Von Johannes Eisleben.
Die herausragende historische Leistung des Abendlandes ist die Entwicklung von Demokratie, Rechtsstaat, Humanismus und Christentum sowie der rationalen Wissenschaft. Darauf beruht unsere heutige Gesellschaftsform, die rechtstaatlich-demokratische Industriegesellschaft, die nach den schrecklichen Erfahrungen des abendländischen Totalitarismus von der Mitte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts das Paradoxon der Gewaltbegrenzung so gut, wie es Menschen seit der Urbanisierung ab 4000 v. Chr. jemals möglich gewesen ist, gelöst hat.
Dieses unauflösbare Paradoxon besagt, dass Macht konzentriert werden muss, um den chaotischen Gebrauch von Gewalt zu beschränken, diese Machtkonzentration aber wiederum zu Machtmissbrauch und Gewaltanwendung staatliche Akteure verleitet, die selbst privilegierte Minderheiten sind oder von solchen kontrolliert werden. Das Paradoxon wird im Rechtsstaat angegangen (aber nicht gelöst), indem die Herrschaft des Rechts, die Gleichheit aller vor dem Gesetz, Grundrechte zur Begrenzung der Normsetzung, Kompetenznormen (Gewaltenteilung), Verfahrensnormen (wie etwa die ZPO), Besetzungsnormen (turnusmäßige Wahl) und Öffentlichkeitsnormen angestrebt werden (siehe H. Popitz, „Phänomene der Macht“, 1992, p. 65).
Doch seit etwa 20 Jahren funktioniert die Bewältigung des Paradoxons der Gewaltbegrenzung immer schlechter. Materiell hat dies mit der immer drastischer werdenden Ungleichheit in den OECD-Staaten zu tun, die eine oligarchische Klasse von Ultrareichen geschaffen hat. Diese halten immer größere Anteile an Realwerten, insbesondere Produktionsmitteln (Land, Maschinen, Anlagen und neuerdings auch Kundendaten, die zu einem zentralen Produktionsmittel geworden sind) – die Gründe dafür können in diesem Zusammenhang nicht behandelt werden.
Ideel hat sich parallel zu dieser krassen Konzentration von Reichtum noch während der Blütezeit des modernen demokratischen Rechtsstaats mit dem links-liberalen post-humanistischen Globalismus eine Strömung entwickelt, die kulturell den Weg zu neuem Machtmissbrauch durch die ultrareichen Minderheiten bahnt. Diese Haltung pervertiert das humanistische Primat des Individuums, indem von biologischen und kulturellen Voraussetzungen des Menschseins abstrahiert und die Fiktion eines voraussetzungsfreien Universalmenschen postuliert wird.
Konsumenten ohne nennenswertes Realeigentum
Ausgehend von dieser Position fordert der post-humanistische Globalismus die Abschaffung von Herkunft, Nation, Geschlecht und Rassen sowie der für das menschliche Überleben zentralen Unterscheidung von Eigen und Fremd. Er ist post-humanistisch, weil er sich des zentralen Ideals des klassischen Humanismus, der philanthrōpía (und, was noch schwerer wiegt, des gesamten Inhalts des Christentums) entledigt hat. Arme, Benachteiligte und Schwache spielen für diese Ideologie keine Rolle mehr. Vielmehr dient die Globalisierungsideologie der möglichst reibungsarmen weiteren Konzentration von Eigentum auf ganz wenige: Die Welt soll zu einem einheitlichen Markt, einem globalen Ort der perfekten Verwertung des Verhaltens von Arbeitnehmern und Konsumenten ohne nennenswertes Realeigentum gestaltet werden.
Die liberale Linke in Deutschland (große Teile der Eliten) hat sich diese Ideologie zu eigen gemacht, wobei die allermeisten nicht merken, dass es sich um eine Herrschaftsideologie handelt, weil sie nicht begreifen, dass die Forderung nach absoluter Gleichheit ohne philanthrōpía und ohne wirksame Mechanismen zur Adressierung des Paradoxons der Gewaltbegrenzung in eine stark dysfunktionale, von offener Gewalt geprägte Gesellschaft führt.
