Liest Frau Doktor Achgut? Falls ja, versteht sie nichts

Vergangenen Sonntagabend hatte Anne Will zum wiederholten Mal Dr. Viola Priesemann zum Corona-Talk geladen. Frau Priesemann ist weder Virologin noch Epidemiologin noch überhaupt Medizinerin. Sie hat Physik studiert. Trotzdem darf Viola P. bei öffentlichen Diskussionen den Corona-Experten-Part spielen. Zum einen, weil sie sich beruflich an der Computer-Simulation von Seuchenausbreitung versucht. Zum anderen, weil sie eine Frau ist.

Anne Will liebt und lebt politische Korrektheit. Als eine der Ersten machte sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Genderstottern hoffähig. Seit Monaten vergeht keine Sendung mehr, in die Will nicht verbale Stolpersteine wie „Bürger – PAUSE – innen“ oder „Pfleger – PAUSE – innen“ oder „Irgendwas – PAUSE – innen“ einbaut.* Zwecks Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit musste daher den drei männlichen Gästen (Christian Lindner, Markus Söder, Michael Müller) unbedingt was Weibliches beigesellt werden.

So kam eine „Zeit Online“-Journalistin namens Vanessa Wu in den Genuss eines reichweitenstarken TV-Auftritts. Und, wie gesagt, Viola Priesemann, nun bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Monats.

Am Sonntag nichts Neues

Der Einfachheit halber hätte man auch die Priesemann-Statements von vor vier Wochen einspielen können. Die Computer-Modelliererin trug mit raumgreifender Gestik exakt dieselben Inhalte vor und zeigte sich abermals von bestechender Einfalt. Kurz, am Sonntag nichts Neues (hier ab Min. 12:08).

Priesemanns unerschütterliches Credo ist der Total-Lockdown. Den müsse man ein paar Wochen durchziehen, um die Zahl der „Neuinfektionen“ so weit zu senken, dass die Gesundheitsämter die Ansteckungsketten wieder nachverfolgen könnten. Sobald dieser Zustand erreicht sei, habe man die virale Situation „unter Kontrolle“, und zwar so, wie es im Sommer der Fall war. Nur wenn man dieser Strategie folge, könne man vermeiden, sich von Halb-Lockdown zu Halb-Lockdown zu hangeln, so Priesemann.

Markus Söder nannte die Ausführungen der Computer-Modelliererin „brillant“. Das war nicht sonderlich überraschend. Seit seiner Kür zum bayerischen Ministerpräsidenten gibt Chamäleon Söder den großen Versöhner und kultiviert die Kunst des vereinnahmenden Kompliments.

Die Einwände lagen auf der Hand

Die auf der Hand liegenden Einwände, die Priesemanns Erzählung im Nu aushebeln, kamen – wieder einmal – keinem der Gesprächsteilnehmer in den Sinn.

Da wäre zunächst folgendes Simpel-Argument: Wenn, wie Priesemann meint, das Infektionsgeschehen im Sommer „unter Kontrolle“ war, wie konnte es dann überhaupt „außer Kontrolle“ geraten? Und wie kommt Priesemann zu der Behauptung, nach einem Total-Lockdown im November oder Dezember sei das Problem gelöst?

Aus welchem Grund sollten die Infektionszahlen nach dem Wegfall wochenlanger Extrem-Einschränkungen im Januar nicht wieder „unkontrolliert“ steigen? Und zwar exakt so, wie sie es nach dem Sommer taten, als die Situation angeblich „unter Kontrolle“ war?

Spricht der Anstieg nach dem Sommer nicht vielmehr dafür, dass die vielbeschworene „Kontrolle“ eine Illusion war und ist? Dass das verminderte Infektionsgeschehen damals nicht einer herbeiphantasierten „Kontrolle“ geschuldet war, sondern einfach nur dem warmen Wetter? Und dass die Zahlen im Herbst nicht „außer Kontrolle“ gerieten, sondern schlicht deshalb stiegen, weil es sich bei jedem grippeähnlichen Virus in der kalten Jahreszeit so verhält?

Killerargument Dunkelziffer

Das zweite Killerargument gegen die Priesemannschen Kontrollphantasien lautet „Dunkelziffer“. Es müsste eigentlich jedem einfallen, der sich auch nur ein bisschen mit Corona beschäftigt. Alle Fachleute sind sich nämlich einig, dass es bei Corona eine hohe Zahl unentdeckter Infektionen gibt. Das ist leicht erklärbar, denn der allergrößte Teil (laut RKI rund 80 Prozent) der SARS-CoV-2-Ansteckungen verläuft mit nur leichten oder gar keinen Symptomen.

