Manfred Haferburg / 03.07.2021 / 12:00 / 51 / Seite ausdrucken

Lilium überlistet die Naturgesetze – das fliegende Perpetuum mobile

Deutsche Ingenieurskunst brachte immer schon hervorragende Neuerungen der Technikgeschichte hervor. Ein gutes Beispiel ist die fliegende Badewanne, in der ein Jünger Otto Lilienthals eineinhalb Kilometer zum Bäcker fliegt, um ein Brötchen zu holen. Die begabten Jungs aus dem Video haben viel Spaß, wollen aber auch nicht unbedingt Luftfahrtgeschichte schreiben.

Das will schon eher die deutsche Firma Lilium: "At Lilium we're advancing how the world moves", darunter tun sie es nicht bei dem E-Flugtaxi: 

Welt online begeistert: „Günstiger als ein Taxi? Lilium will für 1,16 Euro je Kilometer fliegen. „Im Zuge des anstehenden Börsenganges hat das Lufttaxi-Unternehmen neue Details zur Geschäftsidee veröffentlicht. Jetzt steht fest, wie teuer die Tickets werden, wann die Modelle wirklich starten – und wer die neuen prominenten Investoren sind. Einige Ziele wirken jedoch ambitioniert.” „Ambitioniert“ ist hier so etwas wie „Herausforderung“ – der neue politische Schwurbelismus für eine handfeste Krise.

Bis August ist die Kursnotierung an der US-Börse Nasdaq geplant. Der Ticketpreis für das Lilium-Flugtaxi wurde auch genannt: 2,25 Dollar pro Meile oder umgerechnet rund 1,16 Euro je Kilometer. Das wäre günstiger als eine Taxifahrt. Für Lililum geht es vor allem darum, weitere Investoren zu finden, die an das ambitionierte Vorhaben glauben und darauf vertrauen, dass sich das Unternehmen im Wettbewerb um Geld und Passagiere behauptet. Derzeit herrscht Goldgräber-Stimmung in dem neuen Markt. Wirklich real bei Lilium sind aber nur die schillernden Manager-Persönlichkeiten, die ihren Namen für diese neue Luftfahrtnummer hergeben, die stark an das Cargo-Lifter-Projekt erinnert. Immerhin ist die Cargo-Halle heute wenigstens ein Spaßbad. Die Investoren sind trotzdem geprellt und ihr Geld haben jetzt andere.

Lilium bietet den Hubschrauberflug der nächsten Generation an – voll elektrisch und voll leise. Das Lilium-Flugtaxi hat 36 ummantelte Elektro-Turbinen für den Schub. Sie seien insgesamt leiser als die offenen Rotoren bei der Konkurrenz, heißt es. Augenzeugen der Flugerprobung außerhalb des Unternehmens gibt es keine, ein Besuch der Flugtests wird Journalisten bisher nicht gewährt. Bis heute hat Lilium nur einen unbemannten Prototyp für einen kleinen Hopser in die Luft gebracht. Im Februar 2020 brannte ein Lilium-Prototyp am Boden ab. Das alles ficht die Großankündiger bei Lilium zwecks Geldeinsammeln von gutgläubigen Anlegern nicht an. Es gibt jede Menge wunderbare Computergrafiken des Wunderfluggerätes.

Wir rechnen mal kleinlich nach

Grundrechenarten? Fehlanzeige. Da wollen wir mal etwas kleinlich nachrechnen.

Die Lufttaxis sollen durchschnittlich 25 Flüge pro Tag mit durchschnittlich 100 Kilometer Distanzen bewältigen und dabei zehn Stunden fliegen… So, so.

Sagen wir mal, der Tag hätte ungefähr 24 Stunden. Das heißt, bei ununterbrochenem Einsatz von 25 Flügen wie angekündigt, bleibt pro Tag weniger als eine Stunde pro Flug von 100 km. Davon ist der Vogel mehr als eine halbe Stunde in der Luft. Bleiben ganze 30 Minuten zum Laden der Lilium-Batterien für den neuen Flug. Bei einem Besuch von Kanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Altmaier, Herr Söder war auch dabei, behauptete CEO Daniel Wiegand, dass dafür eine Ladezeit von 30 Minuten, bei den „neuen Batterien“ nur 15 Minuten benötigt würde. Steffen Seibert bei Twitter: „E-Mobilität auch in der Luftfahrt – beim Digitalgipfel beeindruckt das weltweit erste senkrecht startende und landende Jet-Flugzeug.“

Herr Söder hat ja schon reichlich Erfahrungen mit solchen Luftnummern. Wo der Strom herkommen soll, hat CEO Wiegand nicht gesagt. Und keiner der tief beindruckt dreinblickenden Politiker hat gefragt.

