Gastautor / 26.03.2020 / 16:00 / Foto: Pete Sheffield / 32 / Seite ausdrucken

London – Eine Stadt ohne Bürger?

Von Brendan O’Neill.

Ich kenne eine Dame, die jetzt am Ende ihres Lebens steht und seit 45 Jahren in der gleichen Londoner Straße lebt. Viele ihrer Freunde sind gestorben oder weggezogen. Wo einst die Straße voller englischsprachiger Stimmen mit unterschiedlichen Dialekten war, kann man heute einen ganzen Tag verbringen, ohne ein Wort Englisch zu hören. Von ihrem kleinen Reihenhaus aus hört meine Bekannte auf der einen Seite Paschtunisch (Afghanisch) und der anderen Rumänisch. In dem nahegelegenen Einkaufszentrum haben die englischsprachigen indischen Minisupermärkte den polnischen Geschäften Platz gemacht.

Hier treffen sich jeden Abend junge Männer, die Polnisch sprechen. Eine ferne Erinnerung ist für die alte Dame der Gemüsehändler, der noch im alten Londoner Cockney-Dialekt mit ihr sprach. Das Gleiche gilt für die kleine Metzgerei. Beide verschwanden vor drei Jahrzehnten. Die meisten Geschäfte in ihrer Straße sind heute afrikanische Friseure oder osteuropäische Märkte mit großspurigen Namen wie „International Food Emporium“, in denen die Leute nur selten Englisch sprechen.

Meine Bekannte sagt, dass sie sich oft einsam und isoliert fühlt, wie eine Fremde in ihrer eigenen Straße. Macht sie das zu einer Rassistin? In den Augen der Mitglieder der schwatzhaften Klasse, die den Diversitätskult verteidigt und gegen den Komiker John Cleese von Monty Python wütet, wahrscheinlich schon. Cleese löste einen Aufschrei der Empörung aus, als er auf Twitter schrieb, er sehe sich in seiner Meinung bestätigt, dass London keine wirklich englische Stadt mehr sei. Um noch einen drauf zu setzen, fügte er hinzu, dass es auch die britische Stadt sei, die am deutlichsten für „Remain“, also den Verbleib in der EU, gestimmt habe (siehe hier). Das löste bei den Twitterati einen regelrechten moralischen Zusammenbruch aus. Es stimmt natürlich, dass Cleese nicht der Geeignetste ist, um das Leben in London zu beurteilen. In seiner Jugend besuchte er eine noble Privatschule im Südwesten Englands und heute verbringt er einen Großteil seiner Zeit in der Karibik. Trotzdem hat er Recht. Und das wissen auch seine Gegner.

Neue Fremdheit

Es wird denjenigen, die jeden als einen Rassisten beschimpfen, der die Multikulti-Ideologie kritisiert, egal sein, aber trotzdem sage ich es: Die Frau, die ich kenne, sehnt sich nicht nach einer Zeit, als ihre Straße noch ganz weiß und ohne Ausländer war; denn diese Zeit hat es nie gegeben. Jedenfalls nicht in den 45 Jahren, in denen sie dort gelebt hat. Sie sehnt sich nach der Zeit, als zu ihren Nachbarn und Freunden eine schwarze Familie gehörte. Als in ihrer Nachbarschaft ein jüdisches Paar lebte (die ersten Juden, die sie kennengelernt hat). Vor Ort konnte man nichts kaufen, ohne eine Unterhaltung mit einem ausdrucksstarken, englischsprechenden indischen Ladenbesitzer zu führen. Auch damals war das Leben in London divers oder vielfältig, aber Vielfalt war nicht der einzige Zweck des Lebens. Die Tatsache, dass zufällig viele Menschen aus anderen Ländern zusammengekommen waren, war der bewussten Sehnsucht nach einer gemeinsamen Sprache und gemeinsamen Interessen vollkommen untergeordnet. Die Leute sprachen Englisch, sie sprachen über ähnliche Dinge, sie fühlten sich verbunden. Es gab viele Ausländer oder Nachkommen von Ausländern, aber in der Straße war man sich nicht fremd.

