Als ich vor zehn Jahren nach einem Titel für meinen DDR-Roman suchte, fiel mir das Wortspiel „Wohnhaft DDR“ ein. DDR-Bürger waren eingesperrt, durften aber zu Hause wohnen. In dem Roman beschreibe ich, wie eine Gesellschaft mehr und mehr in ein Unterdrückungsregime pervertiert, sich die Regierung gegen die eigenen Bürger wendet, sie hemmungslos ausbeutet, unterdrückt und in eine Art häuslicher Haft einsperrt. Ich beschreibe, welche Hoffnungslosigkeit sich in einem solcherart scheindemokratischen Regime ausbreitet und wie die Angst bei den meisten Menschen jeden Widerstand lähmt. Aus dem Titel ist dann letztendlich „Wohn-Haft“ geworden und aus dem Roman ein Erfolg.
Nie hätte ich gedacht, nicht mal in meinen wildesten Träumen, wie prophetisch dieser Buchtitel für die Situation im Jahre 2020 werden würde.
1989 rettete mir der Mauerfall das Leben. Die Stasi entsorgte mich wie Gefängnis-Müll, indem sie mich mit verbundenen Augen in Berlin-Köpenick aus einem fahrenden Auto warf. Wie glücklich war ich, als ich mich nach der Wiedervereinigung in einer echten Demokratie angekommen wähnte. Doch blieb ich, wie so viele meiner DDR-Landsleute, auf der Hut und um die Demokratie besorgt, weil ich ihren Wert zu schätzen wusste. Doch als nach ein paar Jahren die mehrfach umbenannte SED mit ihren ölig grinsenden Spitzeln im Bundestag saß, fand ich es an der Zeit, Bundesrepublikflucht zu begehen. Ja, es war eine Flucht, aber eine Flucht natürlich in jene Stadt, die ich in meinen Träumen im den sozialistischen Lagern so oft gesehen hatte. Flucht nach Paris, in die Hauptstadt des Landes, das mir als Heimat der Demokratie erschien.
Wieder bin ich in Wohn-Haft
Jetzt bin ich 20 Jahre in der Stadt meiner Träume. Es war nicht immer leicht, aber ich bin irgendwie angekommen und fange an, mich zu Hause zu fühlen. Doch mein DDR-Misstrauen gegenüber linken Weltverbesserern erwachte, als Macron an die Macht kam und seine Vorliebe für ältliche Damen auch vor der Weiblichkeit im Berliner Kanzleramt nicht haltmachte.
Dem Aufbau des Sozialismus auf deutschem Boden war ich entkommen. Jetzt muss ich entsetzt mit ansehen, wie scheinbar lammfromm die französischen Bürger dabei zusehen, dass auch im Lande der Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte diese mehr und mehr unter Vorspiegelung von Krisenrettung ausgehöhlt werden. Wieder bin ich in Wohn-Haft.
Präsident Hollande war schon eine Witzfigur, die heimlich mit dem Motorroller durch Paris zu seiner Geliebten düste. Was ihn aber nicht daran hinderte, den Sozialismus in Frankreich aufbauen zu wollen. Er wurde krachend abgewählt. Die Sozialisten zauberten den schicken Emmanuel Macron aus dem Marx’schen Zylinder, nachdem sie den gemäßigten François Fillon mittels einer Intrige im Wahlkampf zu Fall gebracht hatten. Macron versprach Gleichberechtigung, Ökologie und Digitalisierung. Die Franzosen bekamen Terrorangriffe, Coronawillkür und permanenten Ausnahmezustand.
Macron hat sich inzwischen wie Hollande entzaubert. Nächstes Jahr ist Wahl, wenn sie nicht unter Corona-Vorwand verschoben wird. Und ich muss mich ernsthaft fragen, ob meine Wahl 1999, in die Stadt der Liebe zu gehen, die richtige Entscheidung war?
Derzeit ist fast alles verboten, nur das Arbeiten nicht
Macron ist in einen Zweifrontenkrieg geraten, wo er doch gerade seine miserablen Umfragewerte durch ein markiges Corona-Management aufwerten wollte. „Wir sind im Krieg“, rief er aus. „Ich rette Euch das Leben“, war die Botschaft. Die Demonstrationen der Gelbwesten wurden verboten. Bald war sogar das Spazieren im Wald verboten. Derzeit ist fast alles verboten, nur das Arbeiten nicht.
Doch die politische Klasse in Frankreich hat in ihrer Abgehobenheit nicht die direkten Folgen ihrer überstürzten Maßnahmen bedacht, wohl auch, weil sie nicht davon betroffen ist.
Während der Ferien hat der plötzlich ausgesprochene zweite Lockdown abertausende Familien sehr direkt betroffen, besser gesagt, eiskalt erwischt. Sie waren mit ihren Kindern in ihren Ferienunterkünften, als die Regierung von einem Tag auf den anderen plötzlich wieder alle Restaurants per Dekret schloss, die Familien plötzlich abreisen mussten und nirgendwo mehr eine Mahlzeit einnehmen konnten. Die Regierung verkündete am Freitag großzügig, dass „die sofortige Heimfahrt aus dem Urlaub“ noch bis Sonntagabend „toleriert“ würde.
