Lindner, Lehfeldt und die Dienstleistungskirche

Dass Christian Lindner und Franca Lehfeldt kirchlich geheiratet haben, obwohl beide ausgetreten sind, sorgte für Diskussionen. Ist es verwunderlich, dass sich immer mehr Menschen von einer solchen formlosen Kirche abwenden?

Die Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner und Franca Lehfeldt hat nicht nur deshalb Schlagzeilen gemacht, weil sich hier Angehörige einer politischen Klasse inmitten multipler Krisen mit dramatischen Verzichtsappellen an die Bevölkerung in ebenso dramatischer Missachtung jeglichen Stils und Mitgefühls den Divertissements einer auf dem Prominenteneiland Sylt anberaumten Luxushochzeit hingaben. Auch die Tatsache, dass sich die Brautleute evangelisch trauen ließen, obwohl keiner von beiden einer Glaubensgemeinschaft angehört, wirft Fragen auf. Wie weit können sich die Kirchen, um gesellschaftlich anschlussfähig zu bleiben, von ihren eigenen Grundsätzen entfernen, ohne Glaubenswahrheiten aufzugeben, auf denen letztlich ihre Existenz beruht?

Dass sich zwei Ungetaufte oder aus ihrer jeweiligen Kirche ausgetretene Eheleute im Beisein eines römisch-katholischen Priesters das Jawort geben, wäre nach gültigem kanonischen Recht undenkbar. Denn für Katholiken ist die Ehe neben Taufe, Eucharistie, Firmung, Beichte, Weihe und Krankensalbung eines von sieben Sakramenten. Diese „Heilszeichen“ haben einen hohen Grad an Verbindlichkeit. Wer nach katholischem Ritus getauft wurde, kann das Sakrament nicht mehr zurückgeben: „semel catholicus, semper catholicus.“ Für die Ehe gilt im Prinzip ebenfalls ihre lebenslange Unauflösbarkeit. Das mag für glaubensferne Menschen, die längst die Mehrheit der Bevölkerung bilden, unverständlich sein. Trotzdem fühlten sich Katholiken jahrhundertelang an diese Regeln gebunden und gläubige Christen dieser Konfession tun es bis heute.

So musste (und muss theoretisch immer noch) in der katholischen Kirche auch für „Mischehen“ zwischen Partnern, die verschiedenen Konfessionen angehören, zunächst eine Erlaubnis (Dispens) von der zuständigen kirchlichen Autorität eingeholt werden. Ist hingegen nur einer der Partner getauft (und zwar in der katholischen Kirche), der andere hingegen ungetauft, ist die Ehe grundsätzlich verboten. Auch hier gibt es die Möglichkeit – Gnade ist ein konstituierendes Element des Christentums – eine Dispens zu erwirken. Doch selbst in diesem Fall handelt es sich im katholischen Bereich um keine sakramentale Ehe – auch nicht für den katholischen Teil: „halb-sakramental“ gibt es nicht.

Kirche nur noch Dienstleistungsbetrieb

Aus alledem ergibt sich, dass in der katholischen Kirche keine Ehe eingegangen werden kann, wenn nicht wenigstens einer der Ehepartner der (katholischen) Kirche angehört. Im Protestantismus dagegen gibt es als Sakramente nur Taufe und Abendmahl. Die Ehe zählt nicht dazu, so dass schon die Grundvoraussetzung dafür fehlt, sie allein den eigenen Kirchenangehörigen vorzubehalten und sei es, dass eines von ihnen einen Nicht-Angehörigen heiraten will.

