Es gehört zwar nicht zu ihren Aufgaben, aber Claudia Roth wollte die Nutzung des elektronischen Personalausweises über Bande befördern. Womit? Mit Geld und einer Verknüpfung zum Kulturpass für junge Leute. Vor allem aber mit Chuzpe.
Claudia Roth hatte eine geniale Idee: Nach ihrem Geschmack und dem der Bundesregierung nutzten zu wenige Bürger den Onlineausweis und auch die Bund-ID, das elektronische Konto, mit dem man alle Behördengänge erledigen soll. Wie aber bringt man Bürger dazu, ihre Daten freiwillig zur Verfügung zu stellen? Richtig, mit Geld. Geld vom Staat, also vom Steuerzahler.
Schon im März 2023 hatte man im Zusammenhang mit Corona-Hilfen einen ähnlichen Versuch gestartet und bis zum 2. Oktober Einmalzahlungen in Höhe von 200 Euro für Studenten und Fachschüler angeboten. Die Voraussetzung: ein BundID-Konto und ein Nachweis der Identität per Online-Ausweis oder ELSTER-Zertifikat.
Ein Tauschhandel: Daten gegen Geld. Die BundID ist wie erwähnt ein elektronisches Konto, das man entweder mit Benutzername und Passwort, Online-Ausweis, ELSTER-Zertifikat oder Europäischer ID erstellen kann. Nach Erstellung des Kontos soll man dort alle persönlichen Daten für Online-Anträge und Behördengänge speichern. Zitat: „Das spart Zeit, ist sicher und bewahrt Sie vor Tippfehlern.“
Nun ja, was die Sicherheit angeht, sollte man nicht so sicher sein. Die Online-Ausweisfunktion kann bei neueren Ausweisen genutzt werden, sobald der Chip aktiviert ist. Für die Nutzung muss die Transport-PIN durch eine andere ausgetauscht werden. Im Prinzip ist der Online-Ausweis mehr Wahlpflicht als Wahl.
Laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung waren das Resultat der Einmalzahlungen 2.84 Millionen erfolgreiche Anträge. Das Bundesministerium resümierte:
„Diese (Anmerkung der Red.: BundID) für die digitale Verwaltung wichtige Basiskomponente wurde durch die Einmalzahlung deutlich vorangebracht. So stiegen die Nutzerzahlen von rund 300.000 im Februar 2023 auf knapp 3,4 Millionen Anfang Oktober 2023.“
„Eine große Kraftanstrengung“
Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, und Ex-Bundesfinanzmister Christian Lindner versuchten im gleichen Jahr in ähnlicher Weise, die Nutzung des elektronischen Ausweises voranzutreiben, indem sie den sogenannten KulturPass ins Leben riefen und allen, die 2023 18 Jahre alt wurden, ein KulturPass-Budget für kulturelle Ausgaben zu Verfügung stellten. Die Voraussetzung: die Nutzung der Online-Ausweisfunktion. Wenn die 18-Jährigen dieses „Opfer“ brachten, bekamen sie 2023 noch 200 Euro für Kino, Theater, Bücherkäufe und Ähnliches zur Verfügung gestellt. Dieses Jahr ist das Budget um die Hälfte gekürzt worden. Der Grund: „Angesichts der allgemeinen Haushaltslage war die Fortführung des Projekts eine große Kraftanstrengung.“ Das klang doch mal anders.
Anstatt sich einzugestehen, dass das Ganze keine gute Idee war, weil kein Geld da ist, beziehungsweise es sich wie bei jeder Geldausschüttung um Umverteilung handelt, wirkt es so, als wolle man noch Mitleid erregen. Überraschung: Ein KulturPass-Budget wäre nicht notwendig, wenn die Eltern der Jugendlichen geringere Steuern auf ihren Lohnzetteln stehen hätten. Aber das nur so am Rande.
Nicht nur der Gutschein kostete Geld, auch die Programmierung der App durch SAP war nicht günstig und kostete 5,6 Millionen Euro. Die Stiftung Digitale Chancen erhielt für die Umsetzung etwa 1,3 Millionen Euro, wie Norbert Haering auf seiner Website berichtet. Dort schrieb er auch, dass nur ein Drittel der 750.000 Jugendlichen das Angebot annahmen. Sein Fazit:
„Zum Glück der Steuerzahler wurden 2023 nur 22 Mio. Euro Gutscheingeld abgerufen. Legt man die Kosten für die App-Programmierung und die wie auch immer gearteten Leistungen der Stiftung Digitale Chancen auf die 250.000 Nutzer im Jahr 2023 um, kommt man auf absurd anmutende Kosten von 37 Cent pro abgerufenem Kulturfördereuro. Versand von Papiergutscheinen mit der Post über die Meldeämter wäre ungleich billiger gekommen, hätte man tatsächlich die Kultur fördern wollen.“
Mit Kultur hat das nichts zu tun
Vermutlich um den Flop zu vertuschen, arbeitete Claudia Roth ab August mit der Sparkasse zusammen. Das Identifizierungsverfahren der Sparkasse musste als Alternative für die eID herhalten. Anstatt zuzugeben, dass man einen Fehler gemacht und mehrere Millionen Steuergeld für Nichts herausgeworfen hat.
Claudia Roth soll das nicht kümmern. Sie zahlt den Preis nicht. Noch im Mai dieses Jahres sprach sie davon, dass der KulturPass wirke und äußerte den „Wunsch nach einem KulturPass auf europäischer Ebene.“ Der Grund: Über 850.000 Bücher waren zu diesem Zeitpunkt aus Buchhandlungen geholt worden. Das kann man als Erfolg verbuchen, muss man aber nicht, wenn man zum Beispiel weiß, welche Art von Büchern bei jungen Mädchen auf TikTok beliebt sind. Auch wenn ich ab und zu selbst gern so eins lese, mit Kultur haben Romane von Colleen Hoover und Konsorten leider wenig zu tun. Insgesamt handelte sich laut Funk im Jahr 2023 um 95.543 Bücher, 70.754 Kinokarten und 27.471 Konzert-und Bühnenkarten. Auf Platz vier kamen 1.166 Karten für Museen und Parks. Nach Musikinstrumenten und Tonträgern reihten sich auf Platz sieben die Noten – traurige 29-mal.
Mal sehen, ob der Kulturpass nächstes Jahr noch bestehen bleibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass mehrere Jahrgänge gleichzeitig in den Genuss des Kulturpasses kommen, wie Claudia Roth 2023 noch „gratisherzig“ verkündete, ist eher unwahrscheinlich.
Marie Wiesner, Jahrgang 1999, arbeitet in der Redaktion der Achse des Guten