Marcus Ermler / 19.06.2018 / 06:19 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 36 / Seite ausdrucken

Linke Migrations-Fantasien: Die Revolution soll einwandern

Der Parteitag der Linkspartei in Leipzig hat durch seinen Ablauf und seine Inszenierung endgültig bestätigt, dass radikale Open-Border-Linke und rationale Realsozialisten sich unversöhnlich gegenüberstehen, und – viel schlimmer noch – die Open-Border-Kippingianer jede Abweichung von der reinen Lehre im Geiste stalinistischer Tribunale strafen, wie es die Buhrufe auf Sahra Wagenknechts Rede mitsamt anschließender Aussprache in maoistischer Tradition von Kritik und Selbstkritik aufzeigen. Auch wenn im Leitantrag zum Parteitag nur noch die Rede von „offenen Grenzen“ statt von „offenen Grenzen für alle“ ist, hat diese Wortakrobatik die Situation weder befriedet noch entschärft, sondern vielmehr befeuert.

So interpretieren Wagenknechtianer und Kippingianer diesen Leitantrag jeweils gesondert voneinander, mit völlig divergierenden Auslegungen. Für Sahra Wagenknecht steht damit das Asylrecht für Flüchtlinge auch weiter nicht in Frage (was sie auch nie gefordert hat), sondern es adressiert vielmehr eine schrankenlose Wirtschaftsmigration als realpolitische Unmöglichkeit. Kippings Lesart gibt ein Spiegel-Interview wieder. Auf die Frage „Also gelten offene Grenzen auch für Arbeitsmigranten?“ antwortet sie recht unverblümt: „Ja klar. Sonst hätten wir ja hier nicht festgehalten, dass wir eine solidarische Einwanderungsgesellschaft wollen. Wir stehen an der Seite aller Entrechteten sowohl vor dem Jobcenter, am Werkstor und auf den Fluchtrouten.“

Der Co-Vorsitzende Riexinger toppt diese realpolitische Verweigerungshaltung noch, wenn er in einem geradezu surreal anmutenden Interview mit der Jungen Welt äußert: „Das [also offene Grenzen für alle Menschen] ist eine Frage unserer Identität als internationalistische Partei, die auf dem Parteitag klar entschieden wurde. Wir haben im übrigen viele Forderungen in unserem Programm, die sich vorerst nicht umsetzen lassen. Wir wissen, dass wir es nicht schaffen […] trotzdem fordern wir das“. Ergo: Wir wissen, dass das nicht geht, aber wir machen es trotzdem. Wie der Mann mit solch einer Geisteshaltung dreißig Jahre unbehelligt als Betriebsrat und Gewerkschaftsfunktionär arbeiten sowie Arbeitskämpfe führen konnte, stimmt einen wirklich nachdenklich.

Tobias Riegel fasst in seinem Beitrag für die NachDenkSeiten diese linke Misere recht prägnant zusammen: „Eine solche Haltung [zu offenen Grenzen für alle] hat mehr mit religiösen Diskursen gemein als mit einer Politik, die reale Veränderungen durchfechten will […] es gibt einen ganz offenen Widerspruch zwischen der Inanspruchnahme der ‚Vernunft‘und der gleichzeitigen Negierung der Vernunft durch die – zugegebenermaßen – praktisch nicht umsetzbare Forderung der‚offenen Grenzen für alle‘“. Und weiter: „Menschen, die auf diese Widersprüche hinweisen, werden oft mit moralisch grundierten Vorwürfen der ‚Unmenschlichkeit‘ bis hin zur infamen Unterstellung der AfD-Nähe zum Schweigen gebracht“. Die AfD-Keule als neuer Volksfeindbegriff, der die innerparteilichen Gegner von Kipping und Riexinger konditionieren soll; vorangetrieben von den linksliberalen Vasallen im Kippingschen Institut Solidarische Moderne

Linke für den Wilden Westen

Was ich mich seit diesem linksutopistischen Fanal frage: Inwieweit kann man bei den Jüngern von Katja Kipping eigentlich noch von Marxisten, Sozialisten oder wenigstens Sozialdemokraten reden!? Ihr nach links umdekliniertes Prinzip der offenen Grenzen würde doch nicht nur bei Anhängern der Reagonomics Anklang finden, sondern jedem rassistischen Sozialdarwinisten Tränen in die Augen treiben. Der Wilde Westen, in dem das Recht des Stärkeren zählt und in dessen Wettlauf der Migration sich derjenige durchsetzt, der am zähesten und brutalsten seine Interessen durchsetzen kann. Was daran ist bitte links? Sind sie so nicht viel eher neoliberal und prokapitalistisch? Oder im schlimmsten Fall sogar sozialdarwinistisch und rassistisch?

