Von Dieter Prokop
Gegen Banken-Insolvenzen sicherte sich die EU auch durch eine europäische „Bankenunion“ (Single Resolution Fund, SRF) ab, einen europäischen Selbsthaftungs-Fonds der Banken. Seit 2016 sollen die Banken innerhalb von acht Jahren in diesen Bankenfonds 55 Milliarden Euro einzahlen. Der Beitrag setzt sich so zusammen: Eingezahlt wird ein Sockelbetrag. Dessen Höhe richtet sich nach der Bilanzsumme der einzahlenden Bank. Dazu kommt ein am Risikoprofil der Bank ausgerichteter Risikofaktor. Banken mit risikoreichen Geschäften zahlen mehr. Die deutschen Sparkassen und Volksbanken erhalten eine Teilbefreiung von dieser europäischen Banken-Haftungspflicht. Da sie ein eigenes Institutssicherungssystem haben, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie jemals auf den Fonds zurückgreifen werden.
Strittig war unter den verhandelnden europäischen Politikern die Frage, ob es wirklich ein gemeinsamer europäischer Fonds sein soll, der darüber entscheidet, ob eine Bank abgewickelt, also geschlossen wird. Deutschland war gegen einen europäischen Fonds, denn dann müssten die deutschen Banken den größten Anteil der Abwicklungskosten tragen. Dann müssten deutsche Banken auch die kommenden Bankenpleiten in den Südstaaten bezahlen [1]. Man einigte sich im Dezember 2013 auf „nationale Kammern“ (unter einem gemeinsamen europäischen Dach), in die die jeweiligen nationalen Banken einzahlen. Auf den Fonds hatten bisher nur die nationalen Banken Zugriff. Man verstand das als Übergangslösung zur „Vergemeinschaftung“.
Es ist diese „Vergemeinschaftung“, also die Abschaffung der nationalen Kammern, die Macron forderte und jetzt auch Merkel will. Faktisch geht es bei dieser „Vergemeinschaftung“ darum, dass nordeuropäische Banken für die Zocker-Geschäfte der südeuropäischen Banken in deren Pleitefall zahlen sollen.
Französische Hegemonie über Europa?
Macron und Merkel sind sich darüber einig, dass die Eurozone einen eigenen Haushalt erhalten soll. Der ist zwar (zunächst) gering. Aber dahinter steht auch Macrons Forderung, dass ein „durchgreifender“ europäischer Finanzminister über jenen verfügen solle. Einen EU- oder Eurozonen-Finanzminister haben auch Sarkozy und Hollande gefordert und auch der französische EZB-Präsident Trichet – zweifellos in der Absicht, eine französische, etatistische Hegemonie über Europa zu errichten. Dabei geht es heute nicht um Nationalismus. Es geht um Fiskalpolitik und zwar eine „keynesianische“. Es ist die bei französischen Regierungen – gleich welchen Lagers – vorherrschende Überzeugung, dass der Staat Schulden machen müsse, um „Wachstum zu fördern“, mit dem vagen Versprechen, dass die Schulden dann wieder zurückgezahlt werden, wenn das „Wachstum“ (angeblich) fette Steuergelder einspielt.
Letzteres war ein entscheidender Baustein bei Keynes. Aber dass alle europäischen Politiker in Konjunkturzeiten freiwillig Schulden zurückzahlen, ist unwahrscheinlich. Selbst die im europäischen Fiskalpakt von 2012/13 festgelegte Schuldenbremse wird nicht immer eingehalten. Außerdem ist es heute wahrscheinlich, dass staatliche Investitionen – selbst wenn sie Investitionen in neue Infrastrukturen wie die Digitalisierung oder den ökologischen Umbau betreffen – dem Staat gar keine Mehreinnahmen erbringen, weil deren Folgen eher in Investitionen der Unternehmen in Automatisierung und Rationalisierung bestehen und damit auch Massenentlassungen zur Folge haben werden.
Den französischen, Schulden machenden Etatismus möchte Macron nicht allein in Frankreich praktizieren, sondern mittels eines neuen – dann aber bitte milliardenschweren – Eurozonen-Haushalts europäisieren. Die Hauptzahler in diesen gemeinsamen Eurozonen-Haushalt wären die Steuerzahler der EU-Nordstaaten von Finnland bis Deutschland und Österreich.
Europäische Sozialgesetze – in korrupten Bürokratien?
Hier besteht das Strukturproblem in den fehlenden Infrastrukturen. Denn eine Sozialgesetzgebung setzt Sozialämter voraus, die vor Ort Anträge prüfen und die zudem nicht korrupt und auch nicht schwerfällig sind. Man weiß in Deutschland, wie schwer es für die Sozialämter ist, Sozialbetrug zu verhindern. Wie soll das aber in Staaten geschehen, in denen es keine Sozialämter gibt?
Eigene Sozialgesetze mitsamt Infrastruktur sind jedoch eine der Voraussetzungen für die Einführung einer europäischen Sozialversicherung. Eine andere Voraussetzung sind Ausbildungs-Institutionen für die Jugendlichen: betriebliche Ausbildungen, Fachschulen, Fachhochschulen. In den Staaten mit hoher Jugendarbeitslosigkeit gibt es keine Institutionen, die Facharbeiter ausbilden. Und zu den infrastrukturellen Voraussetzungen gehört auch die Förderung der mittelständischen Wirtschaft. Das sind Infrastrukturen, die zunächst auf der Ebene des jeweiligen EU-Mitgliedsstaats entwickelt werden müssen, bevor man an eine europäische Sozialgesetzgebung denken kann.
Und nicht zuletzt: Jene EU-Staaten, die eine Sozialgesetzgebung haben und auch sonst das öffentliche Eigentum pflegen – sie haben das aus Beitragszahlungen und Steuergeldern ihrer eigenen Bevölkerung eingerichtet, zu deren Schutz.
Im dritten Teil dieser Serie lesen Sie morgen: Abgesang auf die Nation?
Den ersten Teil der Serie finden Sie hier
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Dieter Prokop ist Professor em. für Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Er schrieb mehrere Bücher über Europa. Sein neuestes Buch zur Europawahl ist Europas Wahl zwischen Rhetorik und Realität.
[1] s. HANKEL, Wilhelm (2013): Die Euro-Bombe wird entschärft. Wien, S. 62 ff.