Die Experten-Schätzungen zur Dunkelziffer reichen von ungefähr Faktor 4 bis Faktor 20, um den das tatsächliche Infektionsgeschehen das per Test festgestellte und ans RKI gemeldete Geschehen übertrifft.

Ob Faktor 4 oder realistisch eher 6 oder sogar 20: Ganz egal, wie groß genau das Dunkelfeld unerkannter Infektionen ist, es entlarvt die Erzählung von der „vollständigen“ Kontaktnachverfolgung als naive Wunschvorstellung. Selbst bei niedrigen gemeldeten „Infektionszahlen“ verbleibt ein Vielfaches, das nicht erkannt und gemeldet wird – und das demzufolge auch nicht von den Gesundheitsämtern verfolgt und durch Quarantäne-Anweisungen eingedämmt werden kann.

Keine Alchemie, schlichte Logik

Eine umfassende „Kontrolle“ der Corona-Infektionen gab es daher hierzulande zu keinem Zeitpunkt, auch nicht im Sommer. Dieses Fazit beruht, das sei zur Sicherheit noch einmal betont, nicht auf obskurer Alchemie oder den spirituellen Erlebnissen von Attila Hildmann. Das Fazit ist Ergebnis schlichter Logik, den offiziellen Verlautbarungen folgend.

Es gibt diverse weitere Einwände, die gegen PCR-Tests und die sklavische Orientierung an der „Sieben-Tage-Inzidenz“ vorzubringen wären. Nur, sobald man von PCR, Virenschnipseln, Positivenrate oder falsch-positiven Tests anfängt, wird es für einen TV-Talk zu kompliziert. Das Dunkelziffer-Argument hat demgegenüber den Charme, dass es fernsehtauglich in zwei, drei Sätzen vorgebracht werden kann und unmittelbar einleuchtend ist.

Aus unerfindlichen Gründen kommt jedoch niemand auf die Idee, die Luft aus den Sprechblasen der Kontrollettis zu lassen, etwa so: „Frau Priesemann, alle Virologen sagen, dass es bei Corona eine hohe Dunkelziffer unentdeckter Infektionen gibt. Wie können Sie behaupten, bei einer bestimmten Zahl von Positiv-Tests bestünde ,Kontrolle’ durch vollständige Nachverfolgung, wenn wir doch wissen, dass gleichzeitig im Hintergrund immer ein Vielfaches an unbekannten Ansteckungen stattfindet?“

Liest Priesemann Achgut?

So konnte Priesemann auch bei ihrem zweiten „Anne Will“-Auftritt ungehindert die Mär von der „kontrollierten Lage durch Nachverfolgung“ verbreiten und daraus den Schluss ziehen, man müsse per Maximal-Lockdown die Infektionen auf genau jenen Wert drücken, der diese angebliche Kontrolle ermögliche.

Der einzige Unterschied zwischen Priesemanns „brillanten“ Ausführungen vom 1. und vom 29. November war, dass sie diesmal gefühlt 20-mal das Wort „Dunkelziffer“ in den Mund nahm. Da drängt sich ein Verdacht auf. Hatte Viola P. etwa Achgut gelesen? Schließlich war hier erstmals exklusiv und explizit das Dunkelziffer-Argument formuliert, das die Märchen der Kontrollpropagandisten entlarvt – mit umfangreichen Zitaten von Viola Priesemann.

Falls sie das Stück gelesen hat, hat sie es nicht verstanden. Denn mit ihrer Dunkelziffer, die Priesemann jetzt bei Will x-mal ansprach, meinte sie die Zahl der Kontaktpersonen Infizierter, denen die Ämter nicht mehr hinterhertelefonieren können. Dass es daneben eine weitere große Zahl im Stillen Infizierter gibt, will einfach nicht in ihren Kopf.

Glauben hat man, Erkenntnis muss man sich erarbeiten. Letzteres übersteigt offensichtlich die Möglichkeiten von Frau Dr. Priesemann. Und nicht nur ihre. 

*PS, Schmankerl am Rande: Frank Plasberg stichelte einen Tag später bei „hart aber fair“ gegen Anne Will. Als Gender-Sprechpausen kurz Thema waren, konnte Plasberg sich einen Seitenhieb auf die ARD-Kollegin nicht verkneifen (hier ab Min. 56:53): „Wir sind am Montag, nicht am Sonntag.“

Foto: NDR/Wolfgang Borrs

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Leserpost

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Boris Kotchoubey / 03.12.2020

Wer die Begriffe “Dunkelziffer” oder - horrible dictu! - “falsch-positive Rate” richtig verstehen oder sogar erklären kann, hat sich damit für ÖRR hoffnungslos disqualifiziert.

