Zugegeben, ich bin kein Afghanistan-Experte. Ich weiß nur, dass der Hindukusch kein Fluss, sondern ein Gebirgszug und Kabul die Hauptstadt dieses südasiatischen Landes ist. Dann weiß ich noch, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird (Peter Struck) und dass nichts gut ist in Afghanistan (Margot Käßmann). Die Verteidigung unserer Sicherheit in diesem Land hat bisher (seit 2001) 56 deutsche Soldaten das Leben gekostet. Ich bin weiß Gott kein Linker, aber ich war immer dagegen, dass deutsche Soldaten unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigen. Warum gerade in Afghanistan? Warum nicht auch im Irak und in Syrien und in Libyen?
Wenn ich es recht überlege, weiß ich noch etwas mehr über das Land, zum Beispiel dass die Sowjetarmee in den zehn Jahren ihres Afghanistan-Abenteuers rund 15.000 tote Soldaten zu beklagen hatte (wenn sie denn beklagt wurden). Haben die dort etwa auch ihre Sicherheit verteidigt? Was für die Amerikaner in Vietnam der Vietcong war, das waren für die Sowjets in Afghanistan die Taliban. Was ich sonst noch über Afghanistan weiß, habe ich aus Zeitungsberichten oder aus dem Roman „Der Drachenläufer“ des afghanisch-amerikanischen Schriftstellers Khaled Hosseini (erschienen 2003).
Was ist an diesem Land, das bereits Alexander der Große (gest. 323 v. Chr.) besetzt hatte, so interessant für Invasoren und Investoren? Antwort: seine geostrategische Bedeutung. Doch das ist ein Gebiet, von dem ich noch weniger Ahnung habe. Deswegen breche ich hier ab und lenke die Aufmerksamkeit der interessierten Achse-Leser (jedweden Geschlechts) auf einen Umstand, der zwar allgemein bekannt, aber kaum thematisiert oder gar problematisiert wird. Dabei bestünde gerade jetzt, wo Abschiebungen in das Land am Hindukusch stattfinden und sein Status als sicheres Herkunftsland hoch umstritten ist, hinreichend Anlass dazu.
Der offizielle politische Name dieses Landes lautet (auf Dari, neben Paschtu die zweite Amtssprache, Artikel 16 der Verfassung) Dschomhuri-ye Eslāmi-ye Afghānestān – Islamische Republik Afghanistan. Außer Afghanistan gibt es nur noch drei Staaten, die sich islamische Republik nennen: Iran, Mauretanien und Pakistan. Der OIC, der Organisation für islamische Zusammenarbeit (Organisation for Islamic Cooperation, bis 2011 Organisation of the Islamic Conference) gehören immerhin 56 Staaten an (ohne Syrien, dessen Mitgliedschaft 2012 suspendiert wurde), in denen der Islam Staatsreligion oder Religion der Bevölkerungsmehrheit ist. Zwar ist in diesem Zusammenhang durchaus genaues Hinsehen geboten, wie das Beispiel Saudi-Arabiens zeigt, das sich zwar schlicht „Königreich“ nennt und schon deshalb keine „Republik“ sein kann, sich aber an „Strenggläubigkeit“ durchaus mit den vier islamischen Republiken messen kann. Und bei diesen dürfte die Ausrichtung klar sein.
Margot Käßmann hat Recht: Nichts ist gut in Afghanistan
Allerdings wissen Juristen, dass „Verfassungsrecht“ und „Verfassungswirklichkeit“ zwei verschiedene Dinge sein können (bekannte Bespiele: die Rolle der politischen Parteien nach Artikel 21 Grundgesetz und im politischen Alltag oder Gewissensfreiheit der Abgeordneten nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG und Fraktionszwang). Demgemäß darf man es nicht bei einer Betrachtung des bloßen Verfassungstextes bewenden lassen, sondern muss auch ergründen, wie die jeweiligen Vorschriften tatsächlich praktiziert werden.
Werfen wir also zunächst einen Blick in die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan (auch hier), die „das Volk von Afghanistan“ durch seine „gewählten Vertreter in der Großen Ratsversammlung (Loya Dschirga) am 14. Jadi 1382 Hidschra (= 04.01.2004)“ verabschiedet hat – und zwar nur unter den Aspekten, die bei Abschiebungen von Interesse sind: Ein Ausländer darf „nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist“ (§ 60 Absatz 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz, AufenthG). „Ein Ausländer darf [ferner] nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht“ (§ 60 Absatz 2 Satz 1 AufenthG). Als ernsthafter Schaden gilt: „1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, 2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder 3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.“
Nach Artikel 3 der afghanischen Verfassung darf kein Gesetz dem Glauben und den Bestimmungen der heiligen Religion des Islam widersprechen. Nach Artikel 8 achtet der Staat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Gleichzeitig hat Afghanistan als Gründungsmitglied der OIC (1969) allerdings die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam vom 5. August 1990 unterschrieben, die alle Menschenrechte unter Scharia-Vorbehalt stellt (Artikel 24: „Alle Rechte und Freiheiten, die in dieser Erklärung genannt wurden, unterstehen der islamischen Scharia“, Artikel 25: „Die islamische Scharia ist die einzig zuständige Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung“).