Das hat sich geändert. Diese Straße, die im Stadtbezirk Brent liegt, fühlt sich – wie andere in London auch – jetzt fremd an. Im Fachjargon der Diversitätsindustrie ist Brent „eines der vielfältigsten Viertel im Vereinigten Königreich“. Konkret heißt das, dass nur ein Drittel der Einwohner weiße Briten sind. Die Bevölkerung besteht überwiegend aus Asiaten und Schwarzen, und in letzter Zeit gab es auch einen großen Zustrom an osteuropäischen Migranten. Viele werden sagen: „Na und? Nicht-Weiße können auch Briten sein.“ Und sie haben damit völlig Recht. Aber das Problem in Brent und den anderen Londoner Bezirken, die aus weniger als einem Drittel weißer Briten bestehen – wie Harrow, Ealing und Newham – liegt darin, dass dieses demografische Phänomen nicht nur auf eine größere Zuwanderung zurückzuführen ist, sondern auch darauf, dass immer mehr Angehörige der weißen britischen Bevölkerung wegziehen. Die so genannte Diversität dieser Bezirke zu feiern, bedeutet effektiv, die schleichende Trennung der Londoner Gesellschaft zu beklatschen. Daraus spricht eine große Sorglosigkeit darüber, dass weiße Briten und Menschen, die keine weißen Briten sind, zunehmend getrennt leben. Man kann das Vielfalt nennen, wenn man so will; ich nenne es Segregation.

Demografisch gesehen hat sich London in den letzten Jahren enorm verändert, aber es gilt als eine sprachliche Verirrung, wenn jemand etwas Kritisches über diese Entwicklung sagt. Nehmen wir die Tatsache, dass London vor einigen Jahren die erste große westliche Hauptstadt wurde, in der die Mehrheit der Bevölkerung Nicht-Weiße sind. Nur 45 Prozent der Londoner sind weiße Briten. Ist das eine uneingeschränkt gute Entwicklung? Wo sind die Weißen hin? Warum sind sie gegangen? Wie die BBC 2013 berichtete, verließen in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends 620.000 weiße Briten London – das entspricht der gesamten Bevölkerung von Glasgow (der drittgrößten Stadt Großbritanniens). Sollte uns das beunruhigen?

Oder denken Sie an die Veränderung der Sprachgewohnheiten in London. Die Volkszählung von 2011 ergab, dass einer von 50 Menschen im Vereinigten Königreich kein oder nur schlechtes Englisch spricht. In Newham, Brent und Tower Hamlets verfügen über acht Prozent der Einwohner effektiv über gar keine Englischkenntnisse. Sollen wir das als Vielfalt feiern oder als etwas, das die betroffenen Personen schwächt, weil sie mit niemandem in der Landessprache sprechen können? Ist es nicht zutiefst unverantwortlich, die „Vielfalt der Sprachen“ zu bejubeln, ohne dabei die grundlegende Entfremdung zu berücksichtigen, die diese Nicht-Englischsprechenden täglich erleben müssen?

Sowohl für Londons weiße Briten als auch für seine zugezogenen, neuen Bewohner ist es schlecht, wenn die Diskussion über den demografischen Wandel abgeblockt oder gar unter dem Vorwand des „Rassismus“ zensiert wird. Die Bedenken der weißen Briten, die so tiefgreifend sind, dass sie zu Hunderttausenden wegziehen, werden ignoriert. Und die sprachlichen und gesellschaftlichen Nachteile für die Einwanderer werden zynisch als Beweis für Londons kulturellen Reichtum missbraucht. Die zunehmende gesellschaftliche und ethnische Segregation bestimmter Londoner Stadtteile gilt als ein großer Segen für den Kult der Vielfalt – und nicht als etwas, das sich negativ auf den Gemeinschaftssinn oder den Sinn dafür, was es heißt, in diesem Land zu leben, auswirkt.

Drehscheibe der Globalisierung

Wirklich bizarr an den Angriffen auf Cleese ist, dass seine Kritiker eigentlich mit ihm übereinstimmen. Sie meinen auch, dass London keine wirklich englische Stadt ist. Sie bringen es aber auf eine andere Art und Weise zum Ausdruck. Nehmen wir den Londoner Bürgermeister Sadiq Khan. Diversität sei unsere größte Stärke, sagte er, und London sei stolz darauf, ein globales Zentrum zu sein (siehe hier). Das ist im Wesentlichen das, was Cleese sagte: London ist globalisiert, vielfältig und post-englisch geworden.