Wie locker im evangelischen Bereich mit der Ehe umgegangen wird, zeigt eine Einschätzung von Gothart Magaard, dem evangelischen Bischof von Schleswig und Holstein zur Lindner-Hochzeit. Zwar sehe die Lebensordnung der Nordkirche vor, dass bei einer Trauung mindestens ein Partner Mitglied der evangelischen Kirche sein soll. Doch Ausnahmen von dieser Regel lägen im Ermessen des Seelsorgers. Am Ende reduziert sich eine Eheschließung unter diesen Voraussetzungen auf die bloße Erteilung eines kirchlichen Segens für die Brautleute. „Wir sollten mit dem Segen nicht knausrig umgehen“, so Magaard folgerichtig. „Gott ist ein großzügiger Gott.“

Im Fall Lindner/Lehfeldt kann mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Brautleute – sie selbst betrachten sich laut „Bild“-Zeitung als „liberale Freigeister“ – nur noch einen rudimentären Bezug zu Kirche und Glauben haben. Ihr Wunsch, von einem Geistlichen getraut zu werden, dürfte sich in dem allgemeinen Bedürfnis erschöpfen, der Eheschließung einen feierlich-formalen Rahmen zu geben. Da hat Margot Käßmann einmal recht, wenn sie Lindner/Lehfeldt und der Sylter Hochzeitsgesellschaft vorhält, sich nur mit einer „christlichen Kulisse“ schmücken zu wollen. „Mit solchen Events degradieren wir unsere traditionellen Räume, in denen Christen Gott die Ehre geben, zu billigen Eventlocations.“

Unter diesen Auspizien reduziert sich Kirche auf einen bloßen Dienstleistungsbetrieb, der gelegentlich noch in gewissen, für das Leben als wichtig empfundenen Stationen in Erscheinung tritt. Trotzdem ist der Schwund bei der Inanspruchnahme kirchlicher Amtshandlungen markant. So sank in der evangelischen Kirche die Zahl der Trauungen seit den fünfziger Jahren um drei Viertel auf rund 38.000 im Jahre 2019. Noch dramatischer sieht es bei den Katholiken aus. Hier reduzierte sich die Zahl der Eheschließungen von mehr als 110.000 im Jahre 1980 auf gut 11.000 im Jahre 2020, ein Einbruch um satte 90 Prozent. Ähnliche Abwärtstrends gibt es bei anderen Sakramenten und Amtshandlungen.

Echte Glaubensinhalte werden kaum noch wahrgenommen

Allein die Zahl kirchlicher Bestattungen hat sich trotz Friedwald-Bewegung und einem nihilistischen Trend zu anonymen Beisetzungen auf relativ hohem Niveau gehalten. So gab es 2020 fast 234.000 katholische Bestattungen, was 25 Prozent aller Sterbefälle in Deutschland entspricht; im Jahre 2010 waren es 30 Prozent aller Todesfälle – wobei es sich hierbei wohlgemerkt nicht um das Sterbesakrament der Krankensalbung handelt. In der evangelischen Kirche hielt sich die Zahl der Bestattungen zwischen 1962 und heute auf einem recht stabilen Niveau zwischen 320.000 bis 350.000 „Amtshandlungen“ auf dem letzten Weg eines Verstorbenen. Es scheint, dass nur noch bei den allerletzten, auf ewig unergründlichen Dingen auf die Kompetenz der Kirche(n) gesetzt wird.

Echte Glaubensinhalte werden dabei freilich kaum noch wahrgenommen. Und je mehr die Kirchen öffentlich unter Druck geraten, desto mehr sind sie augenscheinlich bereit, ihre eigenen Grundsätze zu verraten. Besagtem Bischof Magaard geht es offenbar nur noch darum, „Zeichen der Gastfreundschaft und der Großzügigkeit zu setzen“. Immerhin fiel es einer evangelischen Theologin auf, dass Lindner und Lehfeldt mit dem Traugottesdienst eine Dienstleistung (sic!) in Anspruch genommen hätten, die von Kirchenmitgliedern finanziert werde. Es stelle sich mithin die Frage, „warum man sich die Kirchensteuer nicht einfach auch sparen könnte, wenn Nichtmitglieder die gleichen Rechte und Vorteile haben wie Kirchenmitglieder“.

Da wird unverrichteter Dinge noch ein ganz anderes Fass aufgemacht und eine Frage berührt, deren Diskussion die evangelische wie katholische Kirche scheut wie der Teufel das Weihwasser: Warum soll der Staat Steuern für eine Institution einziehen, die immer mehr Menschen in den allermeisten Lebenslagen für entbehrlich halten und die sich zudem ihrer selbst immer weniger sicher ist?