Sogar die Lokalitäten der Raststätten auf der Autobahn mussten schließen und man konnte viele kleine Kinder beobachten, die mit ihren Eltern im Freien um die Autos stehend Fertig-Sandwiches aus der Plastik-Packung konsumierten. Das mag in Deutschland nicht so schlimm erscheinen, für eine französische Familie hat so etwas allerdings eine völlig andere Bedeutung.
Es regt sich erstmalig eine Front des Widerstands
Die Regierung hat auch nicht bedacht, dass der plötzlich verhängte Lockdown die Restaurants mit ihren wohlgefüllten Vorratskammern extrem hart treffen würde. In Frankreich wird frisch gekocht, meist mit teuren Zutaten. Was der Betreiber jetzt nicht mit seiner Familie aufessen kann, muss in den Müll, dafür sorgen auch die strengen Hygieneauflagen der Restaurants. Der letzte Lockdown-Kredit für die Corona-Maßnahmen ist meist noch nicht abgezahlt. Jetzt wird der Geldhahn genau denen wieder zugedreht, die sich die größte Mühe gaben, alle amtlichen Vorgaben zu erfüllen. Die Wut ist entsprechend groß.
Es regt sich erstmalig eine Front des Widerstands.
Die Inhaberin eines Konfektionsgeschäfts in Blotzheim/Elsass ist in den Hungerstreik gegen das „Wiederwegsperren“ getreten. „Ich trauere um meinen Laden und um all die Läden, die bereits nach der ersten Einsperrung geschlossen werden mussten“, sagte Veronique Weingarten, die am Donnerstag ihre Bewegung begann.
Die Geschäftsführerin des einzigen Damenkonfektionsgeschäfts in Blotzheim, einer Stadt mit rund 4.500 Einwohnern, kleidete sich symbolisch in Schwarz. „Im Idealfall möchte ich unseren Laden wie alle anderen Geschäfte vor Ort wieder eröffnen können“, sagt sie. Véronique Weingarten prangert die unlautere Konkurrenzsituation beim Lockdown an. Die großen Supermärkte verkaufen Konfektion, während kleinere Konfektionsgeschäfte geschlossen werden. „Beim ersten Lockdown wurden wir eingeschläfert. Man versprach uns Hilfe, aber sie kam nicht. Wir haben nicht protestiert. Doch dann verkauften die Supermärkte auch „nicht lebensnotwendige“ Artikel und wir durften dies nicht. Es ist nicht möglich, dies ein zweites Mal zu akzeptieren.“
Sie erklärt, dass sie ihre Entscheidung zum Protest am Mittwochabend getroffen habe, „kurz nach der Rede von Emmanuel Macron. Ich musste handeln, ich wollte nicht länger wie ein kleines Schaf sein“, sagt sie. Seit Freitag steht die Ladenbesitzerin nun vor ihrem Laden. Sie hat auch ein Bett in ihrem Schaufenster aufgestellt, „um vor den Leuten zu schlafen und [ihre] Entschlossenheit zu zeigen“. Nachdem sie beim ersten Lockdown „120.000 Euro verlor“, sagt sie, stehe sie nach dem zweiten, „vor der Geschäftsschließung, ich habe einen Kredit von 100.000 Euro aufgenommen [...], der zurückgezahlt werden muss“.
Doch Corona ist nicht das einzige Problem
Die Bürgermeister kleiner und mittelgroßer Städte (Perpignan, Brive, Beaune, Valence, Chalon-sur-Saône, Colmar usw.) haben die Öffnung von Non-Food-Läden in ihren Städten erlaubt und damit die „Ungleichbehandlung“ angesichts des Massenvertriebs der großen Supermärkte und der Online-Verkäufe angeprangert.
In Rochefort (Charente-Maritimes) hat der Bürgermeister Hervé Blanché ein Dekret verfasst, das er als „symbolischen Akt“ bezeichnet. Statt „kleine lokale Geschäfte zu schließen, die alle Vorsichtsmaßnahmen treffen und keine Orte der Corona-Verbreitung sind“, will er Lösungen „hinterfragen, diskutieren und vorschlagen“ – für die Etablierten ein Affront, der verboten werden muss.
Doch Corona ist nicht das einzige Problem. Der Terror kam nach Frankreich zurück.
Seit der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty in einem Ort bei Paris gibt sich Macron erneut als rettender Krisenmanager. Er und die französische politische Klasse haben die Gefahren des zugewanderten islamischen Terrors gegen die eigene Bevölkerung jahrelang beschwichtigt und selbst nach den furchtbaren Attentaten im Bataclan in Paris und auf der Promenade des Anglaise in Nizza mit verwaschener Symbolpolitik beantwortet. Tausend christenfeindlicher Übergriffe pro Jahr gegen Gottesdienststätten zählt Frankreich, die Brandursache der Notre-Dame de Paris ist immer noch nicht gefunden.