Heiko Engel / 03.12.2020

SgH. Diestel, die Fähigkeit eines Demokraten besteht immer darin JEDE Meinung, mag diese noch so herausfordernd für einen selbst sein, ertragen zu können. Da mag für Sie ein substantiierter Wachstumsbereich aufgezeichnet sein. Und machen Sie sich um Ihre Vergangenheit keine Gedanken - interessiert mich nicht. Besser wäre es Sie nehmen sich die Zeit erneut und lesen nochmals meinen Text von heute Morgen, gehen vor die Tür und gleichen mit der Realität ab. Und das Entnazifizierung und EntSEDisierung hoffnungslos gescheitert sind, mag auch Sie durchaus beunruhigen. Es bedarf schon einer umfangreichen Wohlstandsverwahrlosung Meinungen derart unreflektiert zu vertreten. Aber Gott ist groß und hat natürlich auch für Sie Zeit und Platz. Und wenn es für Sie möglich sein sollte, wenn ich Sie persönlich getroffen habe, täte es mir leid, denn s.o. Ihre Vergangenheit interessiert mich nicht, versuchen Sie doch idealerweise nicht allzu persönlich zu werden. Und ich vertrete weiterhin die Meinung, dass der Deutsche, im Schnitt natürlich, Probleme mit den Begriffen Freiheit, Ambivalenz, Eigenverantwortung und Wahrheit hat.  MvH.. Engel

Frank Mertes / 03.12.2020

“Das Fazit ist Ergebnis schlichter Logik, den offiziellen Verlautbarungen folgend.” Und genau deshalb kann die Prieselfrau dem nicht folgen. Denn Logik ist nicht die Stärke von Frauen.

Viola Heyer / 03.12.2020

Man hat den Eindruck, dass ihr Doktorvater das Niveau der Giffey-Doktormutter hat. Wie kann man es zulassen, dass eine derart limitierte Frau promoviert?

Michael Scheffler / 03.12.2020

Kurzer Dialog zwischen einem habilitierten FH-Professor und Frau Dr. Priesemann: aus 05/20: Sehr geehrte Frau Kollegin Priesemann, ich habe mit Interesse Ihr Interview gelesen. Sie leiten, wenn ich es recht verstehe, aus systemdynamischen Modellen, Aussagen über Covid19 ab. Nun gibt es ja eine Veröffentlichung israelischer Kollegen, die anhand zur Verfügung stehender Daten meint, dass Covid19 unabhängig von den eingeleiteten Maßnahmen nach etwa 70 Tagen abflaut. Nun ist meine Frage, ob diese These mit Ihren Modellen auch belegbar ist? Mich interessiert das aus fachlicher Hinsicht sehr, für die Studenten der WHZ biete ich eine Systemdynamik mechanischer Systeme an und die dahinter stehende Mathematik wie neuronale Netze oder unscharfe Methoden ist schon seit dem Beginn meiner beruflichen Tätigkeit (Sicherheitsforschung an Kernreaktoren im Forschungszentrum Rossendorf) auch immer mal in meinem Fokus. Beste Grüße Michael Scheffler ein Lieber Herr Scheffler, ganz kurze Antwort: Schauen Sie nach Schweden: Dort flacht die Kurve der Neuinfektionen nicht ab. Beste Grüsse, VP

Wolfgang Kaufmann / 03.12.2020

@Claudius Pappe, „der jungen Angela Merkel sehr ähnlich.“ – Ist das wieder dieser Aposematismus?

Wolfgang Pfeiffer / 03.12.2020

@Robert von Loewenstern: fast off-topic - aber trotzdem: vielen Dank auch für den Link in Ihrem Artikel - ganz am Schluss (“Schmankerl”): Ich war reichlich von den Socken, dass man in der Plasberg Sendung tatsächlich nachvollziehbare Informationen bekommen hat, oder zumindest in einer Dichte, die ich in einer der Öffentl. Rechtlichen nicht mehr für möglich gehalten hätte. Die Sendung war ein außergewöhnlicher, sehr willkommener Schock ....

Mark Schild / 03.12.2020

“Die Physiker” von Dürrenmatt kommt einem in den Sinn. Die Chefin ist die einzig wirklich Verrückte. Die gesunden Physiker sitzen im Irrenhaus fest, während die Wahnsinnige die Weltherrschaft an sich gerissen hat.

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