Rainer Grell / 18.12.2017 / 06:15 / Foto: EU / 14 / Seite ausdrucken

Macht mal halblang, auch Politiker verdienen Empathie!

Natürlich konnten unsere beiden Töchter, mittlerweile selbst zweifache Mütter, als erstes „Mama“ sagen, aber eines der nächsten Wörter, das sie fehlerfrei aussprachen, war „Wasserwirtschaftsverwaltung“. Und das kam so.

Wir wohnen in der Nähe eines Landschaftsschutzgebietes, des Ramsbachtals, benannt nach dem Rinnsal, das diese Idylle auf etwa 1,5 km Länge durchquert. Der Ramsbach war zur Zeit unserer Kinder ein Bächle, wie man hierzulande sagt, eingezwängt in ein Betonbett, wie das in der „Vorkriegszeit“ nicht selten gemacht wurde, „hart verbaut“ nennen das die Fachleute. Immer wenn wir uns auf einem Spaziergang dem Bach näherten, forderte ich die beiden Kleinen auf, sich hinzuhocken und zu lauschen. Hört ihr, was der Bach murmelt? fragte ich sie. Ungläubiges Kopfschütteln.

Ich übersetzte. Er sagt: „Aua, mir tut alles weh. Die bösen Männer von der Wasserwirtschaftsverwaltung (!) haben mich in dieses enge Bett eingeklemmt (den Ausdruck „Prokrustesbett“ vermied ich bewusst), so dass ich mich überhaupt nicht bewegen kann. Aua!“ Unsere Kinder hörten ihrem Vater andächtig zu und wiederholten nach anfänglichen Fehlversuchen bald einwandfrei das Wort „Wasserwirtschaftsverwaltung“. Irgendwie muss diese Geschichte den Verantwortlichen zu Ohren gekommen sein, denn vor rund zehn Jahren wurde der Ramsbach „renaturiert“: Das Betonbett wurde rausgerissen und durch ein naturgemäßes Bachbett ersetzt. Sehr gelungen. Für knapp eine Million Euro. Schauen Sie es sich mal an, wenn Sie gerade in der Nähe sind.

Meine Frau, eine studierte Pädagogin, beobachtete stirnrunzelnd, aber schweigend unser Bach-Ritual. Das änderte sich, als ich begann, mit unseren Kindern „Politiker“ zu spielen. Es ist ganz einfach, sagte ich, ihr braucht dem Papa nur nachzusprechen „Bla, bla, bla“. Was sie bald einwandfrei beherrschten. Meine Frau fand das unverantwortlich, konnte sich aber mit ihrem Protest nicht durchsetzen. Die Versuchung war einfach zu groß.

Wat mutt dat mutt!

An diese mehr als dreißig Jahre zurückliegenden beiden Episoden musste ich denken, als ich kürzlich den treffenden Beitrag von Thomas Rietzschel las „Nur funktionale Analphabeten verhandeln ergebnisoffen“. Ja, die Sprache unserer Politiker. Das ist schon eine Sache für sich.

Fangen wir doch gleich mit der Kaiserin ohne Kleider an. Ihre überragende Rhetorik habe ich bereits an anderer Stelle gewürdigt. Achse-Leser H.-J. Stellbrink hat dazu ausgeführt:

„Wahre Größe verbirgt sich hinter wolkigen Formulierungen. Sie bedarf keiner detaillierten Erläuterung oder eines Plans, sondern entfaltet sich im Augenblick der politischen Krise. Insofern ist unsere Kanzlerin eine ganz große. Sie ist als erste halbwegs Konservative in die linksgrünen Denkblasen eingedrungen und bedient deren moralischen Rigorismus meisterhaft, indem sie ihre Kabinettskollegen bei politischen Fragen ins Feuer schickt und erst, wenn der Sieger feststeht, sich zu ebendiesem macht. Die Kanzlerin versteht es durch ihre Führung von hinten meisterhaft, sich zur Lösung der Probleme anzubieten, die sie selbst verursacht hat. Ihre Strategie zum politischen Machterhalt ist meisterhaft, die Lösung politischer Probleme wie der Massenimmigration, der Euro-Krise und der Energiepolitik bleibt dabei allerdings auf der Strecke, von Weitsicht über die Legislaturperiode hinaus ganz zu schweigen. Wie staatsmännisch erscheint doch rückblickend der ‚Flasche Bier‘-Kanzler Schröder, dessen Vermächtnis Deutschlands derzeitige wirtschaftliche Stärke ist.“

Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, will man Wiederholungen vermeiden.

Wie ich befürchtet hatte, sind mir viele Leser nicht bei der Feststellung gefolgt, dass unsere Politiker, von Ausnahmen abgesehen „über eine hohe bis sehr hohe Intelligenz verfügen“. Ich will deshalb nicht weiter auf diesem Punkt herumreiten, zumal ich nicht ausschließen möchte, mich hier im Irrtum zu befinden. Allerdings drängt es mich, so kurz vor Weihnachten, dem Fest der Liebe, doch eine Lanze für unsere Politiker zu brechen. Dabei nehme ich tapfer in Kauf, mir Unmut zuzuziehen. Wat mutt dat mutt!