Vielmehr bekämpfen die Protagonisten des post-humanistischen Globalismus diese Mechanismen, beispielsweise durch Verlagerung der Gesetzgebung in ein demokratisch nicht legitimiertes Machtzentrum (Brüssel), durch Missachtung der Verfassung und der Grundrechte (Euro-Rettung, NetzDG, Grenzöffnung), Unterminierung von Verfahrensnormen (zum Beispiel BAMF, Asylrecht) und Angriff auf die demokratische Öffentlichkeit – etwa durch ideologisierte Staatsmedien, wobei die großen Privatmedien mitmachen, weil deren Eigentümer die Nutznießer der Ideologie sind.
Irgendwann werden diese Akteure merken, dass dies alles keine gute Idee war und sie das, was einmal den demokratischen Rechtsstaat ausgemacht hat, verspielt haben werden. Dann sind wir wieder beim Willkürstaat, der ja – das weiß jeder Historiker – leider die dominierende Form menschlichen Zusammenlebens darstellt. So weit, so schlecht. Um den post-humanistischen Globalismus besser zu verstehen, schauen wir uns nun seine extremste Form an, den sogenannten Transhumanismus , welcher gewissermaßen im Brennglas dessen Probleme verdeutlicht.
Transhumanismus – scheinwissenschaftlicher Unfug
Der Transhumanismus ist eine post-humanistische Ideologie, die in Kalifornien entstanden ist. Sie postuliert, dass der Mensch sich durch Einbau technischer Implantate zum einem normalen Menschen überlegenen „Cyborg“ aufrüsten könne und dass er sich durch Genmanipulation zum „transgenen Übermenschen“ emporschwingen kann. Gehen wir zunächst darauf ein, warum dies beides technisch kaum möglich ist, bevor wir den Transhumanismus geistesgeschichtlich einordnen.
Technische Erweiterungen des menschlichen Organismus könnten theoretisch an afferente oder efferente Nervenbahnen des zentralen Nervensystems (ZNS = Gehirn samt Augen + Rückenmark) angeschlossen werden, um dem Menschen neue sensorische und motorische Fähigkeiten zu verleihen. Bei den Afferenzen ist dies de facto nicht sinnvoll machbar, weil alle zum Gehirn führenden elektrischen Sinnesreize mit der gesamten Struktur des Gehirns fest verdrahtet sind: Die visuellen Eindrücke werden vom okzipitalen Kortex verarbeitet, die Audiodaten vom Wernicke-Areal, die Propriozeptoren (Eigenwahrnehmung des Körpers) von diversen Strukturen des Kortex. Würde man afferente Bahnen hinzufügen, gäbe es für diese keinen Verarbeitungsort.
Sicherlich ist es möglich, physikalische Energie, die der Mensch von Natur aus nicht wahrnehmen kann (wie Ultraschall, UV-Strahlung oder radioaktive Strahlung), mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln in einen existierenden sensorischen Kanal zu leiten (nichts anderes macht ein Geiger-Zähler), doch das meinen Transhumanisten nicht, wenn sie vom Cyborg sprechen. Wie sieht es bei den Efferenzen aus? Sie steuern von außen gesehen im Wesentlichen die Motorik des Körpers (und auch zahlreiche andere biologischen Funktionen, die aber von außen schlechter beobachtbar sind). Dies ist durch Sprache und Feinmotorik (Körper und Hände) so gut möglich, dass Florettfechter extrem elegant gegeneinander kämpfen, Pianisten höllisch schwierige Liszt-Etüden spielen und Menschen riesige Maschinen steuern können. Wiederum könnte das noch durch externe Apparate verbessert werden, die beispielsweise Augenbewegungen interpretieren, um noch schnellere Steuerung möglich zu machen als durch die Finger.
Doch ist auch dies nicht das, was sich Transhumanisten vorstellen. Was sicherlich aus ihrem Repertoire denkbar ist, sind Exoskelette, künstliche Gliedmaßen, die wie eine Rüstung angelegt werden und Bewegungen des Menschen verstärken. Die Frage ist nur, ob das noch gebraucht wird, wenn die Synsekten kommen: Der Cyborg ist eine hoffnungslos anthropozentrische Idee. Wie sieht es mit der Genetik aus? Seltene monogenetische Krankheiten mit Mendel’scher Vererbung wird man bald in der Keimbahn mit CRISPR-Cas behandeln – die momentane Ächtung in der EU, Ausdruck einer gefährlichen Technologiefeindlichkeit, wird sich nicht durchhalten lassen.
