Linke, Liberale, Rechte werden gebraucht – eine neue Sorte fällt raus

Politische Gegner nehmen es sich einander derzeit allzu übel, dass sie anders denken, aber sie vergessen: Keiner von ihnen ist eine Bedrohung für die Demokratie – sie haben andere Meinungen, wollen aber keinen grundsätzlich anderen Staat. Gefährlich ist jemand anderes. Die Bedrohung von rechts ist überwiegend eine Konstruktion von denen, die glauben, sie wären Links. Doch nicht Rechts, Liberal und Links sind politisch eine Bedrohung, sondern eine dritte Kategorie, die in dem Routine gewordenen Diskurs noch keinen prägenden Namen bekommen hat. 

Was uns gefährdet, ist das ideologisch veralternativloste Verlangen nach der „menschenwürdigen“ Gestaltung des Gemeinwesens. Das machen nicht die Rechten und nicht die Linken und nicht die Liberalen, sondern eine Gruppe, die vom Gemeinwesen getragen wird, ohne dazu beizutragen. 

Es gibt von Liberalen, Konservativen und Rechten keine staatsgefährdende Bedrohung – das sind überwiegend Menschen, die durch die Forderung nach Selbstverantwortlichkeit zum Staatswohl beitragen, weil sie dies eben nicht zur Aufgabe der Allgemeinheit erklären. Sie fühlen sich selbst verantwortlich dafür. Damit können sie es gewiss egozentrisch übertreiben, aber nicht verwüsten. Es gibt auch keine Staatsgefährdung von dem, was ursprünglich links war. Das war ein Aufstiegsversprechen für diejenigen, die zum Wohlstand des Staates durch Arbeit wesentlich beitragen, aber unterrepräsentiert in Anerkennung und Bezahlung waren. Und es war auch ein Versprechen für einen sozialen Aufstieg der Nachfolgenden. Menschen mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, die darin ebenso egozentrisch werden können wie die Liberalen und Rechten. Es gibt heute eine kulturelle Gefährdung – und die geht nicht von Leistungsträgern aus, sondern von Leistungsempfängern.

Von wem kommen die volkspädagogischen Eingriffe in die Sprache durch die Genderideologie? Von wem kommt mit der Cancel Culture die Kunst-Zensur? Von wem kommt mit der Identitätspolitik, die Spaltung der Gesellschaft zugunsten von Partikularinteressen? Wer bedroht die akademische Rede- und Forschungsfreiheit? Es kommt von einem akademischen Prekariat, das in Beschwerde und Betroffenheit von der Mühsal der Lebensführung so erschöpft wie überfordert ist, dass es sich ein Recht einbildet, auf den Schultern der 15 Millionen übrigen deutschen Nettosteuerzahler zu reiten. Zwerge auf den Schultern von Riesen, die sich diesen Platz anmaßen, weil sie behaupten, weiter sehen zu können.  

Eine perspektivisch enttäuschte Schicht akademischen Prekariats

Die neuen, selbsternannten Linken, die keine echten Linken sind, nehmen eine ursprünglich gut gemeinte Sache und übertreiben sie soweit, bis sie sie völlig pervertiert haben. Und die Rechten und Liberalen sollen dann an den Folgezuständen schuld sein. Die so empfundene gesellschaftliche Notlage legitimiert nach eigener Ansicht der Gutmeinenden zu physischer Gewalt gegen Andersdenkende, die natürlich der Rettung des Gemeinwesens dient – welches gar nicht gerettet werden müsste, wenn man es mal in Ruhe ließe.

Das, was sich Konservative heute als Feindbild „die Linken“ zurechtschustern, sind eigentlich nicht mehr „die Linken“. Was sie meinen, ist eine perspektivisch enttäuschte Schicht akademischen Prekariats, das in zu großer Masse an die Universitäten geströmt ist und wo sich Neid und Enttäuschung zu einer Qualität hochempört haben. Die Entfremdung der SPD von sich selbst ist dafür stellvertretend. Waren es einst Arbeiter, die über Gewerkschaft und andere Wege in teils hohe politische Ämter kamen, waren es Menschen ohne Glaubwürdigkeitsproblem. Oftmals gestandene Persönlichkeiten.

