Ansgar Neuhof / 05.07.2018 / 11:30 / 13 / Seite ausdrucken

Machen sich die Bundespolizisten strafbar?

Man könnte das politische Theater zwischen CSU und CDU um die Zuwanderungspolitik wie eine billige Vorabend-Telenovela je nach Vorliebe mit mehr oder weniger Vergnügen oder Abscheu verfolgen, wenn es hier nicht um das Politikfeld ginge, das wie kein anderes die Grundfesten der deutschen und europäischen Gesellschaften und Staaten betrifft. Die überragende Bedeutung dieses Politikfeldes erklärt, dass die Auseinandersetzung darüber nicht nur politisch, sondern auch rechtlich intensiv und zum Teil auch unerbittlich geführt wird. 

Erst kürzlich „duellierten“ sich hier auf der Achse des Guten Thilo Sarrazin (siehe hier) und Professor Daniel Thym (siehe hier) über die Frage des Rechtsbruchs an der Grenze. Vor wenigen Tagen wurde über ein Rechtsgutachten des früheren Bundesverfassungsrichters Hans-Jürgen Papier berichtet, das Thilo Sarrazin bestätigt. Papier sieht Zurückschiebungen und Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Grenzen nicht nur für möglich, sondern für rechtlich zwingend an. Denn Artikel 3 Absatz 1 Satz 1 der Dublin III-Verordnung gebiete die Verhinderung von Weiterreisen von Zuwanderern durch Europa; eine Asylantragstellung im Wunschland (= zumeist Deutschland) sei mit dem Regelungssystem des EU-Rechts nicht vereinbar. 

Die rechtliche Auseinandersetzung über die Notwendigkeit von Zurückweisungen an der Grenze wird bisher vorwiegend auf der Ebene des Verfassungs- und Verwaltungsrechts geführt (siehe etwa die diesbezügliche Organklage der AfD beim Bundesverfassungsgericht). Nunmehr haben namhafte Juristen aus der öffentlichen Verwaltung auch die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortung der Bundespolizisten aufgeworfen, wenn sie illegalen Zuwanderern die Einreise nach Deutschland nicht verweigern. 

Frank Braun (Professor für Staats- und Polizeirecht an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in NRW) und Florian Albrecht (Oberregierungsrat an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung) haben in einem Beitrag auf dem Rechtsportal Legal Tribune Online die Frage der Strafbarkeit bejaht. 

Sie sehen die mündliche Ministeranweisung vom September 2015, wonach illegale Zuwanderer, die Asyl begehren, an der Grenze nicht zurückzuweisen sind, allenfalls noch für die Ausnahmesituation im Herbst 2015 als rechtmäßig an. Aktuell sei diese Anordnung jedenfalls nicht mehr vom geltenden Recht gedeckt. 

Grenzpolizisten machen sich strafbar

Grenzpolizisten seien daher gemäß § 18 Absatz 2 und 3 Asylgesetz rechtlich verpflichtet, Zuwanderern, die über einen sicheren Drittstaat (wie beispielsweise Österreich) kommen, die Einreise zu verweigern beziehungsweise sie zurückzuschieben. Das gelte unabhängig davon, ob die Zuwanderer in der EURODAC-Datenbank registriert oder mit dem betroffenen Drittstaat Verwaltungsabkommen abgeschlossen seien. Die entsprechende Handlungspflicht der Grenzbeamten ergebe sich aus dem Gesetz, ein Spielraum für politische Zweckmäßigkeitserwägungen bestehe nicht. Die Übertragung von Grenzschutzaufgaben mache Bundespolizisten zu Beschützergaranten für die öffentliche Sicherheit. Wer eine unerlaubte Einreise dennoch gestatte, mache sich wegen Unterlassens der gebotenen Verhinderungsmaßnahmen gemäß § 95 Absatz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz strafbar. Da die rechtliche Problematik in der Bundespolizei bekannt sei, können sich die Grenzpolizisten nicht (mehr) darauf berufen, von nichts gewusst zu haben.

