Von Konrad Adam.
Früher nannten sich die Zeitungen Tendenzbetriebe; sie waren das auch. Die Meinungen waren frei, die Fakten heilig, die Nachrichten getrennt vom Kommentar. Inzwischen hat sich das geändert. Die Politik hat die Medien gekauft. Eine Philippika.
Wozu die Aufregung? ist man geneigt zu fragen, wenn man den Lärm vernimmt, mit dem die Öffentlichkeit auf die Nachricht reagiert, dass man mit Speck Mäuse fängt. Oder mit Geld Journalisten. Neu ist das nicht, spektakulär auch nicht. Was stellen zweihundert dienstwillige Redakteure im Vergleich zu den Zehntausenden dar, die am Gängelband der Regierung laufen? Wie kümmerlich nehmen sich die eineinhalb Millionen, die Kanzler und Minister ausgegeben haben, gegen die achteinhalb Milliarden aus, die dem staatlich privilegierten Medienkartell Jahr für Jahr zufließen? Warum sich über Honorare von ein paar tausend Euro erregen, wenn die Intendanten von ARD und ZDF Gehälter in sechsstelliger Höhe kassieren und Patricia Schlesinger, die geschasste RBB-Chefin, vor Gericht zieht, um eine Rente von monatlich knapp 20.000 Euro einzuklagen? So könnte man endlos weiter fragen. Und resignieren. Denn wozu über Peanuts reden, wenn es um ganze Erdnussfarmen geht. Lohnt sich das?
Ja, es lohnt. Denn hier geht es ja nicht um irgendwelche Dienstleistungen, sondern um Meinungskauf, um Korruption in beiderlei Gestalt. Gekauft worden sind nicht irgendwelche PR-Agenten oder freischaffende Journalisten, sondern, weit überwiegend jedenfalls, Angestellte und Mitarbeiter des öffentlich-rechtlich verfassten Rundfunks, der laut Staatsvertrag zu sachlicher, unabhängiger und ausgewogener Berichterstattung verpflichtet ist. Gekauft hat auch nicht irgendwer, sondern die Regierung, vertreten durch Kanzleramt und Ministerien, die laut Verfassung nicht diesen oder jenen, schon gar nicht ihren eigenen Interessen dienen sollen, sondern dem Gemeinwohl. Das war zwar immer schon mehr Poesie als Prosa, doch nun ist es auch mit der Prosa vorbei. Die einen haben gekauft, die anderen haben sich kaufen lassen, damit sind beide unglaubwürdig geworden. Sie haben Vertrauen verspielt, und das muss Folgen haben.
Überraschend kam das alles nicht. Angela Merkel hatte vorgearbeitet und ihre Absicht, Information durch Propaganda zu ersetzen, deutlich genug durchblicken lassen. Der mittlerweile fünf Jahre alte Migrationspakt fordert ganz offen dazu auf, Kampagnen zu führen, einseitig zu berichten, „positive“ Beiträge zu unterstützen und „negative“ zu bekämpfen, auch das natürlich in der verlogenen Sprache, die jeder Propaganda eigen ist. Die Unterzeichner, also auch Deutschland, wollen sensibilisieren, die Guten fördern und den Bösen, die sich der amtlichen Sprachregelung zu entziehen suchen, in die Parade fahren, „bei voller Berücksichtigung der Medienfreiheit“, wie die Verfasser dieses jämmerlichen Textes, ganz dienstfertige Beamte, hinzusetzen. Seit den berüchtigten Prairial-Dekreten, die in der blutigsten Phase der Französischen Revolution jeden, der im Verdacht stand, falsche Nachrichten und irreführende Ansichten auszusprengen, mit dem Tode bedrohten, hat es keinen schamloseren Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit gegeben als dieses Machwerk.