Es ist schon erstaunlich, wie gerne sich führende Politiker mit Luftnummern schmücken. Und überhaupt, tolle Batterien sind das. 15 Minuten Ladezeit für 300 km durch die Lüfte. Ist das mit oder ohne Sicherheitsreserve? Da kann die weltweite Autoindustrie noch was lernen. Besonders, wenn man bedenkt, dass für die gleiche Reichweite beim Fliegen im Vergleich mit dem Fahren der Energieverbrauch ungefähr beim Faktor fünf liegt.

Zwischen den Versprechungen und den Ergebnissen liegen Welten

Lilium soll fünf Personen mit einer Geschwindigkeit von 300 km/h über eine Strecke von 300 Kilometern befördern können? 

Dazu braucht es ungefähr ein 1,5t Fluggerät, nämlich ca. 500 Kilogramm für Passagiere und Gepäck und etwa 500 Kilogramm für Zelle und Antrieb. Dazu muss von etwa einem Drittel Akkugewicht ausgegangen werden. Bei der heute verfügbaren Energiedichte von rund höchstens 240 Wh/kg, dem mit hohen Verlusten behafteten Antrieb mit kleinen Propellern und der energieintensiven Senkrecht-Start-Flugphase- und Landephase ergibt sich eine verfügbare Schwebeflugzeit von wenigen Minuten. Da bleibt nicht mal Zeit für den extrem schwierigen Übergang vom Senkrechtstart in die horizontale Flugphase. Es ist nur zu hoffen, dass das Ding wenigstens Motoren in den Rädern zum Fahren hat, damit die Passagiere nicht zum Terminal laufen müssen. Ach nein, es hat ja keine Räder.

Mit seiner Einschätzung über die Lilium-Luftnummer ist der Autor nicht ganz alleine. In der Ausgabe 2/2020 hat der „aerokurier“ eine kritische Analyse zum Lufttaxi Lilium veröffentlicht – mit dem Ergebnis, dass die versprochenen Leistungswerte mit heutiger Technologie nicht zu erreichen sind. Und fragt bezüglich der Lilium-Manager: „Hoffnungsträger oder Hochstapler?“ In einer ausführlichen Berechnung kommen die „aerokurier“-Experten auf eine Reichweite von 18 statt 300 Kilometern bei einer maximalen Schwebeflugdauer für Start und Landung von rund 70 Sekunden. Selbst wenn sich die Experten ein bisschen irren – zwischen ihren Ergebnissen und den Versprechungen liegen Welten. Konfrontiert mit den Ergebnissen, reagierte Lilium-Investor Frank Thelen denn auch extrem dünnhäutig.

Flugtaxis – ich würde mich riesig über die Lösung eines Problems freuen, das keiner hat. Ich würde neidlos und demütig Asche auf mein Haupt streuen, wenn ab 2024, also in gut zweieinhalb Jahren, die versprochenen ersten Einnahmen aus dem kommerziellen Betrieb von Lilium fließen, samt Produktion von 90 Modellen.

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Leserpost

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Jan Häretikus / 03.07.2021

Ich erinnere hier an das “Geschäftsmodell” der Firma Flowtex!

Simone Büdeler / 03.07.2021

Der Uralt-Witz bei Ebbe Land zu verkaufen, könnte in diesem Deutschland funktionieren.

Stefan Riedel / 03.07.2021

Lilium ? Muss wohl heißen Delirium?

Stanley Milgram / 03.07.2021

Ich habe den sog. BOT (Bodeneffekttragflügler) entworfen. Eine Kombination aus Tragflächenboot und Bodeneffektfahrzeug, da man hierdurch beim Start sehr viel weniger Energieaufwand braucht, um in den Bodeneffekt zu gelangen. Eine Nachfrage beim hiesigen Wasser- und Schifffahrtsamt ergab, dass solche Fahrzeuge in Deutschland grundsätzlich verboten sind, obwohl es keine explizite Geschwindigkeitsbeschränkung zum Beispiel auf dem Rhein gibt. Dafür bräuchte man keine neue Infrastruktur, könnte ohne Stau und Stress mit einem Durchschnitt von etwa 100 km/h günstig sämtliche Großstädte am Rhein (Elbe, Donau) verbinden und die Straßen entlasten. Aber wie so oft: Das Gute ist in Deutschland verboten. Lieber Luftschlösser und -nummern.