Es ist unseriös von transgenen Übermenschen zu sprechen
Doch sind die höheren Eigenschaften des Menschen so komplex, genetisch polygen und nicht-Mendel’sch, beispielsweise epigenetisch (d.h. mit Hilfe von Moleküleigenschaften, die nicht direkt auf der DNS abgebildet sind) kodiert, dass wir die Art der Kodierung gar nicht verstehen. Dies gilt für die natürlichen Varianten von Gesichtszügen und Körperbau, aber auch für alle geistigen Merkmale des Menschen wie Intelligenz, Charakterzüge, Emotionalität oder Empathiefähigkeit.
Wir verstehen nicht, wie diese Eigenschaften entstehen und können keine Modelle erstellen, die beschreiben, wie wir ihre (epi-)genetische Grundlage verändern müssten, um sie zu manipulieren. Wir haben dafür noch nicht einmal die mathematischen Möglichkeiten, weil sich derartige Zusammenhänge weder mit partiellen Differentialgleichungen noch mit stochastischen Modellen oder anderen Verfahren befriedigend beschreiben lassen. Mit anderen Worten: Wissenschaftlich ist es derzeit unseriös, von transgenen Übermenschen zu sprechen.
Was aber können wir aus dem Transhumanismus lernen? Tun wir dafür kurz einmal so, als seien seine Ziele verwirklichbar. Nun sehen wir, dass der Transhumanismus eine extreme Form des post-humanistischen Globalismus darstellt. Denn erstens abstrahiert der Transhumanismus von der Biologie des Menschen. Er begreift gar nicht die Tierhaftigkeit des Menschen in ihrer Schönheit, Begrenztheit und Grausamkeit, sondern sieht das Lebewesen Menschen als mangelhafte und verbesserungsbedürftige Maschine an – ähnlich dem kruden Materialismus der französischen Aufklärung („L’homme machine“ von La Mettrie).
Grundlage dieser Haltung ist eine extreme Hybris der technischen Machbarkeit – ein Christ würde sagen: eine tiefe Gottesvergessenheit. In dieser Hinsicht ist der Transhumanismus eine Teilmenge des Globalismus, der Biologie, Herkunft und Kultur des Menschen ignoriert, um die Bahn frei für unbegrenzte Verwertung der Menschen zu machen.
Keine Hinwendung mehr zu den Schwachen
Zweitens wäre der Transhumanismus extrem teuer – eine Technologie für eine winzige Elite, für die extrem reiche Minderheit und allenfalls noch für deren private Sicherheitsorgane. Auch hier zeigt sich der Transhumanismus als eine Spielart des Globalismus, einer Ideologie, die nur den extrem Reichen und deren Handlangern (gut bezahlten Managern und Dienstleistern ohne wesentliches Eigentum) dient.
Drittens fehlt dem Transhumanismus jeglicher Blick auf die Mühseligen und Beladenen, die Christus in Matthäus 11, 28 zu sich ruft. Egal, ob man Christ ist oder nicht: In diesem Jesuswort zeigt sich ein wesentliches Element abendländischer Zivilisation, die Hinwendung zu den Schwachen. Dieser Gedanke ermöglicht es überhaupt erst, das Paradox der Gewaltbegrenzung angehen zu wollen. Wem die Schwachen egal sind, der kann gegen sie auch mühelos Gewalt anwenden und das sogar genießen. Dieses Muster wiederholt sich in der Geschichte immer wieder, ob in der Antike wie bei den Vernichtungszügen Alexander des Großen, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Belgisch Kongo oder dem „Dritten Reich“ in Deutschland.
Der Transhumanismus als Spielart des Globalismus ist ein menschenfeindliches Denksystem, das Gott sei Dank nicht implementierbar ist. Aber er verdeutlicht uns das Denkmuster des pseudoliberalen Globalismus. Der ist leider realisierbar und wird gerade vor unseren Augen umgesetzt, insbesondere von den sogenannten „Linken“. Bis die endlich erwachen und wir diese Fehlentwicklung korrigieren. Je später dies geschieht, desto unangenehmer wird es, wie bei einer Epidemie, deren Ausbreitung man nicht verhindert.