Ulrike Stockmann / 15.04.2021 / 10:00 / Foto: Ecureuil / 32 / Seite ausdrucken

Linkes Paradox: Lockdown ja, Amazon nein

Kürzlich spazierte ich durch Berlin-Friedrichshain und entdeckte an einem Pfahl einen Aufkleber mit der Aufschrift: „Amazon ist kein guter Nachbar.“ Damit es auch jeder versteht, wurde der Slogan noch auf Englisch, Türkisch, Arabisch, Russisch und Polnisch wiederholt. Als Urheber ist das Aktionsbündnis Berlin vs. Amazon angegeben. Laut Selbstauskunft ist dies ein bunter Zusammenschluss von Aktivist*innen, lokalen Initiativen, Tech-Arbeiter*innen, Künstler*innen und Anwohner*innen. Gemeinsam mobilisieren wir vielfältig und laut gegen die Niederlassung von Amazon in der Innenstadt und besonders gegen den Amazon-Tower“.

Wie nicht unüblich für diese Kreise, verzichtet die durch und durch linke Initiative auf ein Impressum, sodass eine genaue Lokalisierung der Akteure nicht möglich ist. Der Deutschlandfunk beschreibt das Bündnis als Zusammenschluss von 30 Tech-Arbeitern, Anwohnern und Künstlern. Im Dlf-Interview äußert Mitglied Christian Bauer, man wolle „die kapitalistischen Auswirkungen dieser Firmen irgendwie verhindern und ein solidarisches Miteinander schaffen.“

Der sogenannte Amazon-Tower soll an der Grenze der Berliner Bezirke Kreuzberg und Friedrichshain, an der Warschauer Brücke entstehen. Der 140 Meter hohe Turm soll ab 2024 für 3.500 Softwareentwickler und Produktmanager bereitstehen (Amazon betreibt bereits mehrere Büros in Berlin; weil sich das Unternehmen vergrößern möchte, soll besagter Turm als neuer Firmensitz fungieren). Insgesamt plant der Online-Riese, 28 von 35 Stockwerken anzumieten.

Konsequent der Tech-Branche die kalte Schulter zeigen

Wie viele ähnliche Bauprojekte (siehe etwa der geplante, aber verworfene Google Campus) haben Investoren in Berlin grundsätzlich einen schlechten Stand. Sie gelten in erster Linie als Gentrifizierungs-Booster und damit als Killer für den ohnehin hoffnungslos überlaufenen Wohnungsmarkt der Hauptstadt. Bei den genannten Großkonzernen kommt die Antipathie natürlich nicht zuletzt daher, dass vor allem linke Kreise eine ausbeuterische Unternehmenspolitik unterstellen. Letzteres ist im Falle Amazons wohl definitiv angebracht, seitdem das Unternehmen den Vorwurf zugab, dass Amazon-Lagerarbeiter und -Paketlieferer in den USA aufgrund von Zeitdruck in Flaschen urinieren müssen.

Der in Berlin-Kreuzberg geplante Google Campus für von Google geförderte Start-Ups kam 2018 aufgrund von Protesten schließlich nicht zustande. In diesem Artikel wird die durchaus begründete Verdrängungsangst der Kreuzberger Kiezbewohner und gleichzeitig die Nachteile für Berlin als Wirtschaftsstandort durch solche Aktionen gut zusammengefasst.

Und in der Tat bekleckert sich eine Hauptstadt wie Berlin nicht gerade mit Ruhm, wenn sie konsequent der Tech-Branche und anderen Firmen die kalte Schulter zeigt. Ein junger Kreuzberger Unternehmer fragte mich zum Zeitpunkt der Proteste gegen Google, ob die Berliner denn ewig in ihrer Armut verharren wollten. Und dieses Interview mit Coen van Oostrom, dem Investor des Amazon-Towers, ist insofern interessant, als dass hier ein argwöhnischer Tagesspiegel-Journalist versucht, einen vermeintlich bösen Kapitalisten vorzuführen. Im Ende 2019 geführten Gespräch erhebt der Investor jedoch schwere Vorwürfe gegenüber der Stadtverwaltung, gibt beispielsweise an, von den damaligen plötzlichen Plänen des Senats, den Turmbau zu kippen, erst durch die Interview-Anfrage des Berliner Tagesspiegel erfahren zu haben. Sollte das stimmen, kann die Berliner Verwaltung kaum als seriöser Verhandlungspartner gelten.

Der grüne Bezirksstadtrat Florian Schmidt hatte damals verkündet, dass sich „die gegenwärtigen Baupläne nicht an die Vorgaben aus dem städtebaulichen Vertrag“ hielten. Daraufhin versuchte er, einen erneuten Wettbewerb auszurufen. Im Interview äußerte Investor van Oostrom, dass Amazon auf Betreiben Schmids zugesagt hatte, im Turm eine Fläche von 100 Quadratmetern u.a. für Vereine zur Verfügung zu stellen, die für 8 Euro pro Quadratmeter vermietet werden soll. Schließlich wurde Florian Schmidt laut taz vom Senat „zurückgepfiffen“, und die Bauarbeiten am Amazon-Tower konnten beginnen und finden seither auch ohne die Goutierung durch die Nachbarschaft statt.