Die Autoren führen weiter aus: Soweit entgegenstehende dienstliche Anweisungen bestünden, seien die Beamten verpflichtet, die Bedenken gegen deren Rechtmäßigkeit geltend zu machen und ihre Vorgesetzten auf die Versäumnisse im Bereich des Grenzschutzes hinzuweisen. Wer dennoch weiter dazu angehalten werde, der mündlichen Ministeranweisung aus dem September 2015 Folge zu leisten, müsse vom Instrument der sogenannten Remonstration Gebrauch machen. Nur so könnten sich die Grenzbeamten vor strafrechtlicher Verfolgung schützen. 

Die Kleinen hängt man, …?

„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, das könnte der erste Gedanke sein, wenn nun ausgerechnet auf die Grenzpolizisten mit der Keule des Strafrechts eingeschlagen wird, obgleich die eigentlich Verantwortlichen doch in der Bundesregierung sitzen. Doch wie stets gilt eben auch hier, dass die Großen ohne die Kleinen ihre „Herrschaft des Unrechts“ (so Originalton des derzeitigen Bundesinnenministers Horst Seehofer) nicht ausüben könnten. 

Solange das Recht ist, wie es ist, und es nicht mit den entsprechenden Parlamentsmehrheiten abgeändert wird, muss man es beachten – auch als Grenzpolizist. Wer das Recht ignoriert, muss damit rechnen, sich dafür verantworten zu müssen, gegebenenfalls auch strafrechtlich. Allerdings ist realistischerweise angesichts der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft kaum damit zu rechnen, dass die Justiz diese Fälle auch tatsächlich strafrechtlich aufgreift. 

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Leserpost

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Reiner Gerlach / 05.07.2018

Ergänzend zu dem Beitrag von Karla Kuhn muss man auch die Frage stellen: was ist mit den ganzen verhinderten Abschiebungen, Kirchenasyl oder noch obendrauf “Bürgerasyl”  (was immer das auch sein mag). Jeder glaubt anscheinend, wenn Merkel sich nicht an Recht und Gesetz halten muss, dann muss ich das auch nicht.

Rolph Martin / 05.07.2018

Sehr geehrter Herr Neuhof! Ich habe Ihren Beitrag aufmerksam gelesen und musste sofort danach mit meiner Vermutung nachschauen, welche Profession Sie vertreten. Und meine Vermutung bestätigte sich. Sie sind Rechtsanwalt… Beim Lesen des Artikels kam mir nämlich sofort der Gedanke, dass hier jemand schreibt, der sich mit der Materie auskennt - aber nicht den Mut hat (hier stand zunächst ein anderer Ausdruck), aufgrund seines Berufs selbst tätig zu werden. Wie ich schon an anderer Stelle aufführte, sind Rechtsanwälte ein Übel, dass leider insbesondere in immer komplizierter werdenden Staaten immer notwendiger werden. Aber selbst diese blicken oft nicht mehr durch und legen Recht so aus, wie es notwendigerweise die Situation gerade erfordert. Aber was mich ganz klar aneckelt, ist, dass hier jemand offensichtlich so fundiert Bescheid weiß, wie es sein müsste, dann aber selbst nicht fähig ist, dem Recht zum Recht zu verhelfen. Ich vermute mal, dass Sie halt wie der Normalbürger auch, für eine diesbezügliche Rechtsstreitigkeit zunächst aus der eigenen Tasche vorfinanzieren müssten. Tut man natürlich bei ungewissen Ausgang nur höchst ungern. Aber insgesamt bestätigt mir Ihr Artikel exakt genau das, was ich von Rechtsanwälten zu halten habe. Freundliche Grüße aus der Ukraine.

Christoph Köhler / 05.07.2018

Als Konsequenz aus den Verbrechen während des III. Reiches und dem, von Verantwortlichen vor Gericht immer wieder vorgebrachten Entlastungsargument des angeblichen Befehlsnotstandes (das sich als leer herausgestellt hat, da Soldaten, die z.B. die Teilnahme an rechtswidrigen Erschießungen o.ä. verweigert haben, deshalb in der Regel keinerlei Sanktionen zu befürchten hatten), gilt im Falle eines eindeutig rechtswidrigen Befehls die Grundregel, dass dieser nicht bloß nicht befolgt werden muss, sondern vielmehr sogar nicht befolgt werden DARF! Ohne diese Konsequenz wäre eine solche Regelung in der Praxis auch völlig wirkungslos. Als Grundwehrdienstleistenden hat man uns das 1988/89 in der Grundausbildung noch eingebläut. Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass das, was für Soldaten gilt, auch bei Bundespolizisten grundlegend ist…