Heute sind es Menschen, die auf dieser abgenutzten Glaubwürdigkeit Trittbrett fahren. Und weil ihnen dieser Weg nicht mehr authentisch offen stehen kann – ein Soziologie-Studium ist nicht Dachdeckerhandwerk – suchen sie die Nähe des Ritters zu Pferde gegen den Bauern. Chauvinismus pur: Der Ritter auf dem Pferd spricht zum Bauern und erklärt ihm, er sei seinesgleichen. Etwa so, wie der Sohn des Steigers dem Kumpel den Stollen erklärt, nachdem er von den Einblicken seines Soziologiestudiums berichtet hat.

Um die Krankheit des Gemeinwesens zu beschreiben, die nach einer Versprachlichung sucht, sind nicht „politisch rechts, links und liberal“ die Antworten, sondern das verschobene Verständnis von politischer Teilhabe überhaupt. Die Extremisierung der Begriffe „Rechts“ und „Links“ ist nicht zweckmäßig, sondern entfremdet diejenigen voneinander, die politische Teilhabe als Demokraten gar nicht anders wollten und könnten. Echte Linke, echte Liberale und echte Konservative können ein Bier oder Wein miteinander trinken, weil sie Staatsbürger sind, die verschiedene Meinungen haben, aber keine grundverschiedene Vorstellung vom Staat.

Er lässt mit sich kein Bier trinken

Der identitätspolitische, genderforcierte, stellvertretend empörte Mensch interessiert sich überhaupt nicht für den Staat und lässt mit sich kein Bier trinken. Er interessiert sich wie ein schlechter Schauspieler vor allem anderen für Beachtung. Wären solche Schauspieler Staatsmänner, lebten wir in einer schicken Monarchie, die von dem Menschen geführt würde, der seine Betroffenheit am drastischsten darstellen könnte. Wir erlebten einen ich-bezogenen Herrschafts- und Gefolgschaftsanspruch, unter dessen Gefühligkeit wir uns aus dem einen oder anderen Grund unterzuordnen hätten. Und ebendiese Denkweise ist Kern der Krankheit des Gemeinwesens. 

Ein leistungs- und zugleich fürsorgebezogenes Gemeinwesen befindet sich solange in einer Balance, bis es von jemandem zur Wunde erklärt wird. Eine Wunde, an der man ständig kratzt, weswegen sie nicht heilen kann – sie würde es, wenn man sie einfach in Ruhe ließe. Und das Kratzen ist ein pervers übersteigerter Individualismus, der ursprünglich aus der Aufklärung entwickelt wurde und gut gemeint war. Doch jetzt wird durch die Forderung nach hierarchiefreiem identitärem Kollektivismus diese Individualität pervertiert.

Er merkt selbst nicht, wie sehr er Hierarchie forciert in Abstufungen von Betroffenheit. Pervertiertes Identitätsgebaren ist nicht mehr Ausgang aus einer Abhängigkeit, sondern sägt als Rebellion gegen das Gemeinwesen an dem Ast, auf dem sie gewachsen ist. Ein Individuum, das sich nicht in eine Gemeinschaft einfügen kann: das ist die Frucht der Identitätspolitik und die Überhöhung von Partikularinteressen. Beides könnte Hand in Hand gehen – Individuum und Gemeinschaft –, wenn diese Begriffe endlich nicht mehr als Gegeneinander definiert, sondern als Symbionten verstanden würden. 

Der Feind des Gemeinwesens ist nicht der ausgearbeitete Verstand, der sich links, liberal oder konservativ einordnet. Viele finden in allen drei Teilgebieten gute Thesen, denen sie zustimmen können, ohne sich einer Richtung ganzheitlich zuzuordnen. Der Feind des Gemeinwesens ist der unfertige Geist und die Verweigerung der Reife und Verantwortung, der stattdessen weitreichende Entscheidungen auf Grundlage von Gefühlen und nicht aus Kalkül der Staatsraison trifft. 

 

Aljoscha Harmsen studierte Geschichte, Sprach- und Literaturwissenschaften und arbeitet als Redakteur und als freier Autor, u.a. für die Neue Zürcher Zeitung.

Foto: Fabian Nicolay

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Leserpost

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Bozana Krcadinac / 05.04.2021

Endlich mal eine materialistische Erklärung des woke-supremacy-Wahnsinns! Als reines Diskursphänomen bleibt er nämlich unbegriffen. Das freidrehende akademische Prekariat wird allerdings umso mehr Zulauf erhalten, desto weniger soziale Aufwärtsmobilität besteht. Der Krieg wird nicht im Reich der Ideen entschieden.

