Der Song ist eine Liebeserklärung an das Land und seine Menschen und lässt sich sowohl auf die Geschichte des Staates Israel als auch auf die der frühen Bee Gees beziehen.
Als Barry Gibb seinen Song „Israel“ schrieb, hatten sich in dem Land an der östlichen Mittelmeerküste gerade wieder etwas die Wogen geglättet. Im August 1970 hatten Israel und Ägypten einen Waffenstillstand vereinbart und damit die verlustreiche militärische Auseinandersetzung, die als Abnutzungskrieg in die Geschichtsbücher einging, beigelegt. Es war bereits der vierte Krieg, mit dem der israelische Staat seit seiner Gründung im Jahr 1948 überzogen wurde.
Unmittelbar davor ist es den israelischen Streitkräften im sogenannten Sechstagekrieg des Juni 1967 gelungen, den Sinai, die Golanhöhen, das Westjordanland, Ostjerusalem und den Gazastreifen unter ihre Kontrolle zu bringen. Aus letzterem zog sich Israel bekanntlich im Jahr 2005 komplett zurück (einschließlich aller israelischen Siedler) und überließ die freigegebenen Gebiete rivalisierenden palästinensischen Horden, die sogleich brutal übereinander herfielen. Es gab hunderte Tote. Was dann daraus geworden ist, wissen wir heute nur allzu gut.
Szenenwechsel: Gegen Ende der 1960er Jahre herrschte bei den drei Gibb-Brüdern dicke Luft: Robin hatte die Band auf dem Höhepunkt ihres Erfolges verlassen und eine Solokarriere begonnen. Barry und Maurice machten zunächst zu zweit weiter, bis auch sie beschlossen, eigene Wege zu gehen. Aber schon bald kamen die Drei auf den Trichter, dass sie einander eben doch brauchten und nur zusammen wirklich stark waren. Noch im Jahr 1970 veröffentlichten sie ihr Reunion-Album mit dem Titel „2 Years On“ (dt. „2 Jahre später“). Was jedoch danach kam, sollte alles toppen, was sie bisher gemacht hatten.
Spirituelle Kraft
Das 1971er-Album „Trafalgar“ markiert den musikalischen Höhepunkt und zugleich das Ende der ersten Karrierephase der Bee Gees. Allerdings wurde die Scheibe, wie auch schon die beiden Vorgänger, in Europa kaum wahrgenommen. In den USA hingegen konnten die Gebrüder Gibb mit der Singleauskoppelung „How Can You Mend a Broken Heart“ ihren ersten Nummer-eins-Hit verbuchen. Der Albumtrack „Israel“ wurde daraufhin ebenfalls als Single veröffentlicht, konnte aber außer in den Niederlanden, wo er knapp die Top 20 verfehlte, nirgendwo punkten. Vielleicht lag das aber auch daran, dass „Israel“ ein Song ist, den man öfter hören muss.
Nicht selten sind es ja gerade die Lieder, die einem anfangs gar nicht so richtig aufgefallen sind, die man nach mehrmaligem Hören dann aber umso mehr ins Herz schließt. Der Song „Israel“ ist eine leidenschaftliche Liebeserklärung an das Land und seine Menschen. Musikalisch ist er eine dieser souligen Bee-Gees-Balladen, die gemächlich anfangen, dann zunehmend Spannung aufbauen, um sich schließlich in einem Phil-Spector-artigen Chorus zu entladen, der einen buchstäblich in den Song hineinzieht.
Mithin entfaltet das Stück eine spirituelle Kraft, die insbesondere Barrys enthusiastischer Gesangsperformance geschuldet ist; etwa wenn er seine Brüder feierlich dazu auffordert, mit in den Chorus einzustimmen. In diesem Sinne steht „Israel“ für einen Neuanfang, für das Wiederzusammenwachsen von etwas, das zusammengehört – und das in eine Zukunft weist, die zuversichtlich stimmt; in der die Wunden der Vergangenheit ausheilen und neue Kräfte gesammelt werden können, um den Weg der Bestimmung weiterzugehen.
YouTube-Link zum Bee-Gees-Song „Israel“ mit liebevoll gemachtem Video
Hans Scheuerlein verarbeitet auf der Achse des Guten seit 2021 sein Erschrecken über die Tatsache, dass viele der Schallplatten, die den Soundtrack seines Lebens prägten, inzwischen ein halbes Jahrhundert alt geworden sind.