Im Grunde zeigt sich doch, dass diese Leute, wenn sie auch Marx' Kapital und Lenins sowie Trotzkis Werke in ihrem überdimensionierten Bücherschrank nebst Curved-LCD-Fernseher und Apfel-Notebook stehen haben werden, dieser linken Standardliteratur wie auch dem kleidsamen „Che Guevara“-T-Shirt eher eine dekorative Funktion zuschreiben, und so jedes Buch ungelesen gleichermaßen vor sich hin vergilbt wie verstaubt.

Denn die Massenmigration infolge offener Grenzen, die uns als Humanismus, Einsatz für Geflüchtete und Sozialismus in Reinform verkauft werden soll, hat bereits Marx in seinem ersten Band des Kapitals in ihrer Gesamtheit analysiert. Es ist nichts anderes als das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Marx macht diese an einer industriellen Reservearmee fest, die sich durch Überbevölkerung bildet und so für das Kapital „das stets bereite exploitable Menschenmaterial“ schafft. Die Aufgabe diese Reservearmee ist es, „auf die aktive Arbeiterarmee“ zu drücken und „ihre Ansprüche […] im Zaum“ zu halten. 

Floss diese Überbevölkerung zu Marx' Zeiten vom Land in die Städte, so tut sie dies heute von der Dritten in die industrialisierte Erste Welt. Wobei diese Überbevölkerung „mit einem Fuß stets im Sumpf des Pauperismus“ steht, das heißt, im modernen Prekariat der Lumpenproletarier, bestehend aus „Vagabunden, Verbrechern, Prostitutierten“. Der Vergleich mit der migrantischen Realität in Deutschland fördert zum Teil noch Erschreckenderes zu Tage.

„Akkumulation von Elend, Unwissenheit, Brutalisierung“

Daher fasst Marx dies in seinem Gesetz der kapitalistischen Akkumulation auch treffend mit zwei Axiomen zusammen: (1) „je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Überbevölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht“ und (2) „je größer endlich die Lazarusschicht der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus“.

Marx war also bereits vor hundertfünfzig Jahren klar, was die Konsequenzen für die Arbeiter und Arbeitslosen sein wird, wenn Heerscharen weiterer arbeitsfähiger Konkurrenten die Gesellschaft überbevölkern. Es ist die „Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation“. 

Dass Kippings Entourage dies nicht berücksichtigt, sondern diesen unseligen Zustand auch noch aktiv befördern will, kann nur einen der drei folgenden Gründe haben. Marx verstaubt tatsächlich ungelesen in ihren Bücherschränken, sie sind selbst neoliberale Kapitalisten oder, was Albrecht Müller auf den NachDenkSeiten vermutet, die Linkspartei wird fremdgesteuert. Das mag zwar sehr verschwörungstheoretisch klingen. Wenn man sich aber in Erinnerung ruft, wie die Piratenpartei bereits erfolgreich von bestimmen linken Kreisen zersetzt und demontiert worden ist, liegt es nahe zu vermuten, dass dies auch hier der Fall sein wird oder zumindest könnte.

Und ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Ich würde sogar behaupten, dies sind exakt dieselben Kreise, die die Piraten zerlegt haben. Antifanten und hedonistische Linksliberale, für die Internationalismus und Sozialismus zugleich Gott und Goldenes Kalb ist. Also im Grunde Vulgärrevolutionäre. Geradezu beispielhaft sind hierfür die Karrieren der ehemaligen Piratinnen Julia Schramm und Anne Helm, die mit ihrem Bombergate und plumpdümmlicher antideutscher Rhetorik wie „Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber Harris, Feuer frei“ bereits in exponierter Position die Piraten desavouiert haben und nun, prominent platziert, gleiches bei der Linkspartei tun.