Khans PR-Maschine feiert die Globalisierung und die Tatsache, dass die Stadt weniger die Hauptstadt Großbritanniens ist, sondern eine weltweite Drehscheibe für Kapitalströme, Arbeit und Güter. Seit vielen Jahren bemühen sich der Londoner Bürgermeister und verschiedene New-Labour-Technokraten, die Fragen der Einwanderung und der Vielfalt zu nutzen, um London umzugestalten. Die Stadt wird sozial verändert und soll keine Stadt der Menschen und ihrer Werte mehr sein, sondern ein Paradebeispiel für Vielfalt: weg von der nationalen Hauptstadt – hin zu einem Symbol der Ideologie von Post-Nationalität, Post-Grenzen, jenseits gemeinsamer Werte. Das begeistert die neuen, global mobilen Eliten. Die Mehrheit aber lässt dies kalt. Sie fühlen sich, wie die Frau, von der ich eingangs erzählt habe, zunehmend einsam und isoliert.

Wenn man London zu einem Symbol macht, besteht das Problem darin, dass auch seine Bewohner zu Symbolen werden. Was ist die Rolle der weißen Briten in diesem schönen, neuen London? Ihre Rolle ist es, dem Kult der Vielfalt unkritisch zuzustimmen. Wer dies nicht tut, wird als rassistisch eingestuft. Und was ist die Rolle der Einwanderer und ihrer Gemeinschaften? Sie müssen dafür herhalten, dass ihr Anderssein ständig von zynischen Politikern aufgegriffen wird, die London als eine superdiverse „globale Drehscheibe“ darstellen wollen. Das bedeutet, dass die Integration dieser Einwanderer keine Priorität mehr hat. Sie sind nur noch Symbole und keine potenziellen Bürger. Sie sprechen kein Englisch? Sie fühlen sich nicht britisch? Wen kümmert das schon? Das ist Vielfalt und das ist großartig. Was dabei verloren geht, ist das, was die Bewohner einer Stadt einst erreichen wollten: die Staatsbürgerschaft.

Menschen, die sich mit dem Kult der Vielfalt nicht identifizieren, sind keine Nostalgiker und sie sehnen sich nicht nach einer weißen Vergangenheit. Sie sind auch keine Rassisten. Was sie wollen, ist Verbundenheit. Eine gemeinsame Sprache und ein grundlegendes, gemeinsames Verständnis. Sie sehnen sich nach Solidarität. Und es wird immer deutlicher, dass der von oben aufgestülpte Kult der Vielfalt eine autoritäre Unterbindung ihres Wunsches nach Solidarität darstellt. Die Institutionalisierung der Vielfalt, als Ziel und Prinzip an sich, ist nicht positiv. Sie steht im Widerspruch zu den Idealen eines gemeinsamen, gesellschaftlichen Erbes. Sie unterbindet die gesellschaftliche Solidarität, die gemeinsame Sprache, die Entwicklung gemeinsamer Werte und das nationale Staatsbürgertum. Ist London eine post-englische Stadt? Die Debatte überlasse ich anderen. Für mich ist jedoch klar, dass sich London wie eine Stadt ohne Bürger anfühlt. Und während dies den Eliten zugutekommt, die ihre Bevölkerung gerne passiv und aufgeteilt sehen, ist es eine Katastrophe für die Menschen in dieser großen Stadt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in dem Band „Grenzen und Spaltungen. Immigration nach Europa“ von Sabine Beppler-Spahl (Hrsg.), 2019, Novo Argumente Verlag, hier bestellbar.

Außerdem wurde er bei Novo-Argumente veröffentlicht.

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Leserpost

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CZECH ALEX / 26.03.2020

John Cleese hat Recht. Einfach mal selber nach Londonistan reisen und sich selber ein Bild vor Ort verschaffen. Sadiq Khan gehört zum muslim brotherhood und ist ein weiterer islamischer Trojaner der erfolgreich eingeschleust wurde.

Herbert Wega / 26.03.2020

Jaja und weil alle Briten sind weigert sich die Regierung den neuesten Bericht über Grooming Gangs(Kinderschänder)zu veröffentlichen.Glaubt auch nur ein Mensch das man diesen nicht veröffentlichen würde wenn es Weisse Briten wären? Vor einigen Jahren veröffentliche der Guardian(Linksliberal)eine Untersuchung die am Ende auch geheim bleiben sollte-Mus. Polizisten sind 10 mal korrupter als Weisse Britische Polizisten.Aber alle sind natürlich Briten-genau so wie die Dame die freudig verkündete WIR GEWINNEN!Wenn meinte sie wohl?In ihrem Video ging es um gewonnen Sitze von Politikern…jajaj sie ist GENAU SO BRITIN…genauso wie die Europäer in Amerika zu Indianern wurden.

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