Politikersprache – mal von der anderen Seite betrachtet

Wenn wir die Sprache unserer Politiker unter die Lupe nehmen, sollten wir eines beachten, was leicht aus dem Blick gerät: Wir erleben Politiker fast ausnahmslos durch die Medien, vornehmlich das Fernsehen. Abgesehen von Übertragungen von Bundestagsdebatten, in denen viel abgelesen wird, was andere geschrieben haben, müssen sich Politiker in Interviews, Talkshows, Gesprächen und sonstigen Anlässen oft blitzschnell druckreif äußern und zwar so, dass nicht nur der Journalist, sondern möglichst auch der Zuschauer die Aussagen versteht.

Dabei handelt es sich nicht selten um komplexe Zusammenhänge wie die Maastricht-Kriterien, die diversen Rettungsschirme, den Nahost-Konflikt oder die Rentenformel. Man kann getrost davon ausgehen, dass dabei sowohl den Politikern als auch den Journalisten nicht selten die notwendigen Detailkenntnisse fehlen. Dass bedingt nicht nur den häufig „unspezifischen“ Inhalt der Fragen, sondern auch die Schablonenhaftigkeit der Antworten.

Hinzu kommt die Atmosphäre des Gesprächs: Scheinwerfer, Kameras, Publikum, ständiges Dazwischenreden der Journalisten oder anderer Gesprächsteilnehmer und etliches weitere, was der Zuschauer gar nicht mitbekommt. Unsereiner sitzt währenddessen entspannt im Sessel, nippt hin und wieder an seinem Wein oder Bier und kommentiert hämisch jedes „äh“ und jeden Versprecher. Bei Aufzeichnungen muss jeder Politiker überdies damit rechnen, dass ein Teil seiner Äußerungen dem Schnitt zum Opfer fällt, was durchaus mal dazu führen kann, dass eine Aussage nahezu in ihr Gegenteil verkehrt wird. Erfahrene Politiker formulieren ihre Sätze daher gerne so, dass sie eben nicht beliebig gekappt werden können, was ihrer Qualität in aller Regel abträglich ist.

Kein Freibrief, aber ein bisschen Empathie

Hinzu kommt schließlich: Wie Sie und ich haben Politiker natürlich auch Emotionen. Dies gilt namentlich nach einer „krachenden Wahlniederlage“. Außerdem ist es unvermeidlich und legitim, dass Politiker auch an ihre wirtschaftliche Situation denken, schließlich haben nicht wenige eine Familie zu ernähren, Schulden für das gerade erworbene Eigenheim abzuzahlen oder einen Angehörigen zu Hause, dessen Krankheit Unsummen verschlingt.

Dies alles bleibt uns als Beobachtern verborgen. Wir erwarten, dass der Mensch, der sich da anmaßt, uns, das Volk, zu vertreten, all jene Eigenschaften zeigt, die selten ein einziger Mensch in sich vereinigt: hohe Intelligenz gepaart mit einem einwandfreien Charakter, große Eloquenz und glänzende Rhetorik, Fachwissen bis in die letzten Details, Empathie und Nervenstärke, Schlagfertigkeit und Gelassenheit, Freundlichkeit und Härte und was weiß ich noch alles. Und wenn je einer diesem Ideal ziemlich nahe kommt (fällt Ihnen da jemanden ein?), läuft er Gefahr, von uns als arrogant abqualifiziert zu werden.

In Anlehnung an den deutschen Titel eines Buches des längst vergessenen Henry de Montherlant plädiere ich – mit oder ohne Hans Magnus Enzensberger – für „Erbarmen mit den Politikern“, auch sie verdienen unsere Empathie. Wer Gefallen an diesem Gedanken findet, sollte, insbesondere wenn er Katholik ist, mal hier reinschauen – oder Sebastian-Kurz-Fans hier. Das ist beileibe kein Freibrief für Politiker, dummes Zeug daher zu reden oder gar uns zu verarschen. Es ist lediglich ein Versuch, um etwas mehr Verständnis für diejenigen zu werben, denen wir täglich ungestraft die Meinung sagen können und dies auch tun.