Artikel 22 Satz 2 bestimmt: „Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten".
Artikel 29 verbietet die Folter.
Diese und weitere Verfassungsbestimmungen hätten auch für einen Europäer einen guten Klang, wenn nicht alle unter Vorbehalt des Artikels 3 stünden, insoweit durchaus vergleichbar mit dem Scharia-Vorbehalt in Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam. Ein Blick in die Verfassungswirklichkeit bestätigt diese Skepsis. Margot Käßmann – ich sage das ungern – hat Recht: Nichts ist gut in Afghanistan. Dass sie auch für die Taliban betet hat daran bisher leider nichts geändert.
Das Auswärtige Amt sieht die Praxis der Menschenrechte in Afghanistan wie folgt:
„Zu den Fortschritten im Bereich der Menschenrechte gehören insbesondere die Verabschiedung des Gesetzes zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (Elimination of violence against Women - 'EVAW-Law') im Jahre 2009 (in Form eines Präsidialdekrets) und der gerade auch für Frauen und Mädchen weitgehend gesicherte Zugang zu Bildung sowie die Entwicklung im Bereich der Zivilgesellschaft. Heute gibt es in Afghanistan eine vibrierende zivilgesellschaftliche Szene von bis zu 3.000 Nichtregierungsorganisationen (NRO) aller Sparten. Ihre Aktivitäten sind vor allem auf die urbanen Zentren konzentriert, strahlen aber zunehmend auf den ländlichen Bereich aus. Die große Zahl der NROs ist vor allem dem Engagement gerade junger Afghaninnen und Afghanen geschuldet, ist aber auch die Folge konsequenter internationaler Förderung.“
Das wäre ja noch schöner, wenn die Bemühungen von rund 40 Staaten um die Stabilisierung Afghanistans ganz ohne Folgen geblieben wären.
Totalitaristen aller Länder vereinigt Euch!
Nach meiner, allerdings unmaßgeblichen Meinung, sind die Menschenrechtsgarantien in der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan nicht mehr wert als die entsprechenden Bestimmungen in den Verfassungen der DDR oder UdSSR. Dort herrschten laut Verfassung Meinungsfreiheit, Freizügigkeit und alle sonstigen Grund- und Menschenrechte, die uns im Westen heilig sind. Deswegen konnten die Regierungen beider Staaten auch die KSZE-Akte von Helsinki unterzeichnen. Was sie aber nicht hinderte, am 13. August 1961 eine Mauer zu bauen bzw. deren Bau zuzulassen, den bekanntlich niemand beabsichtigte, und Oppositionelle ins Gefängnis (GULAG) oder Irrenhaus zu stecken oder gar umzubringen. Wie hieß es doch in der Neusprache Ozeaniens in Orwells 1984: Krieg bedeutet Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke. Und die zuständigen Ministerien führten die niedlichen Bezeichnungen Miniwahr (Ministerium für Wahrheit), Minipax (Friedensministerium), Minilieb (Ministerium für Liebe), Minifluss (Ministerium für Überfluss).
Totalitaristen aller Länder vereinigt Euch!
Es mag sein, dass es in Afghanistan sichere Gebiete gibt. Allerdings ist mir noch nicht klar geworden, wie bei einer Abschiebung sichergestellt ist, dass die Betreffenden tatsächlich auch dorthin gelangen. Zunächst landen erst mal alle in Kabul. Und dann bestimmen die afghanischen Behörden, was weiter geschieht.
„Abschiebungen sind nichts Schönes“ kommentierte Ulf Poschardt kürzlich in der „Welt“. Das würde ich so generell nicht sagen. Als zum Beispiel Metin Kaplan, „der Kalif von Köln“ nach endlosem Hin und Her am 12. Oktober 2004 endlich abgeschoben wurde (in die Türkei), habe ich das, wenn auch in aller Stille, mit einer Flasche Champagner begossen. Und wenn Reda Seyam abgeschoben würde (das ist der, der mit Hilfe gerichtlicher Hilfe durchgesetzt hat, seinen Sohn „Djehad“ nennen zu dürfen), würde ich das Gleiche machen, doch ist das nicht zu erwarten, da er schon vor mehr als einem Jahrzehnt eingebürgert wurde (ausgerechnet in Baden-Württemberg). Wenn allerdings einer alleinerziehenden Afghanin nach 17 Jahren die Abschiebung droht, dann gebe ich Poschardt Recht: Das ist nicht nur „nicht schön“, das ist verdammt hässlich. Frauen würde ich generell niemals nach Afghanistan abschieben, denn sie sind dort nach meiner Einschätzung keinesfalls vor Vergewaltigung und Diskriminierung, ja nicht einmal vor Ermordung ausreichend geschützt, sichere Regionen hin oder her. Konvertiten (beiderlei Geschlechts) droht nach „den Bestimmungen der heiligen Religion des Islam“ sogar der sichere Tod. Denn Mohammed, „ein schönes Vorbild“ für alle Muslime (Sure 33, 21) hat verfügt: „Wer den Islam verlässt, den tötet!“
Das ist natürlich Bundeskanzlerin Angela Merkel und allen Zuständigen auch bekannt. Aber vermutlich will man mal wieder „ein Zeichen setzen“, nachdem die „roten Linien“ inzwischen verbraucht sind.