Einwanderung als Beschleuniger der Revolution

Was diese Menschen eint, ist der unverbrüchliche Glaube, dass die Zeit für die sozialistische Revolution längst reif ist und ihnen ihre ummasozialistischen Brüder im Geiste im Zuge der Masseneinwanderung schon behilflich sein werden. So klingt es auch im Leitantrag an, den der Parteitag mit überwältigender Mehrheit angenommen hat: „Nach der Oktoberrevolution 1917, 100 Jahre nach der Novemberrevolution in Deutschland und der Einführung des Frauenwahlrechtes, 200 Jahre nach Marx’ Geburt erinnern wir daran: Gesellschaft wird von unten verändert. Von den vielen Menschen, die sich mit den Gegebenheiten nicht mehr abfinden und ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen. Wir gehören zu ihnen, wir sind Teil von ihnen und bringen sie zusammen.“ 

Und weiter: „Die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche erfordern dringend eine andere, antikapitalistische Politik, die auf soziale, ökologische, demokratische, integrative und friedliche Umgestaltung setzt […] für eine soziale, friedliche und gerechte Gesellschaftsordnung brauchen wir einen grundlegenden Richtungswechsel, einen ganz neuen Weg, der die Eigentumsfrage in den Fokus rückt.“ Hierbei sehen sie sich ganz bei Marx und Engels.

Denn Engels schrieb ja, Marx referenzierend, schon im Vorwort zur englischen Ausgabe des Kapitals im Jahr 1886 über das hochindustrialisierte England, „daß, zumindest in Europa, England das einzige Land ist, wo die unvermeidliche soziale Revolution gänzlich mit friedlichen und gesetzlichen Mitteln durchgeführt werden könnte“. Diesen Grundsatz versuchen sie nun auf Deutschland zu übertragen. Ihr gesetzliches Mittel ist hierbei das Einwanderungsgesetz der Kipping-Getreuen, das offene Grenzen rechtssicher zementieren und so die „soziale Revolution gänzlich mit friedlichen und gesetzlichen Mitteln“ durchführen soll.

Dass die Zeit reif sei für eine neue Revolution, prophezeite Leo Trotzki 1938 in seinem „Übergangsprogamm“:

„Die wirtschaftlichen Voraussetzungen der proletarischen Revolution ist schon seit langem am höchsten Punkt angelangt, der unter dem Kapitalismus erreicht werden kann. Die Produktivkräfte der Menschheit stagnieren. Die neuen Erfindungen und die technischen Fortschritte dienen nicht mehr dazu, das Niveau des materiellen Reichtums zu erhöhen. Unter den Bedingungen der sozialen Krise des ganzen kapitalistischen Systems laden die Konjunkturkrisen den Massen immer größere Entbehrungen und Leiden auf. Das Anwachsen der Arbeitslosigkeit vertieft wiederum die finanzielle Krise des Staates und unterhöhlt die erschütterten Geldsysteme. Die Regime – die demokratischen wie die faschistischen – taumeln von Bankrott zu Bankrott.“

Bürgerkrieg statt Frieden auf dem Weg zum Sozialismus

Jedoch kommt Trotzki in seiner „Permanenten Revolution“ von 1928 zu ganz anderen Schlüssen als die „friedlichen“ Sozialrevolutionäre Kipping und Riexinger:

„Der sozialistische Aufbau ist nur auf der Basis des Klassenkampfes im nationalen und internationalen Maßstabe denkbar. Unter den Bedingungen des entscheidenden Übergewichts kapitalistischer Beziehungen in der Weltarena wird dieser [Klassen-] Kampf unvermeidlich zu Explosionen führen, d.h. im Inneren zum Bürgerkrieg und außerhalb der nationalen Grenzen zum revolutionären Krieg. Darin besteht der permanente Charakter der sozialistischen Revolution“.

Was sich in der revolutionären Praxis dann wie folgt fortsetzt:

„Die sozialistische Revolution beginnt auf nationalem Boden, entwickelt sich international und wird vollendet in der Weltarena. Folglich wird die sozialistische Revolution in einem neuen, breiteren Sinne des Wortes zu einer permanenten Revolution: sie findet ihren Abschluß nicht vor dem endgültigen Siege der neuen Gesellschaft auf unserem ganzen Planeten.“

Der Missbrauch von Massenmigration und damit die Inkaufnahme von millionenfachem Leid und Tod auf den migrantischen Wegen durch die Sahara und das Mittelmeer sowie der Versklavung in arabischen Despotien zur Forcierung des Klassenkampfes in Deutschland ist es, was uns die Kippingsche soziale Revolution bringen soll. Jeder Tote kann und wird da nur ein Kollateralschaden für das hehre Ziel „der neuen Gesellschaft auf unserem ganzen Planeten“ sein. Ob die Migranten (oder wir) das so wollen, interessiert dabei nicht. Und mit Sicherheit gilt eines nicht, dass nämlich diese „soziale Revolution“ in irgendeiner Weise „friedlich“ sein oder ablaufen wird.