Foto: Heinrich-Böll-Stiftung / Stefan Röhl CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

H. Krautner / 19.07.2022

Kirchensteuer?        Zusätzlich wird auch noch bis zu einem Drittel der Haushalte der einzelnen Bistümer aus öffentlichen Mittel finanziert. Das heißt auch Steuerzahler, die nicht Mitglied dieser Religionskonzerne sind, finanzieren diese mit ihren Steuern mit.

Hans Reinhardt / 19.07.2022

Kann man als Nicht-Evangele eigentlich noch beim Vulvenmalen mitmachen? Vorausgesetzt natürlich, man erklärt sich für die Dauer des Kurses als Frau, soviel Ordnung muss sein. Aber was würde ich dann bei mir anmalen können? Könnte ich meinen Penis dann einfach auf Vulva umtaufen lassen? Müsste doch gehen…

Rudi Hoffmann / 19.07.2022

Rent   e   Bischof/Pfarrer/Pastor .

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 26.06.2025 / 12:00 / 23

Deutschlands erste Öko-Diktatur

Vor 90 Jahren trat das Reichsnaturschutzgesetz in Kraft. Die braunen Ökos jubelten und betrieben fortan Naturschutz nach Gutsherrenart. Angesichts der „Klimakrise“ träumen auch heute manche Umweltaktivisten…/ mehr

Georg Etscheit / 14.06.2025 / 14:00 / 24

Der Grillhammer

Aus Gründen des „Hitzeschutzes“ soll bei öffentlichen Sportveranstaltungen aufs Grillen verzichtet werden. Anfang vom Ende einer zutiefst männlichen Passion? Merkwürdig, dass der jüngste „Grillhammer“ nicht…/ mehr

Georg Etscheit / 01.06.2025 / 12:00 / 10

Cancel Cuisine: Leipziger Lerchen

Was einst als Vogelpastete auf dem Teller landete, wird heute als Backware verkauft. Der Lerchengesang ist verklungen – geblieben ist ein Mürbeteig-Mahnmal der deutschen Vogelküche.…/ mehr

Georg Etscheit / 25.05.2025 / 14:00 / 17

Cancel Cuisine: Wie ökologisch ist die Sterneküche?

Viel Gerede von Nachhaltigkeit, saisonaler Küche und sozialer Verantwortung – doch hinter den Kulissen der Sternegastronomie sieht es oft ganz anders aus. „Ein Menu. Getragen…/ mehr

Georg Etscheit / 18.05.2025 / 12:00 / 11

Cancel Cuisine: Söder und Tofu

Söders Polemik gegenüber Tofu ist unangebracht, weil es sich um ein gesundes, nahrhaftes und überaus vielseitiges Lebensmittel handelt, sofern man es nicht zu dämlichen, veganen…/ mehr

Georg Etscheit / 10.05.2025 / 10:00 / 28

Immerhin nicht mit Aktentasche

Der neue Papst Leo XIV. ist ein frommer Mann. Das ist keine Selbstverständlichkeit heutzutage, selbst in hohen Kirchenämtern. Dass ein Papst wie ein Papst aussieht…/ mehr

Georg Etscheit / 07.05.2025 / 12:00 / 20

Mein Zivildienst: Lehrreiche Konfrontationen mit dem Leben

Mein Zivildienst bescherte mir Begegnungen mit ganz normalen Menschen, mit Schicksalsschlägen, Krankheit und Tod, mit Fehlern und Unvermögen, mit dem prallen, ungeschminkten Leben jenseits des…/ mehr

Georg Etscheit / 04.05.2025 / 12:00 / 3

Cancel Cuisine: Kardinalschnitte

Diesmal wird es mit einiger Sicherheit keinen weiteren Papst aus Österreich geben. Das ist auch insofern schade, weil nun wieder keine Chance besteht, die österreichische…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com