Amazon ist der große Gewinner des Lockdowns

Zurück zum eingangs erwähnten Protest-Aufkleber: Ich persönlich kann Antipathie gegen Amazon sehr gut verstehen. Allerdings in erster Linie, weil ich den Online-Kraken als todbringend für den Einzelhandel betrachte. Händler, die über Amazon verkaufen, klagen immer wieder über „halsabschneiderische“ Konditionen und eine schlechte Kommunikation. Laut Wall Street Journal soll Amazon sogar erfolgreiche Produkte kleiner Unternehmenspartner imitieren, um anschließend die „Produktechtheit“ ihrer Artikel zu bezweifeln. Und auch nach der vorläufigen Einschätzung der EU-Wettbewerbshüter verstoße Amazon gegen das Kartellrecht. „Die Kommission wirft Amazon vor, nichtöffentliche Geschäftsdaten von unabhängigen Händlern, die über den Amazon-Marktplatz verkaufen, systematisch für das eigene, in unmittelbarem Wettbewerb mit diesen Händlern stehende Einzelhandelsgeschäft zu nutzen.“

Ich finde die Kritik am Konzern also nachvollziehbar, frage mich jedoch, warum linke Aktivisten sich so sehr an Nebenkriegsschauplätzen wie dem Amazon-Tower aufhalten, der in erster Linie ein Prestige-Objekt darstellen und wenig zur Gewinnmaximierung des Unternehmens beitragen dürfte (wie gesagt: Amazon-Büros gibt es in Berlin schon jetzt).

Was mich wirklich verwundert, ist, warum dieselben linken Kreise, die Demos gegen den Bau des Turms organisieren, sich gleichzeitig so vehement für den Lockdown aussprechen und jeglichen Widerstand dagegen als „rechts“ brandmarken. Dabei ist der Lockdown und die daraus folgende Zerstörung zahlreicher kleiner und mittelständischer Unternehmen der Sargnagel für den Einzelhandel – und damit der Konkurrenz zu Online-Plattformen.

Und wie sich zeigt, ist Amazon der große Gewinner des Lockdowns. „Das Unternehmen wächst so rasant wie noch nie eines der USA“, schrieb die Zeit im letzten Herbst. Wer hätte das kommen sehen?

Die linken Aktivisten jedenfalls nicht, die derweil herumlaufen und Sticker gegen den Amazon-Tower in Friedrichshain verteilen. Mir wurde berichtet, dass hingegen einige Läden, die sich an der „Wir machen auf“-Bewegung beteiligten, systematische Droh-Anrufe der Antifa erhielten. Dabei müssten diese Widerständler doch eigentlich die Lieblinge aller selbsternannten „Antifaschisten“ sein. Irgendwas passt hier definitiv nicht zusammen.

Foto: Ecureuil CC BY 3.0 via Wikimedia

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Arno Josef / 15.04.2021

Es ist doch vollkommen klar, der Einzelhandel wählt keine Sozialisten und bei Amazon gibt es genug Beschäftigte, die man Betreuen kann. Ein netter Nebeneffekt ist mittlerweile, dass radebrechende Menschen durch die Gegend kutschieren, die die Paketdienste entlasten und exklusiv für Amazon die Pakete verteilen. Damit kommt ein neuer Spieler auf den Markt, der die Anderen ganz schön unter Druck setzt. Aber was kümmert das unsere Spezialsozialisten.

Alex Müller / 15.04.2021

Das klingt erstmal absurd, aber so ganz falsch ist das nicht, gegen immer mehr und mehr und noch mehr SW-Entwickler-Jobs etc… in den Zentren zu sein. Ich erlebe das gerade in meiner Heimat (mittlere Großstadt). Während es vor 15 Jahren noch kein Problem war, eine schöne Immobilie zur Miete oder auch zum Kauf zu finden, ist es mittlerweile dank des großen Booms praktisch unmöglich geworden, und das, obwohl sich die Kaufpreise verdreifacht haben und die Mieten um 70-80% gestiegen sind. Als langjähriger Bewohner, der das schließlich mitaufgebaut hat, fragt man sich schon, was man eigentlich davon hat, wenn die Einkommensentwicklung, auch im IT-Bereich, bei weitem nicht mit den Kosten schritthält. Der angebliche “Fachkräftemangel” - ein absurdes Wort an sich, als ob es ein Problem wäre, wenn qualifizierte Arbeitskräfte sich den Job aussuchen können - zusammen mit immer laxeren Einwanderungsregelungen (nicht nur auf Flüchtlingsebene, sondern auch in der IT), sorgt letztlich dafür, daß es auch hier immer voller und bunter wird. Zwar empfinde ich die buntere Arbeitswelt persönlich als durchaus angenehm, gesamtwirtschaftlich kann ich jedoch keine Nutzen sehen, gerade für schwächere Einkommensgruppen. Man kann davon ausgehen, daß von den Arbeitsplätzen mind. die Hälfte mit Auswärtigen besetzt wird, mit entsprechenden Folgen für den Wohnungsmarkt, oder baut Amazon vielleicht Werkswohnungen, wie es einst Siemens + Co taten?  Es profitieren im wesentlichen die Besitzenden - wenn man z.B. rechtzeitig eine Wohnung oder ein Haus gekauft hat. Für den normalen, selbst gutverdienenden IT-Angestellten rückt der Traum vom Eigenheim dagegen in immer weitere Ferne.

