Thomas Rietzschel / 09.02.2021 / 11:00 / Foto: Superikonoskop / 43 / Seite ausdrucken

Macron bei Fuß

Dass die Welt noch einmal „am deutschen Wesen genesen“ würde, davor hat sie bislang das gütige Schicksal bewahrt. Wann immer sich die Teutonen weltpolitisch mausig machen wollten, hat ihnen die Geschichte einen Strich durch die Rechnung gemacht. Am meisten aber dürfen sich die Deutschen selbst darüber glücklich schätzen.

Denn wie wäre es ihnen ergangen, hätten ihre nicht eben begnadeten Politiker, die verklemmten Hochstapler, den außenpolitischen Erfolg gehabt, nach dem sie dürsteten? Wie hätte er ihre Hybris befeuert, wie wären sie mit dem eigenen Volk verfahren? Was hätten sie ihm zugemutet in dem Wahn, die beste aller möglichen Welten zu schaffen? Gottlob ist es so weit nie gekommen. 

Dass die Gefahr aber für alle Zeit gebannt sei, ist gleichwohl eine Hoffnung, die trügen könnte. Immerhin werden die Deutschen nun schon bald fünfzehn Jahre von Angela Merkel regiert, wie unmündige Kinder zurechtgewiesen, angehalten, dies oder das über sich ergehen zu lassen – eine Massenzuwanderung, die den inneren Frieden kostete, eine Energiewende, die alle Rücklagen auffrisst, die privaten wie die öffentlichen, und am Ende noch einen Entzug der bürgerlichen Freiheitsrechte, dessen Ausmaß in keinem Verhältnis zum Anlass steht.

Eine Kehrtwende um 180 Grad

Gut, das alles mag die Welt rundherum nicht weiter kümmern. Warum lasst ihr euch diese diktatorischen Eingriffe in einer Demokratie gefallen, könnten die Ausländer fragen. Nun aber zog selbst der stolze Franzose Emmanuel Macron nach einer Videokonferenz mit unserer Großen Vorsitzenden den Schwanz ein, indem er von heute auf morgen eine außenpolitische Kehrtwende um 180 Grad hingelegte.

Hatte sich der französische Präsident noch Anfang des Monats kraftvoll hinter den russischen Regimekritiker Alexei Navalny gestellt und gefordert, wegen dessen Verhaftung und der brutalen Niederknüppelung landesweiter Proteste das deutsch-russische Projekt Nord Stream 2 zu begraben. Kaum eine Woche später tanzte er elegant gewendet nach der Pfeife seiner deutschen Regierungskollegin. Macron bei Fuß. 

Merkel ihrerseits hatte von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass die Pipeline fertig gebaut werden würde, Menschenrechtsverletzungen hin oder her. Mag doch halb Russland gegen seinen gewählten Zaren auf die Straße gehen, die stählerne Nabelschnur, die Europa mit dem russischen Großreich politisch verbinden soll, will sich Merkel nicht abschneiden lassen. Und Macron entblödete sich nicht, auf den Kurs der Deutschen einzuschwenken, in Sack und Asche zu gehen, als er erklärte: "Anfangs habe ich dieses Projekt infrage gestellt. Jetzt haben wir uns entschieden. Ich bin jetzt vollständig mit ihr (A. M.) solidarisch.“

Die globale Kumpanei der Mächtigen

Wie soll man sich diese Erniedrigung erklären? Welcher Teufel hat den Franzosen geritten? Wir wissen nicht, wie und mit welchen Worten oder Versprechen die betagte Frau den jüngeren Mann auf ihre Seite gezogen hat.  Eher schon dürften es die gründlich veränderten politischen Zustände unserer Tage, die globale Kumpanei der Mächtigen sein, die ihn verführte, auf Moral, Ethik und „europäische Werte“ zu pfeifen. 

Wie mit dem Absaufen des Kommunismus die Konfrontation zwischen links und rechts obsolet wurde, so erübrigte sich die weltpolitische Abgrenzung der Nationen im Zuge der Globalisierung. Zugleich hat sich eine grenzübergreifende Kaste von Berufspolitikern formiert, einzig verbunden durch die Lust an der Machtausübung.