Richard Löwe / 05.07.2018

Wie kann es in einem Rechtsstaat dazu kommen, dass der Innenminister sich selbst und die ihm unterstellten Bundesbehörden des Rechtsbruchs bezichtigt, den er ja sogar in einem Rechtsgutachten hat feststellen lassen? Antwort: kann es nicht. Deutschland ist kein Rechtsstaat mehr. Aber die Deutschen würden nie auf Art. 20, Absatz 4 Rückgriff nehmen.

Karla Kuhn / 05.07.2018

“Doch wie stets gilt eben auch hier, daß die Großen ohne die Kleinen ihre „Herrschaft des Unrechts“ (so Originalton des derzeitigen Bundesinnenministers Horst Seehofer) nicht ausüben könnten.”  Genau so ist es. Auch der ganze Asylzustrom könnte ohne die vielen freiwilligen Helfer niemals bewältigt werden. Machen sie sich deswegen auch strafbar, wenn sie Illegale (die Merkel noch nicht in legale verwandelt hat) Flüchtlinge betreuen ?? “Nur so könnten sich die Grenzbeamten vor strafrechtlicher Verfolgung schützen. ”  Die ganze Sache ist derart absurd, ich komme mir vor wie in einem miserablen Gruselfilm. Frau MERKEL öffnet quasi in einer “Nacht-und Nebelaktion” die Grenze für Millionen Flüchtlinge, von denen, wie sich schon nach kurzer Zeit rausstellt, viele gar keine Kriegsflüchtlinge sind, die ihre Papiere weggeschmissen haben, von denen etliche durch mehrere Identitäten sich Sozialhilfe ergaunert haben(wurden die strafrechtlich verfolgt ??), von denen viele zum Teil mörderische Straftaten begangen haben, bzw. begehen.  Das BAMF begeht Betrügereien, indem es zig Flüchtlingen ( ich habe von 18000 ? gelesen) ohne Prüfung eine Asylanerkennung (oder wie sich das nennt) ausstellt.  Es werden Milliarden locker gemacht, für die nächsten vier Jahre sollen es 78 (ACHTUNDSIEBZIG !!) sein. Wohnungen werden an Flüchtlinge vergeben, obwohl diejenigen, die hier schon länger leben oft vergeblich suchen und diejenigen, die sich über die unglaublichen Ungerechtigkeiten aufregen werden übelst beschimpft. Und könnten die Grenzbeamten auch noch strafrechtlich verfolgt werden ? DAS alles, weil Merkel die Grenze geöffnet hat und sich weigert, diese wieder zu schließen ? WARUM wird diese Frau NICHT strafrechtlich verfolgt, WARUM darf sie weiter Kanzlerin sein, obwohl sie Recht gebrochen hat ?? Sie soll ENDLICH gehen !!

Ronny Zimmermann / 05.07.2018

Bringt nichts zeigt die Geschichte. Nach dem zweiten Weltkrieg war auch keiner dabei und gewusst hat’s auch niemand. Nach der Wende geb es auch nur Wendehälse.  Außerdem müssen auch die Miete und Kredite bezahlen, soll heissen Mann s…. nicht wo Mann isst.

Herbert Müller / 05.07.2018

Im Nachhinein gehen alle Vorgesetzten in Deckung und geben den Grenzbeamten die Schuld, weil die hätten es ja wissen müssen. Wozu sind sie denn geschult worden? Die sind schließlich die Fachleute vor Ort. Den Letzten - d.h. der am unteren Ende der Befehlskette - beissen die Hunde. So war das immer und wird auch immer so bleiben.

Michael Lorenz / 05.07.2018

“...  kaum damit zu rechnen, dass die Justiz diese Fälle auch tatsächlich strafrechtlich aufgreift”. Nun, die Justiz des 3. Reiches hat auch zahlreiche Fälle nicht aufgegriffen. Eine spätere Justiz hingegen schon.

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