Block Andreas / 15.04.2021

“Aber warum gegen den Turmbau protestieren und den Lockdown goutieren? Denn dank der Corona-Maßnahmen wächst Amazon so rasant wie noch nie ein Unternehmen der USA zuvor ”  Antwort : Soweit können die ” Linken ” nicht denken….. die haben es eher so mit zuschlagen, in Brand setzen etc. etc.. DAS KÖNNEN DIE RICHTIG GUT…....DIE SA WÄRE RICHTIG NEIDISCH….

Bernd Ackermann / 15.04.2021

Ein “bunter Zusammenschluss von Aktivist*innen, lokalen Initiativen, Tech-Arbeiter*innen, Künstler*innen” die ein “solidarisches Miteinander schaffen wollen” - solidarisches Miteinander bedeutet, dass diese Leute im Grunde nichts machen bzw. ihren Hobbys nachgehen, während der Rest arbeiten und Steuern zahlen soll um sie zu finanzieren. Wo dieser Rest arbeitet ist denen egal, Hauptsache nicht bei Amazon. Wenn ich allerdings die woken Werbespots von Amazon sehe kann ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Auch das Löschen der negativen Rezensionen zur DTV-Ausgabe von Orwells “1984” mit dem Habeck’schen Vorwort (inzwischen gibt es schon wieder ein paar neue Kritiken) hilft Amazon nicht. Mögen sie sich gegenseitig zerfleischen.

Markus Hahn / 15.04.2021

Die Linke ist taktisch klug und strategisch dämlich. Wer kohärent zu denken in der Lage ist, entpuppt sich so ungefähr ab dem 25. Lebensjahr aus seinem kognitiven Puppenstadium, das von der Dominanz frühevolutionärer Hirnanteile geprägt ist und deshalb prinzipiell große Lebensfreude bereitet. Da der Hirnreifungsprozess verschiedensten hemmenden Faktoren ausgesetzt ist, bleibt das Stdium der Verpuppung leider nicht selten aus. Der Mensch wird dann zum Linken. Hat aber in der Lage mehr Spaß am Leben. ;-)

Udo Kemmerling / 15.04.2021

Ich glaube, dass das “linke Paradox” in dem Moment entstand, als Karl Marx Zettel und Stift zur Hand nahm, oder schon bei der hemmungslosen Nutzung der Guillotine weiland der 90er des 18. Jahrhunderts. Seitdem hat es niemals aufgehört zu existieren. Warum sollte etwas Systemimmanentes auch aufhören zu sein wie es ist?!?

Frank Holdergrün / 15.04.2021

Amazon ist definitiv eine unerträglich erfolgreiche Firma, die schnell und zuverlässig liefert. Diese Art von Wettbewerbs-Kapitalismus treibt unsere Wirtschaft an, Amazon macht Beine und jetzt auch den Linken Angst. Das ist gut so, nie sind Linke ehrlicher in ihrem Neid als in diesem Zusammenhang. Ihre spießige Retro-Lust auf Einzelhandel vor Ort ist doch nur die Lust, diese bei ihren Anschlägen direkt ins Visier nehmen und Scheiben einwerfen zu können. Bald sind Anschläge auf die Amazon Lieferwagen an der Tagesordnung, Berliner Clans werden diese Autos umleiten, also das mitnehmen, was erfolgreiche Musliminnen und Christinnen und Jüdinnen und Atheistinnen im Laufschritt am Band bei Amazon eingeboxt haben.

Stephanie Förster / 15.04.2021

Ich kann bis heute nicht verstehen, warum man im Internet bei Amazon bestellen zu müssen glaubt. Selbst ich, als ehemalige Buchhändlerin bestelle, wegen des mittlerweile quasi verunmöglichten Einkaufs in Ladengeschäften, vermehrt Waren im Internet. Jedoch habe ich in all der Zeit noch keinen einzigen Cent bei dieser Krake ausgegeben und bekomme trotzdem alles problemlos geliefert. Von anständigen, steuerzahlenden Betrieben, welche ich damit unterstütze. Die Bequemlichkeit, ein paar Cent zu sparen, ungeachtet des zerstörerischen Geschäftsmodells dieses Kraken, treibt einem die Tränen in die Augen. NOCH hat der Kunde die Entscheidung. Aber der bietet lieber die eigene Moral billig feil. Beim folgenden Heulen und Zähneklappern sind die selben Leute aber nachher wieder ganz vorne mit dabei.

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