Rund um die Welt sitzen sie alle in einem Boot, aufeinander angewiesen, wenn sie am Ruder bleiben wollen. Diesen Trumpf dürfte Merkel ausgespielt und weiter daran erinnert haben, dass eine Krähe der anderen nicht die Augen aushackt. Sind sie doch alle in der nämlichen Situation, gezwungen, sich die bisweilen aufmüpfigen Bürger vom Hals zu halten – das Volk, „den großen Lümmel“, von dem schon Heinrich Heine wusste, dass ihm die Herrschaft nie so ganz über den Weg trauen kann. Putin hat Navalny und dessen Sympathisanten am Hals, Macron die Gelbwesten, Merkel die Querdenker. 

Der Sonnenkönig und der Zar

Näher als ihren Völker, die sie kaum kennen, sind sich die Mächtigen untereinander, sozusagen von Berufs wegen. Öfter als die Bürger draußen auf der Straße treffen sie einander. Bereits vor Jahren empfing Macron Putin mit allem Pomp, in Versailles und auf seiner Ferienresidenz am Mittelmeer. Der Sonnenkönig und der Zar. 

Und als der Altbundeskanzler Gerhard Schröder neulich von der FDP-Politikerin Ria Schröder (FDP) gefragt wurde, weshalb er „mit einem Despoten wie Wladimir Putin befreundet“ sei, antwortete er im vertrauten Basta-Ton, man möge doch bitte beim Thema bleiben. „Das lautet: Führungspersönlichkeiten in der Politik.“

Nur allzu gern hält der neue Weltadel Hof, an der deutschen Ostsee, im bayrischen Elmau, in Camp David oder in Saudi-Arabien. Einer versteht den anderen, weil sie alle dasselbe Ziel verfolgen, die gleichen Probleme haben. Keiner will da den Nächsten im Stich lassen, weil er im Fall der Fälle selbst nicht im Stich gelassen werden möchte. Also sprach Macron in Sachen Nord Stream 2 unterwürfig zu Merkel: „Ich bin jetzt vollständig mit ihr solidarisch.“ Deutsche und Franzosen waren dabei nebenher eingeschlossen, schweben die Regierungen doch ohnehin in dem Glauben, sie allein seien das wahre, das eigentliche Volk, nicht dessen Diener.

„Ich“, soll die Kanzlerin laut FAZ einmal gesagt haben, „ich bin nicht Angela, ich bin Deutschland“, was im Umkehrschluss heißt: Deutschland hat so zu sein, wie sie ist. Wäre das der Fall, dann bedeutete dies: Die Gefahr einer Genesung der Welt am deutschen Wesen ist nach wie vor virulent. Und Macron hat eben demonstriert, wie schnell dabei andere Nationen noch immer unter die Räder der deutschen Hegemonie geraten können. 

Foto: SuperikonoskopCC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Hjalmar Kreutzer / 09.02.2021

Was das Niederknüppeln von Andersmeinenden anlangt, dürfen sich Macrönchen und Merkelchen gern an die eigenen Nasen fassen, was das Schikanieren des eigenen Volkes unter Coronavorwand angeht, erst recht. Ich hätte nie gedacht, einmal Merkel recht geben zu müssen, aber das russische Erdgas hat sie wohl instinktiv als einzige Möglichkeit erkannt, die Folgen der strunzdämlichen Energiewende mit Atom- und Kohleausstieg abzumildern. Fertigstellung und endlich Inbetriebnahme von Nordstream 2 aus hypermoralischen Erwägungen zu stoppen, wäre der Gipfel der Dämlichkeit und würde Väterchen Putin in keinster Weise beeindrucken. Die aktuellen Wirtschaftssanktionen gegen Russland schaden lediglich deutschen Firmen und deutschen Arbeitsplätzen.

