aus­sa­ge soweit rela­ti­viert, dass die bei jeder Nach­fra­ge auch in die entge­gen­ge­setz­te Rich­tung aus­wei­chen kann. Doch Nach­fra­gen sind nicht zu erwar­ten, denn das Hea­ring ent­hält kein Kreuz­ver­hör. Kri­ti­sche Fra­gen wer­den den „Zeu­gen“ nicht gestellt, das ist kein Pro­zess der Wahr­heits­fin­dung, son­dern eine Märchenstunde.

Denn Hut­chin­son war kei­nes­wegs Augen- oder auch nur Ohren­zeu­gin der von ihr geschil­der­ten Ereig­nis­se, die sich im „Beast“, der gepan­zer­ten Präsidentenlimo abge­spielt haben sol­len. Wenn Sie jetzt die Wor­te „Ein­spruch, Hören­sa­gen!“ im Sinn haben, lie­gen Sie rich­tig, lie­be Leser. Vor Gericht wäre die gan­ze Aus­sa­ge Hut­chin­sons nicht ver­wend­bar. Aber wir sind ja hier nicht vor einem ordent­li­chen Gericht, son­dern vor einem Tri­bu­nal der selbst­re­fe­ren­zi­el­len Moral – und sol­che ken­nt bekannt­lich kei­ne Pro­zess­ord­nung. Hut­chin­son berichtet, was sie von ande­ren gehört hat, als Trump am 6. Janu­ar 2021 nach sei­ner Rede auf der Kund­ge­bung in das „Beast“ ein­stieg, um zurück zum Weißen Haus zu fah­ren. Er woll­te jedoch, so Hut­chin­son, zum Kapi­tol „zu sei­nen Leu­ten“ fah­ren, griff aus dem Fond des Fahr­zeu­ges mit einer Hand in das Lenkrad und hielt mit der ande­ren Hand den Secret-Ser­vice-Agen­ten in Schach, der am Steu­er saß.

Eigent­lich eine sport­li­che Leis­tung, wenn man bedenkt, dass die Pres­se in der Amts­zeit Trumps nicht müde wur­de, Anzei­chen des kör­per­li­chen Ver­falls und der Amts­un­fä­hig­keit des Prä­si­den­ten zu ent­de­cken, wenn er etwa beim Hal­ten einer Kaf­fee­tas­se zit­ter­te oder etwas wacke­lig eine nas­se Ram­pe her­un­terkam! Genau die­ser alte Mann schaff­te es aber angeb­lich, aus dem Fond einer über­lan­gen Limo her­aus nach vorn ins Lenk­rad zu grei­fen und sich ganz neben­bei und mit nur einer Hand mit einem bes­tens trai­nier­ten Per­so­nen­schüt­zer des Secret Service anzulegen.

Clevere und langlebige Ideen

Eine schö­ne Geschich­te, die nur lei­der so nie pas­siert ist. Hut­chin­son war kaum mit ihrer Erzäh­lung fer­tig, da mel­de­te sich Peter Alex­an­der per Twit­ter zu Wort. Alex­an­der ist kei­ne Maga-Müt­ze, son­dern White House Chef­kor­re­spon­dent von NBC­News, einem Sen­der, der sich nicht gera­de durch Trump-Nähe aus­zeich­net. Er teilt mit, dass zwei tat­säch­li­che Augen­zeu­gen der Vor­gän­ge in der Präsidenten­li­mo an besag­tem Tag, näm­lich der lei­ten­de Agent Bob­by Engel und der Fah­rer des „Beast“ bereit sei­en, unter Eid aus­zu­sa­gen, dass Trump nie­mals ins Lenk­rad gegrif­fen und auch nie einen Agen­ten des Secret Ser­vice angegriffen habe. Hut­chin­son hat also mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit gelo­gen, was man sehr leicht über­prü­fen könn­te, wenn man die bei­den Agen­ten vor­la­den wür­de. Ob man dies tun wird, wol­len Sie wis­sen? Kom­men Sie, die­se Fra­ge können Sie sicher selbst beant­wor­ten, lie­be Leser!