G. Böhm / 05.04.2021

Das, was Herr Harmsen hier vorträgt, mag seine eingeschränkte Sicht auf die Dinge sein. - So ich mich nicht falsch informiert habe, war der Autor 1990 vier Jahre alt. Er hat keinerlei Lebenserfahrung darüber, was die ‘alten’ Linken vormals vorhatten; er spricht von den alten und neuen selbsternannten Linken, eine völlig schwammige Zuschreibung. Seine Vorstellungskraft ist wahrscheinlich keineswegs ausreichend, um die möglichen Veränderungen eines Staatsgebildes zu erfassen, also z. B. die Transformation vom Rechtsstaat in den Unrechtsstaat. - By the way: Es muß nicht ein Q-Kriterium sein, wenn man für die NZZ schreibt, auch da gibt es ein weites Meinungsspektrum, das sich insgesamt wohl aufgemacht hat, auf den Spuren der Zeitung Für Arme Zeitgenossen zu wandeln, so mich mein Gefühl nicht täuscht. Und wie es der Zufall will, vor ein paar Minuten habe ich ebenda wie folgt angefragt: “Ich möchte hiermit ganz offiziös anfragen, warum die Community-Redaktion vielfach bereits freigegebene, und teilweise von anderen Usern bewertete, Diskussionsbeiträge von mir cancelt (löscht). Vielen Dank für Ihre öffentliche Antwort im voraus!” [Das war meine zweite Anfrage, vor Monaten wurde das Verschwinden von Beiträgen noch damit begründet, daß das neu eingeführte Leserforum it-seitig noch nicht sicher beherrscht werde.]

Jörg Redemann / 05.04.2021

Eine Ursache für die missliche Lage ist das Parteiensystem. Es ist nicht der Wähler, der unfähige, unerwünschte Soziologie-/Gender-/und andere überflüssige Studienabschlüssler-/Abbrecher und berufslose Dummköpfe in die Parlamente schickt, es sind die Parteien, die solche Leute über die Parteimandate auf die Menschheit loslassen.

Matthias Popp / 05.04.2021

“Die Intellektuellen sind durchaus nicht, wie man so oft sagt, die Menschen, die denken: es sind vielmehr die Leute, die sich einen Beruf daraus machen, zu denken, und die auf Grund der Vornehmheit dieses Berufes dafür ein aristokratisches Gehalt beanspruchen.” Georges Sorel

Wilfried Düring / 05.04.2021

Sehr geehrter Herr Harmes, sie haben einen bedenkenswertens Aufsatz beigesteuert, deren Tendenz ich unterstützen möchte. Als ‘Rächtz-Konservativer’ muß man heute in diesem Staat eine ehrenhafte (frühere) Linke gegen LUMPEN verteidigen, die (in diesem Land) den Begriff ‘Linke’ für sich in frevelhafter Weise okkupiert und vor allem leider monopolisiert haben! Vergessen wir nicht: ‘Es gibt auch nette, vernünfige, normale Linke. Ich bin so einer! ...’ (Henryk Broder vor der AfD-Fraktion). Es gab eine Zeit, in der manche politischen Forderungen von ‘vernünftigen Linken’ ihre absolute Berechtigung hatten: (Beispiel: ‘Mann der Arbeit, aufgewacht’ - Bundeslied der preußischen ‘Lassallelaner’ von Herwegh; vertont von Bülow). Lassalle, Herwegh, der Franzose Jaures ... usw. hatten und haben mit der Niedertracht und der Verkommenheit von heutigen angemaßt ‘linken Aktivisten’ nichts gemein! Und diese Fakten muß man dem Pack unter die Nase reiben. Deshalb bin ich für klare Ansage und klare Aussprache. Es sind KEINE LINKEN, sondern WOHLSTANDS-VERWAHRLOSTE Schmarotzer, Parasiten, Berufsfaulpelze, Arbeitsscheue, Studienabbrecher, Jacobiner und destruktive Quatschköpfe - denen die Erfahrung eines ehrlichen Arbeitslebens einfach fehlt. Was diese Leute brauchen, ist der Entzug von Privilegien, Stipendien, Fördermitteln und sonstigen finanziellen Unterstützungen und die Zuweisung einer ehrlichen und möglichst schweren Arbeit. Und dort sollten sie von 1. Tage an demselben Leistungsdruck unterworfen sein, wie die ‘15 Millionen Nettosteuerzahler’ auch. Es gibt nur ein einziges Problem, daß diese Leute in Wirklichkeit haben: es geht ihnen nicht nur gut, nicht nur sehr gut - es geht ihnen zu gut. Und DAS müssen wir unbedingt ändern; gerne schock-artig. Leute wie Neubauer und Kühnert gehören nicht in die Politik - sie gehören z.B. in eine Waschküche bzw. auf den Bau - zu den dort üblichen Niedriglöhnen!