Halbe Wahrheiten verwandeln sich über Nacht in ganze Lügen
Was die neuen deutschen Medienmacher an Kampfparolen vor sich hertragen – das Zeichen setzen, Haltung zeigen, Meinung haben und so weiter – sind durchweg alte Hüte. Alles das war seit jeher nicht bloß erlaubt; es war Voraussetzung für jede Form von anspruchsvollem Journalismus. Nicht zufällig nannten sich die Zeitungen Tendenzbetriebe; sie waren das auch. Daran war auch nichts auszusetzen, so lange sie unterschiedliche Tendenzen verfolgten und konkurrierenden Parteien die Stange hielten: die Meinungen waren frei, die Fakten heilig, die Nachrichten getrennt vom Kommentar. Inzwischen hat sich das geändert. Zu schreiben, „was ist“, wie Rudolf Augstein das von seinen Redakteuren verlangt hatte, gilt als reaktionärer spleen, als Rückfall in eine Zeit, über die der Fortschritt hinaus ist. Die Trennung von Bericht und Meinung funktioniere nicht mehr, verkünden die neuen deutschen Medienmacher, und wischen die Meinungsfreiheit kurzerhand vom Tisch. Denn Meinungsfreiheit, hatte Hannah Arendt seinerzeit bemerkt, „ist eine Farce, wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist“.
Ausgerechnet die so genannten Faktenfinder, ein Zweigbetrieb der Tagesschau, haben sich als Meister in der Kunst erwiesen, Tatsachen als Meinungen auszugeben und, umgekehrt, Meinungen in Tatsachen zu verwandeln. Dass es mehr als nur zwei Geschlechter geben soll, ist eine Behauptung, die als Faktum verkündet wird; umgekehrt wird das Faktum, dass Einwanderung die Gesellschaft belastet, als Unterstellung bezeichnet und bekämpft. So oder so wird das Vertrauen in die Wirklichkeit zerstört, und das spielt jenen Kräften in die Hände, die Wahrheit und Vernunft durch fortschrittliches Denken ersetzen wollen. Winston Smith, der traurige Held aus Orwells „1984“, hat in dem Moment kapituliert, wo er einräumt, dass zwei mal zwei auch fünf sein könne. Er glaubt nicht länger an die Wahrheit, nicht einmal an die Möglichkeit von Wahrheit. Das ist die Stunde der Ideologen. Wenn der Unterschied von wahr und falsch, von Fakten und Fiktion, von Tatsachen und Meinungen verschwunden ist, dann zieht die Nacht auf, in der man Georg Restle für einen Journalisten, Anne Will für eine Moderatorin und Sven Lehmann für einen Staatssekretär halten kann.
Im Unterschied zur Wahrheit, die man sich gern nackt vorstellt, tritt die Lüge in mancherlei Verkleidung auf. Die Kostüme wechseln, im hochmodernen Medienbetrieb kommen fast täglich ein paar neue hinzu. Unter hochgestochenen Begriffen wie framing, agenda-setting, image-making und so weiter werden halbe Wahrheiten in die Welt gesetzt, die sich über Nacht in ganze Lügen verwandeln. Sich ihrem Einfluss zu entziehen, ist schwer, da das duale Rundfunksystem, halb öffentlich und halb privat, von seinem Erfinder, dem Bundesverfassungsgericht, mit allerlei Privilegien ausgestattet worden ist. Die Richter etablierten ein Kartell, das zu Missbrauch, Überheblichkeit und Korruption geradezu einlädt, der RBB ist dafür nur ein Beispiel unter vielen. Anlass genug also, sich daran zu erinnern, dass es neben der positiven auch eine negative Meinungsfreiheit gibt. Wir haben Anspruch darauf, von einem Angebot verschont zu bleiben, das wir aus gutem Grund nicht wünschen. Und sollten uns gegen diejenigen zur Wehr setzten, die verlangen, dass wir für das, was wir nicht haben wollen, auch noch bezahlen.
Konrad Adam ist Journalist und Publizist. Er war von 1979 bis 2000 Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und dann bis 2007 Chefkorrespondent und Kolumnist der Welt.