Diese „Klassenkämpfer“ mögen sich in ihren Augen für Sozialisten und wahre Marxisten halten, doch in Wirklichkeit sind sie revolutionäre Glücksritter, kindliche Linksradikale, die nie erwachsen geworden sind und keinen Blick für die Realität oder die Menschen haben, die sie mit ihren Utopien beglücken wollen. Selbst Gregor Gysi stimmt bereits in den Chor der Internationalisten ein, wenn er in seiner Parteitagsrede sagt:

„der Internationalismus der Linken […] ist eine zentrale Frage. Bekämpfe ich nur Armut in meiner Gesellschaft oder weltweit? Streite ich für Chancengleichheit nur in meiner Gesellschaft oder weltweit? Kann man überhaupt von sozialer Gerechtigkeit sprechen, wenn sie an der eigenen Landesgrenze stoppt? Kann man überhaupt von Chancengleichheit sprechen, wenn sie nur in einem Land gilt? Ist der Internationalismus nicht eine zwingende Voraussetzung, wenn man für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit eintritt?

Vulgärrevolutionäres Lebensgefühl

Dieses vulgärrevolutionäre Lebensgefühl der Kipping-Linken hat Lenin bereits 1920 in seinem Werk „Der Linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“ eindrücklich beschrieben. Dieses Werk hat an seiner Aktualität nichts eingebüßt und ist auch heute noch sehr lesenswert. Dort hat er die verschiedenen Auswüchse eines linken Sektierertums, das hauptsächlich um sich selbst kreist und irrationale Maximalforderungen aus dem Elfenbeinturm zur sozialistischenRealität umdeutet, in aller Deutlichkeit kritisiert.

Dass dieses Werk bei den Delegierten der Linkspartei offenkundig in völlige Vergessenheit geraten ist, ist eigentlich verwunderlich, priesen sie die russische Oktoberrevolution von 1917 doch in einem Beschluss: „Die Oktoberrevolution war die erste siegreiche Revolution mit sozialistischer Orientierung“. Aber wie das kleidsame Guevara-T-Shirt wird wohl diese sozialistische Reminiszenz auch nur nostalgische Folklore gewesen sein, statt tatsächlicher Auseinandersetzung.

So schreibt Lenin: „die Unbeständigkeit dieses Revolutionarismus, seine Unfruchtbarkeit, seine Eigenschaft, schnell in Unterwürfigkeit, Apathie und Phantasterei umzuschlagen, ja sich von dieser oder jener bürgerlichen Modeströmung bis zur ‚Tollheit‘ fortreißen zu lassen – all das ist allgemein bekannt“. Diese „Phantasterei“ und „sich von dieser oder jener bürgerlichen Modeströmung bis zur „Tollheit“ fortreißen zu lassen“, ist auch beim Parteitag deutlich geworden, wenn man sieht, mit welcher Vehemenz die jungen, urbanen Hipsterlinken Sahra Wagenknecht attackiert haben.

Engels’ Aussagen zu den dreiunddreißig „blanquistischen Kommuneflüchtlinge[n]“ referenzierend, heißt es bei Lenin weiter: „Die Dreiunddreißig sind Kommunisten, weil sie sich einbilden, sobald sie nur den guten Willen haben, die Zwischenstationen und Kompromisse zu überspringen, sei die Sache abgemacht, und wenn es, wie ja feststeht, dieser Tage ‚losgeht‘ und sie nur ans Ruder kommen, so sei übermorgen der Kommunismus eingeführt‘ […] Kindliche Naivität, die Ungeduld als einen theoretisch überzeugenden Grund anzuführen!“. Und auch das ist uns beim Parteitag begegnet, „kindliche Naivität“ in Form eines „guten Willen[s]“ zu offenen Grenzen für alle, die dann, wenn die LINKE denn einmal „ans Ruder kommt“, im „Kommunismus eingeführt“ wird.