Ling Wei / 05.04.2021

So lange sich viele kluge Autoren und Kommentatoren auf der ACHSE engagieren, bleibt die Tür unter den Füßen geschlossen.

Karl Schmidt / 05.04.2021

Ja, das kennt man: Wenn offensichtlich wird, dass jede Form des Sozialismus zwangsläufig in die Bevormundung und Entrechtung der Bürger führt - weil der einzelne nicht zählt, weil Linke (und Braune ebenso) exklusiv das Gemeinwohl vertreten und definieren (wollen) -, dann sind dessen Protagonisten keine Linken. Streng genommen ist der Sozialismus also nirgendwo auf der Welt gescheitert und kann es auch nicht, weil das alles keine Sozialisten waren. Vielmehr haben sie “das Linke” verraten: Honecker war z. B. ein Rechter (das wird in der SED tatsächlich vertreten), denn er war - praktischerweise immer rückblickend betrachtet - nicht progressiv, vertrat (zumindest) nicht alle Positionen der Linken von heute. Man könnte auch sagen, dass jede Fehlentwicklung, jeder Fehlschlag (auch wenn sie untrennbar mit der linken Ideologie verbunden sind) auf diese Art elegant nach rechts entsorgt wird und der Sozialismus immer ein Hochglanzprodukt bleibt, völlig unbefleckt. Dieser Artikel reiht sich nahtlos in dieses linke Dauernarrativ ein: Darin liegt auch eine raffinierte Art der Unfehlbarkeit - die Lehre der katholischen Kirch wirkt dagegen geradezu plump.

Albert Pflüger / 05.04.2021

Ich finde es äußerst bemerkenswert, daß der Autor zu seinen Erkenntnissen gelangt ist, obwohl auch er Geschichte, Sprach- und Literaturwissenschaften studiert hat und damit eigentlich zum neuen Akademischen Proletariat gehört! Es scheint so, als ob die ausufernde Aufstiegsförderung, die nicht nur durchschnittlich, sondern auch unterdurchschnittlich Begabte zunächst zum Abitur geführt, und dann sogar in die Universitäten gespült hat, sich bitter rächt. Diese Leute haben nichts gelernt, was für irgendjemanden von Nutzen sein könnte, leiden unter ihrer Nutzlosigkeit, fühlen sich als gebildet und sind erbost, daß die vermeintlich dem Akademiker zukommende Bezahlung für ihre Dünnbrettstudien niemand zahlen will. Ganze Studiengänge wurden geschaffen (Genderstudies!), um die so betrogenen mit Professuren ruhigzustellen, mit dem vorhersehbaren Effekt, daß noch mehr nutzlose laut fordernde Schwätzer produziert werden.  Einfache Fragen: wer kann einen Soziologen gebrauchen? Wer hat Bedarf an einer Genderista? Wer will von Politologen regiert werden? Wieviele Literaturwissenschaftler, Anthropologen, Archäologen, Philosophen ( oder solche, die sich dafür halten!) usw. benötigt eine produktive Gesellschaft? Sehr, sehr wenige. Und wie viele werden ausgebildet? Sehr, sehr viele. Eine Verschwendung menschlicher Arbeit, die viele enttäuscht zurückläßt, die dann die Schuld bei den Verhältnissen suchen und Neid auf die entwickeln, die intelligenter sind und das richtige studiert, oder eine Lehre gemacht haben, und mit Fleiß und Risikobereitschaft einen Handwerksbetrieb führen und damit gutes Geld verdienen. Die gelten denen jetzt als Rechte, weil es ihnen besser geht und weil sie nicht mit den Nutzlosen teilen wollen. So werden allerlei vermeintliche Ansprüche aus den verschiedensten Gründen konstruiert, die alle eines gemeinsam haben: sie treffen auf die Rechten nicht zu. Denen ist die Rolle zugedacht, die Forderungen zu erfüllen! Aber dalli!

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