Jörg Redemann / 03.07.2021

Wie dem Artikel zu entnehmen, hat sich auch eine prominente Physikerin aus dem Kanzleramt für diese neue Luftnummer interessiert. Meine im Gegensatz zur Kanzlerin auf mathematische und physikalische Grundkenntnisse beschränkte Berechnung besagt, dass die angekündigten Leistungswerte außerhalb der physikalischen Gesetze liegen müssen. Aber von heutigen Physikern und Kanzlerinnenbewerbern kann wohl eine einfache physikalische Berechnung weder erfüllt noch erwartet werden. Wie Recht sagte doch ein Herr Sarazin: Deutschland schafft sich ab und bei Bildung und Kompetenz fängt das an

Hartwig Hübner / 03.07.2021

Zitat: “[...] Sobald man anfängt, ein bisschen nachzurechnen, entpuppt sich das Ganze als ziemliche Luftnummer.” ++ Sehr verehrter Autor, oOOhhhhoooHHH, da verkennen Sie den Börsianer. Sie kennen den Börsianer nicht. Der liebt das. ++ Hier werden wieder Informierte die gierigen Nicht-Informierten belehren, brutal über den Tisch ziehen und sich vielleicht die Taschen voll machen. Natürlich auch durch Betrug. Das Geld wechselt ja nur die Taschen. Es geht nicht verloren. Versprochen!! ++ An der Börse tummeln sich pro Quadratmeter so viele dumme Menschen, wie sonst nirgends. Diese Regel ist in der digitalen Welt zwar nicht mehr darstellbar, aber immer noch gültig,

R. Jörres / 03.07.2021

Danke. Man kommt hier schon mit Kenntnissen aus der Realschule und simplen, allgemein zugänglichen Daten weiter, um die Größenordnungen abzuschätzen. Nehmen wir einen Leichthubschrauber der Art Robinson R44. Das Triebwerk leistet typischerweise 200 kW. Der Tankinhalt mit Zusatztank beträgt bis zu 190 Liter. Das maximale Startgewicht liegt bei knapp 1100 kg. Mit der Tankfüllung hat der Hubschrauber eine Reichweite von knapp 650 km bei einer Reisegeschwindigkeit von 210 km/h, die Flugdauer liegt also bei ca. 3 Stunden. Nehmen wir einen leistungsäquivalenten Elektromotor von 200 kW. Dieser verbraucht in 3 Stunden 600 kWh an Energie. Nehmen wir künftige Superakkus mit 0,5 kWh pro kg statt 0,25 kWh pro kg. Dann wiegen alleine die erforderlichen Akkus 1200 kg, alternativ 2400 kg. Ein Tank von 190 Litern wird gefüllt um die 200 kg wiegen, also 1/6 von 1200 kg. Bei gleichem Gewicht beträgt daher mit den Superakkus die Flugdauer 3/6 = 0,5 Stunden, mit normalen Akkus 3/12 Stunden = 15 Minuten. Die Tragik liegt darin, dass heute die Masse der sog. Gebildeten nicht einmal eine so simple, überschlägige Kalkulation (die mit Zusammensuchen der Daten keine 10 Minuten in Anspruch nimmt) selber anstellen kann oder will. Das ist auch der Grund, weshalb solche Astrositäten wie die sog. Energiewende akzeptiert werden.

Jürgen Fischer / 03.07.2021

Gerade taucht im hintersten Winkel meiner Erinnerung ein Ballon auf ... wie hieß der gleich wieder ... achja, Cargolifter! Aber halt! Der ist ja sogar geflogen, oder? Übrigens, das Fly like a Marabu-Zitat ist nicht von mir. Das dürfte aus der Feder des Sounds/Musik-Express-Redakteurs Jörg Gülden alias Dr. Gonzo stammen. Vielleicht kann Archi W. Bechlenberg mir da helfen. Jedenfalls mache ich hier nicht die Annalena.

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