Offene Grenzen als unbedingte Progressivität

Lenin brandmarkt diese sektiererische Kompromisslosigkeit noch an vielen weiteren Stellen als „kindliche Naivität“: „Kompromisse ‚prinzipiell‘ abzulehnen, jedwede Zulässigkeit von Kompromissen, welcherart sie auch seien, schlechthin zu verneinen, ist eine Kinderei, die man schwerlich ernst nehmen kann“. 

Und dass diese radikale Kompromisslosigkeit, wie sie die Kipping-Getreuen predigen, auch nichts weiter als ein altbekanntes Phänomen ist, wird an einer Aussage von Sylvia Pankhurst deutlich, die Lenin nur noch als „sonderbar“ deklarieren konnte: „Die Kommunistische Partei darf keine Kompromisse eingehen ... Sie muß ihre Lehre rein und ihre Unabhängigkeit vom Reformismus unbefleckt erhalten. Ihre Mission ist es, ohne haltzumachen oder vom Wege abzubiegen, direkt zur kommunistischen Revolution vorwärtszuschreiten“. Diese Aussage von Sylvia Pankhurst könnte genauso gut von Kipping oder Riexinger stammen.

Schließlich schreibt Lenin der politischen Linke folgendes ins Stammbuch:

„Der linke Doktrinarismus versteift sich darauf, bestimmte alte Formen unbedingt abzulehnen, weil er nicht sieht, daß der neue Inhalt sich durch alle nur denkbaren Formen Bahn bricht, daß es unsere Pflicht als Kommunisten ist, alle Formen zu meistern und es zu lernen, mit maximaler Schnelligkeit eine Form durch die andere zu ergänzen, eine Form durch die andere zu ersetzen, unsere Taktik einer jeder solchen Änderung anzupassen, die nicht durch unsere Klasse oder nicht durch unsere Anstrengungen hervorgerufen worden ist“. 

Offene Grenzen als unbedingte Progressivität zu verkaufen, als Internationalismus und Sozialismus, der den Weg in die Zukunft weist, wobei alles andere (Sozialstaat, Nationalstaat) rückständig und reaktionär sei, ist nichts anderes als „linker Doktrinarismus“, damals wie heute. Vielleicht würde uns all dies erspart bleiben, wenn diese Epigonen einmal den Unterschied zwischen der kindischen Postulierung der Utopie zur Realität und der marxistischen Analyse eben dieser Realität erfassen würden.

Wie hat es der Vater des italienischen Marxismus und Professor für theoretische Philosophie, Antonio Labriola, einst so treffend in seinen „Essays on the Materialist Conception of History“ formuliert: 

„Our doctrine does not pretend to be the intellectual vision of a great plan or of a design, but it is merely a method of research and of conception. It is not by accident that Marx spoke of his discovery as a guiding thread, and it is precisely for this reason that it is analogous to Darwinism, which also is a method“.

In Labriolas Augen gibt der Marxismus nicht vor, eine intellektuelle Vision eines großen Plans zu sein, vielmehr sei er eine Forschungsmethode, ein Leitfaden, vergleichbar mit der wissenschaftlichen Methode des Darwinismus. Die Kippingianer scheinen dies jedoch genau umgekehrt zu sehen. Für sie ist der Marxismus tatsächlich die intellektuelle Vision eines großen Plans. Kein Wunder also, dass sie vornehmlich Utopien umsetzen wollen, statt aus der Analyse der Realität adäquate politische Schlussfolgerungen zu ziehen.

Eben diese Substitution marxistischer Analysefähigkeit durch plumpen Vulgärradikalismus geben Katja Kipping und Bernd Riexinger in den eingangs erwähnten Interviews mit dem Spiegel bzw. der jungen Welt ja freimütig zu, wenn sie einerseits fordern in „eine[r] solidarische[n] Einwanderungsgesellschaft […] an der Seite aller Entrechteten […] auf den Fluchtrouten“ zu stehen und andererseits „wissen, dass wir es nicht schaffen […] trotzdem fordern wir das“.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

netiquette:

Heiner Hardschmidt / 19.06.2018

Brilliante Analyse! Wirklich eingehend und entlarvend, die Kommunisten lassen sich von ihrem eignen Erfolg blenden. Sie verlieren sich in großem strategischem Visionieren und vergessen dabei die operative Taktik. Es hätte den Text wohl gesprengt, aber auch die Frankfurter Schule hat einiges zum Thema beizutragen, an der man sich inzwischen offenbar mehr orientiert als an Marx, Lenin und Co. Ich meine es war Horckheimer, der einmal meinte, dass die kapitalistische Gesellschaft nur geschockt werden kann von “Ausgeschlossenen, Kriminellen und Randständigen”. Und wer gehört in einer erfolgreichen freien und gleichzeitig sozialen Marktwirtschaft dazu? Kriminelle und Terroristen. Und wenn es von diesen nicht genügend gibt, dann muss man sie eben importieren. Der Leitfaden der Frankfurter Schule zeigt sich sehr deutlich, wenn man den Umgang mit den Migranten betrachtet: Sie sind ausgeschlossen, viel zu oft kriminell, stehen naheliegenderweise am Rand und ihnen wird nicht nur alles von der links unterwanderten Justiz durchgelassen und von den Medien alles verziehen, sondern sie werden dazu auch von den links unterwanderten sozialen Wohlfahrtseinrichtungen des kapitalistischen System gefüttert und finanziert, das sie so von innen (über den finanziellen Aderlass) und von außen (über die erodierende Sicherheit und Ordnung) fast nach Belieben schocken dürfen. Stephen Hicks hat in seinem sehr lesenswerten Buch “Explaining Postmodernism” geschlussfolgert, dass die heutige postmoderne Linke ein nihilistisches Programm der Selbstauflösung fährt, das insgesamt weniger von Marx, als vielmehr von Rousseau und dessen radikalen Vorstellungen inspiriert ist.

M. Sachse / 19.06.2018

Wenn man Leute wie Kipping weiter gewähren lässt, kommt der Bürgerkrieg schneller, als manche denken. Aber vielleicht ist das ja Teil der Strategie von Kipping, Merkel & Co.

Martin Johannes Marhoff / 19.06.2018

Die “Islamische Revolution” wird die LINKEN als Erste wegfegen. Denn diese sind nun wirklich “Ungläubige”. Leider ist das der Beweis dafür, dass Linke nicht besonders intelligent sind. Linke sind offenbar nur “Anders Intelligent”.

Karla Kuhn / 19.06.2018

Kipping wurde genau wie Merkel in der DDR sozialisiert, was das heißt, kann man an beider “Politik” ablesen. Nur wollen beide nicht wahrhaben, daß es weder in der damaligen UdSSR noch in der DDR eine UNBEGRENZTE Zuwanderung gegeben hat. Die Grenzen zu beiden Ländern waren (MIT SELBSTSCHUßANLAGEN !!  auf alle Fälle in dem kommunistischen Unrechtsstaat DDR) wahrscheinlich strenger bewacht als Fort Knox in Kentucky. Aber vielleicht wollen beide das nachholen, was ihnen in der DDR verwehrt war ?? WARUM ist Merkel nicht gleich in Nachfolgepartei der der SED, später PDS, heute Linke eingetreten ? Da war kein Kohl, der diese Frau auch noch zum dem gemacht hat, was sie heute ist und dafür hat sich Merkel auch “gebührend” bei ihm bedankt. ALLEINE ihr damaliges Verhalten hätte doch für ALLE ein Alarm sein müssen. Wenn es zwischen Kipping und Wagenknecht “brennt”, dann versteh ich Frau Wagenknecht nicht, warum sie zusammen mit Oskar Lafontaine und anderen Anhängern nicht aus dieser Partei austritt.  Sie würde viele WähIer mitnehmen und somit diese Linke schwächen !!  Das wäre eine wirklich gute Tat. Ich kann sowie so nur staunen, daß so eine Partei überhaupt zugelassen wird. Die AfD mit einem ganz realistischen Wahlprogramm, mit intelligenten und realistisch denkenden Mitgliedern wird in Grund und Boden gehetzt und die LINKE, die wahrscheinlich auch noch die ANTIFA stützt (mit Steuergeld??) wird hofiert. “....durch plumpen Vulgärradikalismus…” Ich würde es noch anders ausdrücken aber Dank Netiquette behalte ich es für mich.

