Michael Holmes (Gastautor) / 04.05.2007 / 16:14 / 0 / Seite ausdrucken

Live aus Bangkok: Das Zentralkommitee des IPCC dreht die Klimaanlage runter!

Ich weiss, ich weiss. Mit einem Flug nach Bangkok puste ich fast ebenso viel CO2 in die Luft wie Al Gores Ranch an einem Tag. Aber ich habe die gleiche Ausrede wie er: auch ich moechte einen bescheidenen Beitrag zur Rettung der Welt leisten. Ich gedenke das zwar sehr im Gegensatz zu ihm durch die Propagierung von wirtschaftsfoerdernden Massnahmen fuer die unterentwickelte Welt zu tun, aber wann sind wir Weltenretter uns jemals einig gewesen?
So weit, so inkonsequent (ich haette schliesslich auch ein Fahrrad nehmen koennen). Nun also zum IPCC. Oder nein. Noch nicht. Erst einmal ein paar Worte zu einem wichtigeren Thema: Direkt neben dem UN-Gebaeude, nicht zu uebersehen, befindet sich die Zentrale des thailaendischen Militaers und damit das Zentrum des Landes, denn seit September letzten Jahres wird Thailand vom Militaer regiert. Fuer die Menschen in Thailand kann es lebensgefaehrlich sein gegen diese Militaerherrschaft zu demonstrieren. In Thailand wird willkuerlich verhaftet, wird gepruegelt und gefoltert. Kritik ist verboten. Nur zwei Arten von Demonstrationen sind erlaubt: die von Unterstuetzern des Putsches (davon durfte ich eine ganze Reihe bewundern) und die von menschenrechts- und wohlstandsverwoehnten, ignoranten Besserwissern, die der Welt ihre idiotischen Parolen als den Stein der Weisen verkaufen moechten. Ich spreche von den Greenpeace-, WWF- und Friends of the Earth-Aktivisten, die zwanzig Meter vom thailaendischen Militaer unter dem Schutz der Weltpresse tapfer gegen den Ausbau der Atomenergie demonstriert haben und nicht einmal auf die Idee kamen, “Democracy for Thailand!”, “Free Speech!”, “Stop Military Rule!” oder was weiss ich auf ein uebriggebliebenes Bettlaken oder T-Shirt zu pinseln. Es haette sie nichts oder wenig gekostet und vielen Menschen in Thailand Mut und Hoffnung geben koennen. Stattdessen zeigen sie dem Militaer, das natuerlich auch den Eingang zum UN-Gebaeude ueberwacht, brav laechelnd ihre Einladungskaertchen. Nicht einmal die Ausrede, dass die Computer im Internetcafe der UN genau wie alle anderen Computer in der Stadt von der Regierung zensiert werden, duerfen wir ihnen durchgehen lassen, schliesslich steht das Militaer an jeder zweiten Strassenecke, nicht selten die Maschinenpistole im Anschlag. Wer das nicht sieht, will das nicht sehen oder ist allzu fixiert auf die angeblich wirklich grossen Probleme der Welt.
Nein, unsere Greenies haben wieder einmal bewiesen, dass sie die innere Revolution von einem anthropo- zu einem oekozentrischen Weltbild laengst vollzogen haben. Und ich befuerchte, sie begreifen diesen Vorwurf als Kompliment.