Die Wahr­heit inter­es­siert in die­ser Sache nie­man­den. Zumin­dest auf der Sei­te jener, für die Trump die Inkar­na­ti­on des Bösen ist und von dem sie doch nicht las­sen kön­nen, weil er ihnen fünf schö­ne Jah­re lang zuver­läs­sig als Quotenbringer, Wetz­stein und amo­ra­li­sches Urme­ter gedient hat und noch bis heu­te dient. Was waren die­se Zei­ten doch schön, denkt sich wohl auch Sascha Lehn­artz, der Chef­kor­re­spon­dent der WELT, und lässt in einem Mei­nungs­bei­trag noch­ mal rich­tig Dampf ab. Er nimmt die Aus­sa­gen Hut­chin­sons für bare Mün­ze, for­dert die Inhaf­tie­rung Trumps und wirft in sei­nem hei­li­gen Zorn gleich noch all die ande­ren (längst als faust­di­cke Lügen ent­larv­ten) Vor­wür­fe auf den Ex-Präsiden­ten, wenn er etwa das alte Kli­schee von Putin als Trumps „Auto­kra­ten-Bud­dy im Kreml“ bedient. Es gab kei­ne Russ­land­ver­schwö­rung. Das Gan­ze war eine cle­ve­re – und lang­le­bi­ge – Idee aus Clin­tons Wahlkampfteam.

Im Gegen­satz zum schäu­men­den Lehn­artz sind die Ame­ri­ka­ner offen­sicht­lich auch nicht „dank­bar, dass Joe Biden der aktu­el­le Prä­si­dent der USA“ ist. Zumindest nicht mehr. Für Bidens Umfra­ge­wer­te müss­te man inzwi­schen ein zusätz­li­ches Kel­ler­ge­schoss bau­en. Das könn­te sich der Prä­si­dent dann mit dem Infor­ma­ti­ons­stand deut­scher Jour­na­lis­ten tei­len, wenn es um die Vor­gän­ge und die Stim­mung in den USA geht.

Dieser Artikel erschien zuerst auf unbesorgt.de.

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Foto: Fabian Nicolay

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Leserpost

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Lutz Herrmann / 05.07.2022

Könnt ihr euch noch erinnern, als lediglich drei Polizisten die Erstürmung vom Reichstag verhindert haben? Irgendwie lebt die politische Klasse von solchen Räuberpistolen.

Frank Bitterhof / 05.07.2022

Was der Beitrag leider unerwähnt lässt: Zu diesen Anhörungen, die sich durchaus mit diesen Anhörungen der McCarthy-Ära vergleichen lassen, wurden Personen aus dem Umfeld Trumps geladen, die noch nicht mal mittelbar mit den Ereignissen vom 06.01.21 zu tun hatten und die sich deshalb entschlossen hatten, zu diesem Theater nicht zu erscheinen. Eine dieser Personen wurde am Flughafen nach der Landung verhaftet und in Handschellen abgeführt! Das gabs bei früheren Anhörungen noch nie (in einem Fall gings um Waffengeschäfte eines Demokraten, der unbehelligt blieb). Auch bei den US-Demokraten gibt es keine “roten Linien” mehr, ungeschriebene Gepflogenheiten werden mißachtet, die müssen damit rechnen, dass ihnen das bei den Midterms im November richtig auf die Füße fällt.

Rolf Mainz / 05.07.2022

Man kann von Mr Trump halten was man möchte, aber hat er nicht in mehr und mehr Themen letztlich Recht behalten? Ob illegale Zuwanderung, ob wirtschaftliche und gesellschaftliche Fehlentwicklung des Landes, ob Machenschaften der chinesischen Führung bspw. zum Covid-Ursprung, ob Eignung von Mr Biden im Amt - bis hin zum Ukraine-Konflikt. Und vermutlich ist es genau dies, was seine politischen Gegner am meisten trifft und aggressiv macht.

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