Nach dem Mord an Samuel Paty verkündete Macron die höchste Terrorwarnstufe und die Aufstockung der „Sentinel/Vigipirate-Militärstreifen“ von 3.000 auf 7.000 Mann und dazu 7.000 Mann CRS zum Schutz von Kirchen und Schulen. Schon mit Kopfrechnen merkt jeder, dass dies wiederum nichts als hilflose Symbolpolitk ist. In Frankreich gibt es 45.000 Kirchen mit 37 Millionen Gläubigen und 65.000 Schulen mit mehr als 12 Millionen Schülern. Es ist praktisch unmöglich, diese Einrichtungen gegen innere Terroristen zu sichern, wenn doch jeder Sentinel, Vigipirat oder CRS-Polizist acht Kirchen und Schulen rund um die Uhr beschützen soll. Polizei oder Gendarmerie können diese Aufgabe im Moment leider auch nicht wahrnehmen, da sie mehr als ausgelastet sind, die Bewohner der bürgerlichen Wohngegenden bei den harmlosesten Verstößen gegen die immer phantasievolleren und ständig wechselnden Coronaregeln zu kujonieren.
Jetzt kommt die Terrorangst hinzu
Prompt schlug wenige Tage nach dem feigen Mord an dem Lehrer ein frisch eingereister Geflüchteter aus Tunesien zu und ermordete drei Gläubige in ihrer Christlichen Basilika Notre Dame in Nizza. Regierung und Land erstarrten im Schock. Unverständlicherweise üben sich ausgerechnet Kirchenvertreter in Täter-Opfer-Umkehr. Ein deutscher katholischer Bischof rief gar den Ermordeten hinterher: „Ohne Religionsfreiheit wird menschliches Leben fundamental beschädigt. Auch die Religionen müssen sich Freiheit und Toleranz gewähren. Beleidigungen von Religionen sind auszuschließen.“ Ist also das völlig unbeteiligte Opfer eines vertierten Christenhassers im Namen seines Gottes nichts anderes als eine Folge des frechen Zeigens von Mohammed-Karikaturen? Die farbige Brasilianerin, die drei Kinder hinterlässt, sagte, als sie im Sterben auf der Straße lag: „Sagt meinen Kindern, dass ich sie liebe.“
Die politische Klasse Frankreichs ist in heller Panik, seit am Samstag einem Priester beim Abschließen seiner Kirche aus einer abgesägten Schrotflinte zweimal in die Brust geschossen wurde. Auch wenn es noch gar nicht feststeht, dass es ein Terrorakt war, wurde ein Krisenstab der Regierung gegründet. Das Land „müsse zurückschlagen“, sagt Macron in militantem Ton. Dabei weiß er sehr wohl, dass die Ursachen der Terror-Attentate in den Versäumnissen vieler Jahre liegen, in denen alle Warnungen in den linken Wind geschlagen wurden, ohne irgendeine wirksame Maßnahme zu treffen und den Staat für die Gefahr zu rüsten. Nun heißt es: „Wir müssen aus jedem Franzosen einen Wächter machen“ – das Volk soll es richten.
Macron ist aus seinen linken Träumen mitten in einem Zweifrontenkrieg erwacht. Aus den Vorstädten brandet Hass gegen das Gastland und seine Bürger auf, und die „Allahu Akbar“-Rufe werden unüberhörbar. Es ist die dritte Einwanderer-Generation, die da, allen Integrations- und Fördermaßnahmen trotzend, „Gott ist der Größte“ ruft und nicht den Gott der Gastgeber meint.
Von der anderen Seite fangen die von der politischen Klasse ohne jedes Augenmaß kujonierten Citoyens an, sich zu wehren. Macron hat die Gelbwestenbewegung mittels Corona-Angst und Polizeistaat bislang unterdrückt. Jetzt kommt die Terrorangst hinzu. Doch die Maßnahmen der Regierung erweisen sich in beiden Krisen als unwirksam oder eher verschlimmbessernd. Es wird ständig ohne Konzept improvisiert und mehr von dem verordnet, was schon im Frühjahr nicht funktionierte. Viele Franzosen mögen den hilflosen verschnörkelten Pathosreden des „kleinen Prinzen“ nicht mehr so recht Glauben schenken.
Der Druck im Kessel steigt und ein Funke könnte genügen, um den Etablierten das selbstgebastelte Pulverfass um die Ohren fliegen zu lassen. Man lese nochmal aufmerksam die erste Strophe der französischen Nationalhymne:
„Auf, Kinder des Vaterlands, Der Tag des Ruhmes ist gekommen!
Gegen uns Tyrannei, Das blutige Banner ist erhoben. (2×)
Hört ihr auf den Feldern Diese wilden Soldaten brüllen?
Sie kommen bis in eure Arme,
Um euren Söhnen, euren Gefährtinnen die Kehlen durchzuschneiden
Zu den Waffen, Bürger, Formt eure Truppen,
Marschieren wir, marschieren wir!
Unreines Blut tränke unsere Furchen.“