Aber ich wollte von der Pressekonferenz berichten. Zunaechst einmal muss ich mich bei dem herzlich lachenden Thai mit dem schlechten Englisch, der die Namensschildchen schreiben musste, fuer die unverdiente Titelverleihung bedanken. Ich war naemlich ploetzlich niemand geringeres als: “Michael Holiness”,
jawohl: “Holiness”! Da sage ich doch nicht nein, auch wenn ich mich in diesen Hallen viel eher wie ein heimlicher Ketzer gefuehlt habe.
Die Atmosphaere kann man in einem Wort zusammenfassen: dramatisch. Und daran waren nicht die vielen Kameras und Mikrofone, sondern die IPCC-Sprecher schuld, die eben eines nicht zu wollen schienen: einen nuechternen Blick auf die Faktenlage zu werfen. Wenn etwa ein Journalist vom Guardian fragt, wann und ob die Bush-Administration noch Vernunft annehmen koennte, dann duerfen die Greenpeace-Aktivisten von mir aus gerne lachen, aber die angeblich hervorragenden Wissenschaftler im Raum und auf dem Podium koennten wenigstens einen Augenblick politische Neutralitaet heucheln. Tatsaechlich verkuendeten sie staendig ihre politische Neutralitaet, nur um sie gleich darauf ueber Bord zu werfen. So wurde etwa vom Podium geaeussert: “We do not recommend concrete steps, but not to take action will basically end in…” - Trommelwirbel! - “...DISASTER!”. Was natuerlich nicht mehr bewiesen werden muss. Die Frage, ob der Ausbau der Atomkraft zur Loesung des Problems beitragen koennte, wurde nicht beantwortet - vielleicht, weil schon die Frage zu Geraune im Saal fuehrte. Dafuer gabs den Hinweis: “We talk about the dangers of Nuclear Power in the report: the waste problem, the safety problem.” Ueberhaupt war die Meinung schlecht verpackt in der Betonung zu finden. Auf die beste und wichtigste Frage aus dem Publikum: “Do you believe that people in the underdeveloped world have a right to enjoy the same riches europeans and americans enjoy today?”, kam zunaechst ein kaum vernehmbares: “Uhm… see… we don’t say the underdeveloped nations should just stop developing” - Wie differenziert! Wie grosszuegig! Der Kampf gegen den Hunger muss nicht vollstaendig aufgegeben werden! -, dann aber ein entschiedenes: “BUT…” und ein zweites: “BUT” und noch ein: “BUT…”, mahnend, fast ein wenig drohend. Haette ein Marsmensch dieser Pressekonferenz beigewohnt, er haette zuhause berichtet: “Die Erdlinge kaempfen mit einer schrecklichen Krankheit namens Wirtschaftswachstum, die aber irgendwie auch leider nicht ganz vermeidbar zu sein scheint. Noch nicht.”

Dann aber bekam das aufmerksame Publikum doch noch eine konkrete Empfehlung, ja sogar “an extremely powerful message” - fuer meinen Geschmack haette es nur “powerful” auch getan! “It is VERY important…” - auch die Journalisten, die bei der zehnminuetigen Faktenverkuendigung eingeschlafen waren, rappeln sich wieder auf - “this we want to make very clear…” - ja doch, wir hoeren ja schon zu! - “We have to alter the way our societies work AS A WHOLE” - nicht dies und das, alles muss anders werden, die Revolution ist grossartig, alles andere ist Quark, hat schon Rosa Luxemburg gesagt - “We have to alter the way our society works, to alter the way we behave and this is NOT easy!” Klingt fuer meine Ohren irgendwie ungemuetlich! “We believe it is very important that we have to change our behaviour and our consuming patterns. Our societies have to change.”

Und bevor ich ihnen die Pointe verrate, muss ich noch einmal ernst werden. Ich finde es wirklich beaengstigend, dass ich auf einer UN-Konferenz solche gefaehrlichen Parolen hoeren muss und sich niemand daran stoert. Alles soll anders werden? Kein Stein darf auf dem anderen bleiben? Und besonders unser Verhalten muss sich grundlegend aendern und zwar durch politische Massnahmen, also durch Zwang? 
Nein, das IPCC ist nicht totalitaer. Ganz sicher nicht. Dieser Gedanke aber ist es. Popper, Berlin oder Lasky betrachten diesen Gedanken der totalen Umwaelzung sogar als den grundlegenden Gedanken aller totalitaeren Bewegungen, zentraler als jede spezifische Zielsetzung. Die totale Revolution war immer der totale Krieg.

Und jetzt hoffe ich, dass sie trotzdem mit mir ueber die konkreten Ausfuehrungen zum naechsten 50-Jahresplan lachen. Es hat naemlich bezeichenderweise sonst niemand getan. Auch die Frage wie denn diese grundlegende Veraenderung unseres Verhaltens aussehen sollte, musste erst gestellt werden. Hier die Antwort: “Uhm… see… this is a more qualitative approach… it is not about facts and numbers… it is a qualitative approach”. Ja, natuerlich. Wie immer wenn man nichts zu sagen hat, aber trotzdem wichtig tun muss. Ich habe auch den Weihnachtsmann gesehen. Aber das ist ein “qualitative approach”.
“No, it is a legitimate question.” Was ich allerdings auch finde. Wenn mein Verhalten und die Gesellschaft, in der ich lebe, als Ganzes umgekrempelt werden sollen, moechte ich doch ein wenig genauer wissen wie das geschehen soll. Ich bin naemlich halbwegs zufrieden mit beidem. “So let me give you an example. This afternoon we were in a room back there somewhere. And it started getting cold. So we decided to stop talking and do something. And so we turned down the air conditioner!”
Nein, ich verarsche sie nicht. Ich schwoere es. “And we turned down the air conditioner”. Es war nicht als Scherz gemeint und wurde auch nicht so aufgenommen. “And so we turned down the air conditioner.” Diesen Satz werde ich so schnell nicht vergessen. 
 
Und jetzt mache ich erst mal ausgiebig Urlaub… und drehe die Klimaanlage hoch. Sehr hoch.

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