Volker Seitz / 10.10.2021 / 11:00 / Foto: PalFest / 25 / Seite ausdrucken

Literaturnobelpreis 2021: Abdulrazak Gurnah

Der Literaturnobelpreis 2021 geht an den tansanischen Autor Abdulrazak Gurnah, der seit 1968 in Großbritannien lebt. Seine Werke wurden seit 2006 nicht mehr ins Deutsche übersetzt.

Der Literaturnobelpreis 2021 geht an den tansanischen Autor Abdulrazak Gurnah, der seit 1968 in Großbritannien lebt. Alle seine Romane sind dort entstanden. Bis zu seiner Pensionierung war er Professor für Englisch und postkoloniale Literaturen an der Universität von Kent in Canterbury. Abdulrazak Gurnah zählt in Tansania zur Minderheit mit arabischen Wurzeln.

Akademiemitglied Anders Olsson stellte ihn vor: Der Autor habe uns den afrikanischen Kontinent nähergebracht, beleuchte auch die deutsche Kolonialherrschaft in Deutsch-Ostafrika, Sansibar, wo er 1948 geboren wurde. Der Autor erhält den Preis „für sein kompromissloses und mitfühlendes Durchdringen der Auswirkungen des Kolonialismus und des Schicksals des Flüchtlings in der Kluft zwischen Kulturen und Kontinenten“, wie der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, Mats Malm, bei der Bekanntgabe am 7. Oktober sagte.

Seine deutschen Verlage sind wieder einmal – wie im vergangenen Jahr – von der Entscheidung aus Stockholm überrascht worden. Mit ihm hatte offenbar niemand gerechnet (ich auch nicht). 

Auf Deutsch ist kein Titel lieferbar

Auf Deutsch ist kein Titel lieferbar, als Autor ist er hierzulande so gut wie unbekannt. 1996 war bei Krüger „Das verlorene Paradies“, erschienen. Weitere Romane auf deutsch: „Donnernde Stille“, „Ferne Gestade“ und „Die Abtrünnigen“ (teilweise antiquarisch zu bekommen). Mit „Paradise“ (deutsch 1996 „Das verlorene Paradies“) stand Gurnah 1994 auf der Shortlist für den Man Booker Prize. Gurnahs Werke wurden seit 2006 nicht mehr ins Deutsche übersetzt.

Dass der Literaturnobelpreis 2021 nach Afrika gehen könnte, war nicht unwahrscheinlich. Seit der Verleihung an den Südafrikaner John Maxwell Coetzee im Jahr 2003 ist der Kontinent leer ausgegangen. Dabei standen in letzter Zeit jedoch andere Namen im Vordergrund, so etwa Ngugi wa’Thiong’o, Mia Couto, Chimamanda Ngozi Adichie und Maryse Condé (von den Antillen, aber mit afrikanischen Wurzeln).

1986 wurde erstmals der Nobelpreis für Literatur einem afrikanischen Schriftsteller zuerkannt. Wole Soyinka und Abdulrazak Gurnah bleiben bis heute die einzigen schwarzafrikanischen Literaturnobelpreisträger. Weitere afrikanische Nobelpreisträger waren der Ägypter Nagib Mahfuz und die Südafrikaner Nadine Gordimer und John Maxwell Coetzee. 

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).

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Oliver Wilkening / 10.10.2021

Kennt keiner - will keiner. Ein rein politisch-korrekte Entscheidung. Habe das Interview mit dem Übersetzer gesehen, ja, der Flüchtling, so edel, so hilfreich, so gut, mein Gott, wie schnulzig. Da bleibe ich lieber bei Freddie Mercury. Auch von Sansibar. Hat wohl mehr für die Kultur geleistet als dieser Schreiberling.

Holger Kammel / 10.10.2021

Der Herr kam 1968 nach England. Der Laudator deutet an, daß er das als Flüchtling tat. Vor was ist er denn geflüchtet? Vor der tansanischen Unabhängigkeit? In anderen Kommentaren zur Preisvergabe wird seine Heimat Sansibar als vorkoloniales Multi-Kulti-Paradies geschildert. Dieses “Paradies” war das zentrale Drehkreuz für schwarzafrikanische Sklaven, die von hier aus in den gesamten islamischen Raum und bis Indien verschifft wurden.  Bereits lange, bevor die Europäer in der Neuzeit auf die Idee kamen, mit Sklaven zu handeln. Und dieser Nachfahr von Sklavenhändlern über zig Generationen beklagt sich über das böse Erbe der Kolonialmächte, die diese wunderbare Zeit des arabischen Sklavenhandels über 1000 Jahre beendet haben. In Tanganjika (dem Festlandteil Tansanias) wird man das anders sehen. Dort wird übrigens die deutsche Kolonialzeit geradezu romantisch verklärt, im krassen Gegensatz zur nachfolgenden britischen Kolonialzeit. Und es komme mir niemand mit dem Maji-Maji-Aufstand. Das war der Versuch der einstigen Sklavenjägerstämme, das Land wieder unter ihre Terrorherrschaft zu bringen. Das wird uns unsinnigerweise heute als antikolonialer Befreiungskampf verkauft.

Marcel Seiler / 10.10.2021

Es ist ein wenig absurd, dass ein Autor, der sich entschieden hat, in einem westlichen Land zu leben (und dort offenbar gut lebt), von dort das Schicksal seines armen Geburtslandes beklagt, anstatt in seinem Geburtsland zu leben, um dort die Situation zu verbessern. Es ist ein Zeichen der Großartigkeit des westlichen Lebensentwurfs, dass sich im Westen ein Mann aus der Fremde so entwickeln kann, wie er es bei sich zu Hause wohl nie könnte. – Wenn dieser Nobelpreis allein für die Qualität der Literatur vergeben worden wäre, wäre mir das egal, aber es ist (für mich jedenfalls) offensichtlich, dass hier jemand geehrt werden sollte, der dem politisch korrekten Zeitgeist entsprechend dem Westen große moralische Verfehlungen vorwirft. Ich glaube nicht, dass ich seine Bücher lesen werde. Auch Nobelpreise werden mir durch die diesjährige Vergabe immer egaler.

TinaTobel / 10.10.2021

Man liest und hört immer wieder Abdulrazak Gurnah sei als Flüchtling nach Großbritannien gekommen. Wovor musste er fliehen?

Volker Kleinophorst / 10.10.2021

Von den Nobelpreisen sind der für Literatur und der für “Frieden” vollkommen überflüssig. Wann hat den Literaturnobelpreis das letzte Mal ein Autor bekommen, der wirklich gelesen wird. Ab 2000: V.S. Naipaul und Doris Lessing. Zu Afrika war mal wieder dran: Dann sollen Sie doch den “Wieder dran”-Nobelpreis einführen. Und: Der Tansanier lebt seit 1968 in England und schreibt in Englisch. Mehr Afrika geht ja kaum. Aber der “woke”  Grund: “Der frisch gekürte Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah hat sich zum Brexit und zu kolonialen Raubgütern geäußert. Dabei nahm er auch Deutschland in die Pflicht.” PS.: Wären die kolonialen Raubgüter in Afrika verblieben, gäbe es sie längst nicht mehr.

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