Foto: EU

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Hartmut Laun / 18.12.2017

Die armen Politiker, so als wären die Krankenschwestern, Polizisten oder Feuerwehrmänner, die in ihren jeweiligen Berufen damit ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien bestreiten müssen. Trifft das auf Politiker zu? Na dann gute Nacht, vom Volk gewählte Politiker werden umgedeutet,  das die diese Funktion wie einen Beruf ausüben.  Dort erst mal angekommen, können wir uns Wahlen zum Parlament sparen und die Abgeordneten in ein unkündbares Beamtenverhältnis überführen. Politiker und die Medien. Was die Medien in der Ära Merkel geleistet haben, das ist an Hofberichterstattung, Personenkult und Versuche der Volkserziehung im Sinne der Merkel-CDU nicht mehr zu überbieten.  Ob so die Medien den Politiker Angst einjagen? Mit ihrer Sprache sich der journalistischen Fallenstellerei zu entziehen? Das ist unter Merkel eher umgekehrt. Wenn Merkel sagt “wir schaffen das”,  dann jubeln schon nächsten Tag die Presse und das Fernsehen einhellig: “Wir schaffen das und noch viel mehr”.

Gabriele Kremmel / 18.12.2017

Völlige Zustimmung, Herr Grell. An den Taten soll man die Menschen messen, nicht an den Worten. Das gilt in jeder Hinsicht auch für Politiker, und da entlarven sich dann doch manche als intelligent genug, um ihre Pläne und Ziele durchzusetzen oder zu maskieren (falls sie der Beliebtheit schaden könnten), aber nicht als intelligent genug, wertfrei betrachtet die Folgen abzusehen. Abgesehen davon, dass es an sozialer und demokratischer Intellegenz bei manchen offensichtlich mangelt.

Marcel Seiler / 18.12.2017

Ich gebe dem Autor Recht. Wenn er Recht hat, ist die Frage, wie kann man den Politikbetrieb so ändern, dass sich das ändert? Denn dieser Politikbetrieb hat zur Folge, dass sich die Politiker durchsetzen, die diese Lügenhaftigkeit am besten beherrschen, nicht diejenigen, die sachlich, kenntnisreich und ehrlich sind. Kurz: dieser Betrieb bring die Falschen nach oben.

Wulfrad Schmid / 18.12.2017

Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Diese Leute sollen Schaden vom Volk abwenden und seinen Nutzen mehren. Sie tun seit Jahren das exakte Gegenteil. Empathie? Nein, ganz sicher nicht, denn sie richten vorsätzlich, wissentlich und skrupellos Deutschland zugrunde.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Rainer Grell / 17.01.2021 / 15:00 / 41

Wann hatten die Deutschen Gelegenheit, Demokratie zu lernen?

Wann hatten wir in Deutschland eigentlich Gelegenheit, Demokratie zu lernen? Nach dem Antritt des neuen Jahrhunderts, ein Jahrzehnt nach der Französischen Revolution, riet Friedrich Schiller…/ mehr

Rainer Grell / 20.12.2020 / 13:00 / 19

Meine Buch-Klassiker für Weihnachten

Erinnern Sie sich noch an Ulrich Roski (gest. 2003), diesen wunderbaren Liedermacher und Kabarettisten aus dem Wedding, der sich in seinem Lied „Schenken macht Freude“…/ mehr

Rainer Grell / 19.11.2020 / 11:00 / 10

Vorbild Kamel

Schon Dädalus, eine Figur der griechischen Mythologie, hatte die Idee: Für sich und seinen Sohn Ikarus konstruierte er einen Flugapparat nach dem Vorbild der Vögel…/ mehr

Rainer Grell / 26.09.2020 / 06:15 / 97

Demokratie auf Tauchstation?

Die Corona-Pandemie war die Stunde der Exekutive. Niemand hat das deutlicher zum Ausdruck gebracht als die Stuttgarter CDU-Abgeordnete Karin Maag, als sie in der Bundestags-Debatte am…/ mehr

Rainer Grell / 06.09.2020 / 16:30 / 7

Homeoffice – da war doch was…

Vor 25 Jahren schrieb ich einen Artikel über „Telearbeitsplätze in der Landesverwaltung Baden-Württemberg: Bilanz eines gescheiterten Projekts“. Falls Sie mir nicht glauben: Hier ist der Beweis.…/ mehr

Rainer Grell / 04.09.2020 / 06:00 / 67

Israelfreundin Angela Merkel?

Angela Merkel hat als Bundeskanzlerin so ziemlich alle Ehrungen erfahren, die jüdische Organisationen und der Staat Israel zu vergeben haben: Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden…/ mehr

Rainer Grell / 29.07.2020 / 16:00 / 18

Pädophilie-Skandale: Greift die ganze Härte des Gesetzes?

Vor zehn Jahren nahm mit der Aufdeckung des Missbrauchsskandals am Canisius-Kolleg, einem vom Jesuitenorden getragenen, privaten und staatlich anerkannten katholischen Gymnasium in Berlin-Tiergarten, eine Debatte ihren Fortgang,…/ mehr

Rainer Grell / 27.07.2020 / 16:00 / 17

Schleyer und der Sultan

Jetzt, wo alle am Umbenennen sind, darf ich nicht abseits stehen. Ich möchte mir nicht von meinen Kindern und Enkeln posthum vorwerfen lassen, wo war…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com