Peter Grimm / 05.12.2016 / 14:03 / 3 / Seite ausdrucken

Lizenz zum Weiterwursteln?

Am Sonntag wurde nun gewählt und abgestimmt. Die Italiener haben ihrem Ministerpräsidenten und/oder der Verfassungsänderung mit klarer Mehrheit eine Absage erteilt. Die EU-Verantwortungsträger fürchteten ein wenig, dass all die verborgenen Defizite, all die unerledigten und nur unter den Teppich gekehrten Probleme des Euroraums wieder zum Vorschein kommen könnten. Die Stimmberechtigen nahmen darauf keine Rücksicht.

Jetzt ist ein ungeliebtes Ergebnis da, aber vielleicht lässt es sich ja noch einmal hinreichend kleinreden und weginterpretieren, wie es zuvor schon mit so vielen anderen unangenehmen Ergebnissen gelang, für die die Bürger in letzter Zeit an den Wahlurnen sorgten. Es wird zwar immer schwieriger, aber noch schaffen es die politischen Eliten, eine Welt zu simulieren, in der sie weiterwursteln können wie bisher.

Hilfreich dabei ist ein Sieg. Noch vor wenigen Jahren hätte man kaum geglaubt, wie viele internationale Sieger eine österreichische Bundespräsidentenwahl haben kann. Der Zurückhaltendste unter den vielen Gewinnern scheint noch der Gewählte selbst zu sein. Der großväterlich auftretende künftige Bundespräsident Alexander van der Bellen sah offenbar keinen Anlass, sich allzu laut darüber zu freuen, dass man nun den gefährlichen Rechtspopulisten Norbert Hofer aufgehalten habe. Im Gegenteil. Bei seiner ersten Pressekonferenz am Wahlabend begann er, noch vor dem Dank an seine Wähler: „Zuallererst möchte ich Herrn Hofer meinen Respekt ausdrücken, ihm gratulieren, zu seinem sehr respektablen Ergebnis. Wir sind ja immerhin über sieben Monate in direkter Konkurrenz miteinander gestanden und ich weiß, was das für einen Einsatz erfordert.“

Man könnte normalerweise einwenden, dass das eine reine Höflichkeitsfloskel war, die nun wirklich keiner extra Erwähnung wert ist. Doch heutzutage und verglichen mit dem politischen Stil hier in Deutschland ist diese frühere Selbstverständlichkeit schon bemerkenswert. Würden sich Claudia Roth oder Katrin Göring-Eckardt zu einem solchen Satz gegenüber Frauke Petry überwinden können? Oder Sigmar Gabriel, dem im Zusammenhang mit jedem, den er als „Rechtspopulisten“ ausmacht, das Wort „Pack“ sicher leichter von den Lippen kommt als „Respekt“.

Leider stören Fakten die Pflege des eigenen Weltbildes oft ganz erheblich

Der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende jubelte nach den Ergebnissen aus Wien denn auch, als sei er bei dieser Wahl eine Art Hilfsdrachentöter gewesen, dass das Ergebnis ein “ klarer Sieg der Vernunft gegen den Rechtspopulismus in Europa“ gewesen sei. Sein Genosse und mutmaßlicher SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz triumphierte ebenso: Der „Sieg ist eine schwere Niederlage für Nationalismus, Rückwärtsgewandtheit und antieuropäischen Populismus.“

Der klare Sieg des Guten und die schwere Niederlage des Bösen, das ist natürlich eine Nachricht, an der sich die vom eigenen Wahlvolk meist abgestraften deutschen Genossen ein wenig wärmen möchten. Leider stören Fakten die Pflege des eigenen Weltbildes oft ganz erheblich. Aber in vorweihnachtlicher Milde möchte man darauf verzichten, die Wohlmeinenden daran zu erinnern, dass ein Ergebnis von 52 Prozent zu 48 Prozent solch vollmundige Siegerpose nicht ganz rechtfertigt.

Immerhin ist bei den Reaktionen der deutschen Politiker auf die österreichische Bundespräsidentenwahl eines interessant: Zum „Sieg der Demokratie“ erklärte keiner von ihnen das Ergebnis. Mit dem Satz „Der Wähler hat immer recht“ reagierte stattdessen der Vertreter des „Rechtspopulismus in Europa“, der unterlegene Norbert Hofer, auf die Resultate. Da wäre doch ein ergänzender „Sieg der Demokratie“ eine angemessene und schöne Aussage gewesen. Sie hätte allerdings aus den Mündern derer, die den künftigen deutschen Bundespräsidenten Wochen zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit in kleinen Koalitionsrunden ausgekungelt hatten, etwas merkwürdig gewirkt. Wäre es nicht ein „klarer Sieg der Vernunft“, wenn man die deutschen Bürger auch endlich für mündig genug halten würde, sich ihren Präsidenten selbst zu wählen?

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Peter Grimms Blog Sichtplatz.

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 05.12.2016

Merkwürdigerweise äußert sich keiner derjenigen, die das Wahlergebnis in Österreich als Zustimmung zu “ihrem” Europa umdeuten, zu dem Ergebnis des Referendums in Italien, das man als das genaue Gegenteil definieren könnte und im Ergebnis der Unkenrufe im Vorfeld nun den Niedergang der EU, zumindest infolge der Misere rund um das italienischen Bankensystem, des Euro zu erwarten habe. Daß der Zusammenbruch des Bankensystems möglicherweise noch auf sich warten läßt, zeigten im übrigen die entgegen jeglicher Vorhersagen der üblichen Medien-Experten heute die zügig nach oben strebenden Aktienkurse der diversen Börsen. Vielleicht ein Zeichen, daß die im Vorfeld unkenden das selbe Ziel verfolgten, das ggf. in Österreich den Ausschlag gab, nämlich die Verunsicherung der Wähler, um ein für Brüssel schädliches Ergebnis abzuwenden.

Wilhelm Lohmar / 05.12.2016

Ich kann mir die Reaktionen des etablierten politisch-publizistischen Komplexes in Deutschland auf die Wahl des österreichische Bundespräsidenten nur damit erklären, daß mit Blick auf die Wahlen des kommenden Jahres die eigene Klientel unbedingt und zu jedem Preis bei der Stange gehalten werden muß.

Adeo Bernard / 05.12.2016

Etwas Europakritisches von Seiten ihrer Bürger existiert für die EU-Herren nicht mehr. Meinungsvielfalt mag es in anderen Bereichen (noch) geben, in Zusammenhang mit der EU gibt es das Hinnehmen von anderen Meinungen oder einen politischen Gegner nicht mehr. Wie Herr Schulz es sagte, es gibt nur Befürworter oder rückwärtsgewandte antieuropäische Populisten. Da erhebt sich die Frage ob eine Institution mit solchen Führungskräften überhaupt noch demokratisch oder schon autoritär diktierend ist.  Wer nicht für uns ist ist der Feind. Frohe Weihnachten Europa.

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