Wilfried Cremer / 09.02.2021

Guten Tag Herr Rietzschel, Corona birgt den Keim des Weltregimes in sich. Merkel hat Macron schon mal den Sitz der Hauptstadt angeboten. Da ist der Kleine schwach geworden.

Werner Liebisch / 09.02.2021

Werden nicht in Frankreich, in den Staaten, und, und, und… genau so Leute auf der Strasse niedergenknüppelt? Wenn ich mir die Länder ansehe, wer alles, vorallem wohin Waffen liefert, dann muss es spätestens da mit der Demokratie-Heuchelei vorbei sein. Wie sagte Henry Kissinger einst, Amerika habe keine Freunde, sondern nur Interessen. In diesem Punkt, bei der Pipeline, bin ich auf Merkels Seite.

Wolfgang Ahrens / 09.02.2021

Schon der zweite Artikel in dem der Autor gegen Nordstream 2 und Putin wettert. Ich würde dem Autor empfehlen die hier regelmässig erscheinende Auswertung woher kommt der Strom zu lesen. Wenn er in Zukunft in einer kalten Behausung bei regelmässig auftretenden Stromausfällen sitzen möchte, kann er gern noch weitere Artikel schreiben. Russland versorgt uns seit Jahrzehnten zuverlässig mit preiswertem Gas und Öl und hat dies nie politisch ausgenutzt. Ich frage mich immer öfter, woher dieser Hass auf Russland in diesem Deutschland kommt. Klaus Feldmann

Burkhard Mundt / 09.02.2021

Wieviel deutsches Steuergeld ist da geflossen oder wird noch fließen? Mehr kann die Dame doch nicht.

Edgar Timm / 09.02.2021

Nix mit Unterwerfung: Anteilseigner und Finanzinvestoren von Nord Stream 2 sind u.a. ENGIE, OMV, Shell, Uniper und Wintershall Dea. Engie SA mit Sitz im Geschäftsviertel La Défense bei Paris ist ein börsennotierter Energieversorgungskonzern, ursprünglich hervorgegangen aus der Fusion des mehrheitlich in staatlicher Hand befindlichen Gasversorgers Gaz de France und des Mischkonzerns Suez im Juli 2008 unter dem Namen GDF Suez. Es ist also in französischem Interesse, die Pipeline fertig zu bauen. Das hatte Macron wohl zwischenzeitlich vergessen. Ausserdem haben Angela Merkel und Emmanuel Macron beim deutsch-französischen Verteidigungsrat versucht, die bei verschiedenen großen Rüstungsprojekten auftretenden Spannungen zu überwinden. Und da ist Macron ganz französischer Diplomat: wenn ich dir bei deiner Pipeline entgegenkomme beugst du dich meinen industriellen Interessen. Und darauf fällt AM herein - zu Lasten der deutschen Wirtschaft.

Klaus Klinner / 09.02.2021

Unabhängig vom Thema Nord Stream 2, aber wie sollte sonst Macht erhalten werden, wenn nicht durch bedingungslose Solidarität der jeweils Systembegünstigten untereinander? Problematisch wird es nur, wenn jemand daherkommt und - aus welchen Gründen auch immer - wie etwa Donald Trump oder auch Boris Johnson aus der Phalanx ausbricht. “Dann muss er wech, aba janz schnelle.” Notfalls muss dann sogar die Konfrontation bis zum bitteren Ende geführt werden. Ein Anlass findet sich immer. Beispiele gibt es in der Geschichte genug.

beat schaller / 09.02.2021

Ja, wenn Macrönchen nicht bei Fuss geht, dann gibt es eben keine Schuldenunion, so einfach ist das. Wir gehen alle unter oder dann gibt es jeder gegen jeden.  So verlieren alle und jeder ist Gewinner, zusammen mit seinen eigenen NGO’s und gekauften Medien.  Die Michel und Michelinen werden es doch nicht merkeln, bis sie endgültig absaufen. So geht Eutsche Politik und Machtdemonstration. (Ob da nicht etwas zu viel heisse Luft im Kessel dampft?) b.schaller

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