Ingo Arnold / 19.06.2018

Eine wohltuende Facette, eine fundierte Kritik der No-Borders Aktivisten aus linker Sicht. No Borders ist auch aus meiner Sicht nicht “Links”, sondern Turbokapitalismus. Kurios, dass dieselben Leute, die 2008-10 bei attac dabei waren, heute bei den No-Borders mitlaufen. Sie merken nicht einmal den logischen Widerspruch.

Andreas Stüve / 19.06.2018

Sehr geehrter Herr Ermler, danke für Ihren fundierten Beitrag, den Sie vornehmlich auf die ” Linke” projizieren. Ich bin der Meinung, dass ähnliche Dogmen ebenso in der CDU, der SPD und den Grünen gepflegt werden, sicher in etwas anderer Form, aber am Ende mit dem gleichen Ziel der Abschaffung des Nationalstaates mittels Migration ( möglichst ungesteuert) und Errichtung eines ” Weltstaates” mit mobilen, dummen, entwurzelten und ihrer Tradition und Sprache beraubten “Konsumenten” (genannt “die Menschen”). Helfer bei der Erreichung dieses Ziels sind Abschaffung der Familie, Genderismus, Feminismus und Erhöhung jeder noch so fragwürdigen Minderheit, und nicht zu vergessen, die berühmte ” soziale Gerechtigkeit”. Die ursprünglich rein linke, wenn nicht linksextreme Position ist zur Staatsraison erklärt worden,  in der nur noch die freien Bürger und dieses alte, überkommene Gesetz (Grund..) stören, die nun tunlichst schnell ” dekonstruiert” werden müssen. Wir haben es hier nicht mit einem ” Umbau der Gesellschaft” zu tun, sondern mit einem schleichenden Umsturz linker, scheinlinker und grüner Politiker, der spätestens seit zwei bis drei Jahren ungehemmt zum Vorschein tritt. Wenn wir ” Konservativen” und ” Rechten” nicht bald die politische Notbremse ziehen und der Anker werfen, werden die Kippings und Riexingers das Land beherrschen, und spätestens dann wandere ich aus, nach Moskau.

Karl Schmidt / 19.06.2018

Ich betrachte die Auswirkung der Massenmigration Ungebildeter nicht nach den Maßstäben von Radikalen. Es ist mir daher auch herzlich egal, ob sie sich in Widerspruch zum eigenen Glauben setzen, den sie Ideologie nennen. Für mich ist entscheidend, wie sich der Kontrollverlust auf eine bürgerliche Gesellschaft auswirkt: Sie wird den Sozialstaat durch Überforderung beseitigen, auf den gerade die Bedürftigen angewiesen sind. Sie wird die Demokratie beseitigen, weil diese Wohlstand und Bildung zur Grundlage hat. Zur Bildung einer Mitte bedarf es zudem eines Konsens weiter Teile der Bevölkerung, die in einer heterogenen (um nicht zu sagen gespaltenen) Gesellschaft nicht gebildet werden kann. Sie wird den Rechtsstaat beseitigen, weil die Gesetzgebung sich nur nach an Einzelinteressen orientiert. Die jeweils Herrschenden werden diese rücksichtslos durchsetzen. Zudem wird in einer verarmenden Gesellschaft die Korruption stark zunehmen, gestützt durch die Bildung von Parallelgesellschaften, die kaum zu durchdringen sind. Ein allgemeines Verständnis von dem, was richtig und Recht ist, ist bei einer stark unterschiedlichen Bevölkerungszusammensetzung zudem gar nicht denkbar.

Marc Stark / 19.06.2018

Das die kommunistische Internationale seit JEHER unterwandert, resp, fremdgesteuert ist halt ich für ziemlich wahrscheinlich. Eine bewegung die ihre eigenen humanen und solidarischen Grundwerte permanent mit Füssen tritt ist entwender von innen korrupt, komplett schizophren oder eben fremdbestimmt. Man mag von Verschwörungstheorien nichts halten, aber ein plausibles Szenario zeigt die ca. 1 stündige YT - Doku “Die NWO lockt die Patrioten in eine Falle” Manches mag abenteurliche Spekulation sein, aber insbesondere die historischen Zusammenhänge sind definitiv einen Blick wert. PS. Mag sein, das zu Marx Zeiten “kindlich” noch synonym mit “kindisch” war, heute ist es in diesem Zusammenhang ziemlich inkorrekt.

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